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Kapitel VII A. D. 183, Juni Sehnsucht - Eifersucht – Selbstsucht
ОглавлениеInga und Arianrhod saßen schweigend im innersten Raum der Befestigung, die so etwas wie einen provisorischen Königssitz darstellen sollte. Doch in Ingas Augen kam ihr Lucia - Arianrhod! - nicht im Entferntesten wie eine Königin vor. Viel eher sah sie die Witwe als verloren an. Allein gelassen von dem Mann, den sie geliebt und nun zum zweiten Mal hatte sterben sehen.
Die Germanin versuchte, mit dem Kleinen zu scherzen. Doch dieser blickte sie nur streng an und missachtete ihre Versuche, ihm ein Lächeln oder gar ein glückliches Glucksen zu entlocken.
Inga selbst war ebenfalls verzweifelt, und zwar im doppelten Sinne. All das, was ihr in ihrem Leben bisher Freude geschenkt hatte, schien sich in Nichts aufzulösen oder war schon verschwunden.
Aus ihrer Herrin und Freundin war eine Fremde geworden, eine Pictin. Auch wenn Arianrhod beteuerte, sie sei noch dieselbe. Für die Germanin war sie es nicht.
Túan mac Ruith, der Druide, allein durch dessen Existenz und ihre gemeinsame Flucht vor den Römern, hatte sie geglaubt, echte Freiheit zu erlangen. Doch stattdessen hatte sie in ihren Augen nur die Herren gewechselt. Sie diente immer noch. Als Kinderfrau ihrer neuen Königin. Der Königin eines fremden Volkes, barbarisch und primitiv. Bei den Römern hatte sie wenigstens einen kleinen Anteil an deren Kultur und Fortschrittlichkeit abbekommen.
Und Swidger? Sie hatte davon geträumt, seine Frau zu werden und eine Familie zu gründen. Doch er trug immer noch Schuldgefühle mit sich herum und wich fast nie von Arianrhods Seite. Beide, Arianrhod und er, waren viel öfter zusammen, als sie mit ihm.
Und wenn er bei ihr, Inga, war? Natürlich liebten sie sich, doch mittlerweile tat sie nur so, als würde sie der Sex mit ihm befriedigen. Ständig hatte sie Bilder von ihm im Kopf, wie er Arianrhod bestieg, sie sich unter ihm in Wonnen krümmte und beide schweißüberströmt sich dem Orgasmus entgegenkeuchten, den sie mit ihm schon lange nicht mehr erreicht hatte.
Schließlich gab sie ihre Bemühungen, Brannon zum Lachen zu bringen auf. Es war einer der vielen gescheiterten Versuche, damit vielleicht Arianrhod ebenfalls ein zaghaftes Lächeln zu bereiten.
»Er ist nicht in der Laune für Späße«, sagte sie und hielt Arianrhod den Jungen hin. »Vielleicht hat er Hunger.«
Dessen Mutter nahm ihn mit einem gequälten Ausdruck entgegen, in dem sich ihr eigenes Leid und die Aussicht auf schmerzhaftes Stillen mischten. Sie setzte Brannon in den Schoß und bot ihm eine Brust an. Doch der grapschte nur mit seinen kleinen Händen danach und machte keine Anstalten von ihr trinken zu wollen. Sichtlich erleichtert schob sie die Brust wieder unter ihr Gewand und setzte ihn auf den Boden. Dort rollte er sich auf den Bauch und griff nach allem, was in seiner Reichweite war.
Beide Frauen ließen ihn gewähren. Sämtliche Waffen und gefährlichen Gegenstände befanden sich so hoch an den Wänden, dass selbst, wenn er sich plötzlich aufrichten würde, sie nicht erreichen könnte. Sie hatten diese Vorsichtmaßnahme ergriffen, da sich der Kleine mit rasender Eile entwickelte. Es war nach übereinstimmender Meinung der Frauen nur eine Frage der nächsten Wochen, bis Brannon sich auf seine kleinen Füße erheben und laufen würde.
»Ich möchte nach Hause, Lucia«, sagte Inga unvermittelt und wunderte sich über ihre eigenen Worte. Schon lange trug sie sich mit dem Gedanken. Doch die sich überstürzenden Ereignisse hatten ihr bislang keinen passenden Moment gelassen, Lucia darauf anzusprechen. Und genau jetzt, als sie die Worte aussprach und die Frau, die ihr gegenübersaß, immer noch Lucia nannte, wurde ihr endgültig klar, dass sie sich hier im Pictenland niemals heimisch fühlen würde.
»Das, was unser Zuhause war, existiert nicht mehr«, antwortete Arianrhod barscher, als sie wollte. »Und ich werde alles tun, damit dieses Land nie wieder das Zuhause irgendeines Römers wird.« In ihrem Leid hatte sie Inga völlig missverstanden.
»Ich meine nicht das Kastell und schon gar nicht Britannien, das du jetzt Breith nennst … Königin.« Der Trotz färbte auch ihre Worte schärfer, als sie es vorgehabt hatte. »Und auch das römische Imperium ist nicht das Zuhause, das ich meine. Ich möchte zurück nach Germanien.« Und bevor Arianrhod etwas darauf erwidern konnte, schob sie noch trotziger nach: »Und ich möchte, das Swidger mit mir geht.«
Arianrhod sog die Luft ein und wollte anführen, dass sie Swidger brauchte; er war ihre Leibwache, er war die letzte Verbindung, die sie außer Brannon noch zu Túan hatte. Er war einer der wenigen Menschen, der vieles miterlebt hatte, was sie mit dem Druiden verband. Wenn auch er ging, würde sie wirklich allein sein.
Ihr Blick fiel auf den Kleinen, der sich eine Tonschale genommen hatte und unentwegt damit auf ein Bild eines Pferdes einschlug, das in einen metallenen Krug gehämmert war. Er hörte erst damit auf, als die Schale zerbrach. Mit überraschender Zielstrebigkeit griff er sich eine Scherbe und kratzte damit am Hals des Pferdes herum. Es sah aus, als wollte er das Tier köpfen.
Arianrhod bückte sich und entwand ihm die Scherbe. Sie musste dabei mehr Kraft aufwenden, als sie erwartet hatte und für einige Sekunden blickte sie den protestierenden Kleinen erstaunt an.
Inga klaubte wortlos die anderen Teile der Schale auf und legte sie auf den einzigen Tisch im Raum.
Arianrhod richtete sich auf und nahm unbewusst eine beinahe königliche Haltung an. Auch Inga versteifte sich und Arianrhod erkannte, dass ihre Freundin zu glauben schien, es sei eine beabsichtigte Geste, die ihre Position bestärken sollte.
»Mein Herz ist schon gebrochen, Inga«, kam es aber wenig königlich aus ihr hervor. »Wenn auch ihr beide mich verlasst, tretet ihr die spärlichen Reste meines Herzens in den Staub.« Sie senkte betrübt den Kopf. »Aber natürlich werde ich dich nicht aufhalten; du kannst gehen, wohin es dir beliebt.«
»Und Swidger?« Inga konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme zitterte.
»Für ihn gilt natürlich das Gleiche. Ich habe nicht vor, mich wie ein römischer Statthalter zu gebärden. Weder gegenüber meinem neuen Volk noch gegenüber meinen einzigen Freunden.«
Es tat Arianrhod fast körperlich weh, als sie sah, wie sehr die Erleichterung ihre ehemalige Freundin aufatmen ließ. Mit einem feuchten Schimmer in den Augen sah sie zu, wie Inga sich unmerklich verbeugte, sich umdrehte und den Raum verließ.
Der selbstverständlich vor der Tür Wache haltende Swidger blickte verständnislos auf die beiden Frauen und machte ein völlig ratloses Gesicht, als Inga ihm leise aber mit fester Stimme zuraunte:
»Sobald es deine Herrin erlaubt, möchte ich dich in meiner Hütte sehen.«
Inga konnte nicht verhindern, dass sich ihre Titulierung mit Spott färbte und sie bei den anderen Worten einen befehlenden Ton angenommen hatte, der Swidgers Stirn zum Runzeln brachte. Sie stob davon und hätte beinahe Sétanta umgerannt, der gerade den äußeren Ring und die dortigen Wachen passiert hatte.
Der alte Druide blickte ihr nach, dann in Swidgers Gesicht und durch die immer noch offene Tür in das seiner Königin.
Manche Dinge scheinen sich auch von selbst zu erledigen. Also haben meine kleinen Gespräche über Freiheit mit dieser Germanenhure endlich Wirkung gezeigt.
»Ich bitte um ein wenig deiner Zeit, Krone des Nordens«, sagte Sétanta und blieb abwartend vor der privaten Kammer Arianrhods stehen. Er wandte sich noch einmal in den Gang um, durch den Inga verschwunden war und dann wieder zu seiner Königin zurück. »Wenn du eine zweite Kinderfrau benötigst, kann ich dir eine empfehlen. Die Römer haben auch vor Kindermord nicht zurückgeschreckt und ich kenne einige Cruithin, die sich freuen würden, den kleinen Brannon mit dir gemeinsam aufzuziehen.« Er blieb immer noch vor der Tür stehen.
Arianrhod erhob sich und nahm Brannon auf die Arme. Sie trug ihn zu seinem Bett und legte ihn hinein, doch fast augenblicklich fasste der Junge, der gerade 1 ½ Jahre alt war, den Rand des Kinderbettes und zog sich daran hoch. Seine Beinchen wackelten längst nicht mehr und er blieb trotz seiner Müdigkeit lange stehen. Als er schließlich niedersank, hatte er immer noch ein triumphierendes Lächeln im Gesicht.
»Er ist stark, so wie sein Vater es war und seine Mutter jetzt ist. Ich beglückwünsche dich zu deinem Kind. Auch bei den Cruithin ist die Herrscherfolge wichtig. Zwar zählt nicht allein die Herkunft, aber Stärke ist etwas, was jeder Herrscher sein Eigen nennen sollte. Und dieser Junge zeigt jetzt schon, dass er anders ist, als andere Kinder in seinem Alter.«
»Ja, das tut er«, antwortete Arianrhod und winkte Sétanta und Swidger herein. »Es wäre mit aber lieber, Brannon wäre genau wie all die anderen Kinder. Jede Mutter sieht in ihrem Kind etwas Einzigartiges.«
Sétanta fühlte, dass Brannon dieses mütterliche Vorurteil in ganz besonderem Maße erfüllte. Mit ein wenig Unbehagen beobachtete er, wie der Kleine mit seiner Müdigkeit kämpfte und immer wieder die Augen aufriss, so als wolle er unbedingt mitbekommen, was die Erwachsenen zu bereden hatten. Erst als beide Männer im Raum waren und Swidger die Tür schloss, fielen Brannon die Augen zu.
»Nun Sétanta, was führt dich zu mir?«
Dieses Mal nahm der Druide auf einem Hocker Platz und richtete seine Kutte zurecht, bevor er sprach. Er hatte seinem Gesicht eine lange geübte und zerknirschte Miene verpasst.
»Ich habe die letzten Zehnttage abgewartet, um dir Zeit zu lassen, wenigstens deinen größten Schmerz zu überwinden«, sagte er mit gespielter Einfühlsamkeit. »Das, was von deinem Mann und meiner Hütte übrig blieb, haben wir mit den größten Menhiren bedeckt, die wir bewegen können. Dein Einverständnis vorausgesetzt, wurde an dieser Stelle ein … neues Grabmal errichtet, mit allen Dingen, die ein Cruithin auf den Weg ins Andersland benötigt. Ich selbst habe jede einzelne Rune auf die Steine gezeichnet und die notwendigen Beschwörungen gesungen. Nur ausgesuchte Männer schlagen sie nun seit Tagen so tief in den Stein, dass sie die Jahrtausende überdauern können, um Zeugnis abzulegen vor den Göttern und unseren Nachkommen. Sein Name wird niemals in Vergessenheit geraten.«
Jetzt verstand Arianrhod das ständige Schlagen der Meißel. Sie nickte und lächelte ohne wirkliche Freude.
»Ich hatte zuerst geglaubt, dass es sich um die Laute der Handwerker und Schmiede handelte, die unentwegt an ihrer Ausrüstung und Bewaffnung arbeiteten. Erst jetzt kann ich also das helle Singen von Hämmern auf Ambossen vom Klang der Hämmer auf metallenen Meißeln unterscheiden.«
Sie neigte dankend den Kopf und Sétanta bemerkte aus den Augenwinkeln, dass Swidger mit einem Nicken die Worte des Druiden bestätigte.
»Ich danke dir für deine Rücksicht und deinen Fleiß, Sétanta. Es ist gut zu wissen, dass es noch immer Menschen um mich herum gibt, die wissen, was zu tun ist. Auch wenn ihre Königin vor Trauer gelähmt scheint.«
Jetzt war es an Sétanta, dankbar den Kopf zu senken. Aber er tat es nur, um sein zufriedenes Aufblitzen in den Augen zu verbergen und den nächsten Teil seiner Absichten in Gedanken vorzuformulieren.
»Túan hat mir erzählt, dass er auch dich über seine Absicht informierte, den Aufenthaltsort und damit das Wissen um den Trank niemals wieder in Vergessenheit geraten zu lassen. Sein erster Tod hätte dies beinahe bewirkt. Aus diesem Grunde teilte er sein Wissen mit mir und so können wir weiterhin Spiegelkrieger zum Leben erwecken. Das Mittel, die Römer in naher Zukunft aus unserem Land zu vertreiben, steht uns also weiterhin zur Verfügung.«
Sie nickte bestätigend. »So bist du nun derjenige, der allein um die Bestandteile des Trankes weiß.« Er erkannte natürlich die beabsichtigte Betonung des Wortes und ihre Angespanntheit, was er auf die unausgesprochene Frage antworten würde.
»Auch mir - einem alten Mann - erscheint es zu gefährlich, so ein wichtiges Geheimnis alleine zu tragen. Deshalb möchte ich auf die Insel Ynys Môn reisen, um dort aus den Schülern der Druiden einen oder zwei geeignete auszuwählen, die diesen Schatz bewahren sollen, wenn mich mein Schicksal ereilt.« Er lächelte selbstironisch. »Wie du siehst, Königin, bin ich nicht mehr der Jüngste.«
Es sah ihr offen ins Gesicht und achtete auf jede einzelne ihrer Muskelbewegungen und den Ausdruck in ihren Augen. Wenn sie jemals Misstrauen für ihn empfunden hatte, verflüchtigte es sich so rasch, wie Inga aus der Tür gerauscht war.
Beinahe schien es ihm, als könne er ihre Gedanken lesen:
Sollte ich mich in ihm getäuscht haben? Seine Gründe sind mehr als einleuchtend. Er ist alt! Und er ist augenblicklich der Einzige, der das Geheimnis kennt. Wenn er plötzlich an Krankheit oder Altersschwäche stirbt - oder einer feindlichen Waffe zum Opfer fällt -, dann ist das Geheimnis verloren.
Sétanta standen diese Fragen so klar im Kopf, dass er für einige Sekunden darüber nachdachte, ob er jetzt im hohen Alter die Fähigkeit des Gedankenlesens errungen hätte, so wie es in uralten Legenden dem einen oder anderen Druiden nachgesagt wurde.
Arianrhods nächste Worte rissen in aus der Grübelei und bestätigten ihr Vertrauen in ihn.
»Wie lange wirst du für diese Reise benötigen?«, fragte sie und hatte schon die nächste Frage auf der Zunge. »Und was spricht dagegen, einen Vorrat des Trankes herzustellen, damit Púca im Notfall Krieger erwecken kann?«
Sétanta hätte sich beinahe auf die Zähne gebissen, denn Púca war zwar Druide wie er selbst, längst nicht so alt wie Sétanta, aber er wirkte auf Sétanta ein wenig einfältig. Jeder wusste von den beschränkten Fähigkeiten Púcas, doch er tat sein Bestes und heilte die Kranken, schloss Ehen und hielt an den Festtagen die Rituale ab. Allerdings taugte er in Sétantas Augen nicht als Lehrmeister und schon gar nicht als Bewahrer eines solch uralten Geheimnisses.
Trotzdem nickte Sétanta. »Ich denke, dass ich in acht oder neun Tagen wieder hier sein kann. Und ja, natürlich kann mein verehrter Kollege Púca wenigstens dies tun, solange ich fort bin und mein Wissen noch nicht an … geeignete Schüler und jüngere Träger dieser Verantwortung weitergegeben habe. Ich werde ihm vor meiner Abreise einen Vorrat brauen und mit allen notwendigen Anweisungen vertraut machen«, sagte er scheinbar ergeben.
Aber ich werde ihm niemals alle Einzelheiten und schon gar nicht die Tafel selbst überlassen. Nur mir gehört jetzt diese Macht und ich werde sie nicht aus den Händen geben, solange ich lebe.
Swidger stapfte über das dichte Gras des Lagers und bemerkte mehr beiläufig, dass ein guter Teil der Spiegelkrieger fehlte. Sie hatten auf Anraten Marcellus Maximus Lupinius ein Viertel ihrer Streitmacht an die Westküste von Breith verlegt, angeführt von Maelchon mac Cean, Máiri von den Vacomagi und dem Wolf selbst. Ein weiteres Viertel hatte sich trotz aller anderslautenden Vermutungen an die Ostküste aufgemacht, um unter der Führung von Catriona maqq Horestiani und Fionnghal mac Carnonacae auf eine römische Flotte zu warten, die wahrscheinlich dort gar nicht kommen würde. Aber sicher war sicher.
Der Rest - was augenblicklich die Hälfte bedeutete und etwas mehr als 40.000 Männer und Frauen ausmachte - bereitete sich hier darauf vor, den Marsch in den Süden zu beginnen, der unmittelbar bevorstand. Alle warteten nur darauf, dass sich Arianrhod mac Ruith, die Krone des Nordens, an ihre Spitze setzte und den Vernichtungsfeldzug, den sie vor dem Winter gegen den Hadrianswall erfolgreich geführt hatten, jetzt mit neuem Schwung darüber hinaus tragen und die Römer bis an die Südküste von Breith zu treiben.
Und am besten direkt ins Meer.
Swidger drehte sich noch einmal um und sah beruhigt, wie ein gutes Dutzend der allerbesten Cruithinkrieger das Tor zu Arianrhods Befestigung bewachten. Weitere Paare patrouillierten gegenläufig um das runde Gebäude und verständigten sich ab und an mit den Wachen auf den entfernten Türmen, die Swidger zusammen mit dem Wolf angeregt hatte und die sie weit über die Berge und Täler blicken ließ.
Er war noch mit ähnlichen Gedanken beschäftigt, als er an die gemeinsame Unterkunft kam, die er sich mit Inga teilte. Als Zugeständnis an ihre germanische Herkunft hatte er zusätzlich zum Wappen der Ruiths ein Bild Wotans anbringen lassen. Doch der Cruithin, der es gemalt hatte, besaß wenig Talent, und so blickte dem großen Germanen anstelle eines furchtgebietenden Donnergottes ein etwas schief geratener alter Mann entgegen, in dessen Händen die angedeutete Donnerwolke wie ein Haufen Schafswolle aussah.
Er verzog seinen Mund zu einem verzeihenden Grinsen und hoffte, das sein Gott den Gedanken an ihn höher einschätzte, als die Qualität der Zeichnung. Swidger hatte das leichte Lächeln noch auf dem Gesicht, als er eintrat und Inga schwer beschäftigt vorfand. Sie nahm etwas von einer Stelle und trug sie zu einer anderen. Dann wieder nahm sie den Gegenstand und brachte ihn zurück, wo sie ihn hergenommen hatte. Das ohnehin schwache Lächeln auf seinem Gesicht verschwand.
»Was tust du? Ist dir unser Heim nicht schön genug?«
Sie wirbelte herum, da sie ihn in ihrem Tun nicht hatte kommen hören.
»Heim? Diese armselige Holzhütte nennst du ein Heim?« Sie betrachtete den Gegenstand, den sie gerade in Händen hielt - es war ein einfacher Tonbecher - und stellte ihn so hart auf den kleinen Tisch, dass der Becher zersprang. »Das hier ist ein fremdes Land, und all die Menschen um uns herum - ob nun tot oder nicht - sind auch Fremde.«
Sie trat an ihn heran und erreichte mit ihrer Körpergröße gerade mal sein Kinn. Trotzdem machte er einen halben Schritt zurück, als sie ihn mit ihrem ausgestreckten Finger aufzuspießen schien.
»Du und ich sind hier die einzigen Germanen. Bei den Römern hatten wir wenigstens noch Landsleute. Hier sind wir völlig allein. Und es sieht nicht so aus, als würde sich das dieses Jahr oder auch in den nächsten zehn Jahren ändern. Ich habe keine Lust, Kinder unter Fremden aufzuziehen und zuzusehen, wie aus Germanen primitive Barbaren werden.«
Swidger machte den Versuch eines Scherzes.
»Die Römer bezeichnen auch uns Germanen als Barbaren. Jeder, der kein Römer ist, ist in ihren Augen ein Barbar.«
»Genau das ist es doch. Wir waren Sklaven, Vasallen und keine freien Germanen …«
»Jetzt sind wir frei.« Auch dieser Versuch verpuffte an ihrer Aufgeregtheit.
»Pah, frei!« Sie hatte sich in Fahrt geredet und jetzt brach alles aus ihr heraus, was sie in all den vergangenen Monaten hingenommen und geschluckt hatte.
»Du verbringst mehr Zeit mit deiner neuen Königin als mit mir, deinem Weib«, warf sie ihm vor und wieder stach ihr ausgestreckter Finger nach ihm.
»Wir sind von keinem Priester …«, wagte er einzuwenden, doch sie kam jetzt richtig in Fahrt.
»Blödsinn, Priester. Wo sollen wir in dieser Wildnis einen germanischen Priester herbekommen? Und wag es ja nicht, mir mit dem uralten Sétanta oder - noch schlimmer - diesem Púca zu kommen. Sie sind weder Germanen, noch kennen sie unsere Bräuche …«
»Aber es sind heilige Männer«, unterbrach er sie wieder und wusste im gleichen Augenblick, dass er schon wieder einen Fehler begangen hatte.
»Pah! Heilige Männer. Ich traue diesem Sétanta nicht weiter über den Weg, als ich spucken kann.« Sie wirbelte herum und schien nach etwas zu suchen, dass sie packen und an die Wand oder nach ihm schleudern konnte. Aber entweder hatte sie es schon eingepackt oder es war nichts in der Nähe, was diesen Zweck hätte erfüllen können.
Swidger stand wie ein steifer Klotz im Raum und musste ihr im Stillen recht geben. Auch er misstraute Sétanta. Im Augenblick war er immer noch auf einer Reise zur Insel Ynys Môn, wurde aber jeden Tag zurückerwartet. Was er dort tat, wusste Swidger nicht, und wenn er genau darüber nachdachte, wollte er es auch gar nicht wissen.
»Ich führe Arianrhods Leibgarde und da ist es meine Pflicht in ihrer Nähe zu sein. Ich bin ihr einziger Schutz«, versuchte er vom Thema Priester und Heirat abzulenken. »Jetzt, wo Túan nicht mehr da ist«, schob er nach und eine Woge unterdrückter Wut und Resignation durchflutete ihn.
Für einen Augenblick sah er ein wenig Mitleid in Ingas Augen, doch die hielt nur einen Moment lang an.
»Du hast ihr schon im Kastell Blicke zugeworfen, gib es zu. Ich war damals fast ständig in ihrer Nähe und hatte Zeit genug, deine Lüsternheit zu sehen.« Sie stellte sich wie ein wütender Stier vor ihn hin und stemmte dabei die Hände in die Hüften.
»Natürlich hab ich sie angesehen, sie ist eine schöne Frau und ich bin nicht blind …« gab er zu.
»Aha!«
Nun wurde er selbst wütend und reckte sein Kinn angriffslustig nach vorn. Zu seiner Genugtuung machte Inga einen Schritt rückwärts.
»Nichts aha! Ich bin ein Mann. Dazu noch ein Germane. Und es ist nicht unsere Art, vor schönen Frauen die Augen zu senken oder abzuwenden, egal ob sie für uns unerreichbar sind oder nicht. Nur Waschlappen und Höflinge tun so etwas. Ich nicht!«, betonte er und hatte die Hoffnung, dass sie ein Einsehen hatte. Schließlich war er ein Germane und kein verweichlichter römischer Politiker.
Doch da kannte er die Frauen - und besonders Inga - schlecht.
Mit einer Mischung aus Verzweiflung und Eifersucht donnerte sie ihm entgegen.
»Also ist es wahr, du hast Interesse an ihr«, schrie sie ihn an und dabei liefen ihr plötzlich die Tränen aus den Augen. »Und jetzt, wo Túan tot ist, willst du seinen Platz einnehmen. Das ist ja eine schöne Karriere: vom germanischen Kuhtreiber und römischen Vasallen, hin zum Leibwächter und womöglich König der Picten!«
Für mehrere Augenblicke war Swidger sprachlos. Zum einen, weil er seinen Werdegang niemals in dieser Weise gesehen hätte, zum anderen, weil ganz tief in seinem Innern sich etwas regte, dass ihn Arianrhod tatsächlich nicht allein als Schutzbefohlene betrachten ließ, sondern als … Frau.
Er schluckte hart und versuchte diese Gedanken und Ingas Tränen mit Kopfschütteln abzuwehren. Aber er brachte für lange Sekunden kein Wort über die Lippen.
Je mehr Inga Tränen vergoss und sich nun auf die Liegestatt niederwarf und von heftigem Schluchzen durchgerüttelt wurde, desto mehr zog es ihm den Hals zusammen.
»Es ist meine Schuld, das Túan tot ist. Und ich habe an ihr meine Schuld zu bezahlen. So einfach ist das.«
Seine Stimme hatte sich wieder beruhigt, aber in seinem Innern tobte ein Gefühlssturm, beinahe wie in einer Schlacht. Fast sehnte er sich nach einem Kampf. Wie einfach war es doch dort. Freund und Feind waren klar zu erkennen und es gab keine Zeit für Worte und Überlegungen. Man schlug zu und tötete als Erster. Denn eine zweite Chance bekam man dort selten.
Ein neues Gewicht drückte auf seine innere Last, als er diesen Gedanken hatte.
Und doch hat mir Túan eine zweite Chance gegeben, ein zweites Leben. Ich war tot und auf dem Weg nach Walhall. Aber er hat mich wiedererweckt und mich Inga zurückgegeben.
Er wollte dies der weinenden Frau auf dem Bett sagen, doch weder konnte er die richtigen Worte finden noch einen Ton, der sie beruhigen und in seine Arme führen würde. So stand er eine Weile hilflos da und lauschte ihrem Weinen. Als ihr Schluchzen versiegte und sie nur noch leise weinte, hielt er es nicht mehr aus und drehte sich um und fasste an den Türriegel.
»Wo gehst du hin?«, kam es dumpf aus dem Wust ihrer verwirrten Haare.
Die Hand am Riegel wartete er und suchte selbst nach einer Antwort. Er wusste nicht, wohin er hatte gehen wollen.
»Ich mache einen weiteren Kontrollgang. Die Wachen sollen sich nicht an regelmäßige Besuche gewöhnen. Wenn ich zurück bin, können wir vielleicht ohne Streit miteinander reden.« Aber auch hier war seinen Worten anzuhören, dass er nicht daran glaubte.
Als sie nichts darauf erwiderte, öffnete er die Tür und ging hinaus. Er war schon mehrere Schritte fort, als sie mehr zu sich selbst sagte:
»Dann bin ich vielleicht nicht mehr hier.«