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Gutshof

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Im schwindenden Licht des Tages erreichte Margret das Gut. Der Fahrer der Kutsche, in die sie in Dublin eingestiegen war, hatte sie ungläubig angestarrt, als sie ihm ihr Fahrziel genannt und auf den Berg von Koffern gezeigt hatte. Aber schließlich hatte er alles, nicht ohne Murren und Fluchen, verstaut und diese etwas dickliche Dame vor dem Haupthaus abgesetzt. Nachdem er sein Salär eingestrichen hatte, war er verschwunden.

Jetzt stand Margret mutterseelenallein vor der Treppe, die zum Haupteingang führte, und kam sich absolut deplatziert vor. Niemand kam, um sie zu empfangen.

»Soll ich etwa alles selber schleppen?«, schimpfte sie vor sich hin.

Hinter ihr lagen einige Wochen voller Anstrengung. Nachdem sie Ägypten mit allen Vollmachten, die ihr Schwager ihr hatte ausstellen lassen, den Rücken gekehrt hatte, war sie zuerst nach London gereist. Den Haushalt aufzulösen war nicht weiter schwer gewesen, auch die Transaktion der Konten nach Irland war einfach. Die Schwierigkeiten hatten begonnen, nachdem sie ihren Fuß auf irischen Boden gesetzt hatte. Der Notar, bei dem sie vorstellig werden musste, hatte sie spöttisch angesehen, nachdem er die Dokumente geprüft hatte.

»Ach, Sie sind also die vorläufige Verwalterin? Das wird dem jetzigen Verwalter aber gefallen«, hatte er gegrinst.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er jedoch Margret noch nicht gekannt. Als sie mit ihm fertig war, da war er so klein, dass er in eine Zigarrenbox gepasst hätte, wie sie sich immer auszudrücken pflegte, und das spöttische Grinsen war ein für alle mal aus seinem Gesicht gewischt.

»Was ist mit Personal? Gibt es welches? Und wenn ja, taugt es etwas?«

»Es gibt einige Hausangestellte, die auch weiterhin bezahlt worden sind.«

Margret hatte den Kopf geschüttelt.

»Und hat irgendjemand auch mal nachgesehen, ob diese Leute auch arbeiten oder nur das Geld einstreichen?«

Der Notar war immer nervöser geworden. In der Tat war er nur ein einziges Mal auf dem O’Leary-Gut gewesen, um alles aufzunehmen, was in die Erbmasse gefallen war. Seitdem hatte er einmal die Woche einen Angestellten geschickt, der die fälligen Löhne ausbezahlt hatte. Er wusste nicht, ob überhaupt noch irgendjemand im Haus war.

Auf die Frage, wie sie denn zum Gut käme, hatte der Notar nur einsilbig »Mit dem Zug« geantwortet. Doch damit hatte er den Geist endgültig aus der Flasche gelassen. Nach einem kurzen Blinzeln hatte sie mit den Augen jene Blitze verschossen, die schon ganz andere Kaliber als den Notar buchstäblich zu Asche verbrannt hatten.

»Jetzt passen Sie mal auf, Sie arroganter Schnösel! Ich bin eine alte Frau mit mehr Gepäck, als Sie sich überhaupt vorstellen können. Soll ich jetzt diese ganzen Koffer zum Bahnhof schleppen, in dieses stinkende, qualmende und ratternde Ungetüm steigen und dann in eine Gegend fahren, die ich überhaupt nicht kenne? Und dann am Ende dort stehen und nicht wissen, wohin ich überhaupt muss?«

Der Notar hatte etwas erwidern wollen, aber Margret drehte jetzt erst richtig auf.

»Ich denke, Sie haben sich an dieser Erbsache mehr als nur eine goldene Nase verdient. Und eine Leistung haben Sie dafür wohl kaum erbracht. Ich bin gespannt, was mein Schwager dazu sagen wird, vor allem, wenn er mit unserem Hausanwalt über diese Sache geredet hat. SIE werden mir jetzt SOFORT eine Kutsche besorgen. Mit einem vertrauenswürdigen Fahrer und genug Platz für mein Gepäck. Dann sorgen Sie dafür, dass eben dieses verstaut wird und ich sicher und wohlbehalten auf dem Gut ankomme.«

Sie machte es sich in dem Sessel bequem und holte ein Knäuel Wolle sowie ihre Häkelnadel aus der Tasche.

»Was … was wird das?«, stammelte der Notar.

»Sehen Sie doch. Ich häkele. Und ich werde hier so lange sitzen und häkeln, bis Sie das getan haben, worum ich Sie gerade gebeten habe.«

Dem Notar war nichts anderes übrig geblieben, als sich den Wünschen Margrets zu beugen. Jetzt stand sie vor dem Gut und sah sich um.

»Also dann, werden wir die feindliche Festung erobern«, brummte sie in sich hinein. Kurzentschlossen stampfte Margret die Stufen nach oben und kramte den Schlüssel, den sie vom Notar bekommen hatte, aus der Tasche, öffnete die Tür und trat ein. Mit Erstaunen stellte sie fest, dass die Eingangshalle leidlich sauber zu sein schien. Es lag jedenfalls kein Müll auf dem Boden, Spinnweben gab es keine und auch der Staub hielt sich in Grenzen. Ihr erfahrenes Auge sagte ihr zwar, dass eine gewisse Schlamperei Einzug gehalten hatte, aber es war bei Weitem nicht so schlimm, wie sie befürchtet hatte. Sie schimpfte vor sich hin.

»Hauptsache, die Herrschaften können weiter mit den Sandflöhen um die Wette hüpfen.«

Andrew und Sarah waren, nachdem Margret ihnen von der Erbschaft erzählt hatte, in Ägypten geblieben, um, wie sie meinte, irgendwelchen Hirngespinsten hinterherzurennen, und hatten ihr die ganze Arbeit aufgebürdet. Ihre Laune sank immer tiefer, als niemand erschien, obwohl sie die Tür lautstark geschlossen hatte. Margret stemmte die Hände in die Hüften, holte tief Luft und begann, laut zu rufen.

»HALLOOOO!!«

Sie hörte ein Poltern und ein Scharren. Nach einigen Augenblicken stand eine Frau vor ihr.

»Entschuldigen Sie, Madam, ich habe die Türglocke nicht gehört.«

»Das liegt wohl daran, dass ich sie nicht benutzt habe«, giftete Margret.

»Oh! Aber … wie kommen Sie überhaupt herein? Und … wer sind Sie?« Die Frau schien den ersten Schrecken überwunden zu haben.

»Mein Name ist Margret Green, ich bin die Schwägerin von Andrew O´Leary, dem neuen Besitzer des Gutes.«

Die Augen im Gesicht der Brünetten wurden größer.

»Sie … oh … einen Moment … entschuldigen Sie …« Sie drehte sich um und rannte davon.

»Was ist denn das jetzt? Ich habe ihr doch noch gar nichts getan«, brummte Margret und wusste nicht so recht, was sie als Nächstes tun sollte. Noch bevor sie sich jedoch entschieden hatte, kam die Frau zurück, diesmal in Begleitung eines Mannes, der aussah, als wenn er gerade aus dem Bett gekommen wäre. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, das ganze Gesicht schien in Falten zu liegen, und sein graues Haar stand unfrisiert in alle Richtungen.

»Mr. Murray, das ist Mrs. Green, die Schwägerin des neuen Gutsherrn«, stellte die Frau sie vor.

»Miss Green, bitte. Mr. Murray, sehr erfreut.«

Der Mann gab ihr missmutig die Hand. Margret betrachtete die beiden jetzt genauer. Die Frau, die sich als Ellen Walsh vorstellte, war die Köchin. Margret bezweifelte allerdings, dass sie mehr als Spiegeleier braten konnte. Das würde sie jedoch schnell herausbekommen. Sie war jedenfalls eine adrette Person, etwa Anfang vierzig, schätzte sie, mit einer Wolke brauner Locken um den Kopf. Das Kleid sowie die Schürze waren sauber. Der Mann hingegen war ihr suspekt. Sein Blick gefiel ihr nicht. Er war lauernd, wie bei einem Straßendieb. Er stellte sich als der Verwalter vor. Auch ohne den spöttischen Kommentar, den der Notar hatte fallen lassen, hätte Margret sofort bemerkt, dass er nicht sehr erbaut über ihre Anwesenheit war. Doch das kümmerte sie wenig.

»Zum Ersten möchte ich, dass man meine Koffer auf mein Zimmer bringt. Dann will ich das Haus sehen und, wenn möglich, etwas zu essen. Ich bin den ganzen Tag auf den Beinen gewesen.«

Der Verwalter knirschte mit den Zähnen.

»Ellen, würden Sie bitte dafür sorgen, dass ein Zimmer für Miss Green hergerichtet wird?« Er wandte sich an Margret. »Sie müssen entschuldigen, aber wir haben Sie erst morgen erwartet. Und … nun ja … eine Kleinigkeit … haben Sie das Schreiben des Notars bei sich? Sie müssen verstehen, wir möchten uns gerne vergewissern …«

»Sie wollen was? Passen Sie mal genau auf: Ich weiß, dass mein Eintreffen für den heutigen Tag angekündigt wurde. Und was meine Legitimation betrifft …«

Sie holte aus ihrer Tasche ein Bündel Papiere und wedelte damit dem Verwalter vor der Nase herum.

»Sehen Sie das? Gut! Da Sie ja scheinbar nicht in der Lage sind zu lesen, denn sonst hätten Sie gewusst, dass ich heute und nicht morgen komme, brauchen Sie das hier auch nicht zu sehen. Mir scheint, dass Sie der Meinung sind, Sie hätten hier das Sagen! Aber lassen Sie sich eines gesagt sein: Das ist ab sofort nicht mehr der Fall. Denn jetzt bin ich hier und ich handele im Namen und im Auftrag Ihres neuen Arbeitgebers. Sie täten gut daran, sich darauf zu besinnen, dass wir Ihnen Ihr Gehalt zahlen. Und jetzt will ich dieses Haus sehen!«

Ronald Murray zuckte zusammen. Das war mehr, als er verkraften konnte. In den letzten Jahren hatte er mehr und mehr das Gut so geführt, wie er es für richtig gehalten hatte, und war auch davon ausgegangen, dass er es erben würde. Doch dann war wie aus dem Nichts ein Neffe im Testament aufgetaucht. Seine Träume waren zerplatzt wie Seifenblasen. Und jetzt polterte dieser Drache herein und erinnerte ihn daran, dass er nur ein simpler Befehlsempfänger war.

»Ellen, hätten Sie die Güte …«

Er konnte den Satz nicht beenden.

»Nein! Ellen, Sie würde ich bitten, in die Küche zu gehen und mir ein leichtes Abendessen zuzubereiten«, wandte sich Margret an die Frau.

»Ja, Miss Green. Haben Sie besondere Wünsche? Ich habe heute frischen Fisch bekommen.«

»Wie frisch?«

Ellen lächelte.

»Als Sie über die Landzunge gefahren sind, da hat er noch geatmet.«

Die Antwort gefiel Margret.

»Sie scheinen nicht auf den Mund gefallen zu sein. Aber ich muss Sie warnen: Ich bin sehr kritisch!«

Ellen sah ihr gerade in die Augen.

»Das hoffe ich doch, Miss Green. Ich hasse es nämlich, wenn man es nicht zu schätzen weiß, was ich zubereitet habe. Und ich bin davon überzeugt, dass Sie Ihre Meinung über mich ändern werden. Sie trauen mir nämlich nicht zu, dass ich mehr als Bratkartoffeln und Eier kann, habe ich Recht?«

Margret fiel die Kinnlade herunter.

»Wenn Ihre Fähigkeiten am Herd Ihrer Schlagfertigkeit in nichts nachstehen, dann könnte es sein, dass Sie weiterhin Ihre möglicherweise vorhandenen Kochkünste unter Beweis stellen können.«

Ellen verbeugte sich leicht.

»Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, ich habe da einen Fisch, der auf mich wartet. Ich schicke Beatrice, sie wird Ihnen das Haus zeigen.«

Geführt vom Hausmädchen Beatrice, das nur wenig älter als Sarah sein konnte und kaum ein Wort sprach, inspizierte Margret das Haus. Es war größer als ihr altes in London. Sie zweifelte, dass dieses Anwesen mit dem vorhandenen Personal zu betreiben war.

Nach dem Abendessen, welches wider Erwarten erstaunlich gut war, was sie aber nicht zugab, überlegte Margret, wie sie das alles in Schuss halten sollte.

Ellen hatte neugierig beobachtet, wie Margret den Fisch, die Kartoffeln und das Gemüse zu sich nahm und vergeblich auf ein Lob gehofft. Die burschikose Frau stand auf dem Standpunkt, dass man nicht zu viel und gar nicht zu früh loben sollte.

Am nächsten Morgen ließ sie alle Angestellten zu sich kommen und teilte sie ein. Alles musste geputzt und in Ordnung gebracht werden. In einem Zimmer fand sie ein überlebensgroßes Porträt von Königin Victoria, das sie umgehend aufhängen ließ. Sie merkte wohl, dass es den Bediensteten nicht passte, aber schließlich war sie im Moment die Hausherrin.

Die Dorfbewohner bekamen natürlich mit, dass auf dem Gut rege Betriebsamkeit herrschte. Spätestens, als Margret bei Albert und Doris McCarthy eintraf und die Besitzer des Kramladens mit ihren Wünschen schier zur Verzweiflung trieb, fragten sich einige, womit sie diese Strafe Gottes verdient hatten.

So vergingen die Tage. Margret war mit den Fortschritten recht zufrieden und freute sich darauf, dass Andrew und Sarah bald eintreffen würden.

Die O´Leary Saga

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