Читать книгу Shakespeare oder Willy, das ist hier 1 Frage - Willy Nachdenklich - Страница 7

Die Akte Richard Westfield

Оглавление

Ich sitze gerade daheim im Hotelzimmer und denke mir, wie schön es jetzt wäre, zu Hause zu sein und nicht hier im Hotel, aber Hotels sind so etwas wie mein zweites Zuhause, da ich anstatt daheim oft in Hotelzimmern bin, obwohl ich das gar nicht müsste und eigentlich lieber zu Hause wäre. Das Hotel, in dem ich mich befinde, ist ziemlich heruntergekommen und alt. Vor mir steht ein Wählscheibentelefon am Sekretär, und ich fühle mich in meine Kindheit zurückversetzt. Wir hatten damals auch ein Wählscheibentelefon, und ich habe es verflucht. Ich konnte nie bei Hugo, dem interaktiven Fernsehspiel auf Kabel 1, mitmachen. Dort surfte die Hugo-Spielfigur zum Beispiel auf einem Baumstamm den Fluss hinunter, und man musste auf seinem Tastentelefon die 6 drücken, um nach rechts, und die 4, um nach links auszuweichen. Mit dem Wählscheibentelefon hat dies eine halbe Ewigkeit gedauert, und man ist mit dem Hugo voll in das nahende Hindernis gebrettert, obwohl man rechtzeitig gewählt hatte.

Fuck my life. Ich schleudere das Wählscheibentelefon gegen die Wand und gieße mir erst einmal einen Scotch auf Eis aus der Minibar ein, schmeiße meinen Laptop an und beginne, Nachforschungen über einen gewissen Richard Westfield anzustellen. Dieser ausgefuchste Ganove versucht, uns schon seit Monaten an der Nase herumzuführen, aber diesmal hat er einen entscheidenden Fehler gemacht. Glaube ich zumindest. Denn in Wirklichkeit gibt es überhaupt keinen Richard Westfield. Mir gefällt es nur, mich in die Rolle eines abgehalfterten Ermittlers zu versetzen. Aus diesem Grund buche ich mich oft in Hotels ein, um bei den »Ermittlungen« ein besseres Feeling zu haben. In Wirklichkeit habe ich bis vor drei Monaten im Einrichtungshaus Hiltner in der Tapetenabteilung gearbeitet, bis sie mich rausgeschmissen haben, nachdem ich für mich und meine Arbeitskollegen Arbeitshemden gedruckt hatte mit der Aufschrift »Hiltners Helfer«, damit die Kundschaft gleich weiß: »Aha, der arbeitet hier, den kann ich etwas fragen!«

Wie dem auch sei, der Scotch schmeckt zum Kotzen. Ich trinke viel lieber Orangenlimonade, aber kein Ermittler hat jemals eine Orangenlimonade in einer stressigen Situation getrunken. Ich sehe mich im Spiegel an und sage zu mir selbst: »Schau dich nur an, du lächerlicher Versager. Sitzt hier in einem Hotelzimmer und tust so, als ob du ein Ermittler aus Amerika wärst, doch in Wirklichkeit bist du nur ein ganz armes Würstchen!« Mit hängendem Kopf packe ich meine sieben Sachen zusammen und gehe zerknirscht zum Check-out an die Rezeption und hoffe, dass sie das kaputte Wählscheibentelefon nicht bemerken werden. Vor mir steht ein dubioser Herr in Trenchcoat mit einem Hut auf seinem Kopf, der sich gerade ein Zimmer nehmen will. Ich ignoriere die Diskretionsabstandsmarkierung am Boden und lausche interessiert dem Gespräch. Die Dame am Empfang übergibt dem Herrn die Zimmerschlüssel mit den Worten: »Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt, Herr Westfield!«

O mein Gott, das ist Richard Westfield, den ich mir eben noch in meinem Hotelzimmer ausgedacht habe. Ich entschließe mich, doch noch nicht nach Hause zu gehen, und folge Herrn Westfield mit in den Aufzug, in dem wir beide schweigend bis in den dritten Stock fahren. Wie es der Zufall so will, hat Herr Westfield sein Zimmer direkt neben meinem. Mein Adrenalinspiegel schießt unvermittelt in die Höhe. Ich glaube, ich bin da an etwas ganz Großem dran. Ich stelle einen Stuhl in den Flur, schneide mir ein Loch in die Tageszeitung und positioniere mich so direkt vor Westfields Zimmertüre, um unbemerkt zu beobachten, wann er sein Zimmer verlässt. Nach einiger Zeit kommt er in einen Bademantel gehüllt und mit einem lässig über die Schulter geworfenen Handtuch aus seinem Zimmer spaziert, um in die Sauna zu gehen. Ich folge ihm unbemerkt mit der Zeitung in der Hand bis zur Sauna und setze mich dort neben ihn. Herr Westfield macht einen Aufguss mit Fichtennadelgeruch, und die Temperatur in der Sauna steigt bis auf vierhundert Grad. Will Richard Westfield mich so aus der Sauna vertreiben, um dort ungestört seine diabolischen Pläne zu schmieden? Nicht mit mir, Westfield. Ich bleibe eisern dort sitzen und versuche, ihn in ein beiläufiges Gespräch zu verwickeln.

»Ganz schön kleiner Pimmel. Kann man damit überhaupt ordentlich bumsen?«, frage ich ihn.

»Ja, geht so!«, antwortet er. »Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte.« Mit diesen Worten verlässt er die Sauna, um ein paar Runden in dem Schwimmbecken des Fitnessbereichs des Hotels zu drehen.

Westfield ist wirklich mit allen Wassern gewaschen. Er lässt sich trotz meiner provokanten Fragen nicht aus der Reserve locken. Ich folge ihm, so wie es ein guter Detektiv eben so macht, ebenfalls in den Schwimmbereich, hole einmal tief Luft, springe mit einer Arschbombe ins Wasser und lasse mich auf den Grund des Schwimmbeckens sinken. Dort warte ich wie ein Tintenfisch auf seine Beute, bis Westfield über mich hinwegschwimmt. Westfield schwimmt im Schmetterlingsstil und ist ziemlich schnell unterwegs. Doch in dem Moment, als er direkt über mir ist, schnappe ich zu. Ich umklammere Westfields Körper und ziehe ihn zu mir auf den Beckengrund herunter. Westfield strampelt panisch in meinem Tintenfischgriff, doch ich lasse partout nicht los. Irgendwann geht leider auch mir die Luft aus, und ich muss zusammen mit Westfield auftauchen. An der Wasseroberfläche angekommen, schreit mich Westfield völlig außer Atem an: »Sagen Sie mal, was ist mit Ihnen überhaupt los?«

So braucht dieser Ganove mir nicht kommen, denke ich mir, und schreie zurück: »Falsch, die Frage ist nicht, was mit mir los ist, sondern was mit IHNEN los ist, Westfield. Geben Sie zu, dass Sie es waren!«

»Das ich was war?«, schreit Westfield zurück.

Okay, mit dieser Frage bringt er mich aus dem Konzept. Was hat Westfield eigentlich gemacht? Während ich angestrengt nachdenke, was Westfield überhaupt angestellt hat, schreit er mich weiter an: »Ich will hier nur in Ruhe meinen Wellnessurlaub verbringen, und Sie folgen mir auf Schritt und Tritt und hören nicht auf, mich zu belästigen. Wir können auch gern die Polizei rufen!«

»Das ist nicht nötig!«, antworte ich selbstbewusst. »Ich bin von der Polizei, und Sie sind hiermit festgenommen! Alles, was Sie jetzt sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden! Sie haben das Recht auf einen Anwalt. Sollten Sie sich keinen Anwalt leisten können, stellt Ihnen die Staatsanwaltschaft einen Pflichtverteidiger zur Seite!« Mit diesen Worten greife ich im Schwimmbecken Westfields rechten Arm und will ihm diesen mit dem Polizeigriff hinter seinen Rücken drehen.

Just in diesem Moment kam unglücklicherweise der Bademeister, zog mich aus dem Becken und fixierte mich auf dem Boden. Er rief die Polizei, und ich bekam zusätzlich zum Hausverbot, das er mir erteilte, eine Anzeige wegen Nötigung und sexueller Belästigung, wegen dem Pimmelspruch in der Sauna. Von wegen Freund und Helfer. Da stören die Dilettanten einen Detektiv bei seinen laufenden Ermittlungen und lassen den Ganoven seelenruhig weiterschwimmen. Aber von unserem Rechtsstaat habe ich noch nie viel gehalten.

So halte ich mich die nächste Zeit in einer Trauerweide auf, die vor dem Hotel steht, da das Hotel ja von seinem Recht Gebrauch gemacht hat, mich des Hauses zu verweisen. Die Trauerweide steht direkt vor Richard Westfields Hotelzimmer. Als Westfield einige Tage später seine Koffer packt, um abzureisen, kann ich beobachten, wie er ein Handtuch, das glasklar Eigentum des Hotels ist, in seine Reisetasche steckt. Ich warte vor dem Eingang des Hotels, bis Westfield zum Check-out geht, und greife dann zu. Ich entreiße ihm seine Reisetasche, öffne sie und schmeiße seine ganzen Klamotten durch die Empfangsaula des Hotels, bis schließlich das Handtuch, das eigentlich dem Hotel gehört, zum Vorschein kommt. »Sehen Sie, ich wusste doch, dass dieses miese Schwein Dreck am Stecken hat! Jetzt haben wir Sie, Westfield!« Ich wedele dabei mit dem Corpus Delicti vor seiner Nase herum. Richard Westfield ist völlig baff und weiß nicht so recht, was er antworten soll, bis die Rezeptionistin sich einmischt: »Also, Herr Westfield, so etwas geht gar nicht, das ist Diebstahl, und Diebstahl ist kein Kavaliersdelikt. Wir müssen leider die Polizei einschalten!« Richard Westfield bekommt es nun mit der Angst zu tun, schubst mich zur Seite und flüchtet durch die Drehtüre, bis er im Getümmel der Stadt verschwindet. Ich zünde mir einen Zigarillo an, schaue in die Ferne gen Horizont und sage zu mir selbst: »Westfield, dieses Mal bist du vielleicht noch ungeschoren davongekommen, doch ich werde dich finden, und wenn es das Letzte ist, was ich im Leben tue!«

Shakespeare oder Willy, das ist hier 1 Frage

Подняться наверх