Читать книгу Harras - der feindliche Freund - Winfried Thamm - Страница 10
Kapitel 5 Mitte August 2000
ОглавлениеZurück zum Fest:
Die fast erwachsenen Kinder der Gastgeber machten auf der Geburtstagsfete den Service.
„Jan bringst du uns bitte zwei große Pils.“
„Du scheinst die Leute hier gut zu kennen“, bemerkte Harras und sein aufmerksamer Blick wanderte über die Gäste.
„Geht so. Ich bin froh, mir endlich die Namen der Kinder von Bernhard und Benno gemerkt zu haben. Was treibt dich hier hin und was machst du eigentlich? Wie geht es dir denn überhaupt?“ Ich wollte gleich alles auf einmal wissen.
Harras bremste mich aus:
„Erstens, die Neugier, zweitens, mal dies mal das, drittens, ich kann nicht klagen. Aber bitte, nicht weiter so in diesem Interviewstil. Lass uns von früher reden. Heute ist mir nach Weißt-du-noch-damals-Geschichten, okay?!“
„Kein Problem.“ Ich hatte schon verstanden. Mit ihm konnte ich nicht so, wie mit einigen anderen, die ich lange nicht gesehen hatte, da anknüpfen, wo wir jetzt stehen. Es brauchte die Vergangenheit, nur die Vergangenheit, erst einmal.
Das Bier kam. Wir prosteten uns zu, grinsten beide unbeholfen und tranken.
Pause.
Schweigen.
Ich schaute auf ein Plakat an der Wand, er auf den vollen Aschenbecher.
„Du warst der Erste mit einem Auto in der Klasse“, begann ich unsicher.
„Ja, das war echt wichtig. Mein altes blaues Baby, dieser Kadett B“, biss er an.
„Weißt du noch, als wir damals nachts zum Baggersee nach Kirchhellen gefahren sind?“
Oh, Mann, wenn er darauf nicht anspringt, muss ich gehen.
„Ja, das war geil. Ich bin gefahren, du hast gelenkt, ich hab mit Hugo, der auf dem Rücksitz saß, Schach gespielt, und wir waren alle blau. Und Anna war noch dabei. Die zeterte so rum, wegen Unfallgefahr und so.“ Er grinste breit.
„Es war stockdunkel am Baggersee. Wir haben uns die Arme, Beine und die Gesichter an den Büschen blutig gekratzt und sahen aus wie die Kannibalen. Und dann sind wir mitten in der Nacht schwimmen gegangen, nackt im Baggersee. Das war schon wahnsinnig, das hatte was“, spann ich den Faden weiter.
„Ja, und du hast dich erst noch geniert, dich auszuziehen, weil Anna dabei war. Mein Gott warst du verklemmt. Bist du immer noch so katholisch?“
„Nee, lass mal, das hat sich gelegt.“
Wir bestellten frisches Bier, es kam auch prompt.
Wir tranken.
„Und weißt du noch, wie wir die Kiste Bier in diese Studentenkneipe reingeschmuggelt haben? Wie hieß der Laden noch?“ machte ich weiter.
„Tu nicht so, als wüsstest du den Namen nicht mehr. Das URS war’s, am Wasserturm in Huttrop. Und geschmuggelt war auch übertrieben. Wir haben einfach deinen alten Che-Parka drübergelegt, sind am Türsteher vorbei und haben den ganzen Tisch freigehalten. Das war nicht schlecht.“
Wieder dieses schiefe Grinsen.
Wir tranken.
„Dann hast du immer im Auto so tierisch laut und extrem falsch gesungen. Mein Gott war das schrecklich. Und als ich dir dann sagte, du solltest endlich mal aufhören mit dem Geheule, hast du eine Vollbremsung gemacht, dass ich mir in den alten Gurten – Automatik: Nein danke – fast das Schlüsselbein ramponiert hätte und hast mich aus dem Auto geworfen. Du warst früher schon ein exzentrischer Vogel.“
„Das hattest du auch verdient, das war meine kleine Rache. Erstens wusstest du nämlich genau, dass ich unmusikalisch bin und so gerne Musik gemacht hätte und zweitens habe ich dich ja dann wieder eingesammelt.“
Jetzt war sein Grinsen eher verlegen und sein Blick ging nach unten. Wir tranken und rauchten. Dann machte er weiter:
„Dafür hattest du das mit den Mädels ja überhaupt nicht raus. Wenn du wüsstest, wie viele Tussis dich wegen deiner Musik, deinen Weltverbesserungsliedern und deiner sanften Stimme angehimmelt haben. Aber du hast das überhaupt nicht gemerkt und dich immer in die Falschen verguckt. Selbst die hast du nur aus der Entfernung angestarrt, nicht mal ordentlich angebaggert, sondern platonisch angeschmachtet und dir nachts allein einen runtergeholt.“
Er lachte lauthals auf. Mir blieb das Lachen im Hals stecken.
„Ja, stimmt. Du Arschloch. Du bist echt noch so übel drauf wie früher.“
Ich spürte wieder den Feind in ihm.
Ein Friedensangebot meinerseits: „Mit den Mädels hattest du überhaupt keine Probleme. Du warst immer so arrogant und selbstbewusst, dass sie dir nur so zuflogen. Das habe ich nie verstanden. Manchmal hatte ich den Eindruck, sie suchten deine Demütigungen.“
„Ich habe die Frauen nicht erfunden. Warum sie so sind, dafür kann ich nichts. Ich kann halt Liebe nur und sonst gar nichts“, sang er schräg, wie immer.
Er schaute dabei so pseudo-unschuldig und charmant, dass ich es schon fast wieder verstand.
„Und du hast dann die Ulli angemacht, obwohl du wusstest, wie unsterblich ich in sie verliebt war, du Sausack. Aber lang ist’s her, Schwamm drüber.“
„Ich wollte dir nur mal zeigen, wie einfach das ist. Es war eine Lektion, mehr nicht. Aber du mit deinen katholisch verklebten Augen hast das nicht verstanden. Klappt es denn jetzt besser mit dir und den Frauen?“
Ich stellte die Ohren auf. Ob wir in diesem Augenblick die Kurve zur Gegenwart kriegten? Denn es interessierte mich schon, was der jetzige Harras so machte.
„Du kannst beruhigt sein, ich brauche keine neuen Nachhilfestunden mit dem Holzhammer von dir. Ich habe nach langem Suchen und Ausprobieren eine wunderbare Frau gefunden, die ich vor sieben Jahren geheiratet habe. Und wir haben einen siebenjährigen Sohn zusammen, den kleinen Karl. Danke, es geht mir gut.“ Ich sah ihn stolz an.
„Ja, so was Ähnliches hab’ ich mir gedacht. Also doch nichts dazugelernt.“ Er lachte lauthals seine Hyänenlache und stieß mit mir an.
„Prost, du alter Biedermann.“
„Prost, du altes, arrogantes Arschloch.“
Wir tranken.
„Und wie geht es dir mit den Frauen?“, forschte ich nach.
„Ich war und bin ein Jäger. Die Jagd an sich ist spannend. Das Balzen und Turteln und Lügen und Machen. Und das Erlegen. Der Fick. Danach ist tote Hose. Herz, nein danke. Ach, weißt du, Anna, die hatte was, was ich bei keiner wiedergefunden habe. Dass ich die habe sausen lassen, war ein großer Fehler. Der Leichtsinn der Jugend. Ansonsten, die Liebe ist ein Ideal. Und jede Frau hat nur einen kleinen Teil dieses Ideals in sich. Keine kommt da nur annähernd dran. Ich sammle diese Teile wie ein Puzzle, ich bin ein Neandertaler, wenn du verstehst. Am liebsten raube ich sie aus den Armen anderer Männer, vorzugsweise Piraten. Das ist geil und ziemlich spannend. Das mit der Kleinfamilienidylle wäre nichts für mich. Die Gattin ficken und dabei an andere heiße Teile denken, nee.“
„Du bist und bleibst der Typ der diabolischen Nachsätze.“
„Komm, jetzt frag schon, was ich beruflich mache, womit ich meine Brötchen verdiene. Dann haben wir’s hinter uns.“ Und wieder dieses Grinsen.
„Genau, das wäre die nächste Frage gewesen. Jetzt sag schon.“ Ich fühlte mich durchschaut. Der alte Seher war er auch immer noch.
„Ich verdiene mein Geld als Geier. Mit guten Drähten zu Banken, Steuerbehörden und anderen wichtigen Leuten. Auch das Internet ist da eine große Hilfe. Ich kaufe Immobilien von Leuten, die schlecht bei Kasse sind, billig auf und verhökere sie teuer an Leute, die Geld haben. Vorher lasse ich diese Objekte optisch gut durchrenovieren. Ich kenne da so ’n paar Polen, die das preiswert hinkriegen, und dann gehen sie weg wie warme Semmeln. Ich arbeite zu Hause nur mit PC, Internet und Telefon. Hier und da bin ich zu Hausbesichtigungen auch mal unterwegs. Wenn ich das nicht täte, täte es ein anderer. Tätärätätä.“ Sein Grinsen war keineswegs schuldbewusst. „Und du? Um dieses langweilige Thema abzuschließen.“
„Du nimmst es von den Loosern, ich nehme es von den Aufstrebenden. Für Betriebsleiter mittelgroßer Firmen, Manager der mittleren Ebene und Geschäftsführer sozialer Einrichtungen führe ich Seminare durch zu Zeitmanagement, Qualitätssicherung und Personalführung. Ich habe ein kleines Büro mit fünf Mitarbeitern in der Schulung und einer Sekretärin. Das läuft ganz gut. Du bist der Leichenfledderer und ich der Geburtshelfer, siehste.“ Ich grinste hämisch.
„Prost, du guter Mensch von Sezuan. Du machst dir doch nichts vor, oder?“
„Nein, an unseren alten Maßstäben gemessen sind wir beide auf der falschen Seite gelandet.“
„Nicht an unseren, an deinen Maßstäben gemessen, achte drauf. Damit bist du das Schwein.“
„Prost, auf mich, das Schwein und auf dich, den Satan.“ Wir lachten und tranken und erzählten wieder von früher und damals. An diesem Abend war auch das Gefühl von alter, unerschütterlicher Freundschaft wieder da. Schließlich gab ich ihm meine Visitenkarte, wir bestätigten uns gegenseitig einen netten Abend und er versprach, sich bald zu melden. Als ich das Fest verließ, so gegen halb vier, war ich ziemlich betrunken.