Читать книгу Das Mitternachtsschiff - Wilfried Schneider - Страница 10
II Und bringe mir eine neue Welt! Necho, Pharao Kemets 1
Оглавление»Abdi-ashirta!« Der Wirt schlug gegen die Türbretter. »Abdiashirta von Zor! Ein Priester des Großen Hauses kommt zu dir! Er selbst! Er läuft neben der Sänfte! Soldaten sind bei ihm! Welcher Ruhm für meine Herberge! Oh ihr Götter! Man wird mich an die Mauer hängen! Meine Gäste schmähten dich, weil du ein Phenesch bist! Vergib mir und dem Haus!«
»Still, Amasis! Ich fühlte mich wohl bei dir.« Der Sidoner verließ sein Zimmer und stieg in den Schankraum hinab. Wie gewöhnlich hockte Kap-tah, der Kesselflicker, auf der Eckbank.
»Phenesch!« Seine zittrige Hand stieß gegen den Becher, rot tröpfelte der Wein auf den gestampften Lehm. Abdi-ashirta beachtete den Alten nicht. Er richtete seinen Gürtel und trat auf die Straße.
Amasis wischte mit dem Arm über den Tisch. Der einsame Gast stierte auf die nasse Haut. »Ein Seemann aus Zor wird als Edler behandelt? Ein Phenesch! Was für Zeiten!«
»Sieh nur!« Amasis zeigte zum Fenstergeviert. »Wie die Gardisten grüßen! Die Hände vor den Knien! Als wäre er ihr Befehlshaber!« Der Rücken eines Soldaten verdeckte die Öffnung. »Was für Zeiten!« Der Wirt schlurfte in die Vorratskammer nach neuem Wein.
Abdi-ashirta verbeugte sich vor dem Priester. »Euer Kommen ist meine Ehre. Die Untätigkeit machte die Tage lang.«
Zwischen zwei Türpfosten erschien ein Gesicht. »Was gibt es in unserer Straße? Oh, Osiris!« Die Peitsche eines Gardisten trieb den Neugierigen hinter die Mauer. Der Soldat folgte ihm in den Wohnraum und warf ihn über das Herdfeuer.
Der Priester lächelte. »Es erwartet dich eine angenehme Umgebung. Ich bin Kerifer-Neith. Wie du hörst, trage ich im Namen die Göttin, der ich diene. ›Er komme zu Neith.‹ Sprich mich nicht so an, es ist nicht Sitte.« Er zeigte auf bröckelnde Hütten, die den Regen fürchteten. Unter den hastenden Füßen der Bewohner sank der Staub in den Gassen nur selten zu Boden.
»Du tauschst das graue Viertel gegen das grüne Land. Dieser Wechsel lässt dich nach Besserem streben. Nun musst du lernen, einem Gott zu begegnen.«
»Du kommst mit Soldaten?« fragte Abdi-ashirta.
»Syrer. Pharao Psammetichs Beute. Der Pöbel ist in Aufruhr. Kemets Feinde säen Gift in die Herzen. Unser Land wollen sie drehen wie ein Boot. Wer keinen Ochsen hat, schreit nach einer Herde, wer kein Korn hat, giert nach dem Speicher. Neith wird sie strafen. Sakinu! Uliliya!« Zwei der Bewaffneten salutierten. »Deine Bewacher. Jeder von ihnen nimmt es mit zwanzig Ruderern auf. Das Metall ihrer Schwerter haben die Götter gesandt.«
Sie liefen durch Menfes Mitte, die Straße lag ruhig. »Du bist Sakinu?« Abdi-ashirta berührte die Stirnnarbe des Gardisten.
»Psammetichs Soldaten, edler Herr. Ich wehrte mich, als sie kamen.«
»Sakinu! Du sprichst sidonisch?«
»Meine Mutter wurde in deiner Stadt geboren. Uliliya aber versteht uns nicht.«
»Schweig, syrische Zunge!« Der Priester wies nach vorn. »Der Große Markt.«
Die Menschen schoben sich durch die Gassen und ballten sich auf dem Platz zu einer erregten Menge. Die Gardisten schützten die Herren mit ihren Leibern. Wie ein Fluss teilte sich das Volk an den Schilden und strömte als schreiender Haufen wieder zusammen. Aus einer Bäckerei stank es nach brennendem Eselsmist. Gerber mit krummen Messern bedrängten zwei Stadtwächter. In den Bierstuben verstummte der Lärm, als die Gruppe vorüber ging.
»Fremder Herr! Kauft einen Ring für Eure Dame! Kommt!«
Uliliya stieß den aufdringlichen Goldschmied zurück. Ein Garkoch mit Tragbrettern drückte sich in eine Mauernische. Der riesige Soldat flößte ihm Furcht ein.
Die Straße wurde breiter, Eukalyptusbäume unterbrachen die Hauszeilen. Die Stimmen des Marktes verstummten.
»Schaff Platz. Hier bedroht uns niemand!« Der Priester stieß Sakinu die Faust in den Rücken. »Frage mich, Seefahrer aus Zor! Ich sehe in deinem Gesicht, was dich quält. In dir steckt die Neugier von zehn Marktweibern.«
»Du kennst meinen Auftrag, Herr?«
»Der Allgewaltige schenkt dir die Gnade seiner Stimme. Ich bin nur der Finger, der dich ruft. Die Kühnheit seiner göttlichen Ideen soll sich unverfälscht auf deinem Gesicht spiegeln.«
»Du versteckst dein Wissen in bunten Worten. Der Kanal! Es ist der Kanal! Er füllt die Hirne in unseren Amtsstuben. Soll ich nach Punt fahren, wie einst König Hirams Gesandtschaft? Oder gar Ophir suchen? Ophir, das wäre unglaublich.«
Aus schmalen Augen blickte der Priester auf den erregten Mann. Sie gingen nebeneinander, manchmal berührten sie sich an Armen und Hüften. Kerifer-Neith schob die Soldaten beiseite. »In Zor ersehnt man den Kanal wie ein Blinder das Sonnenlicht. Das Band nach Süden. Die Straße zum Lazurwasser. Der Weg in das Weihrauchland Punt.«
»Ja, Herr, so ist es! Sidoniens Kaufleute geben schon neue Schiffe in Auftrag, Kartenkundige sitzen an den Tischen der Stadtfürsten. Die Vorsteher der Werften suchen nach Zimmerleuten.«
»Der Kanal! Der Kanal! Jahre schon graben sie wie Erdwürmer, Tragtiere mit schwarzen Laken sind oft gerufen worden in den letzten Monaten.«
»Die Menschen starben nicht vergeblich. Der Kanal wird unsere Länder verbinden. In drei Jahren …«
»… schüttet der Sanddrache ihn zu. Lassen wir das. Schau nach links. Der Tempel des Ptah. Wiedererrichtet auf Befehl des göttlichen Necho.«
Abdi-asirta hörte nicht zu. Der Sanddrache wird ihn zuschütten, das hatte auch der Kesselflicker in der Schankstube von Amasis geschrien. Priester und Volk reden mit einer Zunge! Auch in Zors Ämtern wurde mancher Zweifel gesät.
»Der Tempel ist uralt.« Kerifer-Neith strich mit den Fingerspitzen über die Mauer vor den Säulen. »Diesen früheren Teil ließ man stehen, es geschah auf den Wunsch einer Frau, die Neferheres heißt. Ah, du hebst den Kopf, gut, gut! Einst war der Granit glatt wie Glas. Der Wüstensand hat die Bilder zerstört.« Einem Pflüger fehlten die Ochsen, ein Soldat stritt ohne Wagen. Ein Heerführer zog zur Parade vor seinen König. Die Armee war ausgelöscht.
»So wandelt sich das Werk der Menschen, allein das Kemet der Götter besteht ewig. Vergiss dein bisheriges Leben, Abdiashirta von Zor. Du wirst einen Auftrag erhalten, wie keiner vor dir.«
Gardisten mit rußgeschwärzter Haut liefen vorbei, irgendwo lärmte die Stadt.
»Gehen wir durch die Mauer des Hapi!« mahnte der Priester. »Heute morgen sind die Patrouillen verstärkt worden. Wir rechnen mit Unruhen. Gut, dass die wichtigen Bezirke von Wällen umgeben sind.«
Sakinu schlug gegen die Pforte. In einer Luke zeigten sich Augen. Kerifer Neith hielt sein Amulett hoch. Knarrend öffneten sich die Bohlen.
»Das Viertel der Hochgeborenen?«, fragte Abdi-ashirta. Der Priester nickte und wies zum Fluss. Zwei Falken kreisten über dem Wasser. Die Mauer trennte die Villen am Ufer der Mächtigen von der Volksstadt Menfes. Kerifer-Neith bemerkte den Blick des Sidoners. »Hier ist nicht Zor. Ich hatte Augen ausgesandt und Zungen gaben mir weiter, was diese Augen sahen. Du kannst von deiner Oststadt in den Hafen gehen, ohne dass aus einer Nische schmutzige Finger nach dir greifen. Du lebst jetzt für Dekaden in Menfe, hier trifft sich die Welt und nicht nur ihr bester Teil. Der Schutz ist nötig. Es lebt sich nicht leicht im Zentrum der Macht. Du wirst hier wohnen, denn dein Weg in den Palast führt über Neferheres Haus.«
Sklaven kamen mit der Sänfte. »Steig ein«, forderte der Priester. »Gib der Schönen, was ihr gebührt. In solche Häuser geht man nicht auf eigenen Füßen.« Er zog die Vorhänge zu. »Ist es nicht angenehmer, mit blinden Augen getragen zu werden, als den Schmutz der Gosse zwischen den Zehen zu spüren?«