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Das Blau im Fenster war dunkler geworden. Vom Hapi stieg die Dämmerung in die Gärten, am östlichen Ufer band sie schon die Erde an Nut, den kemetischen Himmel. Re gab dem Ostgebirge sein letztes Licht. Thot, der hilfreiche Mondgott, wies die letzte Barke zum abendlichen Ufer. An einer Torsäule des Wohnhauses lehnte Merit-Re, Neferheres Zofe.

»Chain!« lockte sie, »Chain!« Sakinu brachte ihr die Katze. »Chain!« Merit-Re streichelte das gelbe Fell des Tieres.

Abdi-ashirta verließ sein Zimmer und ging zu dem Syrer. »Uliliya ist in der Gesindestube«, meldete der Soldat. Er setzte den Helm auf, den er am Wasserbecken abgelegt hatte. Merit-Re lief ins Haus.

»Welch eine Villa! Selbst Würdenträger wünschen sich so ein Haus nur in heimlichen Gebeten. Sakinu, hast du schon einmal ganze Tage innerhalb der Mauern verbracht?« Der Seemann betrachtete den Garten, dessen Dattelpalmen, Granatäpfel und Eselsfeigen, Gemüsebeete, Fischteiche und Gehege mit Fasanen und Gänsen das Anwesen von Menfes Märkten unabhängig machten. »Ein Haus mit einem Obergeschoss betrat ich noch nie. Allein die Mittelhalle mit ihrer Dachtreppe ist so groß wie mein Heim in Zor.«

Verlegen hörte der Gardist seinem Gebieter zu, nie hatte ein Herr solche Worte an ihn gerichtet. Er zupfte an den Metallplatten seines Lederwamses, den Schild hatte er an die Beine gelehnt, das Kurzschwert drückte gegen die nackten Oberschenkel.

»Erzähle mir, wie du als Söldner nach Kemet kamst!«, forderte der Admiral.

»Ich … ich weiß nicht, was …«

»Rede, als wäre ich Uliliya.«

»Kemets Soldaten …« Der Gardist zögerte, fasste dann aber Mut. »Kemets Elitetruppen ritten durch unser Dorf. Aus dem Hinterhalt durchbohrten Pfeile den Standartenträger. Vielleicht geschah es aus Rache. Die Soldaten drangen in die Häuser ein.«

»Wie erging es deiner Mutter, der in Sidon Geborenen?«

»Als die Reiter in die Berge entschwunden waren, kamen wir zurück. Ich fand sie hinter dem Haus, auf der Erde liegend. Ein Blatt bedeckte ihre Lippen, es bewegte sich nicht. Ihr Sterben war wohl ein Versehen. Kemeten töten im Krieg keine Frauen und Kinder, wie sie auch keine Bauern töten, müssten sie doch im nächsten Jahr hungern wie das Volk, das sie erobert haben. Später brachte man mich als Gefangenen nach Menfe. Pharao brauchte Gardisten.«

»Geh zur Ruhe, Sakinu. Mich schützt die Nacht.« Abdi-ashirta setzte sich auf eine der Bänke am Brunnen und dachte an sein einsames Leben in Zor. Bei seinen Ankünften hatten ihn stets nur die Schiffseigner begrüßt.

»Du bist allein?«, fragte eine Frauenstimme.

»Merit-Re?«

»Merit-Re ist im Haus. Das Haus ist nun still.«

Abdi-ashirta sprang auf. Neferheres weißes Gewandt streifte das Gras. Im Licht der Hausfackeln bannten ihre großen Augen den Sidoner. Sie trug keine Perücke. Ruhig lagen die in ihre Haarsträhnen geflochtenen Tonkügelchen auf den Schultern. Abdi-ashirta nahm die Hände zur Stirn und verneigte sich.

»Es wird kühl«, sagte die Hausherrin, »gehen wir in die Kammern.«

Abdi-ashirta genoss das gewärmte Wasser im Granitbecken des Erdgeschosses. Brennendes Öl in Kupferkesseln schickte geheizte Luft durch die Kanäle unter den Bodenplatten. Die Stunden mit Neferheres hatten den Seefahrer kaum ermüdet. Seine Lehrer in Zor besaßen die gleichgültigen Stimmen alter Männer, die der morgige Tag wenig interessierte.

»Wie der Boden eines Tempels sich um Stufen erhöht, gliedert sich das Volk der Kemeten. Wie die Gottheiten vom Dunkel des Allerheiligsten verborgen werden, regiert Pharao jenseits alles Vorstellbaren, getragen von der Liebe und Verehrung beider Kemet. Diese Liebe und Verehrung sind wie die Pfeiler, von denen die Dächer der Tempel gehoben werden, dass sie die Wohnungen der Götter berühren.«

So hatte die singende Stimme der hohen kemetischen Frau gesprochen. Der Seefahrer hatte den betörenden Seerosenduft ihres Salbkegels geatmet und kaum den Blick von der schönen Gastgeberin lösen können.

»Pharao trägt nicht die rotweiße Krone beider Kemet, wundere dich nicht. Seinen Kopf bedecken Schwären, er verhüllt sein Haupt.«

Der Seerosenduft war stärker geworden, die Lotosblüte hatte ihren Abendwind in das Mitternachtszimmer gesandt.

»Vor drei Schemu berief Pharao Kaufleute in den Obersten Rat, Säule einer neuen Zeit und ein Ergebnis von Unruhen früherer Tage. Die Priester achteten auf ihren Ruf als treue Diener der Macht. Jetzt aber lerne kennen, was Sterbliche zu tun haben, wenn sie sich dem Göttergleichen nähern dürfen.«

Neferheres sprach noch, als Chons Licht bereits das Zimmer besuchte. Dann aber hatte sie bemerkt, wie der Mann vor ihr sie nicht als Lehrmeisterin wahrnahm, sondern als Frau. Wenig später hatte eine Bedienstete das Bad gerichtet.

Abdi-ashirta streckte sich in dem angenehmen Wasser. Er glaubte Neferheres Stimme zu hören und erinnerte sich, dass eine ungewöhnliche Zuneigung in ihren Worten war, wenn sie über den Pharao sprach. »Ich verstehe es nicht«, sagte er laut. Eine Nubierin kam mit neuer Kleidung und reichte ihm das Trockentuch.

Als er sich wieder zur Hausherrin setzte, trug er den dreimal gewickelten Rock der Oberschicht. Sein sidonisch geschnittenes Haar hatte die dunkelhäutige Frau mit Bienenwachs bestrichen, den Kopf bedeckte eine Rundperücke, wie sie die Oberen Menfes seit der Herrschaft Psammetichs trugen.

»Ich grüße den Kemeten Udjahoresnet.« Die Frau lächelte.

Sie beugte sich vor und berührte das Gesicht des Sidoners mit den Fingerspitzen. »Als ich klein war, erschreckte meine Bewahrerin mich mit Geschichten von Pheneschs. Sie beschrieb euch mit schrecklichen Worten. Die nächtlichen Fantasien eines Mädchens verwandelten die Räuber in kühne Eroberer. Nun sehe ich, die ungestümen Träume wurden dem Kind von Ma’at gegeben. Welch ein Leben ihr führt! Wie interessant du es erzählst!«

Abdi-ashirta lehnte sich zurück. Der niedrige Klappstuhl war unbequem. Die Gänseköpfe, in denen er endete und deren Schnäbel in die Querstreben bissen, drückten gegen seinen Rücken. Winzige Gazellen sprangen in die Eckverbindungen der Tischplatte, die Intarsien schienen sich im flackernden Lampenlicht zu bewegen. Der Kampfergeruch erinnerte ihn an die aus den Ländern jenseits der Ostströme wiederkehrenden Karawanen, deren Holz sie nach Zor brachten. In daraus gefertigten Truhen hielt sich zu Bewahrendes für lange Zeit. Auch Menfes Kammern waren damit ausgestattet.

»Belohne den nicht, der deine Hand küsst, statt sie zu füllen.«

Neferheres hob die Augenbrauen, als der Sidoner laut die altkemetische Tischinschrift vorlas. Sie beugte sich vor. »Iss von den Granatäpfeln, lege dir den Samen der Lotosblüte auf die Zunge.«

Abdi-ashirta hob dankend die Hände. Sie reichte ihm den Weinbecher. »Gib von dem Honig in dein Glas. Er schenkt dir Ruhe.« Die Frau blickte zur Tür. Die Katze kam und legte sich der Herrin zu Füßen. »Chain«, flüsterte die Frau zärtlich, »meine Chain.« Merit-Re brachte einen neuen Leuchter. Neferheres erhob sich. „Es ist spät. Morgen erwartet dich der Göttergleiche. Wir aber werden noch viele gemeinsame Abende haben.«

Abdi-ashirta floh der Schlaf. Das Lager war ungewohnt weich, die Schnüre des Holzrahmens und die federgefüllte Auflage gaben jeder Bewegung nach. Er betastete die geschnitzte Katzengöttin der Kopfstütze und berührte die Wand. »Schön ist ihr Antlitz« schrieb er Neferheres Namen in seiner Sprache. Er strich über den Kalk, der glatt war wie zuvor.

»Du wirst kein Preis sein. Meine Fahrt für den Pharao wird deine Liebe gewinnen.« Er sprach aus, was er dachte, eine Gewohnheit von Kindheit an. Die fremde Welt vor dem Fenster war in die Nacht gesunken. Die Gebete für den neuen Tag in Menfe waren gesprochen. Der Mondgott ließ sein Licht hinter Schleiern, die der Wind der Lotosblüte zum nubischen Haus schickte. Ein Lufthauch bauschte das Fensterleinen, der Atem des Hapi mischte sich mit Neferheres Seerosenduft. Die Eindrücke der im Lichte Res gleißenden Königsgräber, der Palastfeuer und der Weingärten an Menfes Hängen wichen den Erinnerungen des Sidoners an die Farben des Wassers hinter den Säulen des Melkart, als eine starke Strömung sein Schiff auf einen langen Weg in das Abendhaus gerissen hatte. Er sah sich wieder an den milden Ufern jenseits der nördlichen Meerengen, dessen ferne Wälder den Himmel berührten. Er sah das Gesicht Hir-Rectars in jener stürmischen Nacht von Zor und hörte dessen Worte: Niemand fährt nach so einer Fahrt noch einmal auf das Meer.

»Morgen liege ich vor dir. Wohin schickst du mich, Göttergleicher?« Noch während er die Worte zum dunklen Geviert des Südfensters sprach, ahnte er, dass es kein Auftrag war, den Menschen je ausgeführt hatten. In dieser Stunde vor dem Schlaf spürte er in seinem Inneren etwas, das er so stark noch nie erfahren hatte. Es war die Sorge, für eine fremde Welt nicht stark genug zu sein. Endlich gab ihm der Wein Ruhe, er sah im Traum Neferheres Gesicht und hörte ihre Worte.

»Ich kenne deinen Auftrag, Phenesch!«

Er schreckte hoch und wusste nicht, ob sie es in den letzten Stunden so gesagt hatte. Ma’at war an diesem Tag, den Nut nun beendete, eine gütige Göttin, die eine erschreckende Wahrheit verschwieg.

Das Mitternachtsschiff

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