Читать книгу Undorn - Werner Diefenthal - Страница 12

Оглавление

1. Kapitel Verführung

Onem hatte sich von seinen Kameraden zurückgezogen und Erschöpfung vorgegeben, um nicht mit ihnen am Feuer sitzen zu müssen.

Tatsächlich war er alles andere als müde. Er kochte vor Wut, als er in seine Felle gewickelt ein ganzes Stück von der Gruppe entfernt auf der Erde lag und durch einen knorrigen Eichenhain hindurch das Flackern des Lagerfeuers beobachtete.

Er hörte sie lachen, hörte das dumpfe Brummen ihrer Stimmen. Diese Narren! Onem war davon überzeugt, dass Jarl Eldor gerade dabei war, sie ins Verderben zu führen, und keiner außer ihm schien sein Handeln zu hinterfragen.

Das Dorf, das sie angesteuert hatten, um es zu plündern, war verlassen gewesen. Auf der Rückreise von ihrem letzten Raubzug waren ihnen die Rauchfahnen der Siedlung aufgefallen, und Onem hatte es damals schon überfallen wollen, aber Eldor hatte abgelehnt. Sie hatten genug Beute gemacht, wie er meinte. Übermäßige Gier erzürne nur die Götter.

Onem schnaubte noch jetzt vor Verachtung, wenn er daran dachte. Sein jüngerer Bruder war der größte Narr von allen, und ausgerechnet ihn hatte Yrsa zu ihrem Ehemann und damit zum Jarl auserkoren! Eine Entscheidung, die den Stamm früher oder später in die Vernichtung, oder schlimmer noch, die Sklaverei führen würde, davon war Onem überzeugt.

Der Gedanke an Yrsa ließ den Krieger frustriert die Fäuste ballen. Im Grunde war sie der Ursprung allen Übels. Oder, um genau zu sein, die Tatsache, dass sie das einzige Kind von Jarl Brynjar geblieben war.

Jarl Brynjar war ein großer Mann gewesen, ein kluger Anführer. Es war ihm zu verdanken, dass ihr Dorf vom Strand auf das Felsplateau hinauf verlegt worden war. Seitdem waren sie uneinnehmbar. Sämtliche Angriffe, die auf sie unternommen worden waren, hatten sie erfolgreich und meist ohne große Verluste zurückschlagen können. Darüber hinaus waren ihre Raubzüge ertragreicher geworden, denn sie mussten keinen der wehrhaftesten Krieger mehr zum Schutz des Dorfes zurücklassen – die Frauen konnten es sehr gut allein verteidigen!

Einen Sohn hatte Brynjars Frau Sigrid ihm nie schenken können, doch ihn störte das nicht. Er bildete Yrsa genauso an der Waffe aus, wie er es mit einem Sohn getan hätte, und lehrte sie alles, was ein würdiger Jarl wissen musste. Niemand erhob Einspruch dagegen, dass sie den Nachfolger ihres Vaters zu ihrem Mann wählen würde. Und Onem war sich sehr sicher gewesen, dass er dieser Nachfolger sein würde. Er war der ältere der beiden Brüder und schon in sehr jungen Jahren ein erbitterter, gnadenloser Kämpfer gewesen, während Eldor häufig in den Tag hinein lebte und sich Träumereien und – in Onems Augen – sinnlosen Zukunftsvisionen hingab.

Yrsa jedoch fühlte sich zu dem schelmischen Blitzen in Eldors braunen Augen weit mehr hingezogen als zu Onems kriegerischem Wesen und zog ihn vor. Es war seitdem kein Tag vergangen, an dem Onem sich nicht um die Führung des Dorfes betrogen glaubte, zumal Eldor viel zu viel Wert auf das legte, was seine Frau sagte und wollte.

Immer wieder gab es Zwist darüber, dass Eldor Yrsa um Rat fragte, vor allem bei wichtigen Entscheidungen.

»Du gibst zu viel auf das Weibergeschwätz«, sagte Onem häufig.

»Du unterschätzt die Intelligenz der Frauen«, gab Eldor gern zur Antwort, worauf Onem nur die Augen verdrehte.

»Die einzige Intelligenz, die ich bei einem Weib brauche, ist die, wie sie mich befriedigt!«

Eldor war anderer Meinung. Für ihn war Yrsa eine wichtige Partnerin und er vertraute ihr blind. Ihre Ratschläge gaben oft genug den Ausschlag für Entscheidungen, und er hatte viele ihrer Ideen, wie man das Leben im Dorf verbessern könnte, in die Tat umgesetzt.

Beispielsweise betrieben sie seit geraumer Zeit in unmittelbarer Nähe der Siedlung Ackerbau und hatten begonnen, sich mit benachbarten Stämmen anzunähern und Handel mit ihnen zu treiben. Ein unsäglicher Zustand für Onem. Krieger waren sie, keine Bauern und Händler! Ein Armutszeugnis und eine unverzeihliche Schwäche!

Dazu kam, dass Eldor und Yrsa bis heute kinderlos waren. Wurden im Dorf jedes Jahr Kinder geboren, wuchs die Anzahl der Köpfe stetig, so blieb jedoch ausgerechnet der Jarl ohne einen Nachfolger.

Monat für Monat warteten die Bewohner darauf, dass Eldor und Yrsa verkündeten, dass die Frau des Jarls guter Hoffnung war. Doch bisher vergeblich.

Onem war der Meinung, dass die Götter sich gegen Eldor gewandt hatten. Sie verhinderten, dass er einen Nachfolger bekam. Und je öfter er diesen Gedanken nachhing, desto mehr war er davon überzeugt, dass Eldor der falsche Jarl war.

»Zu viele Entscheidungen, die von seinem Weib getroffen werden«, brummte Onem.

Wann welche Feldfrüchte ausgebracht wurden, wann geschlachtet wurde, wann gejagt. Und auch bei Streitigkeiten, die geschlichtet werden mussten, wurde die Frau des Jarls gefragt.

Auch bei der Wahl der Route für die unselige Kaperfahrt hatte Yrsa mitentschieden. Weil Eldor nicht entschlossen genug war, eine Entscheidung allein zu treffen, so sah Onem das!

»Unerfreulich, wenn alle blind dem falschen Anführer folgen, nicht wahr?«

Onem fuhr hoch, als habe ihn etwas gestochen und taumelte rückwärts, seine Hand schnellte an den Gurt, wo er auch im Schlaf sein Schwert bei sich trug. Es war verschwunden!

»Suchst du das?«

Zwei Gestalten, ein Mann und eine Frau, traten zwischen den Bäumen hervor, bis sie vom Mondschein beleuchtet wurden. Der Mann hielt Onems Schwert in der Hand und wirkte deutlich amüsiert. Der Krieger stieß einen Fluch aus und taumelte rückwärts. Wie hatte dieser Schurke es geschafft, an seine Waffe zu kommen, ohne dass er ihn auch nur wahrgenommen hatte?

Der Fremde hob die Hände, breitete sie zur Seite aus.

»Ganz ruhig, Freund! Wollte ich deinen Tod, hättest du mich niemals bemerkt!«

Die beiden ließen sich in Onems Nähe auf der Erde nieder, und die Frau wies vor sich auf den Boden, lächelte Onem einladend an.

»Setz dich doch. Unterhalten wir uns ein wenig.«

Langsam kam der Krieger näher, musterte die beiden Fremden mit einer Mischung aus Misstrauen und Neugierde. Er hatte sie noch nie gesehen, und doch schienen sie zu wissen, was ihn beschäftigte. Besaßen sie geheime Kräfte, stärker noch als die der Seherin zu Hause im Dorf? Wie Wegelagerer sahen sie jedenfalls nicht aus. Beide waren gewandet wie Krieger, die hochwertige Kleidung verriet Wohlstand. Beide waren groß, wohlgestaltet und gut genährt.

Der Mann hatte eine dunkle Lockenmähne, sein Bart war gepflegt und die Frau war von besonderer Schönheit. Im Mondlicht wirkte die Haut milchweiß, das Gesicht war ebenmäßig und von kunstvoll geflochtenem, ebenholzfarbigem Haar eingerahmt. Besonders faszinierten Onem ihre Augen. Sie leuchteten im Mondlicht wie Türkise.

»Keine Waffe vermag einen Krieger so trefflich zu schmücken wie eine schöne Frau, nicht wahr, Onem?«

Der Lockenköpfige lachte erheitert, verstummte aber, als er Onems zusammengekniffene Augen bemerkte.

»Woher wisst Ihr meinen Namen?«

Mit gesenktem Kopf spielte der Fremde mit der gestohlenen Waffe.

»Oh, es gibt viel, was ich weiß. Deinen Namen. Den deines Bruders. Die Tatsache, dass er euren Stamm auslöschen wird, wenn er der Jarl bleibt. Hast du dir nie die Frage gestellt, warum er noch keine Nachkommen hat? Ob es vielleicht gegen den Willen der Götter ist, dass er Jarl wurde?«

Gespannt starrte Onem den Mann an, nickte.

»Wer seid ihr? Woher kommt ihr? Haben euch die Götter geschickt?«

»Spielt das eine Rolle?« Der Fremde lehnte sich selbstgefällig zurück. »Für dich sollte nur wichtig sein, dass ich dich zum Jarl deines Stammes machen kann. Wenn du tust, was ich dir sage!«

Nicht eine Sekunde lang dachte Onem nach, rückte eifrig näher.

»Sprecht weiter!«

Der Fremde und seine Frau tauschten einen Blick, ein wissendes Lächeln spielte um ihre Lippen. Onem saugte jedes Wort des unbekannten Kriegers ein, als er fortfuhr.

»Euch wird viel Unglück widerfahren, wenn ihr weiter Jarl Eldors Befehlen folgt. Nur ein Opfer kann den Zorn der Götter besänftigen. Wirst du in der Lage sein, ein geeignetes Opfer auszuwählen und zu den Göttern zu schicken, Onem?«

Ein entschlossenes Nicken.

»Das werde ich! Jedes Opfer, das nötig ist.«

»Gut!« Der Fremde nickte zufrieden. »Du darfst das Opfer nur nicht mit deinem Schwert bringen, sondern damit in Lokis Namen!«

Er warf seiner Frau einen Blick zu. Sie hatte eine Axt in der Hand, wobei Onem sich sicher war, dass ihre Hände vor einem Augenblick noch leer gewesen waren. Er bildete sich ein, dass die Schneide leicht in der Dunkelheit glühte. Die Frau hielt sie ihm hin, aber als er die Hand danach ausstreckte, packte der Lockige ihn am Arm.

»Du musst schwören, dass du das Götteropfer und jeden Feind nach ihm nur mit dieser Axt ins Nichts schickst. Solange du diese Axt führst, bist du unbesiegbar. Niemand wird es wagen, deine Autorität anzuzweifeln. Du wirst der Jarl, der Anführer, und du allein wirst entscheiden, wohin der Weg euren Stamm führt!«

Begehrlich starrte Onem die makellose Schneide an. Seine Stimme zitterte vor Gier.

»Ich schwöre es! Diese Axt wird meine Seite nicht mehr verlassen und reichlich Blut schmecken!«

»So sei es!«

Die Waffe schien zu vibrieren, als Onem sie in die Hand nahm, und Hitze durchströmte ihn. Der Fremde hatte nicht gelogen! Da war Magie in dieser Axt! Und sie würde ihn zum Jarl machen!

Dann flaute die Kraft, die er verspürt hatte, langsam ab, und die Waffe lag in seiner Hand, als sei sie nur für ihn geschaffen worden. Onem sah sich um. Die beiden Besucher waren verschwunden.

Undorn

Подняться наверх