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Gisela Stöckelmeier – Auf den Hund gekommen

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Man konnte Gisela ja vieles vorwerfen, aber nicht, dass sie kein Herz für Tiere hätte. Ihr größter Wunsch war es schon immer, einen eigenen Hund zu haben, doch dieses Glück blieb ihr bis jetzt ein Leben lang verwehrt. Ihr Ex-Mann Martin, mit dem sie knapp zwanzig Jahre verheiratet war, reagierte höchst allergisch auf Hundehaare. Man musste in seiner Gegenwart nur das Wort »Hund« erwähnen, und schon bekam Martin die Pimpernellen. Doch jetzt, da sie mit Carlos zusammen war, sah ihre Welt ganz anders aus. Türen, die mit Martin einst verschlossen waren, standen mit Carlos an ihrer Seite sperrangelweit offen. Außerdem sagte Carlos aus Angst vor Giselas Zorn sowieso zu allem Ja – und manchmal sogar Amen.

So fuhr Gisela eines Nachmittags zur Tierauffangstation in Bad Wolgersheim, um dort ordentlich shoppen zu gehen. Sie schlenderte durch die Gänge des Tierheims und sah sich dabei die ganzen Hündchen an, die mit einem regelrechten Hundeblick traurig aus ihren Käfigen guckten. Sie wusste nicht so recht, was für ein Hund der richtige für sie wäre, bis sie schließlich im letzten Käfig des Gangs ein Golden Retriever durch den Hundekäfig ansah. Seine Augen gaben Gisela unmissverständlich zu verstehen, dass sie ihn mitnehmen sollte. Gisela verliebte sich auf den ersten Blick in seine treuen Augen. Der Mitarbeiter des Tierheims sperrte den Käfig auf, und der Golden Retriever sprang mit einem Satz direkt in Giselas Arme und schleckte ihr mit seiner Zunge über ihre Ölaugen. Gisela wollte sich einen ausgefallenen Namen für ihren neuen Hund ausdenken und grübelte auf der Heimfahrt die ganze Zeit nach, wie sie ihn nennen könnte.

Zu Hause angekommen, hatte sie einen Geistesblitz: Natürlich, der Name Bello passt perfekt zu ihm, weil er ja auch bellt, und das o am Ende gibt dem Namen noch einen gewissen italienischen Flair. So spazierte Gisela mit ihrem Bello am nächsten Tag durch den Park und genoss das Leben an der frischen Luft mit ihrem neu gewonnenen Freund. Angekommen auf einer größeren Wiese, hob Gisela vom Boden ein Stöckchen auf und warf es so weit sie konnte, damit Bello ihr es wiederbringen konnte, so wie Hunde und Menschen das eben so machen. #justgassithings. So warf Gisela das Stöckchen. Es flog aufgrund ihrer enormen Kraft außer Sichtweite, und Bello sprintete eifrig hinterher. Nach einer Weile kam Bello wieder und legte das Stöckchen vor Giselas Füße. Doch das, was Bello da apportiert hatte, sah nicht so aus wie das Stöckchen, das Gisela geworfen hatte. Sie sah etwas genauer hin und erschrak. Das war auf keinen Fall ein Stöckchen, sondern eine Beinprothese. Gisela machte sich nicht weiter Gedanken darüber und warf die Beinprothese noch ein paarmal, damit Bello sie wieder apportieren konnte, und ging daraufhin mit ihm nach Hause.

Unterdessen schleppte sich ein älterer Herr vom Park aus ebenfalls nach Hause. Er war sehr unsicher unterwegs, da ein Hund ihm die Beinprothese, die er trug, direkt von seinem Bein weggerissen hatte und damit davongelaufen war. Um einigermaßen sicher zu Hause anzukommen, hatte der Mann das Stöckchen, das Bello eigentlich wiederbringen sollte, provisorisch als Beinprothese an seinen Stumpen gebunden. Doch kurz vor seiner Haustüre brach seine improvisierte Beinprothese ab, und er stürzte samt seiner Einkaufstüte auf den Boden. Es dachte aber niemand daran, ihm aufzuhelfen. Teilweise stiegen die Leute direkt über ihn hinweg, da jeder beim Vorbeilaufen nur in sein Smartphone glotzte. Aus Tagen wurden Wochen, bis schließlich der Winter im beschaulichen Bad Wolgersheim Einzug hielt. Der erste Schnee rieselte gerade auf die Erde hinab und bedeckte den älteren, einbeinigen Herrn beinahe komplett.

Gisela zog sich unterdessen zu Hause kuschelig warme Kleidung an, um mit Bello einen kleinen Winterspaziergang zu machen. »Bellos erster Schnee, der wird vielleicht Augen machen!«, dachte sich Gisela, während sie sich die Beinprothese zum Apportieren schnappte. Die Beinprothese hat sich als Hundespielzeug richtig bewährt, da sie aus stabilem Fiberglas und somit beinahe unkaputtbar war. Bello und Gisela wollten die Beinprothese nicht mehr missen. So machten die beiden sich auf den Weg zum Park. Bello sprang durch den Schnee, dass es eine wahre Freude war. Er wälzte sich durch die Schneehaufen und pinkelte seinen Namen in selbige. Einfach schön, da ging einem so richtig das Herz auf. Sie kamen auf ihrem Weg auch an dem Haus vorbei, vor dem der ältere Einbeinige lag, nur konnte man ihn wegen der enormen Schneeverwehungen kaum erkennen. Da Bello voller Freude in jeden Schneehügel hineinsprang, sprang er auch auf den einbeinigen, älteren Herrn drauf und erschrak sich fürchterlich. Gisela beugte sich über den Einbeinigen und fragte ihn besorgt: »Ja, guter Mann, was machen Sie denn da auf dem Boden? Das ist doch viel zu kalt?«

»Ich kann nicht mehr aufstehen, da ich nur noch ein Bein habe. Ich lieg hier schon seit Juni!«, antwortete der ältere Herr.

Gisela blickte auf Bello, der gerade die Prothese im Maul hatte, und sagte schweren Herzens zu dem älteren Herrn: »Zufälligerweise habe ich noch eine Beinprothese dabei. Ich gebe sie zwar wirklich ungern her, doch Weihnachten steht vor der Tür und ich denke, dass Sie die Prothese besser gebrauchen können als mein Hund und ich!« Mit diesen Worten schraubte Gisela dem älteren Herren die Beinprothese wieder auf seinen Stumpen und half ihm auf die Beine. Der ältere Herr konnte sein Glück kaum fassen und sagte zu Gisela: »Sie hat wirklich der Himmel geschickt, Frau Stöckelmeier. Sie sind ein wahrer Engel!« Mit diesen Worten umarmte er Gisela, die wusste, dass sie mit dieser Tat einem Bedürftigen helfen konnte. Und Geben war bekanntlich schon immer seliger als Nehmen. Gisela ließ sich anschließend das chinesische Zeichen für »Selbstlosigkeit« auf ihre Wade tätowieren und war sich sicher, dass seit diesem Zeitpunkt der liebe Gott einen ganz besonderen Platz für sie im Himmel reserviert hatte.

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