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Herr von Peipper, ein kleiner rundlicher Mann mit Cäsarenkopf, in einem zu hellen Frühjahrsanzug und einem Parteiabzeichen im Knopfloch, unterhielt sich mit Tante Monica über die Lage der Landwirtschaft. Man war nach langen trüben Jahren wieder hoffnungsvoller. Es gab Aussichten, zum Beispiel für Milch und Fett.

Gesine erschien zum Abendbrot in einem einfachen schwarzen Tuchkleid mit weißem Kragen, in dem sie schmaler aussah, als in den Hosen, beinahe schutzbedürftig.

Man sprach von Saatberichten, von den Aussichten der Roggenvorzucht, von der besseren Verwertung der Schweine. Über innere Politik drückten sich alle sehr zurückhaltend aus. Peipper gehörte nämlich zu den weniger Radikalen, während Gesine bekannt war als der erste Ultra im ganzen Kreis. Allerdings hatte sie auch darin ihre besondere Note: sie verfocht die absolute Unabhängigkeit der Frau, was man ihr nach den traurigen Erfahrungen ihres Lebens nicht übelnahm.

Gesine erzählte dann von ihren maroden Baronen. Peipper kannte den Namen Tungern. Mit einem Tungern hatte er 1910/11 bei den Halberstädter Kürassieren gedient. Ein toller Kerl, mit Mühe eingedeutscht. Machte großartige Dummheiten im Jeu und mit Frauen, mußte gehen, nachdem er ein kleines Herzogtum durchgebracht hatte, dreißigtausend Morgen mit ein paar Dörfern, ging ins Baltikum zurück, wurde russischer Offizier und sollte als Adjutant von Rennenkampf bei den Masurischen Seen gefallen sein.

Peipper beurteilte alle Balten nach diesem einen, fand deshalb, daß sie allzu leicht in zwei Vaterländern zu Hause seien, daß sie großspurig und großartig zugleich, doch immer Außenseiter des Deutschtums bleiben würden. Grenzlandmenschen, geeignet zur Verteidigung verlorener Posten, unfähig zu zäher, persönlicher Arbeit.

Gesine widersprach etwas gereizt, obwohl sie kaum Balten kannte. Einmal war einer als Inspektor bei dem Nachbarn gewesen, dem Herrn von Berg-Wangerin. Das war ein tüchtiger, stiller Mensch, der durch nichts auffiel, außer daß er alle drei, vier Monate stier betrunken aus einem Bauernkrug nach Hause getragen werden mußte. Sonst wußte sie nur, daß die Balten noch östlicher waren als die Ottens, viel leichtsinniger und vielleicht auch noch melancholischer. Daß sie höflich waren, aber von einer Höflichkeit, die ein bißchen anexerziert wirkte. Daß sie die Reichsdeutschen etwas von oben herab ansahen, daß sie die Reinrassigkeit gepachtet hatten, und daß im allgemeinen die baltischen Männer hübscher waren als ihre Frauen, von denen sie einige als Tanten, Cousinen und Hausdamen in der Umgebung erlebt hatte, wahre Tugendburgen und Kirchenstützen.

Man konnte sich also über die Balten nicht einigen. Über die Grundlagen des Patriotismus auch nicht, weil Gesine ihren besonderen Patriotismus der Landschaft, der Bäume, der Tiere hatte und zum Beispiel von der Sprache überhaupt nichts hielt, mit der man zumeist nichts anderes tun als Lügen, Dummheiten schwätzen, die besten Dinge der Welt in Phrasen verwandeln konnte.

Es war sehr gut, daß Schönemann, der Inspektor, ein kleiner schwarzhaariger und bärtiger Mann, zum Bericht erschien. Man konnte ein Glas Bier zusammen trinken und eine Stunde lang einen richtigen Männerskat dreschen. Die drei Spieler hatten kurze Stummelpfeifen im Mund, aus denen sie einen scharfen englischen Navycut rauchten, Tante Monica füllte die Gläser und klingelte, wenn die letzte Bierflasche unter ihrem Stuhl angebrochen wurde. Ein Fenster des niedrigen Zimmers stand auf. Denn der riesige Ofen entfaltete eine höllische Wärme, und draußen war es milder geworden.

Der Regen ließ allmählich nach. Die neuangekommenen Taucherenten, Schwarm zwei, gaakten aufgeregt auf dem Schermsee. Der Viertelmond schien, als sie aus dem Hause traten.

Schönemann ging mit kurzem Gruß schnell weg. Herr von Peipper holte unter dem Kutschersitz eine Orchidee heraus, die er selbst gezüchtet hatte und reichte sie Gesine. „Danke sehr“, sagte Gesine und war gerührt darüber, daß der dicke Mann nichts sagte. Sie überlegte einen Augenblick, wie es sein würde, wenn er sie wieder und wieder rühren würde. Wenn er wieder- und wiederkommen würde, sich streiten, Skat spielen und dann nachher irgendeine Überraschung hervorziehen. Wirklich: er hatte ein liebenswürdiges Herz. Oder liebte er sie nur und wurde dadurch besser?

Sie reichte ihm die Hand. „Gute Nacht, Peipper“, sagte sie. „Und hübsch, daß Sie da waren.“

„Wirklich?“ fragte Peipper. Gesine antwortete nicht. Das blasse Fiebergesicht Brinckens erschien neben Peippers Cäsarenkopf. Der Pächter mit dem zu kleinen Jägerhütchen und den verliebten Augen sah nicht verführerisch aus. „Auf Wiedersehn“, sagte er und hob die Peitsche. Der Wagen ratterte über den Hof und verschwand im Dunkeln.

Gesine Otten ging langsam zur Inspektorwohnung. Sie wollte Schönemann noch die beiden Balten ans Herz legen. Man mußte ein bißchen für sie sorgen. Warum? Man mußte eben. Dumme Fragerei!

Aus der Wohnung des Inspektors schrie der Lautsprecher. Noch lauter aber war Frau Schönemanns Stimme. Sie schluchzte wilde Anschuldigungen. Sie war hysterisch eifersüchtig, sobald Schönemann länger als zehn Minuten im Herrenhaus blieb. Gesine hörte zwei Minuten lang zu. Sie wartete, ob der Inspektor irgend etwas antworten würde. Aber er sagte nichts. Er saß nun (Gesine wußte das, allmählich kennt man alles von den paar Menschen, mit denen man lebt), er saß in seinem Plüschstuhl, den dunklen vollbärtigen Kopf sehr gerade über den Schultern, den Blick ins Leere und ließ die Frau schreien. Was sollte er auch sagen? Daß er Gesine in seiner Art verehrte, konnte er nicht verheimlichen. Daß ihre Eifersucht Wahnsinn war, mußte die Frau wissen. Da Eifersucht wie Wind kommt und geht, muß man sie aushalten.

Einmal hatte Gesine in eine solche Szene eingegriffen, hatte lange mit der Frau gesprochen, eindringlich, freundlich. Die Inspektorin hatte genickt, geweint, außen geglaubt, und innen, wo kein Wort hinkommt, gezweifelt. Sie war eine Polin, mit fünf Jahren als Landarbeiterskind über die Grenze gekommen. Jetzt mit fünfundvierzig noch fremd in Deutschland. Sie hatte eine einzige Verbindung zum Leben, einen einzigen Besitz, den Mann, den sie sich vor fast dreißig Jahren eroberte. Mußte sie nicht Angst haben?

Das Radio verkündete jetzt Wetter- und Sportnachrichten. Frau Schönemanns Stimme glitt zum Schluchzen herab und verstummte. Gesine wandte sich seufzend um. Vielleicht mußte eine Frau wirklich ihren Mann mit Klauen und Zähnen und Tränen verteidigen. Vielleicht mußte sie ihn anbinden und beschimpfen, damit er blieb. Denn wenn sie es nicht tat (sie fuhr mit den Händen an den kräftigen Hüften hinab), sie suchte die Hosentaschen (sie war nicht an Kleider gewöhnt), wenn sie es nicht tat und wartete was der Mann tun oder lassen würde, dann ...

Sie ging schnell ins Haus zurück. Sie fühlte sich sehr einsam. Es war auch kühl.

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