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1.2.1 Autor, Interpret und Rezipient

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Am Anfang eines jeden Kunstwerks steht der Künstler als Autor. Dabei sollte der Autor nicht nur als Verfasser literarischer Texte verstanden werden, sondern – im Sinne des lateinischen Wortes ‚auctor‘ – als der Urheber und Schöpfer eines Kunstwerks überhaupt. Dieser Autor steht am Anfang eines Prozesses, an dessen Ende wir das realisierte Werk erwarten. Dieser Anfang ist vor allem durch die künstlerische Idee gekennzeichnet und durch den Impuls, der zur Umsetzung führen wird. Merkmale wie Originalität und Individualität, ästhetische Kategorien, Abbildungsfunktionen oder was auch immer man als Bewertungs- und Zuordnungskriterien anwendet, werden in erster Linie mit dem Autor verbunden. Dies gilt für den Maler und Komponisten gleichermaßen wie für den Schriftsteller oder Architekten.

Doch nur in den seltensten Fällen ist ein Kunstwerk allein durch das Wirken des Autors bereits zustande gekommen. Wir sehen heute viele Kunstwerke eher als einen Prozeß, an dem mehrere Personengruppen beteiligt sind. Fast immer bedarf ein Kunstwerk auch des Interpreten, damit es Zuhörer, Zuschauer, Betrachter usw., also die Rezipienten, erreicht.

Bereits im 19. Jahrhundert zeigte sich auch außerhalb des Theaters die Tendenz, zwischen dem Autor und dem Interpreten zu unterscheiden. Während im Theater schon immer Schauspieler spielten, die nur in den seltensten Fällen gleichzeitig Autoren waren, traten bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Konzerten fast ausschließlich Musiker als Solisten oder Ensembleleiter auf, die ihre eigenen Kompositionen vorstellten. Erst mit der Wiederentdeckung und erstmaligen Wiederaufführung der 100 Jahre alten Bach’schen „Matthäus-Passion“ 1829 durch den damals zwanzigjährigen Felix Mendelssohn Bartholdy begann gleichsam die Geschichte der Interpreten. Ähnlich verlief die Entwicklung in der Bildenden Kunst, wo die Kunstvereine (also nicht die Künstler) ab etwa 1830 in regelmäßigen Abständen Ausstellungen zeigten. Bis dahin waren Kunstausstellungen im deutschsprachigen Raum nahezu unbekannt; der Künstler produzierte bei Bedarf für einen konkreten Auftraggeber (Fürsten, Kirchen oder reiche Bürger), nicht gleichsam „auf Vorrat“ für eine Ausstellung. Erst das Mitte des 19. Jahrhunderts aufkommende Ausstellungswesen schuf die Institution des Ausstellungsmachers.

Diese interpretierende Tätigkeit hat auf das Kunstwerk erheblichen Einfluß. Dies wird besonders deutlich im Theater, wo Regisseure und Schauspieler, aber auch Bühnenbildner und – beim Musiktheater – Dirigent und Orchester einem Stück immer wieder ein anderes Verständnis geben können. Dies gilt aber auch für den Ausstellungsmacher, der ohne Mühe ein einzelnes Bild durch eine entsprechende Hängung auf- oder abwerten kann, der es in einen ausgewählten Kontext stellen und damit auch interpretieren kann. Selbst ein Bibliothekar – um einmal ein zunächst abwegig wirkendes Beispiel zu wählen – kann durch Auswahl, Plazierung und Katalogisierung eines Buches interpretierend tätig werden. So macht es beispielsweise einen Unterschied, ob Ibsens Schauspiel „Nora“ im Schlagwortkatalog unter dem Stichwort „Nordische Literatur“ oder „Frauenliteratur“ oder „Sex and Crime“ (man denke an die Erpressung Noras durch Krogstad) aufgeführt wird.

Die Rolle des Interpreten hat in unserem Jahrhundert so sehr an Stellenwert gewonnen, daß es fast zu einer Umkehrung der Rolle von Autor und Interpret gekommen ist. Unsere Konzerte beispielsweise betrachten wir fast nur noch als Musik-Museum, in denen der Name des Interpreten weit interessanter ist als der des Komponisten. Und deshalb steht auch auf den CD-Covern ganz groß „Anna Netrebko“ und etwas kleiner darunter „singt Verdi-Arien“, obwohl es doch eigentlich umgekehrt sein müßte.

Aber auch dem Rezipienten von Kunst wächst in unserer Zeit ein eigener Stellenwert zu. Dies wird besonders deutlich im Verständnis vom „offenen Kunstwerk“, das erstmals 1954 von Luigi Pareyson (PAREYSON 1954) dargelegt und später von Roland Barthes (BARTHES 1963, dort als „Disponibilität“ bezeichnet) und vor allem von Umberto Eco (ECO 1962) weiterentwickelt wurde. Dieser Ansatz geht zurück auf die Unterscheidung des Strukturalismus zwischen Signifikat (Bedeutung/Sinn) und Signifikant (Bedeutungsträger/Name) (DE SAUSSURE 1916). Jeder Bedeutungsträger (z.B. ein Kunstwerk) kann demnach mehrere Bedeutungen haben.

Im Verständnis des „offenen Kunstwerks“ heißt dies, daß „die Offenheit im Sinne einer fundamentalen Ambiguität der künstlerischen Botschaft eine Konstante jedes Werkes aus jeder Zeit ist“ (ECO 1962: 11). Das hat zwangsläufig zur Folge, daß „offene“ Kunstwerke „vom Interpreten im gleichen Augenblick, in dem er sie vermittelt, erst vollendet werden“ (ebd. 29).

Dabei unterscheidet Eco nicht mehr zwischen dem Interpreten und dem Rezipienten: „Jede Rezeption ist … eine Interpretation und eine Realisation, da bei jeder Rezeption das Werk in einer originellen Perspektive neu auflebt“ (ebd. 30). „Jedes ‚Lesen‘, ‚Betrachten‘, ‚Genießen‘ eines Kunstwerks stellt eine, wenn auch stumme und private Form von ‚Ausführung‘ dar“ (ebd. 29).

Eine solche Gewichtung kam der Rezeption durchaus nicht immer zu: Die Kunstwerke der ägyptischen Königsgräber beispielsweise wurden zu ihrer Zeit nie von irgendeiner Öffentlichkeit gesehen. Die Friese antiker Tempel waren vom Betrachter so weit entfernt, daß sie im Detail nicht mehr erkennbar waren; sie waren für Götter, nicht für ein menschliches Publikum gemacht. Und selbst noch im Mittelalter wurden viele Kunstwerke geschaffen, die der Ehre Gottes dienten und die die Menschen nie zu Gesicht bekamen.

Nach unserem heutigen Verständnis aber ist die Kunst ganz wesentlich von der Möglichkeit bestimmt, Signifikat zu sein, also verschiedene Bedeutungen zu haben, und diese verschiedenen Signifikate auch für eine rezeptive Erprobung zur Verfügung zu stellen. Ein Roman, für die Schublade geschrieben, mag zwar dem Seelenleben des Autors dienen, aber Kunst im eben geschilderten Sinne wird er erst in der Begegnung mit dem Leser. Das gilt in gleichem Maße für den Hobbymaler, der sich im stillen Kämmerlein an seiner Leidenschaft erfreut. Erst in der Auseinandersetzung mit dem Publikum kann sein Hobby zur Kunst werden. Kunst ist immer auch Kommunikation, ist ein Sich-Austauschen, ein Mitteilen, etwas sagen wollen. Kommt diese Kommunikation nicht zustande, zögern wir sehr, ein Werk bereits als Kunst zu bezeichnen. Ein Kunstwerk zum Publikum zu bringen ist demnach – vor allem im Sinne eines Kulturmanagements – eine existentielle Voraussetzung, um Kunst als „offen“ zu erproben und damit als Kunst im heutigen Verständnis zu konstituieren.

Man ahnt es geradezu: zwischen Autor, Interpreten und Rezipienten bedarf es der Vermittlung und des Überbringens; das Kunstwerk erreicht sein Publikum nicht „automatisch“. Oder um es in der Sprache der Managementlehre zu sagen: im Rahmen eines Prozesses zur Realisierung von Kunst bedarf es der Steuerungshandlungen, durch die zwischen Autor, Interpret und Rezipient vermittelt wird, und dies genau ist eine der wesentlichen Tätigkeiten des Kulturmanagers.

Während aber Autor, Interpret und Rezipient am künstlerischen Prozeß im engeren Sinne beteiligt sind, beschränkt sich der Manager – dem Grundsatz nach – nur auf die Rolle des nicht-künstlerischen Vermittlers. Hier allerdings gibt es bemerkenswerte Überschneidungen, auf die bereits hingewiesen wurde, als vom Zusammenhang zwischen Steuerungshandlung und Handlungsgegenstand die Rede war (vgl. Abschnitt 1.1.1).

Allein im Bereich der Bildenden Kunst haben wir es beispielsweise mit privatwirtschaftlichen Galerien, mit privaten Ausstellungsmachern, mit Kunstvereinen, Museen, kommunalen Galerien, mit Kunsthändlern, Kunstverlagen, Kunstkritikern und Kunstauktionen zu tun, die allesamt für die Kunst sowohl interpretierend (beispielsweise als Ausstellungsmacher) als auch vermittelnd tätig werden. Nicht anders ist es im Theaterbetrieb, wo vor allem die Dramaturgen in dieser Zwitterposition sind. In vielen anderen Bereichen des Kunst- und Kulturbetriebs kommt es zu ähnlichen Konstellationen.

Angesichts vermittelnder Interpreten und interpretierender Vermittler erscheint es sinnvoll, statt von personeller und institutioneller Zuordnung besser von Funktionen zu sprechen. Ein und die gleiche Person oder Institution kann interpretierende und vermittelnde Funktionen wahrnehmen, ohne daß dies zwangsläufig zu einem schizophrenen Bewußtsein führen muß.

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