Читать книгу Endlich im Knast! - Werner Siegert Ingrid Schumacher - Страница 5

Momentaufnahmen

Оглавление

„Oh, nein!“ rief er, als er die Tasse umstieß und sich ihr Inhalt - eine lauwarme, sirupartige Flüssigkeit aus Pulverkaffee, Süßstoff und Kondensmilch - langsam von dem kleinen Tisch hinuntertropfend auf den Teppich ergoss.

Der schwarze Labrador, der bisher völlig entspannt zu seinen nackten Füßen gelegen hatte, erhob sich langsam und begann schmatzend das Gebräu aufzulecken.

„Warum musst du auch ausgerechnet Rinaldo heißen?“ wandte sich Kommissar Maurice Elsterhorst an seinen Hund. Der warf ihm einen Blick zu, der besagte:

„Auf eine so blöde Frage habe selbst ich keine Antwort.“

Elsterhorst richtete die Tasse auf und stellte sie mit Wucht auf den Unterteller, der daraufhin beleidigt zersprang.

„Warum kannst du nicht einen ganz normalen Namen haben? Rolf oder Hugo oder Rex? Oder meinetwegen auch Beethoven?“

Rinaldo legte den Kopf auf seine Pfoten und blickte ergeben in eine unbestimmte Ferne.

„Es hat keinen Zweck auch nur darüber nachzudenken“, bedeutete das. „Wenn er in dieser Stimmung ist, ist sowieso alles vergeblich.“

An diesem schönen Morgen befand sich Elsterhorst nämlich genau in dem Zustand, in den er immer verfiel, wenn er einen Fall abgeschlossen hatte und eigentlich ein paar Tage wohlverdienten Urlaubs genießen könnte.

„Rinaldo 1“! Das war doch eine Art Fehlkonstruktion von Anfang an. In dem Hirn eines Irren entstanden, der den Labrador in London neben einer Leiche abgelegt hatte.

Und dennoch! Durch diesen Hund und seinen verrückten Namen war es ihm gelungen, in jenes Haus zu kommen, in dem sie gefangen gehalten wurde: Rinaldo Road 1.

Elsterhorst schloss die Augen.

Er sah sie vor sich – Judith – hörte ihre Stimme: „Ich wusste doch, dass du mich finden würdest, Maurice!“

Er riss sich los von dem Bild, das ihn immer wieder heimsuchte.

Vergeblich!

Sein Blick fiel auf ein gerahmtes Foto, das in einem Bücherregal stand: Ein hoch aufgeschossener Junge, der ein kleines, dunkelhaariges Mädchen an der Hand hielt. Auf seinem Rücken hing ein Schulranzen, wie es sie vor vielen Jahren einmal gegeben hatte. Das Kind schaut zu dem Jungen auf.

Gibst du mir Dein Wurstbrot, Maurice? Ich habe solchen Hunger!

Natürlich hatte er ihr sein Brot gegeben und ebenso selbstverständlich hatte er ihr auch den Ranzen zur Schule getragen, so wie er immer getan hatte, worum sie ihn bat.

Er legte das Foto mit dem Glas nach unten auf das Bord. Dann nahm er das Messingtier, das daneben stand, in die Hand und sah es Hass erfüllt an.

Gepard, Leopard, was auch immer es war. Verflucht noch außerdem! Damit hatte es angefangen! Seinetwegen hätte das Ding nie gefunden werden müssen. Er schleuderte es in eine Ecke des Zimmers.

Das erweckte Rinaldo zum Leben. Wie ein Blitz rannte er hin, nahm das unkaputbare Tier behutsam ins Maul und brachte es – um Belohnung bettelnd – zu Elsterhorst zurück.

„Apportieren! Das ist aber auch alles was du kannst.“ Knurrte Elsterhorst.

„Aber was soll ich mit dem?“

Noch während er dem Hund sein angebissenes Croissant gab, sah er sich wieder neben dem Taxi in Soho stehen.

Auf Wiedersehen, Maurice. Ich bleibe hier!“

Aus. Schluss. Ende.

„Komm, Rino“ sagte er zu dem Hund, „wir gehen!“

Er angelte seine Socken und Schuhe unter dem Tisch hervor und zog sie an, während Rinaldo das Croissant in die Kaffeepfütze legte und aufgeregt an der Türe hinauf sprang.

Ab in den Englischen Garten.

Dort gab es keine Geparden, Leoparden oder was sonst auch immer! Da war er mit Judith nie gewesen. Also auch keine Stimmen aus der Vergangenheit. Nur Rinaldo blieb ihm natürlich, den er in einem Anfall von Wahnsinn in London adoptiert hatte, nur um nicht allein heimfahren und ankommen zu müssen.

„Du kannst schließlich nichts dafür“, sagte er zu dem Hund, als er in die U-Bahn einstieg.

Das sah Rinaldo genau so und legte sich friedlich unter den Sitz.

Er zerrte an der Leine, als sie an der Münchner Freiheit ausstiegen. Elsterhorst wäre fast mit einem Mann zusammengestoßen, der auch gerade die Straße überquerte.

Warum der ihm auffiel, konnte er sich zunächst nicht erklären. Es gab dort viele exzentrische Gestalten und eigentlich nahm man sie im Einzelnen schon gar nicht mehr wahr.

Dieser Mann, Elsterhorst nahm an, Elsterhorst nahm wie selbstverständlich an, dass es ein alter Mann war, trug einen ziemlich langen schwarzen Mantel. Sein graues, strähniges Haar fiel ihm bis auf die Schulter. Als ein Windstoß es noch mehr verwirrte, als es ohnehin schon war und er es mit den Händen richten wollte, sah man, dass der Mann Handschuhe trug, weiße Handschuhe. Er ging vornüber gebeugt mit weit ausholenden Schritten.

Der Gang war es, der Elsterhorst faszinierte: Er wirkte unnatürlich, fast wie der einer Comicfigur im Film.

Elsterhorst wollte ihn schon überholen, um ihm ins Gesicht sehen zu können, tat es aber dann doch nicht. Der Mann schritt so schnell aus, dass es aufgefallen wäre, und er nahm den gleichen Weg, den der Kommissar mit Rinaldo eingeschlagen hatte. Der sah auch nicht ein, dass er seine Route ändern sollte. Also folgte er ihm bei sich ständig vergrößerndem Abstand.

Dann sah er ihn wieder - in einiger Entfernung auf einer Bank sitzen.

Ein anderer jüngerer Mann, der eine alte Frau im Rollstuhl vor sich her schob, schien mit ihm zu sprechen. Wieder konnte Elsterhorst sein Gesicht nicht erkennen, weil er den Kopf geneigt hielt.

Dann verabschiedete sich der Jüngere, nachdem er der Frau aus dem Rollstuhl geholfen und sie bequem auf der Bank untergebracht hatte.

Der alte Mann rührte sich nicht.

Selbst als Rinaldo zu der Bank lief und erst ihn, dann die Frau ausgiebig beschnüffelte, zeigte er keine Reaktion.

Die Frau grüßte zu den beiden hinüber.

„Das ist schon in Ordnung so“, sagte sie. „Der ist immer so schweigsam.“

Daraufhin machte sich Elsterhorst auf zu einem etwas weiteren Spaziergang. Da ihn die Neugierde plagte, wählte er jedoch den gleichen Rückweg.

Der alte Mann war inzwischen weg. Rinaldo aber lief gleich zu der Bank. Elsterhorst folgte ihm und ging zu der alten Frau, die seltsam starr da saß und redete sie an.

Als er sie berührte, fiel sie zur Seite.

Er erschrak: Die Frau war tot.

Mehr aus Gewohnheit, denn weil er glaubte, es brauchen zu können, hatte er sein Handy in der Tasche. Sofort rief er den Notarzt und das nächste Polizeirevier an, sollten die doch die Sache übernehmen. Er hatte schließlich Urlaub und immer noch diese blutige Jagd nach dem Goldenen Geparden im Kopf. Sowas schüttelt man nicht einfach ab.

Inzwischen hatte Rinaldo, der verbotenerweise nun ohne Leine herumlief, die Jagd nach einem Kaninchen oder Eichhörnchen aufgenommen.

Als er zurückkam, legte er Elsterhorst einen weißen Handschuh vor die Füße, den dieser mit einem Papiertaschentuch in Empfang nahm.

Endlich im Knast!

Подняться наверх