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Kapitel IV A. D. 183, April Grenzkontrolle

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Es regnete in Strömen und Caerellius Priscus, Präfekt und neuer Statthalter Roms in Britannien, verfluchte sich, dass er sich um diesen Posten sogar bemüht hatte. Es ist etwas anderes, von einem kalten Land zu hören, als es tagtäglich mit Nebel, Regen und noch mal Regen zu erleben. Er war nass bis auf die Haut, trotz des Umhangs, den man vorsorglich dünn mit Ochsenfett eingerieben hatte, um das Wasser abzuhalten. Er trug einen einfachen Legionärshelm und auch kein anderes Zeichen seiner Position, da er gehört hatte, dass kleine versprengte Pictentrupps bevorzugt solche Männer als Erstes massakrierten, wenn sie auf sie stießen.

Diese Hunde scheinen doch nicht so dumm zu sein, wie Magnus Lucius immer geschrieben hatte, dachte er und zog den Umhang enger um sich, als eine Böe neue Wassermassen ihm mitten ins Gesicht warf. Blaue Affen nannte er sie abfällig. Nun, ich werde nicht den Fehler begehen, sie zu unterschätzen. Ich werde das Frühjahr dazu benutzen, mir das Gelände anzusehen. Persönlich. Und mir den besten Ort für eine Schlacht aussuchen.

Er warf einen Blick hinter sich und sah, dass die Hälfte seiner Wachmannschaft in Viererreihen hinter ihm ritt. Wären sie in einer Linie geritten, hätten sie den durchweichten Boden nur noch mehr in einen tiefen Matsch verwandelt, als er ohnehin schon war. Auch die Vorhut und die Reiter neben ihm hielten diese Formation.

Er führte zwei Turmae, also 60 Mann mit sich. Die direkte Befehlsgewalt überließ Caerellius Priscus aber seinem Decurio Publius Netello, einem vierschrötigen Militärschädel, dessen Pferd weniger Masse zu haben schien als sein Reiter.

»Wie weit ist es noch, Decurio«, sprach der Präfekt seinen Nebenmann an und wischte sich zum hundertsten Mal den Regen vom Gesicht.

Der machte sich nicht die Mühe, seinen Kopf dem Vorgesetzten zuzuwenden, sondern knurrte mit unterdrückter Lautstärke unter seinem Kinnschutz hervor.

»Nicht mehr weit, vielleicht eine oder zwei Hora.« Zu Caerellius´ Überraschung fügte der Mann eine Frage hinzu.

»Was erwartest du am Wall zu sehen, Herr? Die Picten haben alle Kastelle und den Wall selbst geschleift. Und ich bin mir nicht sicher, ob Rom gewillt ist, diesen Zustand wieder zu korrigieren.«

Auch wenn Caerellius Priscus insgeheim die gleichen Befürchtungen hegte, so rechnete er doch damit, dass vor allem sein Wirken in Britannien darauf größten Einfluss haben würde. Wenn er die Picten aufhielt, sogar zurückschlug und sie endlich zu einem Teil des Römischen Reiches machen würde, dann bräuchte es den Wall nicht mehr. Aber das würde er dem Soldaten nicht sagen. Also beschränkte er sich auf seine unmittelbare Absicht.

»Ich möchte mir ein eigenes Bild vom Zustand des Walles machen, Decurio. Und ich möchte sehen, wie es diese Barbaren geschafft haben, unsere Truppen zu besiegen. Die Wenigen, die gegen Picten gekämpft und es überlebt haben, gaben sehr unterschiedliche Aussagen von sich. Einige sind meiner Meinung nach so übertrieben, dass ich die Männer nicht mehr für glaubwürdig - manche sogar für unzurechnungsfähig - halte.«

Jetzt drehte sich Publius Netello doch zu ihm herum.

»Du weißt aber, dass ich eben einer jener bin, die gekämpft und überlebt haben.« Auch ihm lief das Wasser in kleinen Bächen über das Gesicht, doch Caerellius hatte den Mann noch kein einziges Mal dabei beobachtet, dass dieser deswegen eine Hand vom Zügel oder Knauf seines Spatha genommen hätte. Wie sie alle trug er sein parma equestris auf den Rücken geschnallt. Dort diente es als Rückenschutz und leidliches Hindernis für den immer stärker fallenden Regen.

»Es ist mir bekannt, dass du einer der 151 bist. Nicht umsonst habe ich dir das Kommando über diese Turmae gegeben. Gerade deine Aussage und deine Schilderung möchte ich mit dem Zustand des Walls bestätigt sehen.«

Wieder knurrte der Legionär, dieses Mal aber einen nicht klar artikulierten Laut, und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Weg vor ihnen.

Der Weg war mehr ein schnurgerader Pfad, der im kurzen britannischen Sommer von römischen Wagen befahren werden konnte. Jetzt, nach dem Abschmelzen von Schneemassen, die noch kein Römer zuhause erlebt hatte, war der Pfad ein kalter, brauner Matsch, in dem sich mit jedem Hufschlag kleine Pfützen bildeten. Links und rechts davon hoben sich sanfte Hügel, ab und an von einzelnen Büschen und Bäumen unterbrochen. Erste zarte Ansätze von grünen Knospen waren mehr zu ahnen, als zu sehen. Trotzdem ergaben sie ein mageres und wenig erbauendes Bild. Dazu kam noch ein Himmel, der alle Schattierungen von Grau zeigte und keine Anstalten machte, so schnell seine Pforten zu schließen.

Sie ritten etwa eine Stunde, als der Wind nachließ und schließlich ganz verschwand. Trotzdem regnete es ununterbrochen weiter. Die bisher dicken Tropfen hatten sich in kleine, aber dichte Wasservorhänge verwandelt. Sie fielen so zahlreich, dass sie die Sicht wie leichter Nebel verschlechterten.

Caerellius Priscus überlegte, ob er eine Rast befehlen sollte, und blickte den erfahrenen Legionär neben sich – so wie er dachte unbemerkt – an. Doch bevor er ein Wort sagen konnte, nickte dieser in die Richtung einer auffälligen Dreiergruppe von Bäumen, die wenige Dutzend Schritte neben dem Pfad aus dem Regenvorhang auftauchte.

»Es ist nicht mehr weit, Herr. Wenn uns unser Glück nicht verlässt, dann könnten wir in einer halben Hora am Wall sein und dort nach einem trockenen Platz suchen«, sagte er und der Präfekt stutzte aufgrund eines Untertones in dessen Stimme.

»Von welchem Glück sprichst du, Decurio? Ich kann mir glücklichere Momente als diesen vorstellen. In einem solchen Land, das nur Kälte, Nässe, Nebel und Schnee - und zu allem Überfluss blutrünstige Picten - zu kennen scheint.«

Wieder ließ sich der Legionär herab, seinem Präfekten das Gesicht zuzuwenden. »Siehst du es nicht als Glück an, noch am Leben zu sein, Herr?«

Ohne auf eine Erwiderung zu warten, ritt er weiter. Caerellius Priscus sah, dass der Mann sich ein wenig aufgerichtet hatte und mit frischer Aufmerksamkeit nach den beiden Spähern Ausschau hielt, die am Rande ihres Sichtfeldes etwa einhundert Meter links und rechts des Pfades vorausritten.

Plötzlich stieg ein Rabe krächzend aus einem Wipfel hervor und als schien dies ein Zeichen zu sein, verebbte der Regen und hörte schließlich ganz auf. Sie passierten einen kleinen Hain und nur das Geräusch von Millionen herabfallender Tropfen von Tausenden Ästen und Zweigen umgab sie. Als sie aus den Bäumen herauskamen, lag das gerodete Stück Land vor ihnen, dass auch auf dieser Seite des Walles ein unbemerktes Anschleichen von Feinden hatte verhindern sollen.

Als der ganze Trupp das Wäldchen verlassen hatte, ließ der Decurio anhalten. Mit einer beinahe abfälligen Geste umfasste er die Reste dessen, was einmal der Wall des Hadrian gewesen war.

»Nun, Herr, kannst du dir dein Bild machen. Es ist nicht viel, was dieses Pack davon übrig gelassen hat, nicht wahr?« Er machte keine Anstalten weiterzureiten oder gar abzusteigen, sondern betrachtete mit einer Mischung aus Respekt und Wut die Trümmer der ehemaligen Befestigungsmauer.

Caerellius Priscus fror mit einem Mal. Alle waren sie nass bis auf die Haut, aber mit dem Wind und dem Regen war auch die eisige Kälte verschwunden. Trotzdem liefen ihm kalte Schauder den Rücken hinab. Sein Blick schweifte über die Zerstörung und konnte erst jetzt den Worten der Überlebenden Glauben schenken.

Von all den hölzernen Palisaden und Gebäudeteilen waren nur rußgeschwärzte Stummel übrig, die schwarz und regennass zu ihm herüberglänzten und ihn zu verhöhnen schienen. Türme und andere Befestigungen aus Stein bildeten zusammengesunkene Haufen, die germanischen Hügelgräbern glichen und sicher oft genug auch Gräber waren. Wie Caerellius Priscus berichtet worden war, hatte man bisher nicht gewagt, die Leichen der gefallenen Besatzungen zu bergen und einem anständigen Begräbnis zuzuführen. Er empfand dies als allergrößte Schande und hatte sich geschämt und getobt, als er es erfuhr. Doch nach dem Tod seines Vorgängers und der Ermordung so vieler Offiziere hatte niemand den Willen und den Mut besessen, geschweige denn die Verantwortung auf sich nehmen wollen, dies zu veranlassen oder gar selbst zu tun.

Je länger sein Blick über das Desaster glitt, desto wütender wurde er. Dann fiel ihm etwas auf.

»Es liegen keine Waffen herum, nicht ein Speer, nicht ein Schwert, kein einziger Schild. Und auch an den Schuttbergen schien sich jemand zu schaffen gemacht zu haben. Die Picten?«, fragte er und dieses Mal war er es, der den Decurio keines Blickes würdigte. Immer noch hingen seine Augen an den Spuren der Vernichtung fest, wie eine Fliege im Netz der Spinne.

»Natürlich, Herr, wer sonst? Die Britannier, die sich uns unterworfen haben, trauen sich nicht so weit in den Norden. Und unsere Leute erst recht nicht. Es gab auch keinen Befehl dazu.« Der darin unverhohlene Vorwurf brachte Caerellius Priscus Wut noch mehr in Fahrt.

»Anscheinend ist es doch nicht so weit her, mit der so angeblich hervorragenden Schmiedekunst der caledonischen Stämme, wenn sie unsere Waffen bis auf das letzte Stück eingesammelt haben.« Ein schwacher Versuch, der römischen Überlegenheit, die von dem Bild vor seinen Augen so eindeutig verleugnet wurde, doch ein wenig Anrecht zu verschaffen.

»Du irrst Herr, wenn du glaubst, sie würden unsere Waffen einfach so benutzen. Es ist eher so, dass sie alles Metall einschmelzen, dessen sie habhaft werden können und in ihre verdammten Krummschwerter verwandeln. Ein Hieb aus einer solchen Waffe schlitzt einen Legionär in einem Zug von oben nach unten auf. Und diese sogenannten Barbari können wirklich gut damit umgehen, das kann ich dir versichern.«

»Du bewunderst sie?!«

»Sie tun nichts anderes, als was auch wir täten, wenn Feinde in unser Land eindringen würden.«

»Aber wir würden sie zu Bürgern Roms machen. Sie hätten Anteil an unserer Kultur, wir …«, protestierte der Präfekt, doch der Legionär wagte es jetzt sogar, abfällig zu lächeln und ihn zu unterbrechen.

»Sieh dich um Herr. Dann siehst du, was sie darauf geben, Teil des Imperiums zu werden.«

Ohne eine Antwort oder einen Befehl abzuwarten, gab er seinem Pferd die Sporen und ritt langsam auf die Überreste zu.

Eine geschlagene Stunde ritten sie an der Südseite des Walls entlang. Nur spärlich gedeckt von den beiden Spähern, die auf der Nordseite sich unbehaglich auf ihren Sätteln bewegten und ihre Blicke nicht vom fernen Waldrand ließen. Jedes noch so geringe Geräusch, und wenn es nur ein Tier oder ein Knacken der Äste war, ließ sie zusammenzucken und nach ihren Waffen greifen.

Keiner der Soldaten sagte ein Wort und jedes römische Skelett, das sie passierten oder das unter Trümmern hervorragte, schien sie anzuschreien und zu verfluchen. Nirgends fanden sie die Leiche eines Picten, nirgends lagen Waffen herum, wenn man von zerbrochenen Pfeilen und Speeren absah, denen allesamt ihre metallenen Spitzen fehlten. Selbst die Rüstungsteile der Legionäre waren verschwunden. Die Picten waren gründlich gewesen. Einzig die Scharniere von Toren hatten sie nicht aus dem Stein gebrochen. Das war ihnen scheinbar zu mühsam und aufwendig gewesen.

Als ihre Niedergeschlagenheit sich kaum noch steigern ließ, trafen sie auf einen seltsam kleinen Hügel, der schon aus der Entfernung seine beabsichtige Form preisgab. Doch erst beim Näherkommen erkannten sie, dass er aus den hohlen Schädeln römischer Soldaten bestand.

»Merk dir diese Stelle, Decurio!«, befahl Caerellius Priscus mit zornbebenden Lippen. »Sobald wir zurück sind, wird ein bewachter Tross hierher kommen, und jeden einzelnen Gefallenen bergen. Sie sollen in Ehren bestattet werden. Sie hier liegen zu lassen, ist eine Schmach, die ich nicht ertragen und dulden kann.«

»Ja, Herr«, kam die Antwort leise und in einem Ton, der Zustimmung und Wut gleichermaßen ausdrückte.

Es waren die einzigen – und letzten – Worte, die Publius Netello und der Präfekt miteinander sprachen. Wenig später brach die Nacht herein und sie kampierten in einem halb zerfallenen Turm eines Kleinkastells. Im Schutz der Mauern wagten sie es, ein Feuer zu entzünden und ihre durchkühlten Körper aufzuwärmen und ihre Kleidung zu trocken. Auch wenn sie mit dem Entzünden bis zum Einbruch der Nacht warteten, weil sie kein trockenes Holz finden konnten und den Rauch durch die Nacht unsichtbar hofften, so vergaßen sie doch einen wesentlichen Punkt.

Selbst der Qualm feuchten Feuerholzes riecht stark. Und auch ein schwacher Wind trägt diesen meilenweit.

Krähengeschrei und das Husten einiger Männer weckte Caerellius Priscus und zunächst weigerte er sich, die Augen zu öffnen. Doch dann verrieten ihm die leisen Unterhaltungen vieler Männer um ihn herum, dass er scheinbar der Letzte war, der noch geschlafen hatte. Er blinzelte unter seiner Reitdecke hervor und sah genau in die Augen des Decurio.

Der saß komplett gerüstet am niedergebrannten Feuer und hielt die Hände über die fast erloschene Glut. Ohne ein Wort des Grußes erhob sich Publius Netello und ging zu seinen Männern. Scheinbar hatte der Decurio schon den Befehl zum Aufbruch gegeben, denn alle standen bereit und warteten nur auf Caerellius.

Diesem schien es unpassend, nun auf eine morgendliche Mahlzeit zu bestehen und er erfasste die seltsame Stimmung der Männer. Der Tag zuvor schien sie doch mehr mitgenommen zu haben, als er den harten Kämpfern angesehen hatte. Mit wenigen Handgriffen schlüpfte er in die immer noch klammen und völlig verrauchten Kleidungsstücke und gürtete sein Gladius um. Er hatte den Helm schon in der Hand, als die ersten Männer nach draußen traten und zu Salzsäulen erstarrt stehen blieben.

Mit einer raschen Bewegung setzte er den Helm auf und schritt entschlossener durch die Männer, als er sich in Wahrheit fühlte. Als er die Letzten beiden auseinander trieb und freien Blick hatte, blieb auch er wie angewurzelt stehen.

Vier Legionäre – vielmehr ihre abgeschlagenen Köpfe – standen auf Lanzen gespießt in einer Reihe in wenigen Metern Entfernung vor dem Turm. Ihre Körper lagen blutüberströmt davor und dampften noch in der kalten Morgenluft.

Und dahinter standen sie.

Picten in dichten Reihen und mucksmäuschenstill.

Caerellius Priscus hatte noch niemals Picten so nahe gesehen. Ihre Gesichter schienen ihm so dunkel zu sein, wie die Stimmung seiner Männer.

Im gleichen Augenblick, als er sich entschloss, sein Schwert zu ziehen, wusste er, dass er diesen Kampf nicht überleben konnte.

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