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2.2 Die „Religions-Wissenschaften“ (im weiteren Sinne)

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Die „Religions-Wissenschaften“

Religionsphilosophie ist keineswegs die einzige Wissenschaft, die die Religion(en) zum Gegenstand hat. Ganz ähnlich wie es eine Vielzahl von Wissenschaften gibt, die sich mit den Wissenschaften beschäftigen und die man mitunter als „Wissenschafts-Wissenschaften“ zusammenfasst (Wissenschaftsgeschichte, Wissenschaftspsychologie, Wissenschaftssoziologie, Wissenschaftsphilosophie u.a.), so gibt es auch eine Reihe von Disziplinen, die einen wissenschaftlichen Zugang zur Religion versuchen. Man könnte sie als „Religions-Wissenschaften (im weiteren Sinne)“ bezeichnen, über ihre Anzahl, ihren Charakter, ihre Berechtigung und ihr gegenseitiges Verhältnis herrschen jedoch Auffassungsunterschiede.

Gibt es eine reine, vergleichende „Religionswissenschaft“ (im engeren Sinne)?

Mitunter wird auch in einem engeren Sinne von „Religionswissenschaft“ als einer speziellen Disziplin gesprochen, zum Teil auch von „vergleichender Religionswissenschaft“ oder „Religionsphänomenologie“. Ein näherer Blick in die einschlägige Literatur zeigt jedoch, dass diesbezüglich seit Längerem eine Grundlagendebatte im Gange ist. Die Gründe dieser Debatte kennen wir zum Teil schon: Wer „dem Wesen“ der Religionen auf die Spur kommen will, der sucht nach einer essentialistischen Religionsdefinition, die möglicherweise von jenen religiösen Hintergründen her bestimmt ist, die ihm am meisten vertraut sind. Aber auch wer dies nicht anstrebt, wer sich nur auf das scheinbar reine „Vergleichen“ im Rahmen der „vergleichenden Religionswissenschaft“ beschränkt, der begibt sich in eine ähnliche Gefahr: Als vergleichenswürdig fällt am ehesten auf, was man auch aus der eigenen Perspektive irgendwie einordnen kann. Und daraus ergibt sich ein Problem, das bereits hinter so unschuldig erscheinenden vergleichenden Begriffen wie „Gebet“ steht. Ist z.B. das christliche „Gebet“ sinnvollerweise mit dem fünfmaligen täglichen islamischen „Gebet“, dem „Gebet“ eines jüdischen Gläubigen vor der Klagemauer und dem „Gebet“ eines Schamanen vor einer Zeremonie vergleichbar? Oder steckt bereits im Ansprechen solcher möglicherweise sehr verschiedenen Erscheinungen mit der gemeinsamen Bezeichnung „Gebet“ eine unzulässige Verzerrung der Optik unserer Betrachtung? Im Grunde dieselbe Gefahr gilt für die „phänomenologische“ Betrachtung der Religionen. „Phänomenologisch“ heißt hier einerseits „rein auf die Erscheinung bezogen (d.h. unter Absehung von der Wahrheitsfrage)“, andererseits aber auch „nur auf das achtend, was sich an den Phänomenen selbst zeigt, unabhängig von irgendwelchen begrifflichen Einordnungen“. Es fragt sich allerdings, ob es eine solche „rein phänomenologische“, rein beobachtende und völlig „theoriefreie“ Betrachtungsweise überhaupt geben kann. Dies ist keineswegs nur ein psychologisches Problem (dem man durch Übung vielleicht einigermaßen beikommen könnte), sondern eine grundsätzliche erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Frage: ob es eine Beobachtungsweise gibt, die unabhängig von den „Brillen“ irgendeiner Theorie oder eines sprachlichen Systems ist. Schon im Bereich naturwissenschaftlicher Beobachtungen wird dies weitgehend verneint, erst recht dürfte dies im Bereich komplexer, sozial und kulturell mitbedingter Phänomene wie Religionen zu verneinen sein. Dennoch gibt es einige Autoren, die am Projekt einer solchen vergleichenden oder phänomenologischen Religionswissenschaft festhalten. Als eine Hauptaufgabe weisen sie dieser Disziplin die Erstellung einer Typologie von Religionen zu, d.h. einer möglichst kurzen Liste von allgemeinen Typen, denen möglichst alle Religionen zugeordnet werden können.

Das Methodenproblem: Gibt es eine spezielle religionswissenschaftliche Methode?

Sofern man diesen rein vergleichenden oder rein phänomenologischen Zugang nicht für möglich hält, ergibt sich sofort die Folgefrage, welche Methode einer „Religionswissenschaft“ als eigener Disziplin denn sonst eigentümlich sein könnte. Und es ist leicht einzusehen, dass es diese Methode nicht geben dürfte, egal wie man die Definitionsfrage der Religion für sich beantworten mag: (1) Steht man nämlich auf dem (essentialistischen) Standpunkt, wesentlich für die Religion sei ihr Bezug auf „die Transzendenz“, „das Heilige“ oder sonst eine außerweltliche Größe, dann kann es keine religionswissenschaftliche Methode geben, denn außerweltliche Größen entziehen sich schon definitionsgemäß einem wissenschaftlich-methodischen Zugriff. Denn schließlich ist „Wissenschaft“ ja durch einen methodischen, prinzipiell für jeden durchführ- und wiederholbaren Erkenntnisprozess in einer gemeinsamen Erfahrungswelt gekennzeichnet, während die Transzendenz und das Heilige ja typischerweise als unverfügbare Wirklichkeit verstanden wird, die sich nicht jedem, zu jeder beliebigen Zeit und auf dieselbe Weise erschließt. (2) Definiert man die Religionen dagegen durch irgendwelche andere, innerweltlichen Faktoren (soziologische, psychologische u.a.), dann wäre die Methode der Religionswissenschaft dieselbe wie jene der jeweils zuständigen Wissenschaften. (3) Dasselbe gilt, wenn man keine gemeinsame, auf alle Religionen passende Definition für möglich hält. Dann kann es erst recht keine spezielle religionswissenschaftliche Methode geben.

Speziellere Religionswissenschaften

Von einer „Religionswissenschaft“ (im Singular, und im engeren Sinne verstanden) wird heute daher nur mehr selten gesprochen. Vielmehr geht man überwiegend davon aus, dass die Religionswissenschaften (im Plural) in Wahrheit ein Konglomerat von Sub-Disziplinen sind, deren Methoden keine grundsätzlich anderen sind als die der benachbarten Disziplinen: Religionsgeschichte, -soziologie, -psychologie, -ethnologie etc. Diese Sub-Disziplinen spiegeln gleichzeitig die Entwicklung der Geistes- und Kulturwissenschaften seit dem späten 18. Jh. wider, denn sie haben sich zur selben Zeit und in derselben Reihenfolge entwickelt, in der sich auch die betreffenden Nachbardisziplinen ausdifferenziert haben.

Religionsgeschichte

Die moderne Religionsgeschichte hat ihre Wurzeln in der philologischen Erschließung der Schriften anderer Religionen. Sie wiederum war wesentlich motiviert durch das Aufkommen der später sogenannten historisch-kritischen Bibelwissenschaften: Man entdeckte, dass auch die Bibel zahlreiche Parallelen und Verbindungen zur damaligen religiösen Umwelt aufwies; besonders gilt dies für das „Alte Testament“ (das sind, grob gesprochen, die dem Judentum und Christentum gemeinsamen heiligen Schriften). Ein einstmals wichtiges, heute weitgehend ad acta gelegtes Thema der frühen Religionsgeschichte war die Frage nach einer Ur-Religion der Menschheit. Sie wurde ganz unterschiedlich beantwortet, von einem angenommenen „Ur-Monotheismus“ bis hin zu einem „Ur-Fetischismus“, der Verehrung bestimmter Objekte. Einige Religionsgeschichtler haben sogar Theorien über einen evolutionsähnlichen Verlauf der Entwicklung der Religionen aufgestellt. Hinter vielen dieser Antworten steckte auch ein unausgesprochenes theologisches Interesse, nämlich das der Verteidigung oder der Kritik an der christlichen Religion: Das Christentum konnte dann z.B. als Überwindung früherer Religionsformen verstanden werden, oder auch nur als deren zeitgemäße (aber ebenso unplausible) Fortsetzung. All diese Überlegungen sind heute weitgehend obsolet; aus heutiger Sicht untersucht die Religionsgeschichte hauptsächlich die Erscheinungen des religiösen Wandels: Religionen können sich aus sich heraus verändern, sie können sich aber auch durch den Kontakt mit anderen Religionen wandeln. In jüngerer Zeit haben die weltweit verbreiteten Massenkommunikationsmittel und die erhöhte internationale Mobilität einen starken Einfluss auf solche Wandlungsprozesse von Religionen; derlei Phänomene sind ein neues Studienfeld der Religionsgeschichte.

Religionssoziologie

Die Religionssoziologie betrachtet die Religion, insofern sie sich als gesellschaftliches Phänomen zeigt, insofern sie also ein Produkt sozialer Interaktionen ist. Die inhaltliche Innenperspektive der Religion, ihre Inhalte und die Befindlichkeit der Anhänger wird dabei ausgeklammert. Ein wichtiges „Produkt“ der religionssoziologischen Betrachtungsweise haben wir bereits weiter oben kennengelernt, nämlich funktionalistische Definitionen der Religion. Ein besonderer Interessenschwerpunkt der Religionssoziologie sind naturgemäß die Beziehungen des religiösen Bereichs zu anderen Teilbereichen des gesellschaftlichen Lebens, die ebenfalls soziologisch fassbar sind, etwa zur Ökonomie, zur Moral oder zum Recht. Die Abgrenzung der Religionssoziologie zu anderen Religions-Wissenschaften, etwa zur Religionsgeschichte oder zur Religionsethnologie, ist mitunter schwierig, und etliche ihrer wichtigen Vertreter haben faktisch auf mehreren Gebieten gearbeitet (etwa Bronislaw Malinowski und Lucien Lévy-Bruhl als Religionssoziologen und -ethnologen).

Religionspsychologie

Was Religionspsychologie ist und mit welchen Methoden sie arbeitet, ist umstritten. Das ist u.a. eine Auswirkung der unbeendeten Grundlagendebatte, die die Psychologie seit ihrem Entstehen im 19. Jh. begleitet: Hat Psychologie mehr Ähnlichkeiten mit den Naturwissenschaften und den Sozialwissenschaften, soll sie also nach allgemeinen, empirisch überprüfbaren Gesetzlichkeiten für menschliches Verhalten und Erleben suchen und es in diesem Sinne „erklären“ (und sollen diese Erklärungen möglichst anschlussfähig an die Naturwissenschaften sein)? Oder ist sie eher eine verstehende Deutung des menschlichen Verhaltens und Erlebens, womit die Psychologie mehr Ähnlichkeiten mit hermeneutischen (sinnerschließenden) Disziplinen wie Geschichts- und Literaturwissenschaft hätte?

Psychoanalytische Religionsdeutungen

Die bekanntesten Varianten der letzteren Antwortlinie sind psychoanalytische Theorien: Hier wird menschliches Verhalten und Erleben als Resultat innerseelischer Prozesse verstanden, die auf den Faktoren „Ich“ – „Es“ – „Über-Ich“ (so bei Sigmund Freud) oder den Faktoren „Ich“ – „persönliches Unbewusstes“ – „kollektives Unbewusstes“ (so bei Carl Gustav Jung) beruhen. Bei Freud wird dieses Modell einer innerseelischen Dynamik zusätzlich noch mit dem Gedanken verbunden, dass unsere psychische Verfasstheit gleichzeitig auch die Entwicklung der Menschheit und die frühkindliche sexuelle Entwicklung widerspiegle. In der Religion spiegelt sich aus dieser Sicht ein traumatisches Erlebnis der frühen Menschheitsgeschichte (nämlich ein Vater-/Häuptlingsmord samt nachfolgender Verspeisung in der postulierten „Urhorde“) und der frühkindliche „Ödipuskomplex“ (die Rivalität mit dem Vater im Begehren der Mutter). Religion ist aus Freuds Sicht eine Form der Triebunterdrückung, weil das „Ich“ die Trieb-Energien des „Es“ durch Aufbau eines religiösen „Über-Ich“ samt entsprechender Vorstellungswelt im Zaum hält. Im Unterschied zu anderen Formen der Triebenergie-Umleitung (Wissenschaft, Kunst, soziales Engagement) beruht die Religion jedoch auf Illusionen, sie ist daher neurotisch und irrational (zum religionskritischen Aspekt von Freuds Theorie siehe unten 4.4). Nach Jung dagegen sind im kollektiven Unbewussten sogenannte „Archetypen“ gespeichert, d.h. allgemein-menschliche Symbole, die in verschiedenen kulturellen (und auch religiösen) Kontexten auf verschiedene Weise Gestalt annehmen können. Beispielsweise entspricht nach Jung die Vierzahl einem solchen Archetyp. Dadurch erklärt Jung u.a. das Bedürfnis vieler Christen nach der gottähnlichen Verehrung der Gottesmutter Maria (als Ergänzung der göttlichen Dreifaltigkeit). Um zu einer stabilen, ausgeglichenen Persönlichkeit zu werden, muss sich der Mensch auch mit den Inhalten des persönlichen und kollektiven Unbewussten auseinandersetzen, und dazu ist die Religion ein möglicher Weg, weil sie eine effiziente Symbolwelt dafür bereitstellt. Das scheinbar positivere Bild der Religion bei Jung (das auch einige Theologen bis heute anspricht) trügt: Erstens wird der Geltungsaspekt der Religion ausgeblendet bzw. umgedeutet, denn „in Wahrheit“ spricht die Religion nur von psychischen Verhältnissen. Und zweitens sieht Jung in der Psychoanalyse selbst das probateste Mittel zur Konfrontation mit dem Unbewussten, die Religion ist daher letztlich verzichtbar.

Das Problem empirischer Religionspsychologie

Religionspsychologien, die der ersten oben skizzierten Antwortlinie zuzuordnen sind, die also von einem Verständnis der Psychologie als empirischer Wissenschaft ausgehen, stehen vor einem uns bereits wohl bekannten Methodenproblem: Der Gegenstand der Religion ist empirischer Forschung nicht zugänglich, und auch „echtes religiöses Erleben“ entzieht sich nach verbreiteter Auffassung der empirischen Untersuchung. Die „empirische Basis“ der Religionspsychologie sind also Aussagen und Verhaltensweisen, die man als „religiös“ interpretiert. Fragestellungen der empirischen Religionspsychologie (die besonders in den USA – im Anschluss an William James (The Varieties of Religious Experience, 1902) – weiter entwickelt ist als in Europa) betreffen u.a. die Korrelationen von bestimmten Formen der Religiosität mit psychischer und körperlicher Gesundheit bzw. Krankheit, den Zusammenhang der Entwicklung von moralischen Überzeugungen mit religiösen Überzeugungen, etc.

„Neurotheologie“?

Eine neuere Form der Religionspsychologie sind die Forschungen zur sogenannten „Neurotheologie“. Dort wird untersucht, ob religiöses Erleben mit bestimmten neurophysiologischen Prozessen im Gehirn korreliert und daher vielleicht auch durch externe Stimulation „erzeugbar“ ist. Auch die Neurotheologie ist allerdings nicht direkt auf das Objekt der Religion gerichtet, sondern ist ein Sonderbereich der empirischen Psychologie. (Auf unberechtigte erkenntnistheoretische Folgerungen aus der Neurotheologie werden wir unten in Abschnitt 4.2 zurückkommen.)

Weitere, spezifischere Religions-Wissenschaften

Die Palette der Religions-Wissenschaften, die im Grenzgebiet zu anderen Wissenschaften angesiedelt sind, ist damit noch nicht erschöpft. Kurz erwähnt seien etwa die Religionsethnologie, die sich besonders auf die Erforschung der Religionen schriftloser Kulturen konzentriert, aber ansonsten ein Naheverhältnis zur Religionsgeschichte und -soziologie hat, die Religionsgeographie, die z.B. die Verbreitung von Religionen und deren Wanderungen im Laufe der Zeit untersucht, und die nach dem heutigen Selbstverständnis von Geographie ebenfalls in enger interdisziplinärer Zusammenarbeit mit Religionssoziologie und -geschichte vorgeht, sowie die Religionsökonomie, die sich mit wirtschaftlichen Auswirkungen der Religion befasst. Direkte ökonomische Auswirkungen der Religionen sind etwa das Wallfahrtswesen (das z.B. im Islam und im katholischen Christentum einen erheblichen Wirtschaftsfaktor darstellt), religiöse Speiseverbote und -gebote sowie der gesteigerte Konsum an Nahrungs- und Genussmitteln im Umkreis mancher religiöser Feste. Indirekte ökonomische Auswirkungen der Religionen können die Wirtschaftsgesinnung insgesamt betreffen, die durch religiöse und moralische Vorstellungen beeinflusst werden kann. Bekannt ist in diesem Zusammenhang etwa Max Webers These vom Zusammenhang der protestantischen Ethik und ihrer Leistungs- und Verzichtsbereitschaft mit dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell (Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 1904/05). – Für eine Übersicht über weitere Disziplinen sei auf (84, S. 146ff.) verwiesen.

Theologie als systematische Entfaltung des Glaubensverständnisses

Die bisher besprochenen Disziplinen sahen von der Frage nach der inhaltlichen Berechtigung der Religionen jeweils ab, ihr Zugang war in diesem Sinne „wertfrei“. Theologie (von griech. theós = Gott und lógos = Wort, Rede, Lehre, wörtlich also etwa: „Lehre von Gott“) dagegen ist eine normative Wissenschaft und geht von der Voraussetzung aus, dass das Gebäude an Überzeugungen und Vorstellungen einer bestimmten Religion (zumindest grundsätzlich) berechtigt ist und einen Geltungsanspruch erheben kann. Theologie bemüht sich dann, das Glaubensverständnis dieser Religion systematisch zu entfalten, übersichtlich darzustellen und auch in seiner vernünftigen Vertretbarkeit zu verteidigen. Sie hat allerdings nicht nur diese verteidigende, sondern durchaus auch eine religionskritische Funktion, indem sie z.B. auf mögliche Fehlverständnisse und historisch gewachsene Engführungen hinweisen kann.

Theologie als „Meta-Theorie zur Religion“ ist von der Vorstellungs- und Überzeugungswelt der Religion selbst zu unterscheiden. Es gehört nämlich nicht wesentlich zu einer Religion, dass sie auch eine Theologie hat. Das Ausmaß, in dem Religionen auch Theologien entwickelt haben, ist faktisch sehr unterschiedlich, am stärksten ausgeprägt dürfte dies im Christentum, Islam und Judentum sein. Besonders typisch für das Christentum (und hier wiederum besonders für das westeuropäisch-abendländische, von der Aufklärung geprägte) ist, dass die Theologien auch die intellektuelle Begegnung mit den anderen Wissenschaften und der Wissenschaftstheorie suchen.

Institutionell-organisatorische, objektivierende und subjektive Bedeutungen von „Theologie“

Auch das Wort „Theologie“ hat allerdings bei näherer Betrachtung mehrere Verwendungsweisen. In einem eher losen, institutionell-organisatorischen Sinne kann man als „Theologie“ alle Disziplinen, Bildungsinhalte und Fertigkeiten bezeichnen, die an theologischen Forschungs- und Bildungseinrichtungen untersucht und unterrichtet werden. „Theologie“ in diesem institutionellen Sinne zerfällt nach üblicher Auffassung in eine Reihe von Teildisziplinen (Bibelwissenschaften, Moraltheologie etc.), über deren genauen wissenschaftstheoretischen Status es auch einige Kontroversen gibt (siehe weiter unten).

In einem spezifischeren, objektivierenden Sinne wird als die „Theologie“ häufig eine Summe von satzförmig ausdrückbaren Gehalten bezeichnet, die für eine Religion kennzeichnend sind. In diesem Sinne spricht man z.B. von „katholischer“, „protestantischer“ oder „islamischer Theologie“. Was jeweils als diese Theologie im objektiven Sinne verstanden wird, ist nicht ganz von den historischen und kulturellen Perspektiven der Personen unabhängig, die Theologie treiben. Auch ist das oben angesprochene Faktum des historischen Wandels von Religionen nicht zu vergessen.

Man könnte daher auch noch einen dritten, subjektiv-personenbezogenen Sinn von „Theologie“ präzisieren: „die Theologie der Person X“ ist die Summe von satzartig ausdrückbaren Gehalten, die die Person X als kennzeichnend für die betreffende Religion ansieht. (Notabene: die Theologie der Person X ist wiederum nicht dasselbe wie die Religion der Person X. Theologie als wissenschaftlich-reflektierende Beschäftigung mit Religion ist nicht dasselbe wie gelebte Religion, auch wenn der letzte Zweck der Theologie nach üblicher Auffassung die Reifung der persönlich gelebten Religion ist.)

In einem inhaltlich engeren Sinne wird manchmal von „Theologie“ als der Summe jener Sätze gesprochen, die von Gott (oder einem anderen transzendenten Gegenstand der Religion) handeln, also der „Gotteslehre“ im engeren Sinne. Auch eine solche Theologie kann wieder objektivierend oder subjektiv – als Theologie einer Person – verstanden werden.

Philosophische Gotteslehre (philosophische Theologie) als „metaphysische Religionsphilosophie“

Was sind die Erkenntnisquellen der Theologie, insbesondere wenn sie im letzteren, engeren Sinne als Gotteslehre verstanden wird? Prägend für die Geschichte der Offenbarungsreligionen Judentum, Christentum und Islam ist diesbezüglich folgende Vorstellung: Der Vollsinn ihrer jeweiligen Theologien sei zwar nur im Wege über die göttliche Offenbarung zugänglich und daher nur für jene Menschen akzeptabel, die diese Offenbarung gläubig annehmen. Allerdings sei ein Teil ihrer theologischen Gehalte bereits ohne Glaubenszustimmung, allein durch Anwendung der allgemeinen, menschlichen Vernunft einsehbar. Man nennt diesen letzteren Teil der Theologie „philosophische Gotteslehre“ bzw. „philosophische Theologie“ (in früheren Zeiten wurde zuweilen auch von „natürlicher Theologie“ oder „rationaler Theologie“ gesprochen). Die Existenz und die wesentlichsten Attribute Gottes sind nach dieser Auffassung also auch rein philosophisch, unabhängig von einem bestimmten religiösen Glaubensbekenntnis, für alle vernünftigen Menschen erschließbar. (Anzumerken ist, dass vor allem manche protestantische Theologen letztere Behauptung einschränken oder ablehnen würden.)

Eine so verstandene philosophische Theologie betrifft gleichzeitig einen wesentlichen Teil unseres philosophischen Gesamtbildes der Wirklichkeit.

Nun ist diejenige philosophische Teildisziplin, der es um eine umfassende philosophische „Wirklichkeitstheorie“ zu tun ist, die Metaphysik ((269), (254). (275a)). Besondere Aufmerksamkeit widmen Metaphysiker den Gegenstandsbereichen, die wir in unseren einzelnen Lebensbereichen jeweils zugrundelegen, und deren Zusammenhängen: etwa den Zusammenhängen zwischen den Gegenständen der Naturwissenschaft und den Objekten der Alltagswelt, aber eben auch den Objekten der Religion. Philosophische Gotteslehre ist also traditionell eng mit metaphysischen Überlegungen verbunden, sie kann geradezu als „metaphysische Religionsphilosophie“ charakterisiert werden.

Die Berechtigung der philosophischen Gotteslehre und ihre mögliche Bedeutung für den religiösen Glauben wurde in der neuzeitlichen Philosophie und Theologie freilich sehr unterschiedlich eingeschätzt. Das Antwortspektrum reicht von radikaler Ablehnung (aus unterschiedlichen Gründen) einerseits bis hin zur Hochstilisierung als einer Art „Ersatzreligion“. Diesen Fragen nachzugehen, wird einer der wesentlichen Inhalte dieses Buches sein.

Wissenschaftstheorie der Theologie

Auch die Theologie selbst kann wiederum Gegenstand der wissenschaftlichen Betrachtung werden, man nennt diese Disziplin Wissenschaftstheorie der Theologie oder (weniger verbreitet) Meta-Theologie. Wissenschaftstheoretische Fragen können dabei an die Theologie im weiteren, institutionellen Sinne oder auch im engeren Sinne herangetragen werden. In Bezug auf einzelne theologische Disziplinen gibt es wissenschaftstheoretische Grundlagendebatten, wie etwa: Was ist historisch-kritische Bibelwissenschaft und wie unterscheidet sie sich von sonstiger Literaturwissenschaft? Ist Kirchengeschichtswissenschaft eine normale Geschichtswissenschaft oder hat sie einen Sonderstatus? Wird z.B. ein Kirchengeschichtler Fehlleistungen der Kirchen in vergangener Zeit anders interpretieren als ein „profaner“ Historiker? Wie unterscheidet sich christliche Sozialethik von „profaner“ Sozialphilosophie? Wissenschaftstheoretische Fragen an die Theologie im engeren Sinne wären z.B., welche Theorienstruktur eine Theologie eigentlich hat, welche Rolle gewöhnliche, innerweltliche Erkenntnisquellen in ihr neben den Offenbarungsquellen spielen, und ob sich theologische von anderen wissenschaftlichen Erklärungen unterscheiden. Solche Fragen wurden im 20. Jahrhundert, dem Jahrhundert der sprunghaften Entwicklung der Wissenschaftstheorie, ausführlich diskutiert, sie haben allerdings auch schon im Mittelalter breiten Raum eingenommen.

Einführung in die Religionsphilosophie

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