Читать книгу Die Essenz der Landschaftsfotografie - William Neill - Страница 33

VON TRAINING UND ARBEIT

Оглавление

WIE EIN REDAKTIONELLER AUFTRAG EIN UNERWARTETES BILDRESULTAT NACH SICH ZOG

Wann immer Ansel Adams im Alter Vorträge hielt, wies er darauf hin, dass er sechzig Jahre lang als Werbefotograf gearbeitet hatte. Obwohl er durch seine Kunst berühmt geworden war, nahm er Aufträge an und widmete sich Projekten, die ihm halfen, seine Rechnungen zu bezahlen, und die ihm Reisen ermöglichten, bei denen er sich nebenher seinen persönlichen Aufnahmen widmen konnte.

Seine berühmten Bilder von Zitterpappeln in New Mexico sind in einer Pause seines Projekts für Kodak im Südwesten der USA entstanden. Während er im Zweiten Weltkrieg das japanische Internierungslager von Manzanar bei Lone Pine in Kalifornien dokumentierte, schuf Adams zwei Ikonen der Landschaftsfotografie: Winter Sunrise, Sierra Nevada, from Lone Pine, California und Mount Williamson, Sierra Nevada, from Manzanar, California. Adams war oft und lange draußen unterwegs, ganz gleich, ob er nun für einen Auftrag fotografierte oder für sich selbst.

Nichts bringt Ihre Fotografie besser voran als Training und harte Arbeit. Übend bereitet man sich und seine Abläufe darauf vor, ein großartiges Bild zu machen. Die Experimente der Vergangenheit, das Scheitern, das Kopfrechnen für die Belichtung, die Fähigkeit, das Stativ schnell aufzubauen, bevor sich das Licht verändert, das Wissen darum, wie man eine Komposition verfeinert, um wirklich die beste Bildgestaltung zu erzielen: All dies zusammengenommen ist von Nutzen. Es gibt keine Abkürzung zu dem Erfahrungsschatz, auf dessen Grundlage man instinktiv handelt. Erst nach vielen Jahren harter Arbeit läuft die Entscheidungsfindung intuitiv ab, kommt die eigene Sichtweise ans Licht. Der Schlüssel zur eigenen Sichtweise ist Intuition, nicht etwa Technologie oder Ausrüstung.

1995 reisten meine Frau und ich nach Banff und in den Jasper National Park in Kanada, um an meinem Buch The Color of Nature zu arbeiten. Der Auftrag lautete, türkisfarbene Gletscherseen sowie Gletscherspalten und Eishöhlen zu fotografieren, um ihr vom Eis gefiltertes blaues Licht zu zeigen. Ich erfuhr von einer Eishöhle, in der ich hoffentlich das leuchtende Blau finden würde, das ich in anderen Aufnahmen gesehen hatte. Als ich in der Höhle herumspazierte, wirkte das Licht allerdings nicht so sehr blau. Etwa eine Stunde lang fotografierte ich in der Nähe des Höhleneingangs, wo etwas Licht einfiel. Schließlich befand ich, dass ich das Blau nun auf den Film gebannt haben müsste, sofern es überhaupt vorhanden war.

Dann schaltete ich einen Gang höher. Während ich an dem Auftrag zum Buch gearbeitet hatte, waren mir einige interessante Formen weiter hinten in der Höhle aufgefallen. Die Streifenmuster aus eingefrorenem Geröll und die ausgehöhlten Wände versprachen großes Potenzial. Eine weitere Stunde lang arbeitete ich in äußerst spärlichem Licht und machte Belichtungen von vier bis acht Minuten Länge. Ich spielte mit der Bildgestaltung, um zu sehen, wie die Linien der Muster im Bildausschnitt verliefen. Ich veränderte das Verhältnis von Höhlenboden zu Eis im Bild, wechselte zwischen Hoch- und Querformat und veränderte den Kamerastandpunkt für unterschiedliche Perspektiven. Endlich zufrieden wanderte ich zum Auto zurück.

Die erste Stunde, die ich »arbeitend« verbrachte, hatte Ähnlichkeit mit dem Anfertigen von Skizzen. Ich nahm mir Zeit, mich in die Stimmung des Ortes einzufühlen. Währenddessen landeten kontinuierlich Wassertropfen auf mir und meiner Ausrüstung. Ich tröstete mich damit, dass es hier drin trockener war als draußen im strömenden Regen. Die technischen Herausforderungen – die extreme Schärfentiefe (ich konnte ohne Probleme die eisige Höhlendecke über meinem Kopf berühren) und die langen Belichtungszeiten – waren denen ähnlich, die ich in vielen Fotosituationen zuvor »trainiert« hatte, zum Beispiel in den engen Felsschluchten der Slot-Canyons im Südwesten der USA. So, wie ich es dort und in anderen Situationen mit sehr wenig Licht gelernt hatte, glich ich den Schwarzschild-Effekt aus. Dieser Effekt erfordert verlängerte Belichtungszeiten, damit der Film richtig belichtet wird, also verdopple ich den Wert, den mir mein Belichtungsmesser anzeigt. Ich richtete meine 4 × 5-Kamera nahe der Höhlendecke so gut wie möglich aus, konnte dadurch f/32 als moderate Blende einstellen, und meine Belichtungszeiten wurden nicht zu lang. Bei f/64 hätten sie bei fast einer halben Stunde gelegen. Nach vielen Jahren der Übung waren mir diese Lösungen in Fleisch und Blut übergegangen.

Meine Aufnahmen vom blauen Eis waren dann gar nicht so blau und fanden im Buch keine Verwendung. Die Mächtigkeit des Eises an dieser Stelle ließ für eine blaue Färbung nicht genug Licht durch. Die Resultate der Aufnahmen aus jenem Höhlenteil, der mich fasziniert hatte, waren wesentlich besser. Das auf Seite 42 gezeigte Foto aus der Eishöhle ist als Abzug in einer limitierten Auflage in Galerien ausgestellt worden und hat Eingang in den Bildband Landscapes of the Spirit mit meinen besten Aufnahmen gefunden. Außerdem ist es in mehreren Zeitschriftenartikeln veröffentlicht worden. Wie auch immer: Ohne meinen Arbeitsauftrag hätte ich die Höhle nie gefunden. Manchmal sind die Bilder aus der Kategorie »Arbeit« die gleichen wie jene aus der Kategorie »Kunst«. Bei meinem Eis-Bild hat nur die »Kunst«-Variante funktioniert. Manchmal gelingt keines von beiden. Das Einzige, dessen ich mir sicher bin: Übung macht den Meister.

Die Essenz der Landschaftsfotografie

Подняться наверх