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Kapitel VIII A. D. 183, Juni Der Wolf hetzt die Meute
ОглавлениеDichte Nebelbänke hüllten die römischen Galeeren wie eine Decke aus weichen Federn ein. Die letzten Legionäre, die sich an Bord ihrer Schiffe begaben, wirkten wie Schattengestalten, die Geistern gleich durch das Zwielicht huschten. Die roten Helmbüsche der Offiziere waren blutrote Tupfer auf dem grauen Laken des frühen Morgens.
Ulpius Marcellus fröstelte trotz der Jahreszeit und zog seinen Umhang dichter um sich zusammen. Er stand mit Sidonius Gavius auf dem Achterdeck seines Flaggschiffes und wartete ungeduldig, bis ein Melder die Bereitschaft auch des letzten Schiffes zum Auslaufen anzeigte. Er gab dem Cornicen einen Wink und der stieß mit kräftigem Blasen in sein Cornu.
Er hatte nicht befohlen, dass die Männer besonders leise sein sollten - denn schließlich lag die Westküste Britanniens noch viele Meilen vor ihnen - und trotzdem bewegten sich die Männer, als achteten sie darauf, keine unnötigen Geräusche zu machen.
»Neptun hüllt uns in einen Schleier«, sagte Ulpius Marcellus und sein Tonfall verriet nicht, ob er dies begrüßte oder bedauerte.
»Mir wäre lieber, er würde uns den Nebel für die Zeit unserer Ankunft schicken, Herr. Es sind noch rund 40 Seemeilen bis zu unserem vorgesehenen Landepunkt. Das bedeutet mindestens 24 Hora Fahrt, bei dem mäßigen Tempo, dass du befohlen hast.« Es lag kein Vorwurf darin, sondern Besorgnis.
»Und ich habe befohlen, dass die Ruderer sich nicht verausgaben sollen und wir eine Nacht ruhen und dabei nur so stark rudern, dass uns die Strömung nicht abtreibt. Ich weiß, Sidonius, dass dir dies nicht ganz behagt. Aber ich möchte eine ausgeruhte Rudermannschaft haben, wenn wir unser Ziel erreichen. Ich denke nicht, dass uns die Picten so einfach werden anlanden lassen. Sie werden uns schon auf See angreifen, da bin ich mir sicher.«
Sidonius Gavius grinste für einen Wimpernschlag mit Verachtung, dann hatte er seinen Standardausdruck wieder.
»Unsere Hauptstrategie beruht darauf, dass die Picten uns an ihrer Ostküste erwarten und nicht hier in ihrem Rücken. Und trotzdem rechnest du damit, dass sie uns hier entgegenkommen? Außerdem habe ich mich über die Boote der Picten informiert, Herr. Und wie du bemerkt hast, vermeide ich das Wort Schiff. Denn diese Nussschalen, die sie besitzen, sind drei bis vier Mal so klein wie unsere Galeeren, haben nur ein Segel und können vielleicht zehn oder zwölf Mann tragen. Wenn sie uns damit auf See angreifen wollten, müssten sie schon Hunderte davon haben.«
»Vielleicht haben sie so viele, wir wissen es nicht, Sidonius. Und sie kennen diese Gewässer besser als wir, schließlich ist es ihre Heimat. Ich rechne auch mit Überraschungen. Weder Magnus Lucius noch mein direkter Vorgänger Caerellius Priscus hatten mit der Verschlagenheit der Picten gerechnet. Ich habe keine Angst vor einer Schlacht, ob zur See oder auf Land. Das, was mir Sorgen bereitet, ist das, was ich nicht kenne.«
Schon wieder hatte Ulpius Marcellus es geschafft, seinen Untergebenen zu verblüffen. Es war nicht üblich, dass sich ein Kommandeur von Sorgen geplagt zeigte. Sidonius Gavius musste zugeben, dass er entgegen ersten Bedenken langsam anfing, seinen neuen Befehlshaber nicht nur zu respektieren, sondern echte Sympathie für ihn zu empfinden. Andere Anführer hätten wenig Rücksicht auf die Männer genommen und versucht in Rekordzeit - und damit eventuell in weniger als der halben Zeit, die sie nun benötigen würden - die caledonische Küste zu erreichen.
Doch davon ahnte Ulpius Marcellus nichts.
Sidonius nickte bestätigend, sagte aber nichts mehr. Beide Männer lauschten auf den regelmäßigen Takt des symphonieacus und dem folgsamen Schlag der Ruderer.
Als die Sonne aus dem Meer auftauchte und immer rascher den Morgennebel auflöste, murmelte Ulpius Marcellus so leise, dass es der neben ihm stehende Sidonius kaum verstehen konnte:
»Neptun schenkt uns eine ruhige Überfahrt. Mögen die Götter uns weiterhin begleiten.«
Weder er noch der Mann neben ihm sahen die winzigen Boote, die hinter ihnen am Horizont und in den letzten Nebelfetzen verborgen der Flotte folgten.
Der entfernte Verwandte Ulpius Marcellus´, der auf einem dieser kleinen Boote ruderte, war Marcellus Maximus Lupinius. Er hatte untersagt, die Segel zu setzen und befohlen, nur zu rudern. Er hielt sich soweit es nur irgend ging von den Römern entfernt. Die Picten - nein, die Cruithin - hatten seine Vorschläge ohne zu murren als Befehle angenommen. Natürlich war er nicht allein an Bord des Bootes, das man vielleicht als das Flaggschiff der Currach-Flotte hätte bezeichnen können, das aber genauso klein und unscheinbar war, wie all die anderen Boote.
Maelchon mac Cean und Máiri von den Vacomagi waren bei ihm.
Lupus, wie sie ihn nannten, setzte ein zwiespältiges Grinsen auf, das ihn noch mehr wie einen Wolf wirken ließ. Einen alten, grauen Wolf; erfahren in vielen Kämpfen und wie jeder alte Wolf einsam. Sein erstes Rudel - Rom - hatte ihn im Stich gelassen, hielt ihn für verschollen und längst tot.
Sein zweites Rudel - die Cruithin - kannten ihn in seiner wahren Identität erst seit kurzer Zeit. Und doch hatten sie ihn aufgenommen. Er verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln, das für die Männer und Frauen um ihn herum so aussah, als fletsche er die Zähne angesichts einer römischen Flotte vor seiner Schnauze.
Lupinius strich sich mit einer Hand durch sein fast weißes Haar, das noch von wenigen grauen Strähnen durchzogen wurde.
Dies wird mein letzter Kampf sein, dachte er und fühlte weder Bedauern noch Freude dabei. Über diese Gefühle war er längst hinaus.
Doch bevor ich sterbe, werde ich mich bei Rom und meiner Familie dafür bedanken, dass sie mich vergessen haben.
Bewundernd beobachtete er, wie die Cruithin geschickt jede der verwirrenden Strömungen nutzten, um den Römern im Nacken zu bleiben. Sie hielten dabei gerade so viel Abstand, dass sie noch die Spitzen ihrer Masten am Horizont ausmachen konnten.
Die Sonne war vor einer halben Stunde aus dem Meer aufgetaucht und jeder proreta gab die Position benachbarter Schiffe der Flotte an seinen trierarchus weiter. Nach wenigen Minuten stand fest, dass sie während der Nacht kein Schiff verloren hatten und alle mehr oder weniger geschlossen auf Zielkurs lagen. Und dies, obwohl sie mehrmals mit unterschiedlichen Strömungsrichtungen zu tun gehabt hatten.
Auch an diesem Morgen zog Nebel über die ruhige See und leise Rufe und Kommandos hallten durch die Schwaden.
Ulpius Marcellus stand wie üblich auf dem Achterdeck seines Flaggschiffes und blinzelte ein wenig verschlafen, als auch Sidonius Gavius die wenigen Stufen zu ihm hochstieg und sich neben ihn stellte.
Dieser setzte seine Faust auf sein Herz und wollte ein Wort sagen, als er über die Schulter seines Befehlshabers hinweg auf das Meer hinaus blickte. Sein sich zum Gruß ausstreckender Arm und die gerade noch geballte Faust öffneten sich und wiesen mit dem Zeigefinger auf dunkle Flecken in dem sich auflösenden Dunst.
Marcellus drehte sich herum und sah in die angegebene Richtung. Mehrere Dutzend der dunklen Flecken bildeten eine unregelmäßige Reihe, die in ziemlicher Entfernung zu ihnen im Wasser zu treiben schien.
»Was ist das, Herr?«, fragte Sidonius und versuchte gegen das aufkommende Sonnenlicht etwas zu erkennen. »Die Picten?«
Ulpius Marcellus blieb gelassen und nickte. »Ich hatte es dir doch vor Kurzem gesagt, mein Freund. Sie werden uns nicht so einfach landen lassen. Aber sie sind noch weit weg. Wir haben Zeit genug, um uns bereit zu machen.« Er winkte die anderen Offiziere zu sich heran und gab einige rasche Kommandos. Die Männer schlugen zur Bestätigung nur ihre Rechte auf die Brust und gingen davon, um seine Befehle umzusetzen.
Die Sonne löste nun rasch die letzten Nebelfetzen auf und mehr und mehr der dunklen Flecke tauchten daraus hervor und entpuppten sich tatsächlich als caledonische Currach.
Antonius Farzatio, der trierarchus ihres Schiffes, grinste breit und wischte sich über sein schwitzendes Gesicht. Er war ein mehr als kräftiger Mann - einigen Vergnügungen nicht abgeneigt und davon war die Fresssucht noch die harmloseste - und seine Körperfülle führte dazu, dass er immer schwitzte. Er wischte seine nasse Hand an seiner Tunica ab und ignorierte die missbilligenden Blicke der beiden Männer vor ihm.
»Wenn sie nicht mehr als diese Nussschalen haben, werden wir sie mit unseren Rammspornen in kleine Spreißel verwandeln, Herr.« Er wartete auf Zustimmung und grinste etwas weniger breit, als sie nicht kam.
»Sie werden kaum diese … Boote bemannt haben, um sich von uns - so mir nichts, dir nichts einfach überfahren zu lassen«, mutmaßte Sidonius Gavius und musterte angestrengt die langsam herantreibenden Feindschiffe. »Ich kann niemanden an Bord entdecken … aber sie sind immer noch sehr weit weg, ich kann mich auch täuschen …« Seine Stimme verriet jedoch, dass er nicht daran glaubte.
Auch Ulpius Marcellus und der Schiffskommandant bemühten sich, die genau aus Richtung der Sonne kommenden Schiffe zu betrachten, doch außer den dunklen Bootsrümpfen und den Segeln konnten sie keine Details ausmachen.
»Lasst alle Mann antreten und die Masten und Rahsegel abmontieren. Wir bereiten uns auf eine Seeschlacht vor. Es soll mir recht sein, so einfach und so viele Picten wie möglich auf den Meeresgrund zu schicken«, sagte Marcellus und rückte seinen Helm zurecht und lockerte sein Gladius in der Schwertscheide. »Damit haben wir es an Land mit weniger zu tun. Wenn sie uns hier die Arbeit erleichtern, wollen wir dafür dankbar sein.«
Rufe hallten über das Deck und Hornisten gaben Befehle an die anderen Schiffe weiter. Ruderschlag um Ruderschlag richtete sich die Flotte auf die vielen kleineren Boote aus, die nun zu mehr als einhundert Stück auf sie zutrieben. Und immer weitere tauchten aus den Sonnenstrahlen dahinter auf. Es verging eine viertel Stunde, bis beide Flotten sich aufeinander ausgerichtet hatten, wobei die römische Flotte der einzig aktive Teil war. Die kleinen Schiffe der Picten schienen führerlos in der Strömung zu treiben. Und diese führte die Boote exakt auf die Römer zu.
Ulpius sah, wie Sidonius Gavius seine Stirn befühlte, so als würden ihm seine angestrengten Blicke bald Kopfschmerzen bereiten und beobachtete seinerseits konzentriert die Linie des Feindes. Die Boote hielten ihre Formation bei und doch war niemand an Bord zu sehen. Mittlerweile waren sich die Flotten so nahe gekommen und die Sonne so hoch gestiegen, dass die Römer nicht mehr gegen das Licht blinzeln mussten. Sie hatten eine recht gute Sicht auf die erste Reihe der Currach.
Die erste Reihe … die Worte trieben wie zäher Honig durch das Gehirn des neuen Statthalters und dann schoss ihm ein neuer Gedanke heiß durch den Kopf.
»Eine zweite Reihe!« Er musste den Gedanken laut ausgesprochen haben, denn sowohl Antonius Farzatio als auch Sidonius Gavius drehten sich ihm zu.
»Ja, eine zweite Reihe dahinter und danach noch eine ...«, zählte der trierarchus auf und sein überhebliches Grinsen signalisierte, dass er dies nicht als Bedrohung ansah. »Auch diese sind winzig; wir werden sie alle zu Treibholz zermahlen.«
Ulpius Marcellus ignorierte dessen Angeberei, sondern achtete gespannt auf Sidonius´ Gesicht.
Anstatt ein weiteres Wort zu sagen, wirbelte dieser plötzlich herum und zeigte nach achtern.
»Dort!«
Die anderen Männer folgten seinem Ruf und blickten in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
Mehr als zweihundert Currach bildeten einen dichten Wall aus Holz und Segeln.
Und diese Schiffe waren bemannt.
Die Entfernung war doppelt so groß wie die zu den scheinbar unbemannten Booten in ihrer Segelrichtung, doch Ulpius Marcellus lief ein erster Schauer über den Rücken. Wenn auf jedem Currach zehn bis fünfzehn Mann fuhren, näherte sich ihnen damit eine Streitmacht von mindestens 2.000, vielleicht sogar 3.000 Mann. Sie kamen sehr langsam näher und ein Seemann wie Farzatio hätte dies dem Umstand zugeordnet, dass die Picten - wie auch die Römer - gegen die Strömung rudern mussten und vielleicht mit fünfzehn Mann pro Boot an der Grenze der Überladung operierten.
Doch Ulpius Marcellus war mehr Soldat und Stratege als ein Seemann.
»Diese dort hinten werden nicht den Angriff führen. Die warten auf etwas …«, sagte er und wieder kroch ihm ein Schauer über die Haut.
Alle drei drehten sich wieder in Segelrichtung und musterten nun mit ganz anderen Augen die Linien der treibenden Boote.
»Da!« Dieses Mal war es Antonius Farzatio, der mit seinem Finger zustieß wie mit einem Dolch und nach vorne deutete. »Die Boote sind mit Seilen aneinandergebunden; so halten sie die Formation.«
Der Abstand hatte sich nun so weit verringert, dass sie auch in die Boote blicken konnten.
»Es ist niemand an Bord zu sehen. Die Schiffe scheinen mit Waren beladen zu sein«, sagte Ulpius Marcellus und betrachtete dicke Packen, die mit Fellen und Stoffen bedeckt waren. Der gesamte Innenraum der Schiffe war vollgestopft. Für einen Augenblick dachte er an unter Decken verborgene Krieger.
Im ersten Moment ein wenig verwirrt, dann nickend, als wäre ihm der gleiche Gedanke durch den Kopf gegangen, fragte Sidonius Gavius: »Aber welchen Nutzen soll das bringen?« Er runzelte gequält die Stirn und schien tatsächlich unter Kopfschmerzen zu leiden, als er die dritte Reihe Boote hinter den ersten beiden unbemannten betrachtete. »Ich sehe dort jetzt auch Krieger stehen. Sie …«
Doch bevor er ein weiteres Wort sagen konnte, traten die Picten endlich in Aktion.
In jedem Boot der dritten Reihe erhoben sich mit Pfeil und Bogen bewaffnete Krieger.
»Sie glauben doch wohl nicht, dass sie schon auf Schussweite heran sind«, begann Antonius Farzatio und schüttelte den Kopf, als die Pictenkrieger ihre Pfeilspitzen in Brand setzten.
Auch Ulpius Marcellus zweifelte am Verstand des Gegners. Doch zu seinen Zweifeln gesellte sich nun ein unangenehmes Ziehen in seinem Bauch.
»Wir nicht, aber ihre eigenen Schiffe …«, murmelte er und schon zischten die ersten Brandpfeile in die Luft. Er verfolgte die Flugbahn der Geschosse und fand sie gut berechnet. Einer nach dem anderen landete auf den Booten der ersten Reihe und fiel auf verdächtig feucht glänzende Ladung. Zunächst hatte er den nassen Schimmer für Lichtreflexe gehalten. Jetzt jedoch erkannte er die Flüssigkeit als das, was sie war:
Öl!
Sofort fingen drei Dutzend Boote Feuer und die Flammen verbreiteten sich in rasender Eile über die mit Öl getränkten Decken und Stoffe. Und natürlich brannten sie nicht mit sauberer rotgelber Flamme, sondern mit dreckig rußigem Qualm. Im Nu standen schwarze Rauchsäulen zwischen den beiden Flotten. Und Pfeil auf Pfeil flog in hohem Bogen und fand sein Ziel.
Ulpius Marcellus bewunderte die Zielgenauigkeit der Schützen und ein anderer Teil seines Geistes drängte ihn, Befehle zu geben.
»Feuer!«, schrie er völlig überflüssig, denn jeder Römer hatte das unerwartete Manöver gesehen und längst nach Eimern gegriffen. Viele altgediente Legionäre und Seeleute bespritzten das eigene Schiff mit Seewasser. Doch wenn sie zu nahe an die in lodernden Feuersbrünsten stehenden Pictenboote herankamen, würde dies nicht viel helfen.
Dazu kam, dass die immer dichter werdenden Rauchwolken ihnen die Sicht verwehrten und eigenen Geschossen es erschwerten, wenn nicht gar unmöglich machten, die dahinter verborgenen Ziele zu treffen. Doch niemand der Römer dachte jetzt an den Abschuss der Katapulte.
Mit Grauen sahen sie die Flammenboote herangleiten, näher und näher. Nur noch wenige Minuten und sie würden mit den Triremen der römischen Flotte kollidieren.
»Ausweichmanöver!«, schrie der trierarchus ihres Schiffes und die Ruderer legten sich ins Zeug. Auch sie hatten die heranrückende Feuerwand bemerkt und rissen mit aller Kraft an ihrem Riemen. Schwerfällig drehte sich die große Galeere. Andere Schiffe reagierten ebenso hektisch, und Befehle und Kommandos aus heiseren Kehlen erfüllten die Luft. Das Prasseln der brennenden Schiffe lieferte dazu ein unheimliches Hintergrundgeräusch.
Das Flaggschiff hatte gerade einen Viertelkreis geschafft, als das erste Pictenboot heran war. Ein Drittel der Backbordruderer stieß mit ihren Riemen nach dem Boot, um es auf Abstand zu halten und für ein, zwei Minuten gelang ihnen das auch. Doch die weitere Drehung der Galeere erschwerte ihnen die Abwehr und so verlegten sie sich wieder auf das Rudern und die Unterstützung ihrer Kameraden.
An Deck rannten alle verfügbaren Legionäre mit Eimern herum und bildeten von Steuerbord nach Backbord eine Kette. Die einen schöpften zwischen den Riemen ihrer Ruderer nach Wasser, die anderen schleuderten es auf das brennende Boot.
»Du, trierarchus Farzatio, bleibst hier auf dem Achterdeck und befehligst die Löscharbeiten! Sei gewarnt: Auch wenn hier nur Flammen unsere Gegner zu sein scheinen, könnten sich die Picten dazwischen unbemerkt nähern und uns von Achtern zu entern versuchen. Also behalte das Wasser im Auge!«
Er wartete nicht auf eine Bestätigung, sondern wandte sich an Sidonius Gavius.
»Komm mit mir an den Bug. Dort werden wir uns der Flotte der Picten stellen. Sie kennen vielleicht noch nicht unsere Raben«, sagte er und brachte ein bösartiges Grinsen zustande. »Wir werden ihnen zeigen, wie Römer auf See kämpfen.«
Er wandte sich ab und rannte durch die Mannschaften und Legionäre. Aus den Augenwinkeln sah er, wie ein zweites Boot gefährlich nahe heranglitt und bereits vollständig brannte. Wie eine höllisch heiße Fackel schwamm es auf die Galeere zu und wirkte dabei wie der Eingang zum Orkus. Hässlich kreischende Dämonen schienen in den züngelnden Flammen zu tanzen und die verzweifelten Löschbemühungen der Römer zu verspotten.
Doch deren Anstrengungen zeigten Erfolg. Beide Flammenboote fielen zurück, als die Galeere ihre Wende vollendet hatte und die Ruderer sie wieder ein wenig schneller vorantrieben, als die Strömung die Feuerschiffe.
Marcellus und Gavius atmeten auf, als sie beobachteten, dass auch anderen Triremen das Manöver geglückt war und parallel zu ihnen der zweiten Schiffsformation des Gegners zusteuerten.
Sie sahen aber auch, dass über die Hälfte der römischen Flotte völlig durcheinandergeraten war und viele Schiffe bereits Feuer gefangen hatten. Zu spät erteilte Befehle hatten zu Segeln geführt, die als lodernde und rauchende Fanale die Unfähigkeit ihrer Kommandanten kundtaten.
Der Statthalter und seine rechte Hand bissen die Zähne zusammen, als sie brennende und vor Schmerzen brüllende Männer von den Schiffen springen sahen. Viele davon begannen im Meer zu versinken, anstatt sich schwimmend in Sicherheit zu bringen.
»Schneller!«, schrie Ulpius Marcellus und schlug mit einer Faust auf die Reling.
Der symphonieacus reagierte sofort und erhöhte das Tempo seiner Trommelschläge. Die letzten unkoordiniert rudernden Männer rissen sich förmlich am Riemen und fanden zu ihrem Takt zurück. Das Flaggschiff nahm Geschwindigkeit auf und setzte sich an der Spitze einer erschreckend kleinen Zahl noch voll funktionstüchtiger Triremen in Fahrt.
Ulpius Marcellus musste seine Wut und Ungeduld mit aller Macht bezwingen, um nicht schon jetzt den nächsten Befehl zu geben. Es dauerte quälende zehn Minuten, bis sich hinter ihm 23 weitere Schiffe formierten und auf annähernd die gleiche Geschwindigkeit kamen.
Mit Genugtuung und einem fast grimmigeren Gesicht als Sidonius Gavius registrierte er, dass wenigstens diese Schiffe nicht in Brand geraten waren und sich auf den Kampf konzentrieren konnten.
»Katapulte bereit machen!« Sein Befehl donnerte über das Schiff und zu den unmittelbar neben ihm fahrenden Galeeren. Ein Ruck schien durch Offiziere und Mannschaften zu gehen.
Das war die Art, die sie kannten.
»Entermannschaften in Formation!«
In Reih und Glied standen die Legionäre und mancher lachte, als er die kleinen Currach mit bis an die Grenze zur Überladung bemannten Picten näher kommen sah. Das Tempo der Galeeren war um ein Mehrfaches schneller als das der kleinen Boote. Die Strömung war nun auf ihrer Seite.
»Raben bereit machen!«
Die Mannschaften an den über zehn Meter langen Enterbrücken standen längst bereit. Sie kannten ihre Aufgabe. Jeder Handgriff saß und das Knarzen der Seilzüge und das raue Knacken der Zahnräder gab den wartenden Legionären neuen Mut. Der eiserne Dorn des Corvus hob sich und blinkte mit kalter Härte den Picten entgegen.
Sobald er auf das feindliche Deck schlug, würden sie als eine Wand aus Schilden und Speeren vorrücken. Als die Picten auf Schussweite heran waren, konnte Ulpius Marcellus kaum an sich halten.
»Katapulte … Los!«
Mit harten Schlägen lösten die Bedienmannschaften die Sperrhaken aus den Zahnrädern und kesselgroße Steinbrocken flogen den Picten entgegen.
Doch die warteten nicht, bis die Geschosse auf ihren kleinen Booten einschlugen. Sie hatten nur darauf gewartet, dass die Katapulte ihre tödliche Ladung losließen und somit die Flugbahn erkennbar und unabänderlich war. Sie ruderten blitzschnell und mit großer Wendigkeit auseinander, sodass kein einziges Geschoss sein Ziel fand. Mit kläglichem Klatschen spritzten sie knapp aber wirkungslos an den kleinen Booten vorbei auf die Wasseroberfläche und versanken sofort.
Marcellus sah eine Katapultladung nach der anderen im Meer versinken und schrie seinen Frust hinaus:
»Rammgeschwindigkeit!«
Der symphonieacus hatte den Befehl schon erwartet und sich innerlich darauf gefreut. Es machte ihm immer Spaß, wenn sich das ganze Schiff nach seinem Takt richten musste. Wenn es nach ihm ginge, hätte er das Tempo der genau definierten Rammgeschwindigkeit höher angesetzt, da er diese kurzen und seltenen Momente seiner Macht auskostete. Doch wie immer zähmte er seine Begierde und hielt sich strikt an das vorgeschriebene Tempo. Mit scharf akzentuierten Schlägen trieb er die Ruderer an, und beneidete die Männer, die auf Sträflingsgaleeren ihr Leder in das Fleisch der Ruderer peitschen durften. Mit jedem Schlag auf seine Trommel stellte er sich vor, wie das Blut aus aufplatzenden Wunden über die Rücken der Sträflinge spritzte. Nach diesem Feldzug würde er versuchen, sich auf eines dieser köstlichen Schiffe versetzen zu lassen.
Das Flaggschiff stach durch das Wasser wie ein Messer durch gut abgehangenes Fleisch.
Die kleinen Pictenschiffe schienen davonzustieben wie aufgescheuchte Hühner in der Nacht, wenn ein Marder zu Besuch kam. Und wieder wichen sie im letzten Moment aus und schafften es in fast allen Fällen auch aus der Reichweite der Ruderer zu kommen.
Die römischen Galeeren waren mitten unter den Booten der Caledonier, als diese mit Enterhaken nach ihnen warfen und sich an genau bemessenen Seilen mitschleppen ließen. Bevor die Kommandanten begriffen, was die Picten vorhatten, wurden diese von der Strömung ans Heck der Triremen gezogen und holten nun mit beherzten Zügen die Seile ein. Der erste der Picten kletterte bereits an Bord, als die am anderen Schiffsende in falscher Richtung postierte Entermannschaft endlich reagierte und versuchte, sich dem Feind zu nähern.
Doch sie standen zu dicht gestaffelt und es entstand ein heilloses Durcheinander, bei dem sich die Legionäre selbst behinderten. Ihre restlichen Kameraden, die sich auf dem ganzen Schiff verteilt hatten, standen ihnen ebenfalls im Weg und so ging kostbare Zeit verloren.
Die Speere und Pfeile der Picten hielten reiche Ernte und etliche der Krieger sprangen zu den Ruderern hinunter, um dort wie Marder im Hühnerstall ein Massaker anzurichten. Schwerter und Äxte metzelten ein Drittel der Besatzung und Soldaten nieder, bevor die römische Entermannschaft das Vordeck erreichen konnte.
Und nun stand einem gnadenlosen Hauen und Stechen nichts mehr im Wege.
Keine Flammen.
Kein Rauch.
Keine falsche Richtung.
Beide Seiten kochten vor Wut und viele erfahrene Kämpfer agierten mehr wie Berserker, denn wie aus-gebildete Soldaten.
Die römischen Offiziere, die ihren Verstand noch beisammen hatten, brüllten kurze Befehle in den Kampflärm und hatten wenigstens bei einigen Legionären damit Erfolg.
Die Picten jedoch hackten mit ihren Äxten und Krummschwertern in blutrünstiger Raserei auf die besser gepanzerten Gegner und errangen so zu Beginn die Oberhand. Meter um Meter drängten sie die immer noch uneinheitlich kämpfenden Angreifer über das Deck, das zunehmend rutschiger wurde, je mehr Blut sich darauf ergoss.
Ulpius Marcellus war eingekeilt zwischen hartgesichtigen Männern, denen er an den verkniffenen Mienen ansah, dass sie wussten, dass sie nicht nur ihr eigenes Leben zu schützen hatten. Mehr als eine Schlacht war trotz zahlenmäßiger Überlegenheit verloren gegangen, weil der Anführer gefallen war. Und er wusste dies genau. Es trieb ihm die Zornesröte ins Gesicht und gleichzeitig gab er ihnen recht.
Sidonius Gavius indes stand genau vor ihm und kam in den ersten Minuten des Kampfes den Picten so nahe, dass er ihnen bis auf Armeslänge gegenüberstand. Er tötete einen Mann mit einer fürchterlichen Narbe im Gesicht und fasste neuen Mut, als er kurz darauf einen zweiten Mann mit einem schnellen Schnitt den Kopf vom Hals trennte.
Die Picten fielen wie Gras unter der Sichel und mit einem Mal wandelte sich die anfänglich wütende Raserei der Römer in kaltblütiges Kriegshandwerk.
Mann formierte sich neben Mann und unvermittelt standen sie geschlossen an Deck. Eine verkleinerte Form der Schildkröte wälzte sich nun Schritt für Schritt den Picten entgegen und stach einen nach dem anderen nieder. Von unten drangen die Jubelschreie der überlebenden Ruderer herauf und feuerte die Legionäre an.
Marcellus gestattete sich einen schnellen Blick zurück aufs Achterdeck und sah Farzatio mit erhobenen Daumen dort stehen. Der trierarchus schien die Schlacht zu genießen, denn er grinste schweißüberströmt zu ihm herüber. Und in der gleichen Sekunde, als in Ulpius der Ärger über dieses Verhalten aufstieg, erbleichte der Schiffskommandant und ließ seinen Daumen sinken. Aus der Entfernung sah es so aus, als gefriere dem Mann das Grinsen im Gesicht.
Ulpius Marcellus blickte wieder nach vorn.
Doch statt auf den Rücken des vor ihm kämpfenden Sidonius zu blicken, sah er genau in die Augen eines Picten.
Er riss seinen Schild hoch und konnte im letzten Augenblick den mörderischen Schlag einer blutbefleckten Axt abwehren, die kurz zuvor den Schädel eines Legionärs gespalten hatte. Denn der Picte stand breitbeinig über der Leiche, grinste und rief dem Römer durch den Kampflärm zu:
»Nun, Römer, komm näher. Meine Axt lechzt auch nach deinem Schädel.«
Sagte es und hob die tropfende Waffe zum Schlag.
Ulpius stach blind mit seinem Gladius durch die Lücke der Kämpfer vor ihm und traf auf Widerstand. Ohne auch nur eine Sekunde innezuhalten, zog er zurück und stieß an der gleichen Stelle mit aller Kraft zu. Die Klinge durchstieß eine Brust und die Spitze des Schwertes trat im Rücken des Picten heraus.
Mit röchelndem Gurgeln sank der Mann nieder und sein Blut mischte sich mit dem eines Legionärs, der dort mit starren Augen lag.
Der Statthalter stand nun in der ersten Reihe und kämpfte so verbissen wie die alten Hasen um ihn herum. Sidonius Gavius stand links von ihm. Sein Helm ragte ein wenig aus den anderen heraus und Marcellus sah, wie sein praefectus classis nicht weniger hart kämpfte wie jeder andere Soldat. Noch einmal gelang es ihnen, einige Meter voranzurücken.
Doch dann war endgültig Schluss damit.
Noch während sie kämpften und scheinbar die Picten zurückschlagen konnten, zeigte das Schicksal sein gehässiges Gesicht: Zuerst waren es nur wenige Römer, die Zeit genug hatten, sich ihre Gegner genauer anzusehen. Ausgerechnet ihr Erfolg verschaffte ihnen die Zeit, nicht nur wild um sich zu schlagen, sondern den Feind zu betrachten.
Und das war der Anfang vom Ende.
Gerade eben niedergestreckte Männer standen scheinbar plötzlich wieder lebendig vor ihnen. Das gleiche Gesicht, dieselben blauen Symbole auf der Haut.
Die Römer verstanden nicht, dass geköpfte, amputierte Feinde, die sie sicher getötet zu haben glaubten, erneut vor ihnen standen und sie bedrängten.
Sie wussten nicht, dass es sich dabei um Wiedererweckte handelte, um Spiegelbilder eines Originals, das andere Römer in einer anderen Schlacht schon längst besiegt hatten.
Die Verwirrung wechselte in Entsetzen, als zwei, drei und noch mehr völlig identische Picten vor ihnen standen und ihre Waffen schwangen. Die Abergläubischen unter den Römern riefen ihren Kameraden zu, dass sie von Dämonen angegriffen wurden und Rufe nach Göttern und deren Beistand wurden laut.
Selbst die Offiziere wussten nicht, was sie gegen diese unheimlichen Krieger erwidern sollten und zögerten dort, wo sie hätten agieren müssen. Die Befehle und Kommandos blieben aus, und so begann die Formation zu wanken.
Legionär um Legionär wurde niedergemacht und die hinteren Reihen verstanden nicht, warum ihre Vordermänner sich mit aufgerissenen Augen umdrehten und zu fliehen versuchten.
Nur wenige schafften den Sprung ins Meer.
Und noch weniger blieben an der Wasseroberfläche.
Ulpius Marcellus war einer von ihnen.
Er wurde unter ein Wirrwarr aus Rudern getrieben und konnte sich dort so lange festhalten, bis es ihm gelang, die Verschlüsse seines Brustpanzers zu lösen und ihn in die Tiefe der See sinken zu lassen.
Danach konnte er nur noch mit vor Schreck geweiteten Augen beobachten, wie ein Currach nach dem anderen an den Galeeren anlegte und immer neue Pictenkrieger entließ.
Viele der Gesichter glichen sich wie ein Ei dem anderen.
Nur mit eisernem Willen ertrug Ulpius Marcellus die Tatsache, dass er gerade seine Flotte verlor. Er wusste nicht, wie lange er dem Gemetzel zusah, bis der Rauch seiner brennenden Galeeren sich gnädig über das Meer senkte. Er beobachtete, wie die seltsam widersprüchlichen Strömungen die Skelette ausgebrannter Schiffe auf dem Meer verteilten und eines nach dem anderen in die Tiefe sank.
Er wurde vom Rest der Tragödie abgetrieben und hangelte sich mühsam aus dem kalten Wasser auf ein Stück treibendes Holz, das einmal die Brücke eines Corvus gewesen war. An dem höhnisch nach oben gereckten Dorn klammerte er sich fest und schaukelte im mäßigen Wellengang der See. Mit dem abgerissenen Seil der Enterbrücke band er sich an dem Dorn fest und sank erschöpft nieder. Nur noch schwach hörte er den Kampflärm zu ihm herüberdringen. Die Schreie seiner Soldaten quälten noch lange seine Ohren, bis er endlich bewusstlos wurde und in einen unruhigen Schlaf fiel.
Er wusste nicht, dass ihn das Schicksal einer Strömung anvertraute, die ihn genau dorthin trieb, wo er ursprünglich hatte landen wollen.