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Der Aufbruch

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Mein Besuch auf Sankospia liegt nun achtundzwanzig Jahre zurück.

Nach diesem Zeitraum, so sagte man mir, wäre mir ein zweiter Aufbruch gestattet.

Doch ich werde nicht los fliegen, ohne zuvor meine so außerordentliche Geschichte vollständig aufzuschreiben.

Denn meine Vermutung ist: Ich werde von meinem zweiten Besuch auf der Insel nicht mehr zurückkehren.

Es wäre auch meine Hoffnung, mein ausdrücklicher Wunsch.

Sie werden dies begreifen, wenn Sie die näheren Einzelheiten erfahren haben.

Doch jetzt begleiten Sie mich bei meinem ersten Aufbruch.

Seit sechs Jahre lang hatte ich eine geheimnisvolle Karte in meinem Besitz. In exakten Umrissen war eine Insel darauf verzeichnet. Sie war umgeben von symbolartigen Zeichen und einigen Linien in der Art eines Koordinatensystems, die mir doch völlig unverständlich blieben. Dann eines Morgens, nachdem ich alle Bemühungen schon aufgegeben hatte, fand ich plötzlich einen Ansatz, sie zu entschlüsseln.

Erwarten Sie kein außergewöhnliches Flugabenteuer. Erwarten Sie etwas weit darüber hinaus.

Was ich Ihnen mitteilen werde, berührt den Kern Ihrer Existenz. Und damit meine ich: den wirklich innersten Kern und den Kern aller Existenz überhaupt.

Es geht um den „Gedanken der Erde“, ihr eigentliches Geheimnis.

Wie Sie hätte ich bis zu diesem Zeitpunkt kaum geglaubt, dass es hinter der Erde einen Gedanken gibt. Einen Plan.

Ich habe auf Sankospia diesen Gedanken erfahren. Und ich will ihn mit Ihnen teilen.

Sie werden am Ende Ihr Urteil fällen können, ob es ein lichter oder ein dunkler Plan und Gedanke ist.

Ich war vierunddreißig in diesem Jahr, ein gut beschäftigter Reporter und Journalist in New York.

Mit mir flog Patrick, ein enger Freund.

Er wusste so wenig wie ich, was uns erwartete.

Seine Initialen standen auf der Rückseite der Karte, die ich erwähnte, neben meinen. Und auf dem Umschlag war eine Jahreszahl notiert.

Patrick war Musikdozent wie auch aktiver Musiker und Komponist. So wie die Musik sein Alltag war, so sah er zugleich in ihren Strukturen, speziell der Obertonreihe, in Intervallen und Harmonien immer etwas von einzigartiger Faszination. Wie Keppler glaubte er, dass es zwischen geometrischen Körpern, Planetenbahnen und Musik einen Zusammenhang gab.

Und damit richtete sich sein Interesse auch auf die Astronomie. Dies verband uns und wurde während all der Jahre unserer Freundschaft immer wieder Anlass für einen regen Gedankenaustausch.

Ich sagte bereits, dass ich selbst als Reporter und Journalist tätig war. Damit mischte ich mich ein in das aktuelle Tagesgeschehen. Doch meine andere Leidenschaft galt der Astronomie, der Astrophysik. Es stand, so erkläre ich es mir selbst, die Sehnsucht dahinter, etwas zu begreifen von unserem Ursprung – in dem ich den weiten Spuren ins All folgte und seiner Entstehungsgeschichte.

Ich vermeide ein großes Wort wie „Schöpfungsgeschichte“. Denn es schließt einen Schöpfer ein.

Ich konnte an einen solchen Schöpfer nicht glauben. Schon gar nicht in der Art eines Gottesbilds, wie die traditionelle Kirche es uns übermittelt hat. Zugleich doch war ich bei meiner wissenschaftlichen Lektüre, die schließlich auch die biologischen Forschungen einschloss, immer wieder überwältigt von der aller Materie und allem Leben innewohnenden Intelligenz.

Doch genügte es, um einen übergeordneten schöpferischen Geist zu beweisen?

So wie ich das Ungenüge an den wissenschaftlichen Erklärungsmodellen empfand, an deren Ende doch immer wieder einzig das Wort „Zufall“ stand, so waren mir zugleich alle Konzepte suspekt, die mit religiösen Vokabeln operierten und meinen Glauben einforderten.

Ich wollte Fakten – so wie ein Reporter, der seine Arbeit nur gründlich getan sieht, wenn er die Kette der Indizien geschlossen hat.

Ein Schöpfer ohne Fakten, ohne Beweis blieb für mich ohne Belang.

Ich werde auf diese Frage zurückkommen.

Sie hängt eng zusammen mit meinen einleitenden Sätzen von einem „Gedanken der Erde“. Es ist kein Spiel mit Worten. Ich meine es so.

Ich verspreche Ihnen, ich werde diesen „Gedanken“ Stück für Stück zur Sprache bringen und Ihnen begreiflich machen. Sie werden danach vieles in einer veränderten Sichtweise wahrnehmen.

Unser Flugzeug, eine Zwei-Propeller-Maschine, be-wegte sich seit Stunden surrend durch bizarre Wolkenlandschaften hoch über dem Ozean. Vor uns saß Harry, unser Pilot, die Bordgeräte wachsam im Auge, die bis zu diesem Zeitpunkt ordnungsgemäß gearbeitet hatten. Patrick und ich ließen die Blicke immer wieder über die erwähnte Karte schweifen, die aufgefaltet auf unseren Knien lag, und suchten die Übereinstimmungen mit den auf den Bordgeräten angegebenen Längen- und Breitengraden.

Plötzlich wurde unser Flugzeug von starken Wirbeln erfasst. Ein Schütteln setzte ein, dem wenig später ein unkontrolliertes Abgleiten folgte.

Die Maschine schlingerte. Harry, der bisher in stoischer Ruhe die Cockpitgeräte regiert hatte, zeigte Anzeichen wachsender Nervosität. Der eine Propeller war ausgefallen. So sehr Harry auch trickreich manövrierte, die Maschine schlingerte weiter, sie sank und sank.

Da wurde sie durch ein unerklärliches Windphänomen plötzlich heftig nach oben gezogen. Der Flug in die Höhe war nun ein unkontrolliertes Aufsteigen. Eine Wolkenformation in Gestalt eines dunkelsilbrigen massiven Gebirges schluckte uns auf, der Sichtausfall war total.

Als die Maschine nach einer unendlich scheinenden Flugstrecke wieder daraus hervortrat, leuchtete unter uns hell spiegelnd das Meer. Das Flugzeug surrte wieder friedlich, mit beiden Propellern.

Ich fühlte jetzt eine wachsende Sicherheit, dass wir uns der gesuchten Insel näherten. Dieses Vertrauen allerdings wurde bald darauf noch einmal auf eine harte Probe gestellt.

Es wird an dieser Stelle Zeit, dass ich sage, von vom ich die geheimnisvolle Karte erhielt.

Es war Tamara - eine Frau Ende dreißig doch noch immer von außergewöhnlicher Schönheit.

Sie hatte in New York in ganz eigener Initiative eine Sozialstation aufgebaut und über acht Jahre hin mit großem persönlichen Einsatz geleitet.

Leider zog sie, gerade weil sie erfolgreich war, damit auch Feindlichkeiten ihrer Umgebung auf sich. Zweimal wurden Teile dieser Station mutwillig zerstört und niedergebrannt.

Mehr zufällig hatte ich von dieser Station gehört und war dann rasch entschlossen, eine Reportage darüber zu schreiben.

Gleich bei der ersten Begegnung stellten wir fest, dass ich ihren jüngeren Bruder kannte – Anthony, ein anderer langjähriger Freund.

Mit Anthony hatte ich einige Trimester gemeinsam studiert. Er war inzwischen ein aufstrebender Architekt mit ersten kleinen Erfolgen, ein junger Mann von ungewöhnlicher Intelligenz und vereinnahmendem Charme.

Plötzlich doch war er tragisch in eine Kette von Abläufen verwickelt, die eine dramatische Zuspitzung fanden, in eben der genannten Sozialstation. Anthony wurde Opfer eines Schusswechsels, und man teilte mir seinen Tod mit.

Beide, Tamara und Anthony, umgab diese Aura des Außergewöhnlichen.

So sehr ich dies deutlich spürte, so hatte ich doch nicht den Schimmer einer Ahnung, welches Geheimnis tatsächlich hinter diesen beiden Personen stand.

Tamara überließ mir die Karte in einem geschlossenen Umschlag. Er war nur für mich bestimmt, und auch ich sollte ihn erst in einigen Jahren öffnen. Sie verwies auf die Jahreszahl. Würde ich mich mit dem Inhalt befassen und ihn entschlüsseln, könnte dies in meinem Leben eine einmalige Chance bedeuten.

Inselstation Sankospia

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