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Kleiner historisch-politologischer Exkurs
ОглавлениеWeltpolitik, die diesen Namen sozusagen geografisch zu Recht trägt, gibt es noch gar nicht so lange, erst seit drei, vier Jahrhunderten. In den Zeiten davor blieb die im Bewusstsein der Menschen und für die Politik eines Staates relevante Außenwelt in der Regel territorial beschränkt. Die »Welt« umfasste noch nicht den gesamten Globus. Die Erde als politisch vorstellbare Einheit gab es noch nicht. Die Menschen kamen erst langsam dazu, global zu denken. Trotzdem existierten und konkurrierten kleine und große Reiche, gab es expansive Kulturen; und freilich jede Menge Kriege und Feldzüge. Manche, wie etwa die Alexanders des Großen, halfen, das Weltbewusstsein der Zeitgenossen erheblich zu erweitern.
Wenn sie das gesamte Beziehungsgefüge der Staaten und anderer grenzüberschreitend aktiver Organisationen und Akteure beschreiben, benutzen die Politologen den Begriff des internationalen Systems. Er ist zunächst rein formaler Natur und soll ein Gebilde kennzeichnen, dessen Zusammenhang und Zusammenhalt inhaltlich auf der allgemeinen Anerkennung eines mal kleineren, mal etwas größeren Minimums von Regeln und Umgangsformen der beteiligten Staaten besteht. Daraus ergibt sich schon rein aus Gründen der wechselseitigen Betroffenheit, der Macht des Faktischen, die Notwendigkeit zur Kommunikation untereinander. Die muss nicht freundlich sein, denn die Konkurrenzen und Interessenkonflikte bestehen ja auch innerhalb eines solchen internationalen Systems. Aber ein Mindestmaß an gültigen Regeln, rechtlich fixiert oder informell, darf nicht unterschritten werden.
Früher blieben internationale Systeme groß-regional beschränkt, etwa das der griechisch-römischen Zeit des Mittelmeerraums. Seit dem 15./16. Jahrhundert expandierte das eurozentrische internationale System des Mittelalters schrittweise über den ganzen Erdball. Es führte im 17. Jahrhundert festere rechtliche und politische Umgangsregeln ein und wurde im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu dem ersten wirklich globalen, d. h. erdumspannenden internationalen System.
Diese Expansion beruhte auf politischen, wirtschaftlichen und technologischen Impulsen, allesamt in sich konfliktreich. Der Erwerb von Kolonien und ihr Zusammenbinden in überseeische Besitztümer ging nicht ohne brutale Eroberungs- und Unterwerfungskriege ab, zugleich aber auch nicht ohne Kriege zwischen den konkurrierenden europäischen Mächten um die Vorherrschaft in Europa. Historiker wie Paul Kennedy haben diesen quasipermanenten Streit um die Vorherrschaft und die Anstrengungen der einzelnen Staaten, sich in der Rangfolge der mächtigsten Staaten besser oder sogar möglichst ganz oben zu positionieren, als einen der Gründe ausgemacht, warum gerade das europäische internationale System sich globalisiert hat.
Jedoch ist die Bezeichnung dieses internationalen Systems als europäisch nur insofern korrekt, als Europa sein Ursprungskontinent ist. Die hier entwickelten Vorstellungen über Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur fassten auch auf anderen Kontinenten Fuß, hauptsächlich über die Migration (aus sehr unterschiedlichen Gründen) und die Übernahme dieser Vorstellungen in manchen der sich früh von Europa politisch emanzipierenden Kolonien. Die »amerikanische Revolution« von 1775/1776 ist dafür das leuchtende Beispiel.