Читать книгу Die Nacht der Schakale - Will Berthold - Страница 8
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ОглавлениеGregory behielt natürlich wieder einmal recht: Nach meinem Sturz aus den Wolken waren ein paar Stunden Schlaf für mich vorderhand das wichtigste. Ich war darauf trainiert, Gedanken abzuschalten und sofort hinüberzudämmern und mit möglichst wenig Zeitaufwand rasche Erholung zu finden. Ich hatte die Kopfuhr so eingestellt, daß ich spätestens um fünf Uhr erwachen würde. Es war dann in Pullach eine Stunde vor Mitternacht, genau die richtige Zeit, um mit Steve ein privat-dienstliches Gespräch ohne Zuhörer zu führen.
Es ging reibungslos, ich kam sofort durch.
»Ich habe auf deinen Anruf gewartet, Lefty«, sagte Steve, seine Stimme klang frisch und so nahe, als käme sie aus dem Nachbarhaus. »Ich hätte dich gerne hier – bei der Lösung einer ganz speziellen Denksportaufgabe.« Er zögerte kurz. »Aber ich weiß auch, daß du deine Koffer bei uns eigentlich schon gepackt hast«, schränkte er ein.
»Mach dir keine Sorgen«, erwiderte ich. »In diesen Dingen habe ich ja schließlich Übung.« Nach kurzer Pause fragte ich: »Die Operation, die du leitest, geht also weiter?«
»Ich leite sie noch nicht«, erwiderte er lachend. »Aber die zweite Runde hat schon begonnen.«
Die Innendienstler des Headquarters in Langley sahen in Steve Cassidy bereits übereinstimmend den Nachfolger des großen Gregory, aber wie ich den CIA-Vice kannte, würde er wohl noch mit achtzig an seinem Schreibtisch sitzen und seine Leute mit der abgedroschenen Spionageweisheit traktieren, daß die Achillesferse bei einem Mann an einer ganz anderen Stelle sitzt. »Ich halte die neuste Entwicklung noch unter Verschluß«, sagte Steve. »Es läuft alles gut, aber es wächst mir über den Kopf.«
Wir konnten offen miteinander sprechen; der Anruf lief über Verzerrer. Wer das Telefongespräch abhörte, vernahm nur einen ungenießbaren Silbensalat.
»Bali ist sicher schöner«, fuhr Steve fort, »aber hier ist es interessanter und inzwischen genauso heiß, wenn nicht noch heißer. Was immer du über diesen Fall gehört hast, ist eine Untertreibung, Lefty«, stellte Steve fest, sonst ein Mann des Understatements.
»Gut«, entgegnete ich. »Ich komme so rasch wie möglich.« Wahrscheinlich war es gar kein freier Entschluß, den ich wiedergab. Ich hatte kaum eine andere Wahl und konnte Steve natürlich nicht büßen lassen, was Gregory an mir verbrochen hatte.
Ich stellte mich unter die Brause. Das kalte Wasser schnitt in meine Haut, die vor ein paar Stunden noch Vanessa hörig gewesen war, so sehr, daß ich bei jeder Erinnerung an sie ihre Hände auf meinem Körper gespürt hatte – schöne, langgliedrige, zärtliche Hände. Aber ich war auch darauf gedrillt, hinderliche Impressionen abzuschütteln, um mit klarem Kopf in die Wirklichkeit einzusteigen, und so hieß es, die tumbe Haut wieder taub zu machen.
Vanessa war eine Illusion gewesen, eine Seifenblase, ein Security-check, bei dem ich verdammt schlecht abgeschnitten hatte, mehr männlich als dienstlich betrachtet. Ich konnte der Engländerin nicht einmal gram sein, daß sie mich im Auftrag unserer honetten Liga genauso ausgehorcht hatte, wie ich zuvor schon viele andere, auf die ich angesetzt war.
Vanessa hatte mich noch nie gesehen, kein Wort mit mir gesprochen, bevor sie in wirklich gekonnter Weise auftragsgemäß meine Bekanntschaft machte, unauffällig, nur ein klein wenig exponiert. Der Tor, der aus der Deckung trat, war ich gewesen, nicht sie.
Es fehlte noch, daß ich begänne, eine Frau zu verteidigen, die sich an meinen Gefühlen vergriffen hatte. Was heißt schon Gefühle, wies ich mich zurecht: Sommer, Sonne, Exotik. Der sanfte Schlag der Wellen. Der Strand im Silberlicht und die mitternachtsblaue Erwartung von Bali – wer hier nicht zum Romantiker wird, mußte wohl blind, taub, gefühllos, unmusikalisch sein und dazu noch ein Eunuch.
In einem Akt der Selbsterforschung ging ich die Tage und Stunden, Worte und Liebkosungen noch einmal durch und landete immer wieder bei ihrem Zögern auf meine Bitte, in Bali meine Rückkehr abzuwarten. Diese wenigen Sekunden sprachen für sie und zeigten mir zumindest, daß es Vanessa nicht leichtgefallen sein konnte, mich zu belügen. Mir fiel es offensichtlich auch nicht leicht, eine Niederlage einzugestehen. Vanessa war nicht Romeos Julia, sondern eher eine Judith, die dem feindlichen Kriegsherrn auf dem Liebeslager den Kopf abgeschlagen hatte.
Ich war nicht Holofernes, mein Kopf saß noch fest, aber meine Gedanken flatterten durcheinander wie geköpfte Hühner. Mit einer Art grimmiger Befriedigung stellte ich fest, daß mein jahrelanges Berufstraining, Empfindungen auszuknipsen wie elektrisches Licht, bei Vanessa offensichtlich versagte.
Es war jetzt sechs Uhr. Ich bin ein Morgenmensch und um diese Stunde besonders ansprechbar. Endlich müßte der Spuk enden, aber da irrte ich, denn ich ertappte mich wieder bei der Frage, ob Vanessa eine gute Laiendarstellerin sein konnte. Ich kochte mir einen starken Kaffee und kämpfte gegen die Versuchung, noch vor Dienstantritt Pythia aufzusuchen, wie wir im Wald von Langley die vielbegehrte Dame nannten.
Sie war nicht aus Fleisch und Blut, sondern bestand aus Drähten und Sicherungen, Transistoren und Mikroprozessoren. Sie hatte auch nichts mit dem Orakel von Delphi zu tun; sie war beinahe eine Alleswisserin. Ein kleines Heer von Programmierern stand in ihren Diensten und war gehalten, noch am gleichen Tag die im Headquarter aus aller Welt eingehenden Informationen auf Magnetband zu speichern und nachzutragen. Die Programme, im Fach-Chinesisch Software genannt, stellten geballtes Wissen rund um den Globus dar und konnten in Sekundenschnelle ebenso feststellen, wieviel Mega-Tote eine sowjetische SS-II-Rakete bei einem Einschlag auf Bonn, Paris oder London produzieren würde, welche Politiker in einer harmonischen Ehe lebten und welche heimlich ins Bordell gingen, welche Positionen sie beim Liebesspiel bevorzugten und ob sie mehr für blonde, rote oder schwarzhaarige Partnerinnen waren; ob sie Tiere liebten, an Bluthochdruck litten und ob sie in ihrer Jugend die Röteln gehabt hatten, die politischen. Das Wesentliche stand neben dem Unwesentlichen; Nebensächlichkeiten gebärdeten sich größenwahnsinnig, und wenn man es wissen wollte, konnte man auch in wenigen Sekunden feststellen, mit wem und wie lange sich die streunende Gattin des kanadischen Premierministers zuletzt verlustiert hatte.
Der Computer war dabei, den Menschen zu seinem Spielzeug zu machen; der Zauberlehrling hatte sich längst über seinen Schöpfer erhoben und begonnen, ihn zu manipulieren. Es war kein Zufall, daß in fast allen Ländern der Erde die Geheimdienste die ersten gewesen waren, die eine elektronische Datenbank angelegt hatten. Der Mensch, das Ebenbild Gottes, bestand nicht mehr aus Leib und Seele, sondern aus Chips und Bits, der Recheneinheit seelenloser Roboter.
Natürlich war Pythia streng bewacht und nicht jedem zugänglich. Selbst wer Zutritt zu ihr hatte, konnte nicht alles von ihr erfahren, was sie wußte. Wer sie konsultieren durfte, hatte ein persönliches Code-Wort zu nennen; es enthielt automatisch die Sicherheits-Kategorie, in die Abfrager eingeteilt waren.
Es gab fünf, deren erste nur dem obersten CIA-Gewaltigen zugänglich war.
Steve Cassidy hatte mit der Category II die höchste Spitze erreicht, solange er nicht tatsächlich auf dem Stuhl Gregorys sitzen würde. Ich, zur Gruppe III gehörend, konnte mich über mangelndes Vertrauen nicht beschweren.
Die Männer, die Pythia bewachten, speisten und betreuten, wunderten sich nicht, daß ich schon um sieben Uhr morgens im Demonstrationsraum erschien. Ich war schon öfter zu dieser Stunde hier aufgetaucht, freilich nie einer eigentlich mehr persönlichen Nachforschung wegen.
Man ließ mich allein. Niemand brauchte meine Legitimation zu überprüfen. Pythia kontrollierte sich gewissermaßen selbst, und ein Geheimnisträger der Category III konnte Fakten bis zur Geheimhaltungsstufe III abrufen.
Ich nannte mein Code-Wort und rief dann vanessa miles ab.
Fehlanzeige.
Vermutlich wurde die Engländerin unter einem anderen Namen gespeichert.
Ich gab ihre Beschreibung ein.
Fehlanzeige.
Entweder war die subversive Ferienfreundin noch nicht im Programm enthalten oder in der Geheimhaltung so hoch eingestuft, daß meine Code-Vollmacht nicht ausreichte. Vielleicht aber hatte ich auch ihre Beschreibung nicht ganz exakt durchgegeben.
Ich präzisierte sie noch einmal.
Es war ja zu erwarten gewesen, daß der große Gregory seine Security-Lady nicht von mir entblättern lassen würde. Vermutlich erführe er jetzt gleich beim Betreten der siebten Etage, daß ich Pythia aufgesucht hatte, und genösse meinen Reinfall: Die Identität einer CIA-Mitarbeiterin, die mich zu kontrollieren hatte, war ein Tabu und mußte es aus dienstlichen Gründen auch bleiben – aber schließlich gab es ja auch noch persönliche Gründe.
Ich gab mich nicht so leicht geschlagen.
Nach einigem Nachdenken hatte ich eine brauchbare Idee.
Ich rief mich selbst ab.
Verblüffend schnell tauchte auch schon ein Konterfei auf dem Bildschirm auf: Längliches Gesicht, dichte Haare, schräg zueinander abgesetzte Augen, massive Nase, ausgeprägtes Kinn. Das Foto war nicht übertrieben schmeichelhaft, aber es ließ sich auch nicht übersehen, daß es mich darstellte.
Ich rief weitere Daten ab; der Bildschirm behauptete, ich sei verläßlich und zäh, entscheidungsschnell und intelligent, meine Kostenabrechnungen seien korrekt, meine Verdauung sei in Ordnung und mein Auftreten im Privatleben maßvoll distanziert. Dann wurden einige Fälle aufgezählt, an die ich gesetzt worden war und die ich angeblich so diskret gelöst hätte, daß meine Versetzung in den diplomatischen Dienst von der Agency befürwortet würde. Meine deutsche Abstammung wurde ebenso vermerkt wie die Tatsache, daß ich keine näheren lebenden Verwandten mehr hätte. Das Spieglein an der Wand sagte mir dann auch, daß gegen mein späteres Aufrücken in die Category II vorderhand keine Bedenken bestünden. Man hatte mich wirklich fair eingeschätzt, und alles in allem war mein Persönlichkeitsbild eher schmeichelhaft.
Aber das alles interessierte mich weit weniger als die letzte Ergänzung, in der es hieß, daß ich nach Beobachtungen der Kontaktperson Fxix-199 zwar sexuell ansprechbar sei und romantische Neigungen zeigte, sofern die Partnerin den richtigen Ton träfe.
Ich zündete mir eine Zigarette an, um den Tiefschlag zu verdauen. Ich hatte vergessen, daß ich seit Wochen nur kalt rauchte. Und dann rief ich die F-Kontakt-Person ab – F stand für femal, weiblich. Ich zog noch heftiger an meiner Zigarette, denn jetzt erschien Vanessa auf dem Bildschirm.
Sie hieß nicht Vanessa, sondern Madge, und nicht Miles, sondern Fiddler; sie war nicht 29, sondern 32, keine Junggesellin, sondern eine junge Witwe, seit dem plötzlichen Unfalltod ihres Mannes vor drei Jahren in Nicaragua. Sie war keine Engländerin, sondern stammte aus Boston/Massachusetts, und Bali war ihr erster Einsatz gewesen.
Viel mehr gab ihr Karteiblatt nicht her.
Vorderhand genügte mir das, und ich spürte einen wilden Triumph, daß es mir gelungen war, mit Pythias Hilfe den großen Gregory zu übertölpeln.
Entweder wußte er es nicht, oder er ließ es sich nicht anmerken, als ich ihm Punkt neun Uhr in seinem Office gegenübertrat. Diesmal löffelte er keinen Joghurt, sondern Corn-flakes, und zwar so genüßlich, als wäre es Kaviar.
»Guten Morgen, Sir, und guten Appetit«, begrüßte ich ihn. »Sie tun wirklich viel für Ihre Gesundheit.«
»Thanks a lot«, entgegnete er. »Ausgeruht, Lefty?«
»Ziemlich.«
»Sie haben mit Steve Cassidy gesprochen?«
»Ja«, antwortete ich. »Er ist Ihrer Meinung, Sir.«
»Wann fliegen Sie?« fragte er, viel zu selbstherrlich, um sich zu vergewissern, ob ich überhaupt nach Deutschland abreisen würde.
»Sowie Sie es für angebracht halten, Sir.«
»Thanks, Lefty«, entgegnete der Vice, »Ich werde Ihren Eifer bei der abschließenden Beurteilung nicht vergessen.« Er schob seinen Teller beiseite. »Nunmehr sehe ich mich auch in der Lage, einige Ergänzungen nachzutragen«, schönte er die Tatsache, daß er mir gestern ein unvollständiges Dossier zur Analyse übergeben hatte. »Der Verrat Nummer drei in den Flugzeugwerken bei München hat eine natürliche Erklärung gefunden. Ihrem Freund Steve war aufgefallen, daß der anonyme Anrufer nicht – wie bei den vorhergehenden Hinweisen – mit einer neutralen Kunststimme gesprochen hatte, sondern mit seiner natürlichen. In Zusammenarbeit mit den BND-Leuten ließ Cassidy in der Kantine verbreiten, der Informant könne mit einer hohen Belohnung rechnen, wenn er zum Vorschein käme. Schon einen Tag später meldete sich ein Mann aus dem Ingenieurbüro und gab an, der Anrufer zu sein. Er habe nicht als Denuziant seiner Arbeitskollegen dastehen wollen, umgekehrt aber auch nicht zusehen können, wie seine Firma Schaden erleide.«
»Und die Stimme war identisch?« fragt ich.
»Kein Zweifel.«
Ich wunderte mich, daß Gregory trotz dieser eigentlich negativen Sachlage so optimistisch war.
»Aber die Kunststimme hat sich inzwischen wieder gemeldet«, klärte er das Rätsel. »Auf einer Tonbandkassette, die Pullach zugesandt wurde«, berichtete der große Gregory. »Ein Unbekannter hat sich als der Sperber und als ein Stasi-Spitzenmann vorgestellt, der, unzufrieden mit den DDR-Verhältnissen, sich unter Umständen in den Westen absetzen wolle.«
»Welche Umstände?« fragte ich. »Geld?«
»Sie Hellseher«, entgegnete er. »Fünfhunderttausend Dollar.«
»Wo und wie sollen die Übergabeverhandlungen stattfinden?«
»Soweit sind wir noch lange nicht. Es gibt gewisse Hinweise, daß in Bonns Auswärtigem Amt eine undichte Stelle sein muß. Wir werden als Vorleistung die Nennung eines potentiellen Verräters verlangen. Erst nach diesem Test sollen BND und CIA in einer Gemeinschaftsaktion dem Angebot nähertreten.«
»Und wenn es keinen AA-Maulwurf gibt?« fragte ich. »Schließlich sind das ja bis jetzt erst unbewiesene Gerüchte.«
»Dann werden wir einen anderen Test veranstalten. Leider gibt es reichlich Nüsse, die zu knacken sind.«
»Sie wollen also bezahlen, Sir?«
»Unter Umständen«, entgegnete der Vice. »Aber ich will nicht die Katze im Sack kaufen. Ich bin mit Steve Cassidy der Meinung, daß vielleicht Sie, Lefty …«
»Ich übernehme ungern die Verantwortung für eine halbe Million Dollar, die der US-Steuerzahler wahrscheinlich zum Fenster hinauswirft.«
»Das wäre noch das wenigste«, erwiderte Gregory. »Vielleicht geht es um eine ganz andere Größenordnung. Wenn der Sperber im Auftrag von General Lupus handelt, dann wollen diese Hundesöhne noch weit mehr von uns als eine halbe Million Dollar.«
Er sprach nur aus, was ich längst dachte. Es war wirklich eine vertrackte Lage. Lehnte man das Sperber-Angebot von vornherein ab, drohte Gefahr, daß eine einmalige Chance versiebt würde; stieg man ein, mußte man damit rechnen, in eine Falle zu stolpern, deren Ausmaß man nur ahnen konnte. Ich war lange genug in der Branche, um das Dilemma zu erfassen, und das bedeutete fast automatisch, daß es mich natürlich auch reizte.
»Haben Sie schon gehört, Lefty«, wechselte Gregory sprunghaft das Thema, »Barry Wallner ist tot.«
››Ich habe es noch nicht gehört, Sir«, erwiderte ich.
»Wie gut haben Sie ihn gekannt?«
»Gut genug, um nicht gleich in Tränen auszubrechen«, antwortete ich.
Barry Wallner war ein vielgelesener Enthüllungsjournalist, der für zahlreiche US-Blätter schrieb und in aller Welt nachgedruckt wurde. Er war ungemein einflußreich, und häufig wurden ihm besondere Beziehungen zum State Department, zu Agency und auch zum FBI nachgesagt. Manchmal sah es tatsächlich so aus, ganz bin ich nie dahintergekommen, aber der smarte Barry war uns auch schon ein paarmal in die Quere gekommen, und es hatte Ärger gegeben. Unser Verein hatte so viele Feinde, daß es nur gut sein konnte, wenn es einen weniger gäbe.
»Schlimme Sache«, fuhr Gregory fort. »Abgestürzt mit einer Privatmaschine.« Seine Redseligkeit machte mich hellhörig. »Vor drei Tagen schon. Ursache ungeklärt. Sein Körper so gut wie unkenntlich. Der Mann war überhaupt nur durch seine Fingerabdrücke zu identifizieren.«
»Bedauerlich«, entgegnete ich gefühlsarm. »Und woher haben wir seine Fingerabdrücke gehabt?«
»Er war mal wegen Trunkenheit am Steuer in eine politische Untersuchung geraten«, erläuterte der CIA-Vice.
»Da sieht man, für was Alkohol gut sein kann«, erwiderte ich.
Entgegen seiner Art ließ mir dieser Puritaner die Bemerkung durchgehen. Er sah mich an mit seinen Augen, die wie kleine Krater in einem erloschenen Vulkan wirkten. Ich nahm nicht an, daß er von mir einen Nachruf auf Barry Wallner erwartete, aber wenn er den berühmten Berüchtigten ins Gespräch gebracht hatte, mußte er seine Gründe dafür haben.
»Noch weiß niemand etwas von dem Unfall«, blieb Gregory hartnäckig bei dem abgestürzten Top-Journalisten Barry Wallner. »Wir haben inzwischen die Untersuchung abgeschirmt. Für mich ergaben sich dabei einige interessante Einzelheiten: Der Mann ist Junggeselle. Er hat keine Kinder, keine Eltern mehr, keine Freunde, die ihm besonders nahestanden, und überhaupt …«
»Und vor allem keine Freundin«, warf ich mit einem gewissen Lächeln ein, denn die homophilen Neigungen des Publizisten waren schließlich jedermann bekannt. Es begann mir zu dämmern, worauf der Vice womöglich hinauswollte. Aber ich wehrte mich dagegen, mir jetzt, kurz vor Torschluß, bei einem letzten Einsatz auch noch eine pinkfarbene Identität verpassen zu lassen. Für die Operation selbst spielte es keine Rolle, denn für die Zeit des Einsatzes sind Frauen und Alkohol tabu und, wie ich annehme, für Angehörige des dritten Geschlechts auf Gays, wie man in den Staaten die Freunde der Gleichgeschlechtigkeit nennt.
»Hat eigentlich der Flugzeugabsturz Barry Wallners etwas mit dem Fall Sperber zu tun?« fragte ich.
»Es ist nicht auszuschließen«, antwortete der große Gregory. »Ein Mann wie dieser Enthüllungsjournalist hat seine Finger in vielen heißen Geschichten gehabt.«
»Dann wäre es also kein Absturz, sondern ein Attentat?«
»Nicht so abwegig, wir überprüfen das gerade.«
»Dann ergibt sich die nächste Frage: Wer hat Barry Wallner aus dem Weg räumen wollen?«
»Da gäbe es diverse Möglichkeiten«, erwiderte der Vice. »Sie reichen vom eifersüchtigen Strichjungen bis zum sowjetischen KGB – falls der Mann tatsächlich aus dem Weg geräumt worden ist«, stellte die springlebendige Mumie klar.
»Warum ist eigentlich die Meldung über Barrys Tod noch nicht bekanntgegeben worden?«
»Weil der Fall noch nicht abgeschlossen ist«, erwiderte der CIA-Gewaltige. »Er liegt genauso auf Eis wie der Tote. Sein Agent und Verlag kommen uns insofern entgegen, als sie den Absturz verschweigen wollen, bis Barrys fast abgeschlossenes Manuskript fertiggestellt ist.« Erst jetzt kam er richtig zur Sache. »In der Tat hatte er zuletzt und seit langem an einer brisanten Geschichte gearbeitet. Er wollte ein Buch über Fluchthelfer-Organisationen schreiben. Dabei ist er mit einigen Firmen, wie zum Beispiel der Zürcher trasco ag, ins Geschäft gekommen. Deren Inhaber, Mauro Dressler, ist ein schillernder Abenteurer, ein bedenkenloser Geschäftemacher und erfolgreicher Hasardeur. Ich nehme an, der Name ist Ihnen schon einmal untergekommen, Lefty.«
»Wiederholt«, entgegnete ich.
Die trasco ag (Trans-Commerce-Aktiengesellschaft) war eine Großhandelsfirma im Fluchtgeschäft und machte im Handel keinen Unterschied zwischen Mensch und Geld. Sie schmuggelte Flüchtlinge aus der DDR und importierte illegale Devisen aus Frankreich und Italien in die Schweiz. Der Menschenexport brachte ihr mindestens 30000 pro Kopf; der Geldimport drei Prozent der geschmuggelten Geldsumme. In beiden Fällen hatte der Auftraggeber das Risiko zu tragen, und das hieß gegebenenfalls ein Kopfschuß an der Mauer oder eine mehrjährige Haftstrafe wegen Devisenschiebung.
Mauro Dressler übernahm fast jeden Auftrag; bei ihm ging alles, jedoch nie etwas ohne Geld. Er war nicht der einzige in diesem Metier, doch der erfolgreichste, geduldet im Westen, verhaßt im Osten. Bonn erwog gerade wieder einmal, ein Gesetz gegen seine den Transitweg von und nach Berlin gefährdende Aktivität zu erlassen. Aber das Verbot kommerzieller Fluchthilfe käme sicher aus vielerlei Gründen nicht zustande, und die Zahl der mehr als 700 Flüchtlinge, die die Trasco aus dem sogenannten Arbeiter-und-Bauern-Paradies im deutschen Osten hergeholt hatte – nicht selten auch im Auftrag westlicher Geheimdienste würde sich weiter erhöhen.
Im Machtbereich der DDR galten Leute wie Dressler als Kopfjäger und Menschenhändler. Dem immer wieder von Fluchthelfern übertölpelten Zwangsstaat stand weder moralisch noch juristisch das Recht zu, sich über die gutbezahlten Desperados zu ereifern, die Republikflüchtlingen über die Mauer halfen oder sie durch Minenfelder und Todesstreifen schleusten. Die DDR selbst nutzte im ganz großen Stil die Ware Mensch als Devisenbringer. Es war zu einer Art Waren-Termin-Geschäft geworden, zum Beispiel Häftlinge aus Bautzen gegen harte Währung zum Freikauf feilzubieten.
»Und der Zusammenhang zu unserem No Name Case oder dem Fall Sperber?« erwiderte ich.
»Wird zunächst einmal durch einen Mann namens Forbach hergestellt, der im Auftrag Dresslers Flüchtlinge aus der DDR herausholt, gleichzeitig aber auch für Pullach arbeitet.«
Von ihm hatte der erste, noch sehr vage Hinweis auf einen ganz hochstehenden Überläufer aus dem Osten gestammt.
»Gestern abend aber«, fuhr Gregory fort, »hat Dresslers geschiedene Frau Madeleine einem Spitzenfunktionär des Ostens in einem recht seltsamen Etablissement vermutlich subversives Material übergeben.« Er erhob sich. »Und Max Konopka gehört als potentieller Sperber mit zu unserer ersten Wahl«, stellte er fest.
»Und das Material haben wir?« fragte ich.
»Wir haben es nicht«, entgegnete der große Gregory und erhob sich.
»Sie sehen, Lefty, es gibt viel zu tun, bevor Sie in Ihren neuen Dienst überwechseln und mit dem Whiskyglas in der Hand für Bett und Sternenbanner streiten.« Er reichte mir die Hand. »Den Rest Ihres Lebens können Sie dann ungehindert unter Ihrem richtigen Namen verbringen.«
»Falls er mir wieder einfällt, Sir«, erwiderte ich.
»Sie haben wirklich Einfälle, Lefty«, versetzte Gregory. »Ich freue mich, daß Sie so in Form sind. Irgendwie habe ich Sie doch unterschätzt und nicht damit gerechnet, daß Sie Pythia für private Nachfragen mißbrauchen könnten.«
Er hatte es also doch erfahren.
»Ich müßte Ihnen jetzt einen Verweis erteilen«, fuhr er fort. »Aber ich werde Sie nicht für einen Fehler verantwortlich machen, der mir unterlaufen ist.«
Es war das seltsamste Eingeständnis, das ich je von Gregory gehört hatte. Ich traute ihm nicht, und doch – wie sich hinterher herausstellen sollte – noch immer zu viel.
»Nachdem das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, sehe ich mich gezwungen, Ihnen – entgegen unseren Spielregeln – doch einige Auskünfte persönlicher Art zu erteilen.« Der Vice machte eine Kunstpause, als müßte er einen Anfang suchen und hätte sich seine gezuckerten oder gesalzenen Worte nicht längst zurechtgelegt. »Also, Madge Fiddler ist keine CIA-Bedienstete im üblichen Sinn, Sie wissen ja, Lefty, daß es bei mir keine persönliche Protektion gibt, aber in gewisser Hinsicht ist die Dame mit mir sogar verwandt.«
»Verwandt, Sir?«
»Ja«, bestätigte er. »Madge ist – das heißt natürlich, sie war – die Frau meines einzigen Neffen, eines sehr tüchtigen Rechtsanwalts. Er ist in Managua bei einer Schießerei, mit der er nicht das geringste zu tun gehabt hatte, ums Leben gekommen. Niemand kann sagen, ob Rebellen oder Somoza-Leute ihn getötet haben. Die junge Witwe hatte es schwer, darüber hinwegzukommen. Es war ja auch eine fürchterliche Geschichte. Ich habe mir lange überlegt, wie ich Madge ein wenig ablenken könnte und ob ich es dürfte. Ich habe dann – ihr zuliebe – alle Bedenken zurückgestellt und sie in diese Reisegruppe gesteckt, mit dem Auftrag, den Sie ja nun kennen, Lefty. Auf diese Weise also ist Madge an Sie geraten. Sicher wollte ich weder mit den Gefühlen meiner angeheirateten Nichte noch mit Ihrer Intimsphäre Schindluder treiben«, behauptete Gregory. »Sollten Sie mehr füreinander sein als eine flüchtige Reisebekanntschaft, kann ich es leider nicht mehr ändern. Höhere Gewalt gibt es immer mal, und meistens zur unrechten Zeit.«
Die Vorstellung, daß der Vice Verwandte kennen könnte, war an sich schon absurd, daß er ihnen beistehen würde, geradezu grotesk. Mit diesen Erfahrungen verwirrte er mich jedenfalls momentan mehr als mit dem Sperber-Material.
»Aber etwas müssen Sie mir jetzt versprechen, Lefty«, fuhr er fort. »Keinen Kontakt vor Abschluß dieses Falls. Keinerlei Nachforschungen. Ich verlasse mich darauf.«
»Gut, Sir«, erwiderte ich.
»Hinterher können wir über alles sprechen«, beteuerte die Mumie.
Es war nichts gegen eine solche Vereinbarung einzuwenden; Gregory hatte recht, aber es wäre für mich nur ein Ansporn mehr, so rasch wie möglich mit der Klärung voranzukommen.
Noch in der gleichen Nacht wollte ich nach München abfliegen, falls der CIA-Gewaltige nicht noch einmal in seine Wundertüte griff.