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La Grande Nation und die Tour de France
ОглавлениеDas bedeutendste Radrennen der Welt kannte Bauer Mathieu nur aus dem Fernsehen - bis zu jenem Tag, als die Tour de France tatsächlich ins Dorf kam, genauer gesagt, auf der großen Verbindungsstraße am Dorf vorbeifuhr. Der Bürgermeister hatte extra zwei Sondersitzungen des Gemeinderats einberufen und man hatte lange diskutiert über die beste Präsentationsmöglichkeit des Dorfes, denn immerhin berichten Fernsehen, Radio und Presse in aller Welt über dieses Ereignis. Der einzige Beschluss, der wirklich gefasst werden konnte, war dann aber nur die Zustimmung zur Anschaffung von sechs blau-weiß-roten Fahnen gewesen, denn diese konnte man auch weiterhin am Nationalfeiertag verwenden.
Um sich den besten Platz zu ergattern, hat Bauer Mathieu sich schon zwei Stunden vor der geplanten Durchfahrt genau in der Mitte der Brücke, die über die eigens für die Tour de France neu geteerte Straße führt, in seinen Campingstuhl, den er von Zuhause mitgebracht hat, gesetzt und zur Feier des Tages zwei Flaschen Rotwein aus eigener Produktion ausgepackt: Eine Flasche zum Trinken an Ort und Stelle, die andere gut sichtbar zwischen zwei Geländerstreben gestellt mit dem Etikett in Richtung der mit Sicherheit bald eintreffenden Fernsehkameras.
Gleichzeitig mit Cousin Roberts lärmender Familie, die sich hinter ihm mit einer Kühltasche voller Getränke und Essen breit macht, kommen die ersten Reklamemotorräder vorbei. Eine rothaarige Dame in sehr kurzem Minirock sorgt für vereinzelten Beifall, denn sie posiert dekorativ auf einem Rücksitz und wirft breit lächelnd Bonbons für eine Lokalradiostation in die Menge. Die acht Motorradfahrer der Polizei, die in einem Konvoi mit voller Beleuchtung und Blaulicht zügig vorbeifahren, werden von Jugendlichen mit einem langgezogenen abfälligem "Buh" begrüßt. Bauer Mathieu kann wenigstens noch verhindern, dass Cousin Roberts achtjähriger Sohn Bonbons nach den Ordnungshütern wirft.
Es folgen Dutzende von Reklameautos, Lautsprecher auf dem Dach, aus denen sich widersprechende Angaben über die Positionen der einzelnen Fahrer jagen; mit dem Lärmpegel steigt auch die Spannung unter den zahlreichen Zuschauern.
Ein drei Meter hohes Modell eines Fertighauses wird vorbeigefahren, Hostessen verteilen aus Kleinbussen heraus Werbegeschenke. Kulis, Mützen und Aufkleber fliegen aus den Autos, vereinzelt werden sogar T-Shirts in die Menge geworfen.
Der Wagen des Tour-Chefs geht unter in den Dutzenden von Begleitwagen mit Ersatzfahrrädern auf dem Dach. Die erste Fernsehequipe rast vorbei, ohne dass die Kameras laufen; ein südamerikanischer Radioreporter wird mit großem Hallo begrüßt, denn deren Fahrer konnte bisher noch keinem französischen Starfahrer gefährlich werden; dagegen werden die belgischen, italienischen und spanischen Fahrzeuge mit gellenden Pfiffen bedacht.
Auffällig, mit Wimpeln und Girlanden geschmückt wird auf einem Tieflader ein riesiger Traktor vorbeigefahren; ein funkelnagelneues, mit allen Schikanen versehenes Modell, von dem Bauer Mathieu immer geträumt hat. Er möchte die Marke oder wenigstens die Firma feststellen, aber es gelingt ihm nicht, weil die beiden Söhne seines Cousins direkt vor ihm, wild die Fähnchen einer Fahrradfirma schwenkend, die französischen Begleitautos begrüßen. Er hievt sich ruckartig aus seinem Campingstuhl, will auf die andere Seite der Brücke, kämpft sich mühsam durch die erboste Zuschauermenge, wundert sich, dass alle plötzlich laut Beifall klatschen und die Namen der französischen Rennfahrer schreien, kommt schließlich auf der gegenüberliegenden Seite an - aber sein Traumtraktor ist längst hinter der nächsten Kurve verschwunden. Ihm bleibt nun noch das Feld der mehr als zweihundert Rennfahrer - von hinten.
Innerhalb weniger Sekunden waren sie durchgefahren, gefolgt vom Pulk der Versorgungswagen und von mehreren Hundert Amateurfahrern, die, wie jedes Jahr, versuchen, wenigstens einen Teil der Tour de France-Strecke mit ihren großen Vorbildern mitzuhalten.
Trotzdem klemmt Bauer Mathieu zufrieden den Campingstuhl und eine Weinflasche unter den Arm und trottet nach Hause. Er hat seinen Traktor gesehen, den er sich nie leisten können, von dem er aber sicherlich noch lange träumen wird.