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Der singende Felsen

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Wir befanden uns in dem imponierenden Hauptgebäude, im zentralen Versammlungsraum. Wir hatten Tamara und Anthony wiedererkannt.

Tamara kam auf uns zu – eher schien sie verjüngt als gealtert, mehr als ich es in Erinnerung hatte, war sie von Atem verschlagender Schönheit und Anmut. Vor allem in den Augen lag eine ungewöhnliche Strahlkraft. Das Gesicht durchzog weiter ein Lächeln – ruhig und sanft, ein Lächeln, das hier eigentlich nur ein „Dauerzustand der Seele“ war, wie es schien.

„Wir wussten, dass es der Zeitpunkt war,“ sagte sie.

„Ihr seid eingetroffen.

Ich heiße euch herzlich willkommen – Dich - und Patrick, den Musiker.“

Sie verneigte sich zu uns beiden in sanftem Respekt.

„Patrick – er war gleichfalls ein enger und guter Freund von Anthony, wie wir wissen.“

Mein Blick schweifte zu dem etwas ferneren Tisch. „Anthony lebt?“

Tamara lächelte: „Du hast ihn bereits erkannt?

„Welcher Ort ist das hier?“ fragte ich.

„Du hast die Karte.

Du kennst den Namen.“

Ich zog die Karte aus meiner Jacke.

„Sankospia.

Trotzdem: Wo sind wir hier?

Ist dies eine von Menschen bebaute Insel?“

Tamara wiegte den Kopf. „Warte noch.

Es wird Schritt für Schritt geschehen.

Du wirst viele Erklärungen brauchen.“

Ich fragte, ob ich Anthony sprechen könne.

„Gewiss,“ sagte Tamara. „Er freut sich gleichfalls auf ein Zusammentreffen.

Doch auch damit habe noch etwas Geduld.“

„Anthony lebt.

Was ist damals tatsächlich geschehen?“

„Er wird es dir selbst erzählen.

Wollt ihr mir zunächst für einen kleinen Rundgang in den Garten folgen?“

Ich nickte, ebenso Patrick.

Wir gingen hinaus.

Betraten wieder den Garten.

Doch etwas Seltsames war geschehen.

Schien es mir eben noch Mittag zu sein, so war es nun früher Abend geworden.

Der Garten lag im Glanz einer roten Abendsonne. Er funkelte voll geheimnisvoller Farben.

Tamara ging uns voran.

Sie schritt direkt auf die beiden Löwen zu. In der Tat waren es Tiere von ungewöhnlicher Größe, ausgewachsenen Stieren ähnlich.

Sie machte eine wie grüßende Geste und streichelte ihnen die Mähne. Die Löwen leckten ihr dabei die Hand. Bei aller Majestät – sie hatten auch etwas Katzenhaftes, Verspieltes, die Streichelgesten waren ihnen willkommen.

Jetzt sprangen die grünen Äffchen heran.

Nach wenigen Sekunden saßen zwei auf Tamaras Schultern, eines schließlich sogar auf ihrem Kopf.

Sie nannte die kleinen grünen Tiere mit Namen, hob sie abwechselnd ganz an ihr Gesicht, rieb Nase an Nase, die kleinen Wesen quietschten vor Freude und Übermut.

Jeder in der Gruppe der Äffchen wollte die eigene Begrüßung, das Nase-an-Nase-Reiben, es schien eine eingewöhnte Zeremonie zu sein. Dann sprangen – bis auf zwei, die auf ihrer Schulter hocken blieben – alle wieder davon.

Tamara ging weiter voran, auf den dicht bewachsenen Teil der Insel zu.

Wir folgten jetzt einem schmalen Pfad.

„Wir haben einen ‚Meister’ hier,“ sagte Tamara. „Ich nenne ihn so für euch, obwohl wir ihn nicht so nennen. Doch er besitzt Fähigkeiten, die über das, was wir, die anderen Bewohner der Insel, können, hinausgehen. Neben ihm gibt es noch zwei andere dieser ‚Meister’.

Doch dieser eine, der mir sehr nahe steht, will euch kennen lernen und dann eine Entscheidung treffen.

„Ein ‚Meister’…?“ fragte Patrick.

„Du verbindest Strenge mit diesem Wort, nicht wahr?

Denke eher an einen tiefen und umfassenden Einblick.

Weisheit ist immer auch Güte.

Gewiss, sie ist niemals schwach. Sie zieht auch Grenzen, vielleicht auch streng.

Doch wieder nur aus Einsicht und Güte.“

„Welche Entscheidung will er treffen?“ fragte ich.

„Es hängt mit dem Geheimnis dieser Insel zusammen.

Ihr hattet die Erlaubnis, diese Insel zu finden.

Es gibt vieles darüber hinaus zu erfahren.

Es wird eine Entscheidung zu treffen sein, welches Geheimnis wir euch eröffnen können.“

Wir befanden uns jetzt im Wald, inmitten von tropischen Bäumen und Büschen.

Das Abendlicht funkelte auf den Blättern.

Es war dämmrig geworden.

Fluoreszierende Nachtfalter durchschwirrten die Luft, manche Pfauen-groß.

Ein fernes Singen wurde hörbar.

„Folgt mir weiter!“ Tamara winkte.

„Ich möchte euch unseren Felsen zeigen, den wir den ‚Singenden Felsen’ nennen.

Sie ging weiter voran.

Wir traten jetzt aus dem Wald und dem tropischen Buschwerk heraus. Wir blickten auf einen rot glühenden Abendhimmel über dem Meer. Es umgab uns die ganze summende duftende Süße eines verglühenden Sommertags.

Ein Singen war hörbar geworden.

„Der ‚Singende Felsen’,“ sagte Tamara. „Man hört ihn nur zu einer bestimmten Abendzeit, wenn die sinkende Sonne ihn in einem speziellen Winkel streift.“

Das Singen wurde klarer. Es bewegte sich im Raum von nur wenigen Tönen, es hatte einen metallenen sphärischen Klang, begleitet von einem dunkel mitschwingenden gleichbleibenden Dröhnen.

Alle blickten wir nun auf das Meer. Man sah eine vorgelagerte Felsengruppe. Die ganz vorderen Felsen leuchteten in einem feurigen Rot.

Verzauberung – es war das einzig passende Wort für diesen Moment. Die ganze Umgebung, auch die des Waldes, hatte die Aura eines tiefen Verwunschenseins.

Jetzt tauchte noch eine Gruppe von ungewöhnlichen Tieren auf. Waren es Gazellen? Ihr Fell hatte einen silbernen Glanz – bei zweien schien es ein reines hell blinkendes Silber zu sein.

Der Felsen sang.

Auch die silbernen Tiere, die Gazellen, hielten an und standen wie lauschend.

Eine längere Zeit verstrich.

Tamara winkte, dass es Zeit sei umzukehren.

Wieder ging sie voran.

Wir verließen das Waldgebiet.

Tamara lenkte ihre Schritte wieder auf das große Gebäude zu.

Wir zwei, Patrick und ich, drehten uns immer noch einmal um, zum ‚singenden Felsen’, zu den Gazellen. Über allem lag Verzauberung, ein Bann des Wunderbaren, der doch zugleich tiefe Verwirrung für uns bedeutete.

„Sankospia…

Ist dies eine menschliche Insel?“ fragte ich erneut.

„Empfindest du etwas, das dich in Furcht versetzt?

Wenn es nicht Furcht ist sondern einfach Überraschung, vielleicht auch Freude, Verzauberung - dann genieße es!“

Tamara machte eine locker wiegende Handbewegung und schritt weiter voran, auf eine der zahlreichen Türen zu.

Jetzt setzte sie die beiden grünen Äffchen ins Gras, die rasch davon sprangen.

Plötzlich fiel mir Harry ein, den wir in unserem Flugzeug zurückgelassen hatten. Ich fand, dass es Zeit war, sich um ihn zu kümmern.

„Wir sind offenbar bereits viele Stunden schon hier.

Wir hatten seitdem keinen Kontakt mehr zu unserem Piloten. Es wird dringend Zeit dafür.“

„Er liegt in seinem Flugzeug und schläft,“ sagte Tamara.

Er hat gut gegessen und gut getrunken.

Er hat einen tiefen, erholsamen Schlaf verdient.

Mach dir keine Sorgen um ihn.“

Man hörte wieder verstärkt das geheimnisvolle Vibrieren.

„Was wir dort hören“, fragte Patrick, „dieses Vibrieren – es scheint von den Masten zu kommen, die auf dem vorderen Teil der Insel stehen.

Sind es Sendemasten? Was ist ihre Bedeutung?“

„Sendemasten, ja – so kann man es sagen…“

Tamara lächelte leise nach Innen.

Wir schwiegen eine Weile. Ich ordnete meine Gedanken.

„Darf ich etwas fragen zur Insel selbst?

Ist sie eingezeichnet in einer gewöhnlichen geographischen Karte – vielleicht unter anderem Namen? Sie ist klein. Doch Flugzeuge und Satelliten haben jeden Winkel des Planeten erforscht. Auch jeden der Meere.“

Tamara schüttelte den Kopf.

„Sie ist auf keiner Karte verzeichnet.

Und sie wird es nie sein.“

„Wie wäre das möglich?

Du willst sagen, kein Schiff, kein Flugzeug, kein Satellit könnte sie auffinden?

„Nicht wenn wir es nicht zulassen,“ sagte Tamara.

„Wir haben einen mehrfachen Schutz um die Insel gebaut.

Der erste ist ein sehr einfacher – wenn er auch technisch durchaus eine Herausforderung darstellt. Es gibt ein Spiegelungsverfahren. Wir können es in die Atmosphäre projizieren. Wer sich der Insel nähert oder sie vielleicht auch überfliegt, der sieht immer einzig den Ozean – den Ozean, wie er sich kilometerweit neben der Insel erstreckt: Er verdoppelt sich einfach im Bild, die Insel überdeckend. So nah man der Insel auch kommt, man wird immer nur Ozean sehen.

Noch leichter ist es für uns, uns vor fremden Funkwellen abzuschirmen. Die Schutzmauer, die wir bauen, ist absolut. Wie wir sie auch durchlässig machen können für jede Art von Frequenz, die uns willkommen ist.

Nimm es einfach so an. Es sind Techniken, die schwer zu erklären wären – wie sie im Gebrauch doch wieder zu einer normalen Alltäglichkeit werden können. Ihr auf der Erde werdet sie schließlich auch entdecken. Ihr habt Hunderte von Jahren Zeit dafür. Wahrscheinlich werdet ihr sie in einem Jahrhundert entdeckt haben und dann gleichfalls für alltäglich halten.“

Wir hatten wieder das Hauptgebäude erreicht und traten ein, erneut völlig mühelos durch eine der Türen.

Tamara führte uns vor eine weitere Tür, die sie vorsichtig öffnete.

Dann winkte sie uns in einen kleineren Raum, der sehr anmutig mit in verschiedenen Farben leuchtenden Säulen ausgestattet war. Seitlich befand sich eine große farbige Flügeltür.

Tamara deutete auf eine Bank. „Wartet hier!

Ich werde mich nun besprechen.

Wenn die Entscheidung gefallen ist, wird eine weitere Vorbereitung nötig sein.

Habt weiterhin etwas Geduld.“

Sie öffnete ein Stück die Flügeltür, dann machte sie eine freundliche Geste der Verabschiedung und verschwand.

Wir zwei nahmen Platz.

Patrick, der gerne schwieg und der bisher nur wenige Sätze gesprochen hatte, konnte so neben mir sitzend ein Schweigen nicht lange aushalten.

„Was für eine Insel ist dies?

Was auch immer ich von diesem Flug erwartet habe – dies hier sprengt im Moment mein Fassungsvermögen.

Die Bewohner – sind dies überhaupt menschliche Wesen?“

Er blickte mich an und wandte sich rasch wieder ab. Offenbar lag auf meinem Gesicht die gleiche Ratlosigkeit wie auf seinem.

„Ich habe Anthony erkannt, ohne Zweifel,“ fuhr er fort.

„Offenbar wurde er nicht erschossen, wie man dir sagte.

Was tut er hier?

Wer sind diese neuen Freunde um ihn herum?“

„Auch ich glaube es immer weniger: dass dies eine menschliche Insel ist. Doch ich erinnere mich an Tamaras Frage: Ob etwas mir Furcht bereitet?

Wie geht es dir?

Fühlst du Furcht?“

„Furcht?“ Patrick schüttelte den Kopf. „Wenngleich ich doch eine große Spannung und Unruhe spüre.

Wenn es nicht menschlich ist – dann ist es fremd.

Und doch wieder ist es das nicht.

Es verwirrt mich.

Das Maß der Verzauberung verwirrt mich, die Freude.

Doch: Verzauberung - es ist das treffende Wort.“

Seine Blicke kreisten unruhig in einem inneren Raum.

„Sie besprechen sich über uns.

Um welche Entscheidungen geht es?

Um welche Geheimnisse?

Nein, dies ist keine menschliche Insel.

Schon diese ungewöhnlichen Pflanzen und Tiere…

Ein singender Felsen…

Und die sonderbare Geometrie dieser Gebäude, ihr Material…

Doch Tamara ist hier.

Und Anthony.

Nein, wirkliche Furcht spüre ich nicht.“

Wir schwiegen nur wieder kurz.

„Tamara -: Es ist sonderbar, wie ich sie plötzlich erneut erlebe,“ sagte ich. „Irgendwie ist es genau die Frau, die ich traf, als ich das erste Mal ihre Sozialstation besuchte.

Zugleich ist sie noch etwas anderes. Etwas das mir damals nicht völlig verborgen blieb, doch das ich in keiner Form wirklich hätte beschreiben oder benennen können.“

Meine Gedanken schweiften zurück.

Zu Tamaras Sozialstation in New York.

Zu den Momenten unserer Begegnungen.

Ich möchte an dieser Stelle einfügen, wie ich mit Tamara erstmals Bekanntschaft machte.

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