Читать книгу Goethe und Grimm hätten sich in Karlsbad und Teplitz treffen können - Winfried Wolf - Страница 4
Heute weder am Sprudel noch am Mühlbrunn
ОглавлениеGrimm ist heute weder zum Sprudel noch zum Mühlbrunn gegangen. Er war erst gegen halb neun aufgestanden, hatte sich Tee und ein zweimal gebackenes Brot kommen lassen und war dann wieder im Armsessel am Fenster ein wenig eingenickt. Nicht jedem Gast bekam das Wasser, Grimm gehörte zu denjenigen, die sich überwinden mussten. Ihm war heute speiübel und in Erwartung einer plötzlich auftretenden Unpässlichkeit schien es ihm geraten zu sein, zumindest den Vormittag auf dem Zimmer zu bleiben. Vielleicht konnte er ja noch ein paar Schreibarbeiten erledigen. Er hatte den Seinen in Gotha versprochen, sie über die Fortschritte seiner Kur zu unterrichten. Die kleine Katharina hatte ihm einen süßen Brief geschrieben, darauf musste er auf jeden Fall antworten. Auch dem Herzog musste er schreiben und ihm für das großzügige Reisegeld danken und dann warteten die Emigranten auf ein tröstliches Wort, wenn nicht gar auf eine finanzielle Zusage. Den Brief an die Kaiserin hatte er fast fertig. Katharinas Kurier würde sicher ein paar Tage in Karlsbad bleiben, ihm könnte er auch diktieren, wenn die Augen wieder trüb wurden. Vor drei Tagen kam Goethe, er wird ihn in den nächsten Tagen am Brunnen treffen. Man macht hier viel Aufhebens um den Dichter. Madame Brun war schon voller Erwartung, wie sie ihm gestern auf der Promenade fast mädchenhaft schüchtern gestand. Sie hatte den Dichter noch nicht leibhaftig gesehen und erwartete von ihm nichts Geringeres als die Veredelung ihrer Seele. Das ist schon merkwürdig mit den Deutschen, man hat hier viel Talent in Weimar, aber fehlte es nicht etwas an Geist? In Paris hat Goethes Werther vor der Revolution keine guten Kritiken bekommen. Ich selbst habe in dem Werk nur eine alltägliche und kunstlos dargestellte Handlung gefunden. Wilde Sitten, eine bürgerliche Ausdrucksweise und die Heldin? Eine Frau von plumper, provinzieller Einfalt. Die Brun sieht in Goethe jedenfalls einen Günstling der Musen und Grazien. Für sie ist der Schöpfer des „ Tasso “, des „ Egmont “ und der „ Iphigenie “, des „ Götz “, des Fausts “ und ach der anderen Sachen, die ich weder gelesen noch gesehen habe, ein Genie. Vielleicht ist er das auch. In Pempelfort hat er aus seiner Iphigenie gelesen, das Publikum hat ihm applaudiert, ich hatte keinen rechten Zugang zu diesen Sachen. Er ist aber auch ein Liebhaber der Natur und hat über die Metamorphose der Pflanzen geschrieben und neuerdings soll er sich mit der Farbenlehre beschäftigen. Ob ich ihm einmal etwas von Diderots Ideen über die Farben erzählen soll?
Grimm riss sich aus seinen Gedanken, nahm seinen Platz am kleinen Schreibtischchen ein, legte sich Tinte und Feder und Papier zurecht und begann einen Brief an seine Katinka zu schreiben.
Am Abend des fünften Juli hatte Goethe in sein Tagebuch die folgenden Notizen gemacht: „ Zum ersten Mal Sprudel getrunken. Mehrere Bekanntschaften gemacht, die Brun stellt mir die Meyers vor. Den größten Teil des Morgens spazieren gegangen. Mittags bei Graf Reuß, wo auch ein Kurfürstlich Sächsischer Gesandter war. Nachher wieder spazieren. Bei Steinschneider Müller Steine besehen. Nach Tische über den Hirschsprung. Abends auf das Posthaus, wo Fürst Lichtenstein eine Fete gab. Um 9 Uhr zurück. Bekanntschaft mit Graf Golowkin. “