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Kapitel 4 11. Juli 2001

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Jetzt noch einmal etwas zu Harras und mir:

Wir lernten uns auf dem Gymnasium kennen. Als er das zweite Mal sitzen blieb, kam er in meine Klasse, die Obersekunda, so hieß das damals. Zuerst fand er mich nur interessant, weil ich mit den „richtigen“ Leuten zusammen war. Es waren die, die Bier tranken, kifften, feierten, Unterricht schwänzten, gegen die Lehrer revoltierten, auf Demos gingen und sich wehrten. Das Politische war ihm immer gleichgültig gewesen, im Unterschied zu mir, aber das Aufmüpfige, das Unangepasste und das Ausgeflippte hatte ihm gefallen. Er machte auch die damalige Mode der langen Haare und der Che-Guevara-Parka nicht mit, wurde aber deswegen seltsamerweise von keinem kritisiert oder ausgeschlossen. Mein politisches Bewusstsein war damals eher von erzählter Kommunistenromantik über Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Sacco und Vanzetti, Ernesto Cardinal, Che Guevara und von einem allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl geprägt als von fundiertem Wissen über Marx, Engels und dem dialektischen Materialismus als Kritik am kapitalistischen System und von der Musik dieser Zeit natürlich, von Bob Dylan, Donovan, Joan Baez, den Stones und Beatles, Zappa und Pink Floyd und den Liedermachern mit ihrem naiven Sendungsbewusstsein. Es war für mich ein zeitgeistiges Phänomen aus Philosophie, antibürgerlichem Widerstand, sozialem Engagement und Hippiegefühl. Politisch gesehen war ich eher ein Mitläufer. Harras und mich verbanden die Gemeinsamkeit der philosophischen Gedankenexperimente, das Verlangen, anders zu sein und ..., nun ja: das Bier. Und uns verband unsere gemeinsame Faszination an unseren Unterschiedlichkeiten: Er war ein Spieler, Schach und Poker, so selbstsicher, so arrogant, so kühl, so egoistisch, so belesen, so gescheit, so distanziert, so sprachgewandt, so chaotisch und so entwaffnend ehrlich. Und die Frauen liefen ihm nach. Mir nicht. Ich bemühte mich um sie, verliebte mich andauernd, ohne anzukommen, hing unerfüllten Lieben nach, traute mich nicht und wenn, dann ohne Selbstvertrauen. Ich wollte keinem Menschen wehtun, am wenigsten mir selbst, war hilfsbereit und geduldig, suchte Sicherheit und Anerkennung in Gruppen. Doch das war es nicht, was er an mir mochte. Denn das war nur Grund für ihn, sich besser zu fühlen. Doch ich konnte die Lieder von Dylan, Donovan und Cohen mit so einer Inbrunst spielen, als hätte ich sie selbst geschrieben. Ich war ziemlich fit auf dem Klavier und konnte bei zufälligen Treffen von Musikern, und die gab es damals reihenweise auf Feten, mit ihnen improvisieren. In meiner Jugend hingen überall Gitarren herum, nicht selten gab es in Kneipen oder bei Freunden zu Hause auch Klaviere. Ich konnte durch die Musik viel von mir geben. Meine Philosophie, mag sie auch noch so naiv gewesen sein, war sichtbar oder hörbar in Liedern und Tönen. Ich konnte weinen am Klavier und schreien in meinen Liedern. Harras hatte überhaupt keine Ahnung von Musik. Da bekam er glänzende Augen, da bewunderte er mich.

Harras - der feindliche Freund

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