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Weltordnung, heute
ОглавлениеDamit sind wir schon mitten in der Gegenwart angekommen. Jede politische Lagebeurteilung, sei es aus der Perspektive eines Staates wie Deutschland, sei es aus der Perspektive nicht staatlicher Akteure wie Wirtschaftsunternehmen (zum Beispiel Volkswagen) oder humanitärer Organisationen (zum Beispiel Greenpeace), sei es aus der Perspektive eines Individuums, kommt heutzutage nicht um die Einsicht herum, dass viele, wenn nicht die meisten entscheidenden politischen Vorgänge von den Auswirkungen der Globalisierung betroffen werden. Direkt oder indirekt: Arbeitsplätze, staatliche Subventionen, Investitionsentscheidungen, Urlaubspläne. Und ganz besonders die eigene Sicherheit vor ungewollten militärischen und nichtmilitärischen Attacken, denen die unterschiedlichsten Ziele zugrunde liegen können: von politischer Einschüchterung über politische Erpressung bis hin zur Verletzung der territorialen Integrität von Staaten und die Zerstörung ganzer Gemeinschaften im Namen eines religiösen Fanatismus und Fundamentalismus.
Die Frage ist, wie diese gegenwärtige Welt geordnet ist. Gewiss auch, wie sie geordnet sein sollte, um Wohlergehen und Sicherheit überall auf der Welt zu optimieren. Was diese zweite Frage betrifft, da stößt man auf viele Antworten. Aber sie taugen nichts, solange die erste Frage, die nach dem Istzustand der Weltpolitik, unzureichend beantwortet bleibt. Wir wollen uns deshalb an dieser Stelle jedenfalls erst einmal mit dem Istzustand der Weltpolitik beschäftigen. Der sieht betrüblicherweise einigermaßen ramponiert aus. Manche Beobachter drücken das mit einem etwas klobigen Wortspiel aus, wenn sie nämlich nicht von der gegenwärtigen Weltordnung reden, vielmehr von der Weltunordnung (Marsala 2018). Manchmal werden die beiden Verneinungsbuchstaben der Deutlichkeit halber in Klammern gesetzt: Welt(un) ordnung; gelegentlich liest man auch Welt(UN)ordnung, womit zugleich auch die Enttäuschung über die geringen politischen Ordnungskapazitäten der Vereinten Nationen ausgedrückt wird.
Diese Enttäuschung hat ihren Ursprung in der weltpolitischen Entwicklung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, der im Rückblick als eine zwar gespaltene und hochgefährdete Weltordnung mit allerdings durchgängigen Vorteilen für die USA und ihren westlichen Verbündeten (»der Westen«) erscheint. Der Zusammenbruch des von der UdSSR geführten »sozialistischen Lagers« (1989/1990) und schließlich der UdSSR selbst (Ende 1991) schienen den Weg frei zu machen für eine einheitliche, überall auf denselben politischen und ökonomischen Grundsätzen beruhenden Weltordnung.
Zwei Visionen boten sich dafür an:
1.Die auf multinationaler Kooperation beruhende Aufwertung und Stärkung der Vereinten Nationen sowie regionaler kollektiver Sicherheitsorganisationen (zum Beispiel der KSZE/OSZE).
2.Die wohlwollende Vorherrschaft der USA als der, wie es hieß, einzig verbliebenen Supermacht.
Auch die Vorstellungen einer weltumfassenden internationalen Kooperation und vom Multilateralismus basieren letztlich auf dem amerikanisch-europäischen Ordnungsmodell für die Welt. In den meisten westlichen Ländern herrschte die Meinung vor, dass die Werte und Grundkonzepte dieses Ordnungsmodells in der einen oder anderen Variante universelle Gültigkeit erlangen würden. Nur isolierte Außenseiter-Staaten, Rogue States in der Sprache von Präsident von George W. Bush (Amtszeit 2001–2009), oder kriminelle Warlords würden sich dem in den Weg stellen. Wer das wagte, würde von der geballten Macht der »internationalen Staatengemeinschaft« zur Raison gebracht. Begleiterscheinung solcher überoptimistischen und kurzsichtigen Hoffnungen war die Bereitschaft vieler westlicher Staaten, ihre Rüstungsausgaben merklich zurückzufahren und den Umfang ihrer Streitkräfte deutlich zu verringern (»Friedensdividende«).
Tatsächlich vermochte sich jedoch keine der beiden Versionen einer Weltordnung unter maßgeblichem Einfluss westlicher Ideen und Wertvorstellungen durchzusetzen.
Schon gar nicht die kooperativ-harmonische UNO-Version, denn schnell stellte sich heraus, dass die weit überwiegende Mehrheit ihrer Mitglieder ihre unterschiedlichen und oft gegenläufigen Interessen eben nicht friedlich-schiedlich abgleichen wollten. Sie betrachteten die Vereinten Nationen lediglich dann als nützlich, wenn von ihr Unterstützung für die eigenen Interessen zu erwarten war. Außerdem sträubten sich die fünf Veto-Mächte im entscheidenden UNO-Gremium, ihrem Sicherheitsrat, gegen dessen Reform, mit der die Repräsentanz anderer regionaler Mächte und Kontinente hätte erhöht werden können. Folglich achteten sie eifersüchtig darauf, dass ihre jeweiligen außenpolitischen Einflussmöglichkeiten nicht durch irgendwelche Gremienbeschlüsse angekratzt wurden. So blieben die Vereinten Nationen auch weiterhin hauptsächlich ein Forum für die Selbstdarstellung der Staaten, der Organisationsrahmen von »Weltkonferenzen« mit schön klingenden Proklamationen und Resolutionen an ihrem Ende und zuständig für die Koordination von Löscharbeiten (»Friedensmissionen«) dort, wo lokale und regionale Konflikte zu eskalieren drohten und keine Großmacht Einwände gegen ein Eingreifen zwecks Deeskalation dieser Konflikte vorbrachte.
Auch die amerikanische Vision einer neuen Weltordnung, zunächst noch mit Verve von Präsident George Bush (Amtszeit 1989–1993) antizipiert, hat sich bald in Luft aufgelöst. Der »Krieg gegen den internationalen Terrorismus«, der in Washington nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ausgerufen wurde, zeitigte zwar fast überall in der Welt (außer in einigen arabischen Ländern) große Zustimmung. Die NATO rief sogar zum ersten Mal in ihrer Geschichte den Bündnisfall aus. Der deutsche Bundeskanzler versicherte den USA seiner »uneingeschränkten Solidarität«. Überraschenderweise nahmen auch viele solcher Regierungen den Terminus vom Krieg gegen den Terrorismus auf, denen man ansonsten nicht gerade eine tiefe Verbundenheit mit den USA oder dem Westen nachsagen konnte. Sie hatten ihre Gründe.
Denn recht bald stellte sich heraus, dass die uneingeschränkte Solidarität nur eine rhetorische Formel war und dass viele Länder ihre eigenen, in der Hauptsache innenpolitisch geprägten Vorstellungen darüber hatten, wer alles als Terrorist zu gelten hatte und wie man gegen sie vorgehen sollte. So war für die Regierung in Peking klar, dass die im Westen Chinas lebenden muslimischen Uiguren als Terroristen zu bekämpfen seien; in der Türkei wurden politische Organisationen der Kurden, auch wenn sie sich von Terror-Methoden distanzierten, als Terroristen stigmatisiert usw. Mit der Terrorismuskeule wurden Gerechte und Ungerechte geschlagen. Wieder einmal traf der alte Spruch zu: »Was dem einen ein Terrorist ist, ist dem anderen ein Freiheitskämpfer.«