Читать книгу Rendezvous mit dem Tod - Warum John F. Kennedy sterben musste - Wilfried Huismann - Страница 10

Kein Tanz mit Helena Paz Garro

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Wir machen Helena Paz Garro in der Stadt Cuernavaca ausfindig. In ihrem Bungalow lebt sie gemeinsam mit einem Hund und 35 Katzen. Krankheit und Kummer haben tiefe Furchen in ein schönes Gesicht gegraben. Für das Interview hat sie eine dicke Schicht Lippenstift aufgetragen, der die weißen Filter der Benson&Hedges, die sie pausenlos anzündet, karmesinrot färbt. Die Tochter des großen Octavio Paz – verarmt und vergessen. Dass ihr Vater sie fallen ließ, schmerzt sie bis heute. Ihr kurzes und scharfes Urteil: »Er war ein Reaktionär, Fidel Castros Feind Nummer eins, von der Bourgeoisie gekauft.«

Helena wuchs mit ihrer exzentrischen Mutter auf und lernte auf Reisen nach Wien, Paris, New York, Havanna und Madrid die Großen der Literatur kennen: Nicolas Guillén, Alejo Carpentier, Ernst Jünger. Letzteren liebte sie besonders: »Er war ein Rebell und gleichzeitig konservativ« – ähnlich wie ihre geliebte und tyrannische Mutter. 1956 war auch Che Guevara Gast im Haus ihrer Mutter, als er mit Fidel Castro zusammen im mexikanischen Exil lebte. Ideologisch gesehen war Elena Garro zu der Zeit eine Kommunistenfresserin, was sie jedoch nicht daran hinderte, mit dem linken Jetset Mexikos ausufernde Partys zu feiern.

Nach diesem Ausflug in die gute alte Zeit der kulturpolitischen Kämpfe des Kalten Krieges komme ich zum eigentlichen Anlass meines Besuches: »Haben Sie jemals Lee Harvey Oswald gesehen?« Wider Erwarten wirft Helena Paz Garro mich nicht aus ihrem Patio, sondern nickt nur kurz, bevor sie übergangslos zur Schilderung jener Party übergeht, an der sie als 15-jähriges Mädchen zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Tante Deba teilgenommen hat.

Es wurde viel getanzt: Twist und Rock ’n’ Roll. Alle tranken viel. Ungefähr vierzig Gäste seien anwesend gewesen, darunter auch Silvia Durán und ihr Mann Horacio. Lauter Kommunisten, nur sie und ihre Mutter nicht: »Lee Harvey Oswald war mit zwei anderen Gringos auf der Party. Sie saßen den ganzen Abend in einer Ecke, tranken Bier und unterhielten sich auf Englisch. Oswald wirkte arrogant und aggressiv. Ich fragte Horacio, wer diesen komischen Kerl mitgebracht habe und er sagte, Silvia habe ihn eingeladen.«

»Silvia Durán?«, frage ich nach, um ganz sicherzugehen, dass tatsächlich die Angestellte der kubanischen Botschaft gemeint ist.

»Ja, Silvia. Sie ist mit mir entfernt verwandt, eine Cousine meines Onkels Rubén, und arbeitete damals an der kubanischen Botschaft. Meine Tante Deba stiftete mich an, mit Oswald zu tanzen. Ich ging zu ihm und forderte ihn auf. Er wies mich mit einem schroffen ›No‹ ab. Er war sehr kalt.«

»Warum haben Sie ausgerechnet ihn angesprochen?«

»Er war der attraktivste. Die anderen beiden waren gewöhnliche und langweilige Gringos. Oswald hatte etwas Düsteres, das mich neugierig machte. Ich wollte mehr über ihn erfahren, er faszinierte mich. Ein paar Wochen danach schlugen wir die Zeitung auf und entdeckten sein Foto. Er hatte Kennedy ermordet! Wir waren schockiert und verstört. Meine Mutter vermutete sofort, dass die Kubaner hinter dem Attentat steckten. Sie schleppte mich zum Auto und fuhr mit mir in die Calle Zamora, zur kubanischen Botschaft. Wir stellten uns vor das Tor und schrien: ›Mörder! Ihr habt Präsident Kennedy umgebracht.‹ Die kubanischen Funktionäre steckten ihre Köpfe aus der Tür und lachten uns aus.

So war meine Mutter: spontan und exzentrisch. Später hat sie sich mit Fidel Castro versöhnt, und ihre Bücher wurden in Kuba gedruckt. Sie wurde eine Anhängerin der kubanischen Revolution und hat den Vorfall mit Oswald niemandem mehr erzählt.«

Drei Tage später meldet sich Helena Paz Garro überraschenderweise noch einmal. Sie habe mir das Ende der Geschichte verschwiegen. Denn am Tag nach ihrer lautstarken Protestaktion vor der kubanischen Botschaft sei Manolo Calvillo, ein mexikanischer Regierungsfunktionär und alter Freund ihrer Mutter aufgetaucht: »Er legte eine Schallplatte auf, drehte den Regler auf volle Lautstärke und sagte: Euer Haus wird observiert. Draußen lauern ein paar Gangster, die sollen euch im Auftrag der Kommunisten umbringen. Er brachte uns zu unserem Schutz ins Hotel Vermont. Nach einer Woche konnten wir das Versteck verlassen und nach Hause zurückkehren.«

Ob sie Lee Harvey Oswald noch einmal gesehen hat, will ich wissen. Ja, sie hat: »Am Tag nach der Party traf ich mich mit Silvias Ehemann Horacio auf einen Kaffee im Sanborns-Restaurant. Es war in der Calle Insurgentes Sur. Wir redeten über seine bevorstehende Scheidung von Silvia. Da sehe ich plötzlich diesen Oswald auf dem Bürgersteig, begleitet von den gleichen Männern, mit denen er auch auf der Party war. Ich sage: ›Horacio, da ist dieser komische Gringo wieder. Was weißt du eigentlich über ihn?‹ Horacio antwortet: ›Lass die Fragerei. Er ist ein gefährlicher Mann.‹«

Ich erzähle Helena Paz Garro von meinem Besuch bei Silvia Durán und davon, dass sie behauptet hat, außerhalb der Botschaft keinen Kontakt mit Oswald gehabt zu haben. Helena wiegt den Kopf: »Sie hat Angst. Sie hat viel durchgemacht, als sie nach dem Attentat gegen Kennedy verhaftet wurde. Man hat sie gefoltert.«

»Warum?«

»Frag sie selbst.«

»Hatte Silvia ein Liebesverhältnis mit Oswald?«, hake ich nach.

»Auf alle Fälle waren sie befreundet.«

Silvia Durán bleibt eine rätselhafte Schlüsselfigur in Oswalds Leben – war sie wirklich nur die harmlose kleine Sekretärin in der Konsularabteilung der kubanischen Botschaft, die nichts anderes tat, als dem »verrückten Amerikaner« beim Ausfüllen eines Visumantrages zu helfen? Das wäre selbst in Mexiko kein Grund gewesen, sie zu verhaften und zu foltern. Noch irritierender ist, dass sie uns angelogen hat: Denn nach Aussage von Helena Paz Garro hatte sie auch außerhalb der Botschaft Kontakt mit Oswald. Warum verschweigt sie das? Ich rufe sie noch einmal an, um nachzufragen. Sie bleibt bei ihrer Version, dass sie kein Verhältnis mit Oswald gehabt habe: »Ich wurde nur verhaftet, weil man meine Telefonnummer in Oswalds Notizbuch fand. Ich habe ihn einfach nur freundlich behandelt, so wie man das an jeder Botschaft macht.«

»Von wem sind Sie nach Ihrer Verhaftung vernommen worden?«

»Von Fernando Gutiérrez Barrios.«

»Vom Chef der Geheimpolizei persönlich?«

»Das ist doch verständlich, immerhin ging es um die Ermordung des amerikanischen Präsidenten.«

Silvia Duráns Stimme verfällt in ein erregtes Tremolo: »Alles was ich zu sagen habe, steht im offiziellen Kommuniqué der mexikanischen Polizei vom November 1963. Lesen Sie es nach und lassen Sie mich bitte in Ruhe. Ihre Fragen sind eine Beleidigung für mich.« Ich kann nicht einmal mehr adiós sagen, so schnell hat sie den Hörer aufgelegt.

Mein mexikanischer Kollege Mauricio Laguna Bérber hat genau wie ich das Gefühl, dass Silvia Durán etwas zu verbergen hat. Vor allem aber lässt ihn die Tatsache aufhorchen, dass sie von Gutiérrez Barrios persönlich verhört wurde, dem gefürchteten Chef des Geheimdienstes DFS, der in den Jahren des »Schmutzigen Krieges« hunderte Oppositionelle verhaften, foltern und töten ließ. Gutiérrez hatte eine eigene Todesschwadron, die Brigada Blanca, die unliebsame Kritiker spurlos verschwinden ließ und er unterhielt enge Arbeitskontakte zur CIA. Mauricio hat die Biographie dieses Dunkelmannes im Staatsdienst ausführlich untersucht und ist dabei auf eine irritierende Tatsache gestoßen: »Er arbeitete nicht nur mit der CIA zusammen, sondern auch mit dem kubanischen Geheimdienst. Er und Fidel Castro waren zeitlebens enge Freunde.«

Es begann im Jahr 1956. Fidel Castro und Che Guevara lebten damals im mexikanischen Exil. Wegen »aufrührerischer politischer Agitation« im Gastland Mexiko wurden sie verhaftet und im Gefängnis von Veracruz eingesperrt. Eines Tages tauchte der junge Geheimdienstchef der Stadt, Gutiérrez Barrios auf und ließ sie aus Sympathie für die nationale Revolution auf Kuba frei. Castro und seine Mannen setzten mit dem Motorboot Granma nach Kuba über und begannen ihren Guerillakampf. Das war die Geburtsstunde der kubanischen Revolution. So begann eine lebenslange Männerfreundschaft, die erst mit dem Tod von Senator Fernando Gutiérrez Barrios am 30. Oktober 2000 endete. 6

Rendezvous mit dem Tod - Warum John F. Kennedy sterben musste

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