Читать книгу Undorn - Werner Diefenthal - Страница 13
Оглавление2. Kapitel Verrat
Eldor starrte über den Bug des Drachenbootes. Er war sich sicher, dass man bald Land sehen würde. Und es wurde Zeit, er spürte, die Männer wurden ungeduldig. Er hatte ihnen reiche Beute versprochen. Gold, Silber, Sklaven. Außerdem Ruhm und Ehre.
Doch bisher war die Fahrt eine einzige Katastrophe. Dass ihr erstes Ziel verlassen gewesen war, bildete nur den Auftakt zu einer Pechsträhne, wie er sie noch nie erlebt hatte. Mit acht Schiffen aus mehreren Dörfern waren sie aufgebrochen, doch im Moment folgten ihm nur noch zwei weitere. Die anderen fünf waren verschwunden, als sie in einen Sturm geraten waren, der fast eine ganze Woche angedauert hatte. Die See war mit gewaltigen Wellen über sie hergefallen, hatte sie herumgeschleudert. Einige der Männer, die ihm seit Jahren folgten, hatten gemeint, dass sie so etwas noch nie gesehen hatten.
Onem, sein Bruder, hatte angedeutet, dass die Götter erzürnt seien. Doch worüber, das konnte auch er nicht sagen. Das Wasser ging zur Neige und auch der Proviant musste streng rationiert werden. Es würde alles in allem vielleicht noch zwei, maximal drei Tage reichen. Wenn sie bis dahin kein Land gefunden hatten, waren sie dem Tode geweiht.
Er drehte sich um, sah in die fahlen Gesichter seiner Begleiter. Gleichmäßig zogen sie die Ruder durch die immer noch schäumende See, trieben das Schiff voran. Eldor suchte Blickkontakt zu seinem Bruder, nickte ihm zu. Der nahm einen der mitgeführten Käfige, holte einen Raben heraus und ließ ihn fliegen.
»Flieg, mein Freund. Flieg und kehre nicht zurück.«
Jeder wusste, würde der Vogel wieder zum Schiff zurückfliegen, wäre kein Land in der Nähe. Kam er jedoch nicht wieder, so hatte er eine andere Möglichkeit gefunden, sich niederzulassen.
»Möge Odin uns beistehen«, murmelte Eldor.
Onems Blick war stechend, als er den Jarl beobachtete. Es war nicht unbekannt, dass Onem sich Hoffnungen auf Yrsas Hand gemacht hatte und sich noch immer nicht ganz von dem Gedanken verabschiedet hatte, eines Tages selbst Jarl ihres Stammes zu werden. Doch Eldor vertraute Onem, zu oft hatten sie sich gegenseitig in ungezählten Schlachten das Leben gerettet. Er gab nichts auf das Gerede. Niemals, so dachte er, würde Onem sich gegen ihn wenden, auch wenn er mit seinem Stil, die Männer anzuführen, nicht unbedingt einverstanden war.
Es vergingen einige Stunden, doch der Rabe kehrte nicht zurück. Das bedeutete, dass Land in der Nähe sein musste. Und tatsächlich, als die Abenddämmerung einsetzte, hörte man den vertrauten Klang von Wellen, die sich an Klippen brachen. Etwas später tauchte eine zerklüftete Küste vor ihnen auf. Mit frischem Mut legten sich die Männer in die Riemen, bis sie eine geeignete Stelle fanden, an der sie an Land gehen konnten. Mit letzter Kraft zogen sie die Schiffe an den Strand, bevor sie sich zur Ruhe legten. Einige der Männer hielten Wache, man wusste nicht, ob es hier Menschen gab, die sie vielleicht überfallen könnten, doch für eine Erkundung war es zu spät.
Am nächsten Morgen teilte Eldor seine Krieger auf. Mehrere Gruppen machten sich auf den Weg, um sich umzusehen. In der Nähe des Strandes gab es allerdings nur Ödnis. Der Boden war mit einem feinen, schwarzen Sand bedeckt, die Felsen waren kahl. Nur ein paar verkrüppelte Kiefern wuchsen an einem Berghang, der ein paar Minuten Fußmarsch entfernt den Weg ins Landesinnere versperrte. Gegen Mittag kamen die Männer zurück. Ihre Gesichter spiegelten die Enttäuschung wider.
»Es gibt hier nichts!«, sagte Onem. »Weder Wasser noch Vieh, keine Menschen, keine Felder. Das muss das Ende der Welt sein!«
»Das glaube ich nicht. Warum sollten die Götter uns hierhin geschickt haben?«, erwiderte Eldor.
Doch er ahnte bereits, dass es Ärger geben würde. Die Männer sahen ihn mit Verachtung an. Das, was er bereits auf dem Schiff beobachtet hatte, fand hier seine Fortsetzung. Onem schien einige Krieger um sich zu scharen, meldete bei ihnen den Anspruch auf den Titel des Jarls an. Und nun dieser Misserfolg!
»Die Götter haben dich verlassen, Jarl Eldor!«, erklang die Stimme von Wengo.
Ausgerechnet Wengo. Ihm traute Eldor nicht über den Weg. Onem und Wengo waren seit frühester Kindheit eng miteinander befreundet und Eldor hatte bemerkt, dass sie in den letzten Tagen immer wieder die Köpfe zusammengesteckt hatten.
»Bruder, es muss etwas geschehen«, hieb Onem in die gleiche Kerbe.
»Ja. Und zwar schnell«, echote Wengo. »Die Götter zürnen uns.«
»Die Götter zürnen uns? Warum sollten sie das?«
»Weil ein Weib dir den Rat gegeben hat, in diese Richtung zu segeln, obwohl wir alle nach Norden wollten! Und weil sie dir immer noch einen Erben verwehren.«
Wengos Stimme klang verächtlich. Eldor ignorierte ihn und sah seinem Bruder in die Augen.
»Was wird das? Willst du gegen mich um die Führung kämpfen?«
»Kämpfen? Nein! Aber die Götter verlangen ein Opfer. Und es muss ein großes Opfer sein.« Onem zeigte auf die See. »Sieh hin, was siehst du? Wo sind die anderen Schiffe? Auf dem Grund des Meeres? Wie lange haben wir noch, bis uns der Durst und der Hunger wahnsinnig werden lassen?«
»Ein Opfer, sagst du. Gut, lass uns ein Opfer bringen!« Er legte eine Hand auf sein Schwert. »Und an was hast du da gedacht?«
Eldor ahnte, worauf das hinauslief. Damit hatte er nicht gerechnet. Ausgerechnet sein eigen Fleisch und Blut wandte sich gegen ihn. Der Mann, dem er sein Leben anvertraut hätte. War es so weit, dass er weichen musste? Dass Onem offiziell seinen Platz beanspruchte? Würde er jetzt das Schicksal vieler Jarls teilen, die in den Augen der Männer von den Göttern verlassen worden waren?
»An dich, Bruder, an dich«, murmelte Onem und grinste dabei.
Eldor hielt den Atem an. Sein Magen wurde wie von einer Faust zusammengedrückt, doch als er sich umsah, wurde ihm klar, dass es kein Entrinnen gab. Einige seiner Männer wirkten unsicher, aber niemand protestierte. Offenbar hatte Onem in den letzten Tagen ganze Arbeit geleistet, die Krieger gegen ihren Jarl aufzubringen. Griff Eldor zum Schwert, würde man ihn gemeinsam überwältigen und töten, als Opfer darbringen. Würde er dann den Weg nach Walhalla finden? Ergab er sich, dann würde er tapfer und ohne Furcht in den Tod gehen. Dafür würde er an Odins Tafel seinen Platz finden. Und war es nicht seine Pflicht, für seine Männer zu sterben, wenn es sie rettete?
»So sei es«, nickte Eldor.
Er legte sein Schwert ab, ließ es zu Boden gleiten, und entkleidete sich bis auf die Hose. Zwei Männer drückten ihn auf die Knie. Er hob den Kopf, sah Onem in die Augen.
»Ich hoffe für dich, dass Odin dich erhört.«
»Das wird er, Bruder, das wird er. Und deine hübsche Frau wird mir im Winter das Lager wärmen und mir viele starke Söhne schenken!«
Onem lachte, dann wandte er sich an die Männer, die sie umringt hatten.
»Odin, Göttervater, nimm deinen Zorn von uns. Wir bringen dir das größte Opfer, auf dass dein Wohlwollen uns den Weg zum Land und zu Reichtum beschert. Loki, dessen Auge alles sieht, berichte dem Allvater von unserem Elend und von dem Opfer, das wir ihm darreichen.«
Onems Stimme wurde lauter.
»Wir bitten dich, nimm unser Opfer an. Nimm deinen Fluch von uns.«
Eldor ergab sich in sein Schicksal. Schon bald würde er in Walhalla sein und mit den Asen speisen, die Walküren würden gewiss schon auf ihn warten und ihn in die große Halle führen. Das war ihm sicher als Götteropfer. Er freute sich darauf, all die Gefährten wiederzusehen, die er in den Schlachten verloren hatte. Doch sorgte er sich um seine geliebte Frau Yrsa. Was würde aus ihr? Würde sein Bruder es wirklich wagen, sich in ihr Bett zu legen? Und vielleicht den Erben zu zeugen, der ihm versagt geblieben war?
Direkt hinter ihm schichtete man Holz auf, legte sein Schwert, seine Axt und sein Schild darauf. Dann näherte sich Onem, in der rechten Hand eine Axt, die Eldor noch nie zuvor gesehen hatte.
Er hatte nicht mehr die Zeit, sich darüber zu wundern. Zwei Männer drückten seinen Oberkörper nach vorne, Onem holte aus, schlug zu, und Eldors Kopf rollte in den Sand. Schnell fing Wengo mit einer Holzschale das Blut auf, das aus dem Halsstumpf sprudelte, besprenkelte damit die Männer und zeichnete Onem eine Rune auf die Stirn.
Hell flackerten die Flammen des Scheiterhaufens auf, begleiteten Eldors Seele auf dem Weg ins Jenseits.