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DIE STUNDE DES GLÜCKS

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Der Palastgarten lag weiterhin im Licht der Abendsonne. Vom Palast her tönte durch ein geöffnetes Fenster Balalaika-Musik.

Das Mondlicht versilberte die Blätter und Zweige. Man hörte das Rauschen der Springbrunnen.

Der junge Mann und das junge Mädchen saßen Hand in Hand, eng aneinandergeschmiegt.

Jetzt sollte sie die Augen schließen: Er wollte sie ein erstes Mal auf den Mund küssen.

Plötzlich ein Knacken im Dickicht. Ein kleiner etwa achtjähriger Junge war den beiden neugierig nachgeschlichen.

Der junge Mann sprang auf ihn zu, schnappte ihn sich, schüttelte ihn in der Luft.

„Dein kleiner Bruder Bentilow…

Was machen wir mit ihm?“

Der kleine Junge schien wenig eingeschüchtert. Er entschuldigte sich, während er wohl doch nur flunkerte: Er habe nur eben in die Büsche gewollt. Das könne doch wohl nicht verboten sein?

Der junge Mann ließ ihn weiter in der Luft zappeln.

Da kam aus Richtung des Palasts ein Rufen: „Tansila!“

Eine junge Frau, ein Kammermädchen, kam durch den dämmrigen Abend näher.

„Archani, man ruft mich.

Großmutter will mich sprechen.“

Archani, der junge Mann, verzog erneut unwillig das Gesicht. Noch immer hielt er den zappelnden Bentilow in der Luft. Das Kammermädchen war herangekommen.

Wirklich kam sie im Auftrag der Großmutter, die das junge Mädchen, Tansila, sprechen wollte.

Tansila machte eine bedauernde Geste und entfernte sich mit dem Kammermädchen.

Archani hatte Bentilow, ihren kleinen Bruder, inzwischen abgesetzt.

Der hatte unverändert einen selbstbewussten Ausdruck auf dem Gesicht. Anstatt sich ebenfalls zu entfernen, nahm er neben Archani Platz.

„Ihr beide liebt euch, nicht wahr?“

Er blinzelte, frech und zugleich ein bisschen mitleidig.

„Jeder im Palast hier weiß es.

Auch ich weiß es.

Aber ich weiß auch: Du kannst niemals wirklich ihr Geliebter sein. Jedenfalls nicht ihr Mann.“

Archanis Gesicht verdüsterte sich. „Welchen Unsinn redest du da?

Und was geht dich das alles überhaupt an?“

„Sie ist meine Schwester – Tansila.

Es sollte mich nichts angehen, wenn sie verliebt ist?

Doch du kannst sie nicht heiraten.

Die alte Glonka sagt es.

Du bist nur der Sohn des ersten Ministers. Das ist zwar auch etwas. Doch um Tansila zur Geliebten zu haben, musst Du aus einer Fürstenfamilie sein, so wie Tansila. So wie ich.

Du darfst sie zwar küssen, vielleicht. Du darfst sie auch manchmal umarmen, vielleicht. Doch heiraten kannst du sie nicht.“

„Alles dummes Geschwätz…“ In Archanis Stimme lag jetzt unüberhörbar ein Grollen. „Geh dich erst mal auspissen, kleiner Wichtigtuer und fürstlicher Knirps.“

Er gab ihm sanft einen Stoß auf die Büsche zu.

Doch sein Gesicht zeigte Betroffenheit.

Bentilows Sätze hatten einen Punkt berührt, den er wohl kannte und von dem er wusste, dass er eine schmerzhafte Barriere zwischen ihm und Tansila bedeutete.

Auf Bentilows Gesicht überwog jetzt der Ausdruck von Mitleid.

„Sei nicht traurig.

Immerhin kannst du Minister werden, so wie dein Vater. Also kannst du auch immer hier im Palast bleiben und sie sehen und sie auch noch manchmal umarmen. Doch ein anderer Mann wird ihr Mann sein. Ein Fürst eben. Das ist das Gesetz.“

Ein längeres Schweigen.

„Morgen ist Jagd,“ sagte Bentilow schließlich. „Wirst du mit reiten? Ich reite mit!“

Archani zeigte keine Reaktion.

„Auch Sligork und Jarscho, unsere beiden Cousins, die gestern gekommen sind, werden mit reiten.

Sie haben gewettet, wer von ihnen die meisten Wildscheine abschießen wird.

Du solltest mit reiten und ihnen zeigen, dass du noch besser schießen kannst als sie beide.“

Um Archanis Mundwinkel lief ein Zucken, dann schüttelte er leicht den Kopf.

„Ich sage dir das, obwohl es meine beiden Cousins sind. Die zwei sind nur Angeber, das sehe ich doch.

Du merkst, ich halte zu dir.“

Wieder ein längeres Schweigen.

„Ich weiß, du liebst die Jagd nicht so wirklich,“ fuhr Bentilow fort. „Du bist nur dreimal mitgeritten. Doch zweimal hast du die besten Schüsse gemacht. Besser als die Schützen von Vater.“

Er schnalzte sanft mit der Zunge, es sollte sein tiefes Anerkennen und Bewundern ausdrücken.

„Und überhaupt, wenn es nach mir ginge: Dann solltest du der Mann von Tansila sein.

Du wärst der beste, das glaube ich.

Doch leider geht es wohl nicht.“

Nochmaliges Schweigen. Bentilow beendete es, indem er aufsprang und über den Gartenweg verschwand.

Tansila kehrte zurück.

„Großmutter und ich – wir haben es kurz gemacht. Wir nehmen uns später Zeit für unser Gespräch.“

Sie setzte sich wieder auf die Bank neben ihn. Erneut schloss sie die Augen. Sie sprach lächelnd, flüsternd. Sie wollte, dass er weitermacht, genau wo er „eben aufgehört hat“.

Sie spitzte den Mund, wartete.

Archani küsste sie jetzt.

Doch der Kuss geriet unentschlossen und flüchtig.

Sie schlug einen Moment enttäuscht die Augen auf.

Er küsste sie ein zweites Mal.

Doch wieder wurde es kein wirklich inniger lang anhaltender Kuss.

Tansila öffnete erneut die Augen. Sie bemerkte die Schatten grüblerischer Gedanken auf Arschanis Gesicht.

„Tansila – du weißt es… Einmal wirst du Fürstin sein im Palast.

Wir werden kein Paar sein können.“

Worte, die mit dem Gewicht schwerer Steine in die Abendstille des Palastgartens fielen.

Tansila wehrte entrüstet ab. „Archani! Wie kannst du so reden! Wenn ich die Fürstin bin, dann bestimme ich die Gesetze.

Nie werde ich einen anderen heiraten.“

Sie zog ihn heran. Sie erzwang den gewünschten langen innigen Kuss.

„Ich liebe dich, keinen andern. Nie werde ich einen anderen lieben.“

Wieder zog sie ihn heran. Erzwang den nächsten innigen Kuss.

„Und selbst wenn ich den Thron dafür aufgeben müsste – es wäre mir vollkommen gleichgültig.

Doch ich werde den Thron nicht aufgeben.

Und ich werde dich heiraten.

Ihr Gesicht leuchtete in mädchenhafter, heller Ereiferung. Es leuchtete vor Glück.

Dieses Leuchten spiegelte sich zunehmend auch auf Archanis Gesicht. Ein Schimmern, das Stolz war, tiefe Berührung, schließlich heftiges Entzücken.

Er umfasste sie plötzlich mit rauschhafter Zärtlichkeit. Küsste sie mit äußerster Leidenschaft.

Er zog sie ins Gras. Ließ, sie heftig an den Schultern umklammernd, seinen Kopf über ihrem hin- und herrollen. Überdeckte sie immer wieder mit Küssen.

Kurze Zeit darauf waren sie eingeschlafen.

Erneut rief das Kammermädchen.

Schließlich kam sie und mit ihr die fürstliche Großmutter in den Garten, eine fast weißhaarige doch noch rüstige und stolz aufrecht gehende Alte.

Sie erreichten die Bank, neben der sich Archani und Tansila friedlich schlafend umschlungen hielten.

Helles Mondlicht lag auf ihren Gesichtern.

Der fürstliche Sinn für Ordnung, Anstand und Sitte in der Großmutter regte sich. Aber noch einmal näher tretend fühlte sie sich verzaubert: Es war ein Bild vollkommener Schönheit, das sie nicht stören konnte.

Wieder kamen zitternde Balalaikaklänge aus dem Palast.

Sie mischten sich mit dem Zirpen der Grillen, mit dem Froschquaken vom nahen Palastteich.

Der Mond war höher gestiegen – in einen weiten klaren, heftig von Sternen funkelnden Himmel.

Inselstation Sankospia

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