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Gisela Stöckelmeier – Seesturmbahn der Gefühle

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»Hach ja, die Leichtigkeit des Seins«, dachte ich mir, obwohl ich eigentlich nicht so recht weiß, was das bedeuten soll. Der Ausblick vom Riesenrad aus über Bad Wolgersheim war einfach atemberaubend. Verträumt lehnte ich meinen Kopf an Carlos’ Schulter, der neben mir in der Gondel saß, und genoss einfach nur den Moment. Carlos unterdessen genoss alles andere als den Moment, denn er hat Höhenangst, die sich langsam, aber sicher als Durchfall bemerkbar machte. Er würdigte die wundervolle Aussicht keines Blickes und klammerte sich stattdessen am Drehmodul in der Mitte der Riesenradgondel fest. »Giesla, wann hört das mit dem Riesenrad auf? Ich glaub, ich muss ganz dringend groß, weil es mir hier zu hoch ist.«

»Boah, Menschenskinder, Carlos«, antwortete ich. »Mit dir kann man es wirklich nirgendwo schön haben, das regt mich so dermaßen auf!«

»Aber Giesla, ich fürchte mich doch so in dem Riesenrad, was soll ich denn machen?«

»Was du machen sollst? Wie wär’s mal mit Schnauze halten und die Riesenradfahrt wie ein echter Mann genießen und nicht wie ein jämmerlicher Versager in die Hose scheißen, die ICH zu Hause wieder waschen darf, weil du Haushaltslegastheniker nicht mal dazu fähig bist, Weichspüler von Baileys zu unterscheiden!«

Und es kam, wie es kommen musste. Carlos’ komisches Gefühl im Bauch war tatsächlich der Vorbote eines saftigen Durchfalls. Er kotete drei gehäufte Esslöffel voll Exkremente in seine Unterhose, was mich fassungslos stimmte.

Ich schickte ihn umgehend nach Hause, um sich abzuduschen und seine Unterhose zu verbrennen, und schlenderte von da an allein über den Rummel, um das Erlebte zu verarbeiten. Lethargisch dreinblickend setzte ich mich mit einer Portion Zuckerwatte auf die Metalltreppen der Seesturmbahn. Das war ein rasantes Karussell, das die ganze Zeit nichts anderes machte, als superschnell im Kreis zu fahren. Die Waggons der Seesturmbahn sahen aus wie kleine Segelschiffe in verschiedenen Farben, in denen genau zwei Leute Platz hatten. Wie schön wäre es, wenn ich jetzt mit jemandem eine Runde fahren könnte, der mich dabei in seine Arme nimmt und sich nicht vor Angst in die Hose scheißt. Just als ich diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, setzte sich ein hagerer Typ neben mich und legte dabei seinen Arm um meine Schulter. »Hey, schöne Frau, was guckst du denn so traurig? Bei uns an der Seesturmbahn sind Fun und gute Laune an der Tagesordnung. Das Leben ist einfach zu kurz, um Trübsal zu blasen.« Sein Name war Mirko. Er trug ziemlich coole, verwaschene Jeans mit Löchern und leichtem Schlag. Dazu eine Fransenweste mit Camouflage-Applikationen und kurze braune Haare, aus denen hinten ein flippiges Schwänzchen entsprang, das beinahe bis zur Hälfte seines Rückens reichte. Er saß normalerweise an der Kasse der Seesturmbahn und machte durch das Mikrofon immer Ansagen wie: »Einsteigen, ohne Netz und doppelten Boden. Die nächste Fahrt geht rückwääääärts. Wuuup, wuuup!«, und wohnte in einem Wohnwagen hinter dem Fahrgeschäft. Seine aufmunternden Worte waren wie Balsam für meine geschundene Seele, und ich erzählte ihm mein Leid mit Carlos und dem unverzeihlichen Fauxpas, den er sich in der Riesenradgondel geleistet hatte. Mirko lachte hämisch darüber und sagte: »Komm, Gisela, lass dir von so einem Waschlappen nicht den Tag vermiesen. Ich fahr mit dir eine Runde in der Seesturmbahn, dann kommst du schon wieder auf andere Gedanken.« Ich strahlte, als ich sein Angebot hörte, über beide Ohren, und auch bei mir machte sich langsam ein komisches Gefühl in der Bauchgegend bemerkbar. Nur war es bei mir kein Anflug von Durchfall, nein, es waren Schmetterlinge. Ich hatte längst vergessen, wie schön und aufregend sich so etwas anfühlt. Während der Fahrt hielt mich Rummel-Mirko trotz seiner dürren Statur fest in den Armen, sodass ich mich während der wilden Fahrt geborgen und beschützt fühlte.

Als die Seesturmbahn stoppte, stieg ich adrenalingeladen aus der Gondel und tanzte kichernd zu der Musik, die aus den Boxen des Fahrgeschäfts wummerte. »Der Vengabus ist coming und everybody jumping, New York to San Francisco, wir tanzen in der Disco.« Einfach herrlich. Von allen Seiten kamen Leute, jung und alt, herbeigestürmt und tanzten mit mir mit. Mirko hatte einfach verdammt recht. In der Seesturmbahn waren Fun und gute Laune tatsächlich an der Tagesordnung! Während ich nach dem Tanzen erschöpft am Geländer des Karussells lehnte und noch eine weitere Zuckerwatte in mich hineinstopfte und mich mit Mirko über Gott und die Welt unterhielt, sah ich an der Kasse ein Aushängeschild, auf dem stand: »Junger Mann zum Mitreisen gesucht!« Das war ein Wink des Schicksals. Oder ein Wink des Zaunpfahls? Wie dem auch sei, auf jeden Fall wirkte es auf mich, als würde das Schicksal mit einem mit LED-Leuchtdioden besetzten drei Meter großen Zaunpfahl unmittelbar vor meinem Gesicht winken. Was für einen besseren jungen Mann zum Mitreisen als mich gibt es denn bitte schön? Ich denke, keinen. Kurzerhand beschloss ich, mich Mirko und seinen Schaustellerkollegen anzuschließen, um ein Teil der Seesturmbahnfamilie zu werden. Ich war inzwischen schon Ende vierzig, und so eine Chance bekommt man im Leben nicht zweimal. So verbrachte ich die Nacht in Mirkos Wohnwagen (*frechgrins*) und ließ Carlos allein in unserer gemeinsamen Wohnung zurück.

Es waren bereits drei Tage vergangen, und Carlos machte sich langsam Sorgen, da Gisela immer noch nicht zu Hause aufgetaucht war. Er murmelte dabei in seinen nicht vorhandenen Damenbart: »Wo bleibt eigentlich Giesla? So lange verbringt normalerweise kein Mensch auf Kirmes.« Er schnappte sich kurzerhand seinen Tretroller, den er von Gisela zu seinem letzten Geburtstag geschenkt bekommen hatte, und cruiste Richtung Rummelplatz. Dort wurden die Fahrgeschäfte bereits abgebaut. Aus seiner Not heraus fragte er den Typen, der die Autoscooter einparkte, in gebrochenem Deutsch, ob er denn die Gisela gesehen hätte: »So eine Dicke, Ende vierzig, hat eine Jeanshose mit Stretchanteil im Hosenbund und eine Bluse mit buntem Papageienmuster drauf?« Der Autoscootermann wusste sofort, um wen es sich handelte, und sagte ihm, dass Gisela jetzt Teil der Seesturmbahncrew war und diese gerade zum Oktoberfest auf die Theresienwiese nach München übersetzte, um dort ihr Fahrgeschäft aufzubauen. Carlos traute seinen Ohren nicht. Nach all dem, was sie gemeinsam erlebt hatten, warf sie einfach so alles hin, um mit ein paar Schaustellern durchzubrennen. Mit hängendem Kopf stieg er wieder auf seinen Tretroller und trat betrübt die Heimfahrt an. Doch plötzlich kam aus seinen Kopfhörern, die er im Flugzeug geschenkt bekommen hatte, als Gisela ihn nach Deutschland holte, wie aus dem Nichts der Song The Power of Love von Frankie goes to Hollywood. Aaai aiai Feels like fire, I’m so in love with you, Dreams are like Angels. Carlos durchdrang ein noch nie da gewesenes Gefühl, das ihn vom Kopf aus bis in die Zehenspitzen elektrisierte. DAS musste die Power of Love sein, von der Franky goes to Hollywood die ganze Zeit singt. Er machte kehrt und fuhr so schnell es ging mit seinem Tretroller in Richtung Oktoberfest. Dabei sang er aus vollem Halse I would do anything for love von Meat Loaf, was auf seiner Playlist als Nächstes abgespielt wurde. Oooohja, jetzt war er sich tausend Prozent sicher, er würde anything für Love tun – und wenn er mit dem Tretroller bis nach Timbuktu fahren musste, um Gisela zurückzuholen. Es war ihm egal, denn mit der Power of Love war er stärker als jeder dahergelaufene Schiffschaukelbremser auf einem x-beliebigen Rummel es je sein würde …

Fortsetzung folgt im nächsten Kapitel!

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