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Die ersten 6 Tage

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Die erste Arbeitswoche Gottes hatte das Ziel, das Tohuwabohu (aus dem Hebräischen: ‚wüst und wirr‘) zu einem geordneten Ganzen zu machen. Drei Tage formte er, drei Tage füllte er. Keiner unserer Zeitgenossen würde auf eine Baustelle gehen, ohne ein entsprechendes und modisches Outfit zu haben. Was hatte er also an? Im ersten Teil ging es erst einmal um einen systematischen Ablauf, der den Zweck hatte, die Erde grundsätzlich besser zu machen, es sollten kreative Entscheidungen sein, er wird sich also nicht die Hände dreckig gemacht haben, er wird mit dem Gehirn gearbeitet haben, also der Typ eines heutigen Ingenieurs: Großraumbüro, gigantischer Schreibtisch ohne Grünpflanze, die er später nachreichte, viel Elektronik, vielleicht auch noch ein riesiges altes Zeichenbrett, dunkelblauer Anzug, weißes phantasieloses Hemd, hellbraune italienische Designerschuhe, modische Brille, am ersten Tag schon Dreitagebart, der zu einem Neuntagebart werden wird, Rolex mit laufender Stoppuhrfunktion, sonore Stimme, autoritärer Blick, der kaum Widerspruch zulässt, Workaholiker, der sich selbst nicht schont. Und er arbeitet konsequent seine bisher nie dagewesenen Ideen ab:

Tag eins: Gott macht es gleich ganz konsequent und erfindet den 24-Stunden-Tag und die Jahreszeiten. Das ist sehr komplex und verdient ordentlich Lob, denn alles andere wäre nicht von Dauer gewesen. Das heißt aber auch, dass vor diesem Tag alles stockdunkel war, höchstens die Vulkane mit ihrer glutroten Lava oder ein matter Schweif eines Kometen. Mehr nicht. Keine Lichtüberflutung, nur das Wenige, das sein musste. Jetzt versteht man auch, warum der Stern über Bethlehem so wirkungsvoll war und die Menschen in Angst, Schrecken und Hoffnung versetzte. Heute entspräche er einem unauffälligen mittelgroßen LED-Stern oben am Supermarkt. Was muss in Gott vorgegangen sein, als er zum ersten Mal das über das Durcheinander flutende Basislicht sah? Emotionen pur, wahrscheinlich zog er das Jackett aus, weil ihm plötzlich heiß wurde, und er krempelte die Ärmel hoch, weil er wusste, dass der nächste Tag noch anstrengender werden würde.

Tag zwei: Erschaffung der Himmel und der Meere. Eines von beidem hätte ja im Anspruch gereicht, aber er will beides. Welch ein kreativer und erfolgreicher Gott! Dieses Alleswollen und Alleskönnenwollen ist wohl auf das Amt des Papstes übergegangen. In der heutigen Zeit entspräche dies dem Abschaffen von Hunger und Krieg an einem einzigen Tag! Was muss er gewuchtet und gebastelt haben, um in dieses Meer von Steinen, Sand und Erde so viel Wasser zu bekommen, dass es riesig wird. In der ersten Nacht muss da noch etwas geschehen sein, was er quasi so nebenbei erfunden hat. Bisher gab es nirgends Wasser, das einzig Flüssige waren die Lavaströme der Vulkane, so ziemlich das pure Gegenteil. Er hat unglaubliche Mengen von Wasserstoff mit halb so viel Mengen an Sauerstoff gemischt und das lebensentscheidende H2O erfunden. Toll!

Die ersten Meere müssen ausschließlich grau und braun wie ihre Umgebung ausgesehen haben. Das war wirklich trist und wenig inspirierend, also spannte er aus dem Nichts den Himmel darüber in allen Farben eines Regenbogens und noch mehr: Die dominierende Sehnsuchtsfarbe wurde blau und nachts war tiefes Schwarz angesagt, zumindest damals noch. Das Bild eines sehr zufriedenen Gottes am Ende des zweiten Tages kann man sich ganz kitschig vorstellen. Er saß oben auf einem Hügel und schaute ganz genüsslich in die Nacht hinein. So sieht Zufriedenheit aus, ein Gefühl, das bis heute in uns nachwirkt. In der Nacht schlief er schlecht und wurde immer wieder von den berauschenden Bildern seiner ersten beiden Tage wach. War es das schon? Könnte er mehr erreichen? Könnte er Besseres erschaffen? Seine Kreativität ließ ihn schon lange vor Sonnenaufgang an seinem Aussichtspunkt sitzen und bei den ersten wärmenden Sonnenstrahlen durchströmte sein Körper das sichere Gefühl für das, was fehlt und was er noch tun müsse.

Tag drei: Gott baggerte sich ein schönes Land. Sicherlich nicht mit den Händen, er dachte es sich wie bisher in seinem Büro aus und benutzt Kräfte, die seitdem nie mehr in diesen Dimensionen benutzt wurden und auch nicht mehr nötig waren, höchstens noch auf anderen Planeten, aber dafür war er ja nicht zuständig. Es könnten kontrollierte Atombomben gewesen sein oder hochspezialisierte Wasserstoffantriebe, Umweltschutz war in dieser Phase noch kein Thema und eventuelle Halbwertzeiten konnte er locker aussitzen. Es gab damals kein Vorbild, wie ‚schönes Land‘ aussieht, also ließ er erst einmal das ursprüngliche Tohuwabohu. Berge blieben Berge, Täler blieben Täler, er griff nur ein, wenn ihm etwas unnötig hoch oder zu weiträumig war - die Alpen schuf er beispielsweise, um vorausschauend die lockere südliche Lebensauffassung von den leistungsbezogenen Nordlichtern zu trennen, denn er brauchte und wollte beides. Manchmal zögerte er, es entstanden Inselwelten (Malediven, Karibik), manchmal befahl er zu viel Kraft (Himalaya, Anden), manchmal versuchte er von Hand zu korrigieren (die norwegischen Fjorde) und manchmal schuf er mit dem Unterarm rutschend endlose Weiten (die nordamerikanischen Prärien). Es war der Morgen des dritten Tages, erste Ermüdungserscheinungen machten sich von den anstrengenden Arbeiten der Vortage bemerkbar, denn eigentlich wollte er eine Art Gerechtigkeit für alle Teile der Erde. Doch kaum hatte er einen Teil gebastelt, sank ein anderer wegen dem Gegenwicht der Landmassen ein, er korrigierte und peng, stieg irgend woanders ein ungeplantes Gebirge in die Höhe. Gegen Mittag gab er auf, wartete noch einen Moment, bis sich alles gehoben und gesetzt hatte, korrigierte nur noch an wenigen Stellen (die Kanarischen Inseln), lehnte sich zurück und war eigentlich mit sich und seinem Land zufrieden, er hatte gelernt, Kompromisse zu akzeptieren.

Dieser Tag sollte endlos lang werden, er ahnte es, verzichtete auf das Mittagessen und beschloss, erst am Abend etwas zu sich zu nehmen. Das triste Land war uneben, holprig, grau und braun. Also wollte er etwas ‚für darüber‘, eine Art Decke, die es möglichst bunt werden lassen würde. Er schaute in einen Regenbogen und fragte sich unsicher: „Welche Farbe soll ich nehmen?“ Ja, Blau war seine Lieblingsfarbe, doch bei den ersten Versuchen mit hell- bis dunkelblau schien ihm der hellblaue Himmel zu wenig zur Geltung zu kommen – schließlich sollte dort oben sein Wohnsitz werden – er versuchte es mit gelb: „Äh, widerlich.“ Rot: „Zu aufdringlich.“ Weiß: „Wird zu schnell schmutzig.“ Schwarz probierte er erst gar nicht aus wegen der Nacht, also blieb nur seine am wenigsten bevorzugte Farbe Grün. „Na ja, manchmal muss man Kompromisse machen.“ Erst tüftelte er alle Farbvarianten aus und war schon halbwegs zufrieden, als ihm die zündende Idee mit den Blüten kam, die alle Farben haben mussten - und schon begann die eigentliche Arbeit: Er schuf in höchstens sechs Stunden Millionen von verschiedenen Pflanzen in allen möglichen und unmöglichen Formen in unglaublich vielen Blütenfarben, das schafft heute weltweit noch nicht einmal das Team eines Großbetriebes. Gratulation! Er fand sogar Zeit, sich selbst Fans zu schaffen (die Gottesanbeterin), machte kleine Fehler (die Würgefeige verträgt sich nicht mit dem Gebot ‚Du sollst nicht töten‘) und übersah eine ganze Menge von Schädlingen (Maikäfer, Heuschrecken), erst im Nachhinein kam er auf die Idee, dass er diese als ‚Strafe Gottes‘ einsetzen könne. Am Abend des dritten Tages blühte und grünte es auf der ganzen Erde, ein echtes Wunder in dieser kurzen Zeit. Erleichtert lehnte er sich müde zurück, war wieder zufrieden, weil er nun wusste, dass er einen grünen Daumen hatte und freute sich an der Vielfalt der Pflanzen, die er jetzt einfach ihrem biologischen Schicksal überlassen konnte.

Diesen Urzustand der Erde wird es nie mehr wiedergeben können: Alles, was grünte, war jung, unbelastet, Hoffnungsträger für die zukünftige Entwicklung und weder Tiere noch Menschen konnten es fressen, niederbrennen oder vernichten, denn diese sollten erst in den nächsten Tagen folgen.

Am vierten Tag hatte Gott noch keine Lust auf die Vögel und Fische, doch das trübe und unregelmäßige Licht, das nur aus den zahlreichen Vulkanen und seinem Heiligenschein stammte, veranlasste ihn, Sonne, Mond und Sterne vorzuziehen. Es war ein heikles Unternehmen, denn er wusste nicht, ob da draußen noch feindliche Mächte Einfluss hatten. Er ging vorsichtig ans Werk und formte mit feuerfester Schutzkleidung aus der im Erdinneren fließenden Lava einen riesigen Ballon, der wegen der abnehmenden Anziehungskraft grösser und grösser wurde, je mehr er ihn nach oben schob. Die einzige Panne der ganzen Schöpfung sollte Folgen für alle weiteren Lebewesen haben: Die alle Krankheiten heilende Pflanze Allchimelia war so licht- und hitzeempfindlich, dass sie auf einen Schlag innerhalb von wenigen Minuten total ausgerottet war. Gott bemerkte den Verlust erst, als viel später massenhaft Infektionen, Schlaganfälle und Geschlechtskrankheiten auftraten, da war es dann aber für eine Neukreation schon zu spät. Er war der Überzeugung, dass andere Pflanzen genügend Heilpotential hätten und öffnete so den zahlreichen Apothekern und Quacksalbern den Weg. Als er endlich unter Mühen und mit vielen Brandblasen die Sonne einigermaßen geschickt platziert hatte, machte er die einzige kurze Pause in dieser anstrengenden Woche: Er setzte sich schwitzend und schnaufend auf einen Berggipfel und bewunderte bei Sonnenlicht seine neue grüne und gut geformte Erde. Er konnte gar nicht genug von dieser unerwarteten Schönheit kriegen und saß und schaute und freute sich und saß und sang ein Loblied auf sich selbst, als es plötzlich dunkel wurde. Die Sonne war hinter dem Horizont verschwunden, die letzten Strahlen zeigten noch einmal das epochale Grün und dann war plötzlich alles wie die Jahrmilliarden zuvor: Fahl und trist. Nachtarbeit war angesagt. Erbost über seine Fehlplanung, stocherte er im nächsten Vulkan einen Klumpen zusammen und warf ihn wütend soweit er konnte. Der Mond war aufgegangen. Und damit es hinter ihm nicht so leer war, schuf er noch wütender mit der letzten in der Nähe verfügbaren Lava und einem rekordverdächtigen Weitwurf mit einer Handvoll kleiner Brocken das Sternenzelt, unregelmäßig und ganz seinen Emotionen entsprechend, mal dichter, mal dünner gesät. Nun war er halbwegs zufrieden, legte sich sehr spät schlafen und folgte mit einem Auge, nachdem das andere bereits eingeschlafen war, seinem extraterrestrischen Werk und fragte sich immer wieder: ‚Weißt du wie viel Sternlein stehen?‘ Beim Eintausendvierhundertdreiunddreißigsten sackte er einfach weg.

Nun war schon Freitag, der fünfte Tag, und Gott rechnete systematisch aus, was noch zu tun wäre. Es fehlten die Vögel, die Fische, die Tiere und der Mensch: „Am liebsten hätte ich dafür noch vier Tage, aber eine Zehntagearbeitswoche ist viel zu lang, ich muss es in 48 Stunden schaffen.“ Also rationalisierte er und schuf erst Basisvögel für alle Höhen und Tiefen der Erde, passte sie den Klimazonen an und überließ die Weiterentwicklung der Evolution. So entstanden bunte Vögel für die Tropen, denn er wollte sie im dichten Grün sehen, winzige für die Feinarbeit im Unterholz, Leichenfledderer für die Hygiene, kleine und große Jäger, sein Liebling wurde natürlich der Adler, der gottgleich über den Dingen schwebt, mit den scharfen Augen alles sieht und bei Bedarf tödlich eingreifen kann. Seinen Versuch des Hypervogels Aigleobelix, der an Größe alle anderen übertreffen sollte, stoppte er mit einem Meteoriteneinschlag, nachdem er eingesehen hatte, dass Übergrößen weder schön noch praktisch sind. Außerdem musste er sich eingestehen, dass er ein von vorneherein erfolgloses Modell angedacht hatte, das so groß und stark sein sollte, dass es bis zur Sonne fliegen könne, um dort Positionsänderungen vornehmen zu können. Seine abgespeckte Variante, ein Mondmodell aufsteigen zu lassen, um in der Nacht dort fliegende Silhouetten zu produzieren, damit etwas Bewegung in den Himmel käme, scheiterte an der Angst der Adler, ins unbekannte Nichts zu fliegen. Er deponierte diese Idee in seiner To do-Liste für den morgigen Tag: „Große menschenähnliche Hochflieger nicht vergessen!“ Er hatte so gut und schnell gearbeitet, dass er sich lange vor Mittag zurücklehnen konnte, um seine Produktekette „Vögel“ in natura zu begutachten. Toll, wie es jetzt im Gras wuselte, von Baum zu Baum flogen sie solo und in Familienverbänden, darüber die Greifvögel im majestätischem Flug und ganz im Süden entdeckte er den Strauß, der zu kurze Flügel abbekommen hatte: „Nö, den repariere ich nicht, ich habe seinen Sinn noch nicht erkannt, aber er wird ihn schon finden. Na ja, vielleicht gefällt er mit seiner speziellen Gangart den Kindern, damit sie etwas zum Lachen haben“. Er hakte die Aufgabe „Schöpfung der Vögel“ befriedigt ab und blickte ins leere Meer.

Mit seinen ersten Gedankengängen war er nicht zufrieden. Am liebsten hätte er das Meer unbesiedelt gelassen, denn glitschige und kalte Viecher, egal wie sie denn aussehen werden, ließen seine Phantasie nicht sprießen. Er verschob den großen Wurf mit einer wenig bedeutsamen Voraufgabe: die Erfindung des Bibers. Er wusste, dass er kein Fisch ist, aber seine Künste unter Wasser gefielen ihm. Außerdem ahnte er jetzt schon, dass er damit seinen Kirchendienern eine Freude machen werde, denn am fischfreien Freitag konnten sie richtiges Fleisch genießen, gilt doch das, was im Wasser schwimmt, als Fisch. Seine Kreativität ließ ihn dieses Mal im Stich, er fand nichts Adäquates, was er als würdig befand, das Wasser zu füllen. Gelangweilt und auch etwas frustriert über seine Unfähigkeit, rupfte er ein Stück Rinde vom Baum, unter dem er gerade saß, warf es ins Wasser und befahl: „Werde zu einem Fisch!“ In Sekundenschnelle verwandelte sich das Stück Holz in ein zappelndes, langes, dunkles Wesen und schwamm weg: „Aaaaaa! Llllangsam! Ich will dich richtig sehen.“ Doch sein erstes Produkt war schon weg. „Okay, dann heißt du seltsames, schlängelndes Wesen ‚Aal‘!“ Dem nächsten Stück Rinde befahl er: „Werde Fisch, aber bitte nicht wie dein Vorgänger als langer großer Faden, sondern bitte mit mehr - äh – Hintern!“ Und schon war die Urform der meisten Fische dank seiner ungeahnten göttlichen Kraft geboren, er nannte ihn, weil sein Befehl 1:1 umgesetzt worden war ‚Barsch‘, das ‚B‘ sollte ihn etwas vornehmer klingen lassen. Was nun folgte, ist etwas peinlich, denn es entspricht nicht dem ursprünglichen Schöpfungsgedanken, es zeigt aber die positive, nette und unbändige Kindlichkeit, die wahrscheinlich auch mal notwendig ist, um ein solch großes Werk zu vollenden. Gott schälte fast den ganzen Baum, warf verschieden große Stücke ins Wasser und nannte sie nach den Vokalen, die er gerade empfand: „Hai – wie ist der groß!“ oder „Rinde, mach etwas noch Größeres, du hast selbst die Aus-Wal!“ oder „Noch ein kleines Stück, dann ist die Rinde alle!“, und schon entfaltete sich eine Qualle. Dieser Halbtag war für Gott richtig entspannend, er fühlte sich wie ein Kind, hatte nie das Gefühl von Arbeit und freute sich über die ihm selbst bisher nicht bekannte eigene Kraft, etwas zu sagen, was sofort in die Realität umgesetzt wird.

Gottes letzter großer und intensiver Arbeitstag, der sechste Tag, begann in seinem Himmelbett. Erst genoss er in vollen Zügen seinen Blick über die wunderschön gewordene Erde, Sonnenstrahlen kitzelten ihn in der Nase und brachten wohlige Wärme, dann fragte er sich, ob er überhaupt aufstehen solle, denn bei einem solch perfekten Aussehen, schien es ihm überhaupt nicht mehr nötig, noch etwas draufzusetzen. Er drehte sich wohlig auf die Seite und wollte gerade wieder einschlafen, als ein kurzer Albtraum ihn rasant wieder aufweckte: Sein Gewissen hatte mit ihm gesprochen und gefragt, ob er denn aus purer Faulheit auf das Beste verzichten wolle. Er stellte sich dumm, was denn das sein könnte. Und wumms, rammte es ihn in den Magen und drohte mit gewaltigem Kopfweh. „Ich habe keine Ideen – wie gestern“ maulte er in der Hoffnung, dass das Gewissen auch keine habe.

„Du warst doch auch einmal Kind – na, womit hast du damals gespielt?“

„Wir waren arm …,“ war sein letzter Versuch, sich vor der Arbeit zu drücken.

Plötzlich stiegen viele Spielzeuge aus seiner Kindheit, die sich seine Eltern nicht leisten konnten, in seiner Phantasie auf und er rannte runter zum See, wo am Ufer ein breiter Streifen Sand vorhanden war. Wie damals mischte er Wasser dazu und formte mit den Händen seine Lieblingstiere und hauchte ihnen, wie gestern gelernt, Leben ein. Es entstand ein Bild für die Götter: Schon nach Minuten war der Strand überfüllt, Löwe und Giraffe beschnüffelten sich und verstanden ihre unterschiedliche Körpergröße nicht, Ameise und Bär gingen sich zum ersten Mal aus dem Weg, Igel und Hase hielten so gut es ging Abstand, Katze und Maus saßen nur ganz kurz friedlich nebeneinander, für Warzenschweine investierte er mehrere Versuche, aber es gelang ihm nicht ein schönes herzustellen, aus einem weggeworfenen Rest Sand kroch plötzlich und unerwartet ein Maulwurf, er glaubte, seinen Hauch zum Leben abbekommen zu haben, gleich neben ihm krabbelten ein Dutzend Sandflöhe, entstanden, als er sich zum ersten Mal geschüttelt hatte, Wolf und Reh spielten einen Moment miteinander, eine Schlange warf er in den See, weil er glaubte, sie sei ein Aal, sie rettete sich problemlos und züngelte wütend gegen ihn. An seiner sich einschleichenden Müdigkeit glaubte er zu erkennen, dass er langsam alles geschaffen habe, was nötig sei. Vorsichtshalber warf er nochmals eine Handvoll leichteren, getrockneten Sand in die Luft: „Werdet, was ihr werden müsst!“ Mücken, Fliegen, Mikroben, Bakterien, Hummeln, Bienen und Moskitos dankten ihm ihre Entstehung mit ersten Stichen und Belästigungen. Es blieb noch ein Haufen Sand liegen: „Werde was du willst!“ Unter Stöhnen und Trompeten richtete sich der erste Elefant mühsam auf und trabte schnurstracks auf die nahegelegene Wiese. „Na ja, über Schönheit lässt sich immer streiten,“ war sein göttlicher Rat an sich selbst. „Okay, ich habe den Überblick verloren, was ich so alles gebastelt habe, heute Morgen habe ich ein Massenprodukt hergestellt, heute Nachmittag mache ich ein Unikat.“ Und er schlief erschöpft auf der Stelle ein. Doch er hatte die Rechnung ohne die Ameisen gemacht, zielsicher kletterten sie seinen Arm hoch und pinkelten ihm auf die Nase.

„Wer wagt es, Gott anzugreifen? Habe ich schon den Menschen erschaffen?“ Na ja, immerhin hatte er eine Stunde regeneriert, es konnte losgehen. Zum krönenden Abschluss wollte er ganz gezielt und genau vorgehen, er hatte sich klare Vorgaben gesetzt: Der Mensch sollte ähnlich aussehen wie er, aber kein Klon oder Double sein, sondern in entscheidenden Faktoren besser, schöner, wirkungsvoller und positiver.

Problemlösung 1: wer zuerst? Er entschied sich für die Frau, denn rein gefühlsmäßig schien ihre Herstellung komplizierter und deshalb mit längerer Arbeitszeit verbunden.

Problemlösung 2: welches Material? Mit Sand hatte er guten Erfolg mit den Tieren gehabt, er wollte aber eine samtene und möglichst reine Haut, also suchte er weiter am Strand und fand schließlich reinweißen Korallensand. Er verglich ihn mit seiner unreinen Haut und war begeistert über dessen Makellosigkeit.

Problemlösung 3: Welche Figur sollte er basteln? Sein Körper hatte sicher keinen Vorbildcharakter, er entschied sich für ein Aussehen wie er sich selbst gerne als Idealbild im spiegelnden Wasser sehen würde. Er pendelte ständig hin und her, nahm oft die Hälfte seiner Figur, glich und strich sorgsam die Unebenheiten aus, formte lange Beine, große Brüste und ein Gesicht, das er zart und lieb und nett und intelligent und proportional (nicht mit seiner großen Nase) und mit positiver Ausstrahlung fand und schlussendlich gab er ihr mit sonnengebleichten Algen die langen blonden Haare.

Problemlösung 4: Welchen Charakter sollte sie haben? Hier übernahm er den, der dem Seinen ähnelte:

Zuverlässig, kreativ, anpassungsfähig, kommunikativ (sein größter Wunsch, weil er immer alleine war), nicht kompliziert (hierin konnte er sich selbst nicht einordnen, es blieb das Prinzip Hoffnung) und lernfähig.

Problemlösung 5: Welchen Namen sollte sie tragen? ‚Gotta‘ schien ihm anmaßend, ‚Gottliebe‘ zu verfänglich, ‚Gatt‘ unpoetisch. Es sollte ein Name sein, den es bisher noch nie gegeben hatte. Er fing im Alphabet vorne an: ‚Aba‘, zu banal, ‚Abe‘, zu nichtssagend, er kreierte weiter und weiter und blieb bei ‚Ave‘ hängen, zu belastet, „Ja, ich drehe die Buchstaben einfach um! Eva!“

Im Gegensatz zu den Tieren, beließ er es aus Sicherheitsgründen nicht bei einer kurzen Lebensentstehungsformel: „Liebe Eva, ich hauche dir und deinem makellosen Körper nun ein glückliches Leben ein! Werde Leben!“ Eva ließ sich nicht lange bitten, sprang wie ein junges Mädchen auf, schaute ihn fragend an, erkannte die Situation, dass sie mit einem Mann, den sie nicht kannte und auch nicht einschätzen konnte, ganz alleine auf der Welt ist, rannte in Panik weg bis zum nächsten Baum und versteckte sich dahinter.

„Hab keine Angst, ich bin Gott, dein Schöpfer!“

Als Antwort riss sie drei Feigenblätter ab und versuchte, ihre Blöße zu bedecken, es gelang ihr notgedrungen immer nur bei zweien.

„Keine Angst! Ich habe dich selbst erschaffen, ich kenne alle Details bestens! Komm zu mir und setze dich auf meinem Schoss!“

Eva rannte weiter zum nächsten Baum.

Sie war jetzt so weit weg, dass Gott rufen musste: „Verdammt noch mal, ich bin dein Vater! Komm her!“ Eva blieb stocksteif versteckt hinter dem Baum.

Problemlösung 6: Wie konnte er sich Eva problemlos so weit nähern, um Maß nehmen zu können für ihren Mann? Er entschied sich für Geduld. Und tatsächlich, nach Stunden des gegenseitigen Belauerns, schlief Eva ermattet ein. Man muss sich die folgenden Szenen bildlich vorstellen: Ein würdiger Gott schleicht halb gebückt durchs Unterholz, verharrt zwei Meter vor seiner jüngsten Kreation, schaut sie begeistert und auch etwas verliebt an, robbt ganz nahe ran, hält die Luft an und misst mit gespreizter linker Hand aus einem Abstand von fünf Zentimetern die Länge einer Rippe, anderthalb Spannweiten der Hand Gottes. Er geht langsam zurück, sucht den Platz, wo er die Tiere gezeugt hat, findet einen ungeschälten Baum, reißt ein großes Stück Rinde heraus, kürzt sie auf das richtige Maß, scharrt mit den Füssen einen Haufen Mischsand zusammen und befiehlt: „Hiermit zeuge ich dich zum ersten Mann der Menschheit!“ Er legt die Rinde in die Mitte des Haufens, eine magische Kraft, die auch ihn beeindruckt, wirbelt Staub auf, verdeckt ihm kurz die Sicht und plötzlich steht ein ausgewachsener Mann vor ihm, schlank, gut gebaut und voller Kraft. Neidlos gibt Gott zu, dass er auch so perfekt aussehen möchte. Doch zu Überlegungen bleibt keine Zeit:

„Wo ist sie?“

„Wer?“

„Meine Frau?“

„Eva?“

„Schöner Name. Wo ist sie, bitte!“

Gott wollte erst mit ihm über die Aufgaben von Mann und Frau reden und vor allem über den Gehorsam ihm gegenüber, doch der war schon fast in die richtige Richtung weggelaufen. Damit er nicht in den See laufen würde, rief Gott: „Ah … da … m …“

Eva wachte davon auf, winkte ihn wild zu sich: „Adam! Ich bin hier!“

„Nein, er hat noch keinen Namen, ihr lasst mich ja gar nicht mehr ausreden, ich wollte rufen: „Ah, da mehr nach rechts!“

Doch sie hörten ihn nicht mehr, er sah nur noch schwankendes Gebüsch und das Geschrei von Vögeln oder was auch immer. „Ist doch egal, ich hätte es wahrscheinlich auch so gemacht.“ Die untergehende Sonne warf ein milchig-trübes Licht über den See, dort, wo Adam auf Eva getroffen war, herrschte schon Dunkelheit, er konnte nur ahnen, was dort geschah und tröstete sich, eine gute Arbeit gemacht zu haben: „Ich muss lernen, sie alleine zu lassen, ich kann nicht für alles die Verantwortung übernehmen, ich bin erst einmal nur der Schöpfer, alles Weitere wird sich ergeben.“ Er ging ganz langsam zurück zu seinem Schlafplatz oben am Berg, schaute nicht mehr zurück und schlief sehr bald hochzufrieden und stolz ein.

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