Читать книгу Armee ohne Auftrag - Wilfried von Bredow - Страница 15
Die BRICS-Welt
ОглавлениеDie ersten beiden Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts brachten keine Klarheit darüber, wann, wie und ob sich überhaupt eine stabile oder wenigstens einigermaßen stabile Ordnung des internationalen Systems herauskristallisieren wird. Die Globalisierung jedenfalls sorgt dafür, dass lokale, regionale und sektorale Probleme und Fehlentwicklungen ihre Krisenwellen rasch in alle Welt weit ausbreiten können. Typische Beispiele dafür sind etwa die von amerikanischen Geldhäusern ausgehende Finanzkrise 2008 und die vom Bürgerkrieg in Syrien ausgelöste Flüchtlingswelle 2015. In beiden Fällen taten sich die europäischen Staaten schwer damit, die Folgen dieser Krisen einzudämmen und zu mildern. Von lösen wollen wir gar nicht erst sprechen. Ganz zu schweigen von der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten Pandemie, die uns seit Dezember 2019 in Atem hält.
Die Symptome der gegenwärtigen Unübersichtlichkeit internationaler Politik und ihrer Klimaverschlechterung sind vielfältig; häufig genug verstärken sie sich gegenseitig. In sehr vielen Staaten ist das Regierungspersonal den Aufgaben nicht gewachsen, übermäßig korrupt und mithin ein Hauptproduzent sich ausbreitender Armut und Proteste. Damit erhöht sich die innergesellschaftliche Gewaltbereitschaft. Zwar haben die Regierungen, weil sie über mehr oder weniger gut organisierte und bewaffnete Sicherheitskräfte (Polizei und Streitkräfte) verfügen, hier einen Vorteil. In der Konfrontation mit liberal orientierten und auf Demokratisierungen drängenden oppositionellen Gruppen bleiben sie oft genug Sieger, wie beispielhaft die Bilanz des »Arabischen Frühlings« 2011 zeigt.
Der sich zu Beginn des neuen Jahrhunderts ankündigende Aufstieg einer Reihe von Staaten zu Weltmächten verlief auch anders als gedacht: Die sogenannten BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) bildeten 2006 eine lose organisierte Gruppe, die auch heute noch besteht. Aber viel Gemeinsamkeiten zwischen ihnen gibt es nicht, ausgenommen die Zurückweisung einer von ihnen befürchteten amerikanisch-europäischen Wirtschaftshegemonie. Das reicht aber nicht aus, um als konstruktiver Beitrag zur Stabilisierung der Weltordnung gelten zu können. Den kündigten sie anfangs zwar an, aber dabei ist es dann auch geblieben.
Der brasilianische Präsident Bolsonaro ist zu einem Fan des Politikstils von Donald Trump geworden, beschädigt die ohnehin schwachen Ansätze innergesellschaftlicher Demokratie und billigt oder fördert sogar die Vernichtung des Regenwalds am Amazonas.
Der russische Präsident Putin verfolgt mit seiner Besetzung der ukrainischen Krim, dem nicht erklärten Hybrid-Krieg gegen die Ukraine, dem militärischen Eingreifen in Syrien sowie der nicht ungeschickt in Szene gesetzten Einmischung in innenpolitische Streitigkeiten der USA und europäischer Staaten das langfristige strategische Ziel, Russland wieder auf eine Machtbasis zu stellen, wie sie die UdSSR zwischen 1945 und 1989 innehatte. Die einst sozialistisch-kommunistische Ideologie wird dabei durch kaltschnäuzige Realpolitik ersetzt. Was schon einmal beschönigend als »gelenkte Demokratie« bezeichnet wurde, ist in Wahrheit eine Fake Democracy.
Indien, früher einmal als die »größte Demokratie der Welt« gefeiert, hat unter der Führung von Premierminister Modi und seiner hindu-nationalistischen Partei den Dauerkonflikt mit Pakistan um die Kaschmir-Region neu angeheizt. Die besondere Brisanz dieses mit religiösem Fanatismus auf beiden Seiten aufgeladenen Konflikts – er reicht weit in die Vergangenheit zurück – liegt nicht zuletzt darin, dass Indien und Pakistan über eigene Nuklearwaffen verfügen.
China, das sich bis vor wenigen Jahren noch zu den Entwicklungsländern rechnen ließ, hat inzwischen eine Sonderstellung im internationalen System bezogen. Es ist durch sein wirtschaftliches Wachstum, seine knallharte groß-regionale Vormachtpolitik in Asien und seine behutsam eingefädelten politisch-ökonomischen Verbindungen mit vielen Ländern auf anderen Kontinenten, Afrika etwa, zu dem großen Herausforderer der USA geworden. Mit anderen Worten: Die mit harten Bandagen ausgefochtene Konkurrenz zwischen China und den USA hat sich zum entscheidenden globalen Hegemonialkonflikt ausgeweitet. Zunächst noch vor allem auf der Ebene der Handelsbeziehungen und Technologiepolitik. Aber man muss gar nicht übertrieben furchtsam sein, um auch die Möglichkeit militärischer Konfrontationen in Betracht zu ziehen.
Südafrika schließlich, dem in der Zeit der Präsidentschaft von Nelson Mandela international viel Respekt entgegengebracht wurde, konnte unter seinen Nachfolgern, alles Politiker des African National Congress (ANC), den Erwartungen an das Land als afrikanischer Ordnungsmacht nicht gerecht werden.
Mindestens zwei Staaten aus der BRICS-Gruppe verfolgen inzwischen sehr erfolgreich eigene Hegemonialinteressen, Russland eher auf der Suche nach dem Status, den einst die UdSSR innehatte, China behutsam-aggressiv mit der Ambition, zur dominierenden Weltführungsmacht zu werden. Die Interessen beider Staaten stimmen keineswegs überein, überschneiden sich aber, weil ihnen beiden dieselbe Hürde im Weg steht – die amerikanisch-europäische Allianz. Wie fest diese Allianz allerdings wirklich ist, steht dahin. Russland und China verfolgen seit längerem auf unterschiedliche Weise das Ziel, sie zu untergraben. Aus ihrer Sicht ist das auch sinnvoll.