Читать книгу Endlich im Knast! - Werner Siegert Ingrid Schumacher - Страница 10
Dr. jur. Olav Schöbel, der Blechschädling
Оглавление„Sag’ mal, Olli, du sitzt hier nun schon wochenlang schweigsam in unserer Runde, hörst uns zu oder auch nicht. Du bist ja so ein Geheimnisvoller. Mann, wie schafft es so einer wie du eigentlich in den Knast, frage ich mich immer. Ein Doktor! Noch dazu ein Doktor jur!“ Niki war es, der dem Schweigsamen so zusetzte.
Wie stets bei schönem Wetter saßen die Senioren-Knastis in ihrer Freizeit auf der Rundbank unter der großen Anstaltslinde.
„Dit habe ich mich ooch schon lange jefragt!“ schloss sich Konni an. „Unsereiner hat ja wirklich was auf dem Kerbholz. Dumm jelaufen irjendwie, dit janze Leben, irjendwann die falsche Weiche jestellt und rumms ging’s bergab, die janze Scheiße eben. Aber du, Mann, so ein feiner Pinkel! Erst habe ick mir jefragt, ob du’n Spitzel bist. Obse dich hier einjeschleust ham, weil se noch irjendwat aus uns rausquetschen wollen.“
„Nee, nee, da könnt Ihr ganz sicher sein. Nee, nee, wie du ganz richtig gesagt hast: Da wird plötzlich im Leben eine Weiche falsch gestellt ...., na ja, falsch, der die Weiche gestellt hat, das war man schon selbst. Du denkst, das ist jetzt ne todsichere Sache, um noch mal richtig Kohle zu machen und endlich die Spielschulden loszuwerden. Ja, ja, ich bin ein Spieler, gebe es zu. Und wenn ich jemals wieder ins Freie dürfte, ich glaube, ich würde gleich wieder anfangen!“
„Aber wegen Spielschulden kommt ja niemand hier in diesen Knast! Das kannste uns nicht weismachen!“ protestierte Niki, der eigentlich Dr. Nikolaus von Nickelmann hieß..
„Nein, nein, das war ja nur der Anfang. Das ist wie ein Strudel im Wasser; der zieht dich ständig weiter in den Abgrund. Einmal angefangen, kommste da nicht mehr raus. Und dann kommt jemand und sagt dir: Ich habe da eine todsichere Sache, und dazu brauchen wir genau einen wie dich!“
„Und wieso? Wieso einen wie dich?“ setzte jetzt der Korbi nach.
„Na ja, ich dachte, ihr wisst das alles längst. Ich bin - oder besser: Ich war von der anderen Seite. Ich war ja Richter .... „
„Richter? Quatsch mit Soße!“ „Das kannst dem Weihnachtsmann erzählen!“ „Dit jibt et doch jarnich!“ „Und ich war Kaiser von China!“ Alle prusteten laut und konsterniert durcheinander.
„....nein, nein, das stimmt schon. Und das war ja das Schlimme. Ich hätte es besser wissen müssen und habe es ja auch besser gewusst.“
„Aber?“
„Aber? Nix aber! Ich dachte einfach, ich mach’ das jetzt mal für kurze Zeit, bis die Kohle da ist, und dann Schluss, dann endlich ein normales Leben, ohne Schulden, Pension reicht ja aus!“
„Ja, und nun? Was haste dir da einjebrockt, dat de jeschnappt worden bist, ehe die Kohle da war?“ wollte Konni, Konrad Kurowski., der Berliner wissen, der - wie er mal erzählte - jemanden abjestochen hatte, im Suff und weil et jerecht war, die jerechte Strafe.
„Ich weiß ja nicht. Vielleicht überlebe ich das ja nicht, hier in der Anstalt, wenn ich das alles breit trete. Vielleicht haut Ihr mir dann einen über die Rübe. Oder Ihr wollt nie wieder was mit mir zu tun haben?“
„Nu mach et ma nich so spannend, Herr Richter! Komm ma rüber mit die Buletten!“
„Na ja, Ihr wart ja doch wohl alle mal Autofahrer, Autobesitzer!“
„Bist du Verkehrsrichter gewesen und hast dich bestechen lassen?“
„Oder hast du einen umgemangelt, im Suff oder mit Schnee?“
„Dafür bekommste doch nicht lebenslänglich!“
„Hatter ja ooch nich!“
Die Sätze prasselten nur so auf den Richter Dr. Olav Schöbel runter. Kaum, dass er folgen konnte, wer von den Parkbank-Kumpeln ihm so zusetzte.
„Nein, nein, wir haben da so eine Clique gebildet, weil, so ein Ding, das konnte man allein gar nicht durchziehen. Im Prinzip ging das so: Du hast ein Auto mit ner kleinen Delle vorne drin, und wenn die Delle noch nicht drin ist, dann haust du einfach eine mit ner Eisenstange rein, vorne, am Kotflügel. Dann stellst du das Auto so an den Straßenrand, dass noch einer vor dir einparken kann. Oder direkt hinter ein geparktes Auto. Wenn der dann rausfährt, dann zeigst du den bei der Polizei an wegen Fahrerflucht, weil er dein Auto beim Ausparken angefahren hat.“
„Hat der doch aber gar nicht!“ Niki kapierte etwas langsam.
„Natürlich nicht. Aber es gibt Zeugen - geschmierte natürlich. Eine junge Frau mit Kinderwagen und mich. Natürlich war ich ein toller Zeuge, als Richter a.D., noch dazu praktizierender Katholik, hochgeachtet!“
„Mann, dit is aber janz jemein! Und det bringt Kohle?“
„Noch nicht sofort. Wenn der nen Anwalt nimmt, kann es mulmig werden. Aber wir hatten es auf Frauen abgesehen. Die sind so von ihrer Unschuld überzeugt, dass sie glauben, keinen Anwalt nehmen zu müssen. Da haben sie schlechte Karten. Der Richter verknackt sie, einmal wegen der Sachbeschädigung, also Schadensersatz, und dann wegen Fahrerflucht. Führerschein weg für ein halbes Jahr!“
„Olli, das war aber wirklich eine fiese Masche, Mannomann! Und dafür hast du dich hergegeben?“
„Alles wegen des Geldes. Natürlich wurde das Auto nicht wirklich repariert. Es gab nur so eine Rechnung. Natürlich überhöht. Dann hat sich bei der armen Sau ein Anwalt oder eine Anwältin gemeldet und hat gesagt, sie wisse, was da Dummes passiert sei. Aber da könne man ja helfen. Klar, das kostet natürlich ein Anwaltshonorar und vielleicht auch noch ein Gutachten. Und eine MPU, eine psychologische Untersuchung, ob der- oder diejenige überhaupt noch geeignet ist, ein Fahrzeug zu führen. Kostet was. Fällt aber nicht günstig aus. Kann man aber - gegen Geld versteht sich - was dran drehen. Die Leute werden mürbe. Müssen nochmal fünf teure Fahrstunden nehmen. Fallen durch. Und zahlen und zahlen. Da fällt für jeden was ab!“
„Und auf so was lässt sich ein ehemaliger Richter ein?“ Korbi konnte seine Abscheu nicht verbergen.
„Wenn dir das Wasser bis zum Hals steht? Zwangsvollstreckung? Verlust der Pension? Hartz IV? - Wir haben diese Masche ja nicht erfunden. Die haben wir aus der Zeitung erfahren. Läuft ja auch jetzt noch. Allzu lange kannst du das in einem Ortsteil nicht machen. Aber da wo eng geparkt werden muss, Auto an Auto steht, abends wenn alle von der Arbeit kommen. Vielleicht war es ja auch nur ein Außenspiegel? Oder es war auf einem Parkplatz vor einer Kneipe? Fahrerflucht mit Alkohol! Manchmal sind die auch so perplex, dass sie ihr Auto vom Gerichtsparkplatz selber nach Hause fahren, obwohl sie ihren Lappen drin haben abgeben müssen! Dann kommt Fahren ohne Fahrerlaubnis dazu! Teuer, teurer, am teuersten!“
„Und immer bist du als Zeuge aufgetreten?“ Niki schüttelte seinen Kopf - vor Abscheu. Sowas hätte ja auch ihm passieren können. Jedem!
„Ja, weil ich als pensionierter Beamter soviel mit meiner Nichte mit dem Kinderwagen unterwegs war. Man muss sich ja bewegen. Das Kind muss raus an die frische Luft!“
„Und dann bist du aufgekippt?“
„Noch nicht gleich. Der Richter war ja auch ein Kumpel von früher. Der war ja eingeweiht. Sag’ ich ja, da gehört ein Netzwerk dazu: Richter, Zeugen, Werkstatt, Anwaltskanzlei, Psychologin, Fahrlehrer, der die Leute sowas von nervös macht, am besten noch ein Typ beim TÜV! Jeder kriegt ein bisschen was ab! Alle von allen!“
Dr. Olav Schöbel spürte wohl, dass sich die Stimmung allmählich voll gegen ihn zu richten begann. Was er ja befürchtet hatte.
„Und wer hat dich zur Strecke gebracht?“ wollte Korbi wissen.
„Ein Typ vom ADAC! Bei dem hatten sich einige solcher Fälle angesammelt. Es war aufgefallen, dass Aus- oder Einpark-Unfälle unverhältnismäßig zugenommen hatten. Was wir nicht überblicken konnten. Da war so was wie eine Mafia entstanden, Ausländer dabei. Die angeblich beschädigten und reparierten Autos waren bei Nachfrage längst über die Grenze! Oder zuletzt gegen Abwrackprämie verschrottet.“
Seine Knastbrüder begannen, sich zu verkrümeln. Mit ihm zusammen auf einer Bank zu sitzen, fanden sie wohl nicht so heimelig. Er war ja keiner „von ihnen“, von jenen, denen - wie sie selbst meinten - das Schicksal übel mitgespielt hatte, das Schicksal, nicht sie selbst. Aber dieser fiese Richter, nee, nee, nee!
„Aber umjebracht haste ja keenen? Dit jing dir ja nur um dit Jeld!“ Konni saß noch als einziger mit ihm in der späten Abendsonne.
„Na ja, jetzt, wo die andern weg sind, kann ich es dir ja noch sagen. Als wir spitz bekamen, dass ein Betroffener Lunte gerochen hatte. Der hatte Verdacht geschöpft, da haben sich zwei Arbeiter aus der Werkstatt den eines Abends vorgenommen und krankenhausreif geprügelt. So nach dem Motto ‚Bürschchen, wenn du noch einmal dumm rumquatschst!’“
„Mannomann, icke möchte nich in deiner Haut stecken. Einen abstechen, das ist eine Sache, der hat et meist ja ooch verdient. Aber sowas? Dat wirste ja für dein janzes Leben nie mehr los! Nie!“
14 Tage später fand man die Leiche von Dr. Olaf Schöbel im Goldfischteich. Morgens, in aller Frühe, als die Hunde rausgelassen wurden, die in dieser Anstalt zu Spürhunden ausgebildet werden sollten, war Rinaldo, ein noch völlig unerzogener Neuzugang, in den Teich gesprungen und fing ganz hektisch an zu bellen.
Da trieb die Leiche zwischen den Seerosen. Mord oder Selbstmord?
„Nu hatter seene Ruhe. Der wäre ja seinet Leben nich mehr jlücklich geword’n. Un wenn et ooch eener von uns jewesen ist, mehr als lebenslänglich kann man schließlich nicht kriejen!“ kommentierte der Lebenslängliche Konni das Geschehen! Und war eigentlich froh, dass sie nun wieder unter sich waren.