Читать книгу Die letzten Tage des Sommers - Winston Groom - Страница 6

Prolog

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Vom höchsten Punkt aus sah man, wie das Land in sanften Hügeln nach Süden und Westen rollte. Man erkannte Geißkleefelder, Schwarzeichen, ein paar kümmerliche Nadelbäume und Distelhecken, in denen der herbstliche Tau glitzerte. Abgesehen von den schmalen, sumpfigen Wasserläufen, an denen sich große Laubbäume über dichtes Gestrüpp erhoben, war es eine unfreundliche, karge Gegend, die von der Land- und Forstwirtschaft längst aufgegeben worden war. Nur die Schwarzen bewirtschafteten hier noch Gemüsefelder.

Man sah nicht bis zum blaugrünen Golf von Mexiko und zu den brackigen Fluten des Mississippi-Sunds 65 Kilometer südlich, durch den einst Don Miguel Estaban gesegelt war, der Ahnherr der Holts, der sich hier niedergelassen hatte und zum Steuer- und Zolleinnehmer des Königs von Spanien aufgestiegen war.

Dieser Grund und Boden gehörte zu den Ländereien, die er später als Lohn für seine Dienste erhalten hatte, und zwar im Zuge einer sogenannten »Daumenzuteilung«, bei der dem Beschenkten so viel Land zufiel, wie er auf einer Landkarte mit dem Daumen abdecken konnte.

Don Miguel Estaban war entweder mit einem großen Daumen oder mit einer kleinen Landkarte gesegnet, da sich seine Ländereien nach Westen bis in das heutige Louisiana hinein, nach Osten bis zu den großen Sümpfen und nach Süden bis zum Golf von Mexiko erstreckten. Sie umfaßten auch den größten Teil der Gemarkung des heutigen Fluß- und Seehafens Bienville.

Allerdings ließ sich schon damals mit dem Land wenig anfangen. Auf dem sandigen, alkalischen Boden lebten Wachteln, Opossums, Hirsche, Kaninchen, einige Bären und ein paar tausend Indianer, die von dem Besitzerwechsel nicht in Kenntnis gesetzt wurden. Der Urahn der Holts blieb in der Stadt, wo ihm die Handels- und Exportfirma, die er gegründet hatte, ein gutes Einkommen sicherte. Er selber und nach ihm seine Söhne und Töchter und dann deren Kinder verkauften das Land, an dem sie nur der Verkehrswert interessierte, Stück für Stück.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte der Süden dank der Erfindungen von Fulton und Whitney einen Baumwollboom, doch das Anbaugebiet endete ungefähr 150 Kilometer weiter im Norden mit den fetten Böden, die von den Flüssen Tombigbee und Black Warrior angeschwemmt worden waren. Während in der großen weiten Welt ein Senator aus Kentucky, Henry Clay, in leidenschaftlichen Reden für die Rechte der Einzelstaaten der USA kämpfte, europäische Philosophen sich mit dem Hegelschen »Absoluten« beschäftigten und die Soldaten ihrer Vernichtung im Krim-Krieg entgegengingen, lag der Besitz so brach und wertlos da wie eh und je.

Im Jahre 1860, als Amerika am Rande des Bürgerkriegs stand, ging der Besitz durch Heirat an den ersten Holt über, nachdem der letzte Estaban gestorben oder weggegangen war. Auch die Holts zogen das Leben in der Stadt vor, und auch sie entledigten sich des Landes, das immer noch unter zwei Dollar pro Hektar gehandelt wurde, Stück für Stück – um Steuern zu bezahlen, Schulden zu begleichen und mit Hilfe unehrlicher Anwälte und geldgieriger Geschäftemacher abzusahnen. In den 80er Jahren stieg dann eine neue, zupackende Generation von Holts mit Erfolg in den Kommissionshandel mit Baumwolle ein, und die Landverkäufe hörten eine Zeitlang auf – bis die folgende Generation mit der Handelsfirma Schiffbruch erlitt und erneut Land verkauft wurde. Nachdem Johnathan Holt I. um die Jahrhundertwende eine kleine Schiffsbeladungsfirma gegründet hatte, blieben das Land und das Geld wieder in der Familie. Inzwischen war der Besitz auf circa 300 Hektar zusammengeschrumpft, doch selbst dieser kleine Rest war – bei eher bescheidenen 200 Dollar pro Hektar – mehr wert als die ursprünglichen 25 000 Hektar zu dem Zeitpunkt, da Don Miguel Estaban das Land erhalten hatte.

Johnathan Holt der Ältere war ein aufrechter, frommer Mann mit Weitblick, der mit seinem Geld und seinem Land niemals leichtfertig umgegangen wäre und seine persönlichen Werte seinen zwei Kindern, Johnathan II. und Hannah zu vermitteln versuchte. In seinem Letzten Willen teilte er das Land unter ihnen auf. Hannah Holt, eine nach den Idealen der Jahrhundertwende anmutige Schönheit, heiratete einen Mann namens Loftin, der nördlich der Stadt eine ganze Kette von Sägewerken besaß, und wählte mit ihrem Gatten eine Anhöhe auf ihrem Teil des Besitzes als Bauplatz für ihr Wohnhaus. Johnathan H. blieb in Bienville und übernahm die Schiffsbeladungsfirma, fuhr aber häufig in die Gegend, die mittlerweile unter dem Namen Creoletown bekannt war, um auf seinem Land zu angeln oder zu jagen. Gelegentlich schaute er auch bei der einsamen schwarzen Familie vorbei, die dort oben nach dem Rechten sah. Vor seinem Tod vermachte er ihr ein beträchtliches Stück seines Landbesitzes, während er alles übrige unter seine vier Kinder aufteilte.

Sein ältester Sohn, Johnathan III., verbrachte einen großen Teil seiner Jugend und sogar seiner frühen Erwachsenenjahre dort oben – um dann aus seiner Vorliebe für das Jagen und Fischen einen Beruf zu machen und Jagd- und Angeltrips für Besucher Bienvilles anzubieten.

Der zweite und der dritte Sohn, Brevard und Percy, betrieben die Schiffsbeladungsfirma, während die Tochter, Marci, von einer Ehe in die nächste schlitterte. Für das Land interessierte sich nur Johnathan III., auch er allerdings immer weniger, da man anderswo besser jagen und fischen konnte.

Weder die Generationen der Estabans und Holts noch die Indianer vor ihnen hatten geahnt, daß unter ihren Füßen ein lautloser geologischer Prozeß im Gange war, der schon lange eingesetzt hatte, bevor sich die ersten Vorfahren der Estabans und Holts aus dem Urschlamm erhoben hatten.

Im Paläozoikum waren Billionen von Organismen auf den Grund gesunken, um sich unter dem Druck des Deckgebirges langsam in Faulschlamm zu verwandeln, aus dem eine schwarze schmierige, dickflüssige Substanz entstand: öl, das in Kalksteinschichten unter dicken Gesteins- und Erdformationen lag.

Schon mehrmals hatten Ölgesellschaften in der Gegend Probebohrungen durchgeführt, doch erst in der letzten Novemberwoche des Jahres 1959 kam man zu gesicherten Ergebnissen. Einige Tage später, um den Thanksgiving Day herum, erhielt Brevard Holt in seinem Büro einen Anruf vom Anwalt der Familie. Die Proben, so berichtete Mr. Augustus X. Tompkins, die man auf dem Land der Holts und im näheren Umkreis entnommen habe, deuteten darauf hin, daß man auf das größte Erdöl- und Erdgasvorkommen seit dem berühmten Fund im texanischen Spindletop im Jahre 1901 gestoßen sei.

Im Einklang mit seiner reservierten Art nahm Brevard Holt die Nachricht ruhig und gelassen entgegen, doch dann geriet er in eine Art Taumel und genehmigte sich einen Drink aus der Flasche mit Jamaica-Rum, die er in einer Schreibtischschublade verwahrte.

Es handelte sich um eine Information von größter Tragweite, die ihn und seine Geschwister zu Millionären machen konnte, wenn man die Sache richtig anpackte. Brevard behielt die Neuigkeit fast eine Woche lang für sich, bevor er seine Geschwister am Montag nach Thanksgiving zu sich einlud, um sie zu informieren – womit er eine Kette von Ereignissen in Gang setzte, die der Familie Holt schwer zu schaffen machen sollten und am Schluß sogar ihren Untergang heraufzubeschwören drohten.

Die letzten Tage des Sommers

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