Читать книгу Armee ohne Auftrag - Wilfried von Bredow - Страница 8
Ruhebedürfnis und gelegentliche Panik
ОглавлениеUm diese Einsicht nachvollziehbar zu machen, werde ich mich nicht nur auf die aktuellen Probleme der deutschen Sicherheitspolitik und der Bundeswehr konzentrieren, sondern weiter ausholen. Deshalb ist diese Studie nach dem Kaskadenmodell aufgebaut.
In ihrem ersten Teil stehen die Veränderungen der politischen Weltlage und die Schwierigkeiten im Vordergrund, ihnen mit angemessenen Konzepten und Strategien für internationale Sicherheit zu begegnen. Der unübersichtlich gewordenen Lage und Entwicklung der Weltpolitik kommt man nämlich mit überalterten Vorstellungen über Frieden und Sicherheit nicht bei. Wenn Staaten und ihre Regierungen über keine wirklich langfristigen Konzepte und Orientierungsrahmen für ihre Außen- und Sicherheitspolitik verfügen, kann das, optimistisch interpretiert, ihre Flexibilität erhöhen. Andererseits reduziert sich dadurch ihre Verlässlichkeit. Beides zu optimieren, ist nicht ganz einfach, vor allem bei internationalen Krisen und Konflikten.
Deutschland befindet sich mit seinen Schwierigkeiten in der Sicherheitspolitik keineswegs völlig allein auf weiter Flur. Das ist nach einem Blick auf andere Staaten auf der weltpolitischen Bühne wichtig festzuhalten, wenn es auch kein Trost ist. Denn die Schwierigkeiten und Probleme Deutschlands haben ein besonders scharfes Profil, weil sich hier vieles mehr und grundlegender als anderswo zu ändern hätte. Die vergleichsweise recht komfortable wirtschaftliche und politische Situation des Landes hat aber gerade nicht dazu geführt, dass sich der sicherheitspolitische Diskurs durch ein bemerkenswertes Maß an zukunftsbezogener politischer Einbildungs- und Urteilskraft auszeichnet. Stattdessen ist er träge, repetitiv, zuweilen rechthaberisch und Ausdruck einer kollektiven Ruhebedürftigkeit, gelegentlich nur unterbrochen durch kurze Phasen kollektiver Panik. Alles in allem angesichts der gegenwärtigen und vor uns liegenden Aufgaben völlig unangemessen.
Im zweiten Teil geht es um die Organisationsrahmen deutscher und europäischer Sicherheit, nämlich die NATO, die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der Europäischen Union und nationale Sicherheitsvorkehrungen. Zwei komplementäre Fragen drücken hier zunächst aufs politische Gemüt: Inwieweit sind die Maßnahmen und Handlungen der von den USA dominierten NATO mit den europäischen Eigenanstrengungen für die Sicherheit Europas vereinbar? Wie ergänzen und wo widersprechen sich amerikanische und europäische Vorstellungen zur Stabilisierung der internationalen Sicherheit? Der Themenkomplex Europäische Sicherheit erweist sich zudem auch deshalb als unübersichtlich, weil die (Führungs-)Rolle Deutschlands in der Europäischen Union einerseits notwendig, andererseits aber umstritten ist, nicht zuletzt in Deutschland selbst.
Der am ausführlichsten geratene dritte Teil beleuchtet die Schwierigkeiten, die Deutschland damit hat zu akzeptieren, dass die Streitkräfte in der Tat ein wesentliches, ja ein unabdingbares Instrument der Sicherheitspolitik sind. Am liebsten würden die Deutschen sie als eine Art Technisches Hilfswerk einsetzen. Die Bundesregierungen haben nach 1990 immer wieder Anläufe zur Reform der Bundeswehr gemacht und ihre Angehörigen damit einem Dauerstress ausgesetzt. Das hat in den letzten Jahren zu einer unguten Problem-Kumulation bei Waffen und Geräten, der Hardware, aber auch in den Köpfen mancher Soldaten, der Software, geführt. Damit müssen wir jetzt fertig werden.
Rein betriebswirtschaftliche und organisations-reforme-rische Lösungen der akuten Probleme greifen ebenso zu kurz wie heftige Schnitte in der Spitzenpersonal-Politik. Stattdessen muss ein größerer Umweg eingeschlagen werden. Es braucht eine kühle Analyse der Ziele, Interessen, Möglichkeiten und erfolgreichen Methoden der deutschen Sicherheitspolitik. Erst dann kann die Grundvorstellung von der Rolle der Streitkräfte als Instrument der Politik angemessen korrigiert werden. Auf dieser Basis können dann Fragen wie »welche Bundeswehr benötigen wir?« und »was darf oder soll sie uns kosten?« sinnvoll beantwortet und danach die nötigen Entscheidungen getroffen werden.