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3.4.4 Die südperuanische Atacama: Prähistorie und Klimawandel

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Das Beispiel der Nasca-Kultur in der südperuanischen Wüste Atacama zeigt, wie ihre Blüte und der Niedergang sowohl vom Zufluss aus dem andinen Hoch- und Hinterland und damit von der Reichweite des Monsuns über den Anden-Hauptkamm hinaus bestimmt wurden. Bereits seit Jahrzehnten steht die Nasca-Kultur – nicht zuletzt wegen der berühmten Scharrbilder in der Wüste (Geoglyphen) – im Fokus kulturgeschichtlicher und archäologischer Untersuchungen. Die (Paracas-)/Nasca-Kultur ist insbesondere von Interesse, weil sie sich von 800 v.Chr. bis 650 n.Chr. in einem extremen Wüstenmilieu in der südperuanischen Atacama entwickelte. Blütephase wie auch Untergang der Nasca belegen beispielhaft sowohl die intensiven Wechselwirkungen der klimagesteuerten Umwelt mit den Möglichkeiten und Grenzen kultureller Entfaltung als auch die Wechselhaftigkeit des Klimas im (jung-)holozänen Südamerika – innerhalb weniger Jahrhunderte. (Die folgenden Ausführungen stützen sich v. a. auf Arbeiten von Mächtle 2007, Mächtle & Eitel 2010, 2009, Eitel & Mächtle 2006).

Als Teil des südamerikanischen Küstenwüstenstreifens (Kap. 13.1) erhält der ehemalige Nasca-Lebensraum um die Städte Palpa und Nasca fast ausschließlich Nebelniederschläge. Regenniederschläge erfolgen nur von Osten über den Monsun, der sich an der Andenkette und im Hochland abregnet. Seitens des Pazifiks wird Regenbildung blockiert durch die kalten Auftriebswässer des Humboldtstroms (Passatinversion; stabile Luftschichtung), durch küstenparallele Luftströmungen aus dem Osterinsel-Hoch und durch divergierende Luftmassen zwischen Festland und Pazifik (s. Abb. 51). El Niño-Auswirkungen werden in diesem Raum nicht mehr wirksam. Das belegen auch die spektakulären Geoglyphenfelder (sog. Nasca-Linien, geometrische Flächen und bildliche Figuren; Foto 3) durch ihren guten Erhaltungszustand. Die zugehörigen Wüstenflächen (Pampas) waren keine landwirtschaftlichen Nutzflächen.


Foto 3

Links: Geoglyphen (Scharrbilder) der Nasca-Kultur auf der Pampa von Palpa in der Atacama-Wüste (Südperu). Im Hintergrund eine Flussoase mit den damaligen wie heutigen Bewässerungsfeldern.

Rechts: Wüstenrand-Lösse an der Westflanke der südperuanischen Anden. In der früh- bis mittelholozänen Feuchtphase (11 000 und 4500 J.v.h.) reichten die monsunalen Niederschläge so weit nach Westen, dass sich in 1000 –2000 m ü.M. ein Grasland einstellte, das die eingewehten Stäube fixierte. Heute ist diese Höhenstufe wieder eine dürftig von Kakteen bewachsene Wüste.

Es ist zu betonen, dass die Kulturflächen der Nasca in erster Linie an leistungsfähige Flussoasen geknüpft waren, die aus hochandinen Räumen außerhalb der Wüste gespeist wurden. Das gebirgige Hinterland war zur Blütezeit der Wüstenkultur jedoch nur dünn besiedelt. Damit steht die Region Palpa/Nasca im Verständnis für die Kulturentwicklung in Wüsten beispielhaft und stellvertretend für die entscheidende Rolle allochthoner Niederschläge und Fremdlingsflüsse als Gunstgebiete in Wüsten: Einzugsgebiete mit deutlich feuchterem Klima bestimmen biologisch reichhaltige natürliche Lebensräume und damit auch das Nutzungspotenzial für Menschen innerhalb extrem arider Umgebung.

Die Untersuchungen von Mächtle (2007) demonstrieren aber zusätzlich das Phänomen der veränderlichen Wüstenränder (shifting desert margins, Abb. 7) auch in der postglazialen Klimaentwicklung der Atacama: Der Wüstenrand fluktuierte, da zeitweilig monsunale Niederschläge weit über die Anden-Kulmination vordrangen und auch der andinen Westflanke zwischen 1000 und 2000 m Meereshöhe feuchtere Bedingungen brachten. Das zeigen Reste von Terrassen mit Regenfeldbau. Zwischen 11 000 und 4500 J.v.h. stellte sich in der heutigen Wüste ein Grasland ein, das als Fänger angewehter Stäube wirkte und eine regional unterschiedlich mächtige Lössbedeckung an den Hängen zur Folge hatte (Foto 3). Diese zog bereits früh menschliche Aktivitäten nach sich.


Abb. 7

Der idealisierte Querschnitt durch die südperuanische Atacama und die Anden-Westabdachung zeigt die Rekonstruktion der Oszillation des Wüstenrandes während der jüngsten Jahrtausende. Wiedergegeben sind auch das Längsprofil der Flussoase sowie natürliche Höhenstufen und agrarische Nutzungen (aus Mächtle & Eitel 2009).

Die Entwicklung im Nasca-Gebiet steht der Ariden Diagonale Chiles und der Titicaca-Region diametral gegenüber. Diese war zwischen 9000 und 4500 J.v.h. kaum besiedelt (Mächtle & Eitel 2011). Zwischen 6000 und 5000 J.v.h. hatte der Titicaca-See sogar seinen tiefsten Stand. Die Geschichte der Niederschlagsentwicklung verlief zwischen der Wüstenregion Palpa/Nasca und dem Altiplano mit dem Titicaca-See offensichtlich zeitlich gegensätzlich.

Die Blütezeit der Paracas- und Nasca-Kultur (800 v.Chr. – 650 n. Chr.) erklärt sich aus einer klimatisch bedingten agrarischen Begünstigung ihres Lebensraumes: Die warmen Atacama-Flussoasen am Rio Grande, Rio Santa Cruz u. a. boten ideale Bedingungen, während die kühleren Hochlagen lediglich dünn besiedelt und die Titicaca-Region zusätzlich durch geringere Niederschläge benachteiligt war. Andererseits lässt sich der Niedergang der Nasca-Kultur um 650 n. Chr. mit einer Wasserverknappung in den Oasen begründen, bedingt durch eine Verlagerung des andinen Niederschlagszentrums in die Titicaca-Region (650 – 1200 n.Chr.; sog. Mittlerer Horizont). Im Hochland entwickelte sich daraufhin die Huari- und Tiwanaku-Kultur um den Titicaca-See.

Ein erneuter Umschwung im Niederschlagsgeschehen begünstigte nochmals die Nasca/Palpa-Region während der sog. Späten Zwischenperiode (1200 – 1400 n.Chr.). Es verlagerte sich der Siedlungsschwerpunkt erneut an den Andenfuß, verbunden mit der Schaffung eigenständiger, arbeitsteiliger Gesellschaften. Beispiel dafür ist die Ciudad Perdida de Huayuri. Mit der spanischen Eroberung brachen die Nasca, Inka wie auch andere südamerikanische Kulturen durch Krieg und eingeschleppte Krankheiten zusammen.

Mensch-Umwelt-Beziehung: Neodeterministisches Paradigma?

Die Nasca-Kultur im Anden-/Wüsten-System ist ein Lehrstück einer kausal-funktionalen Verflechtung von Orographie, Klima, Klima- und Landschaftswandel sowie menschlicher Aktivitäten, die von resultierenden Gunst- oder Ungunstfaktoren wesentlich mitbestimmt werden. Die Beispiele der Auswirkungen klimatischer Umbrüche und Fluktuationen in Wüsten und Wüstenrändern machen deutlich, dass kulturelle Entwicklung i.w.S. in unmittelbarer Abhängigkeit geänderter Umweltbedingungen steht. Veränderungen der basalen Lebensumwelt zwingen zu Migration oder Adaptation, führen zu technologischem Fortschritt (oder auch zum Kollaps). Speziell das Leben in klimatisch labilen, sensitiven Übergangsräumen wie den Wüstenrandgebieten hat in prekären Zeiten der Aridisierung Anpassungskräfte mobilisiert: Innovationen werden dann und dort stimuliert, wo es die Umstände erfordern. Es wurde bereits angesprochen: Verbesserung der äußeren Rahmenbedingungen in klimatischen Gunstphasen führen eher zu Beharrung denn zu neuen Entwicklungen.

Issar & Zohar (2004) haben mit ihrer „Neodeterminismus-Diskussion“ den Blick wieder auf die intensive Beziehung zwischen menschlicher Kulturentfaltung und physischer Umwelt gerichtet. Das neodeterministische Paradigma sieht den Menschen und die Natur als Bestandteile und Akteure einer komplexen Wechselwirkung eines raum-zeitlich und gesellschaftlich verankerten Gesamtsystems. Die archäologischen und geowissenschaftlichen Rekonstruktionen menschlichen Handelns zeigen, „ … dass der Mensch auch als soziales, zur freien Entscheidung befähigtes Wesen nicht isoliert von den seine Existenz erhaltenden natürlichen Ressourcen betrachtet werden kann.“… „Die Adaptationskraft der Gesellschaften wurde also zielgerichtet eingesetzt, um wieder ein tragfähiges Gleichgewicht zwischen Mensch und Lebensumwelt herzustellen. Es bestand ganz offenbar eine enge ‚Mensch-Umwelt-Beziehung’ “ (Mächtle & Eitel 2009; vgl. Blümel 2009b, 2006).

Auch Diamond (2006) belegt in seinem Buch „Kollaps – Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“ eindringlich die angesprochenen Wechselwirkungen zwischen Naturpotenzial und menschlicher Nutzung. Es wird am Beispiel der Anasazi-Kultur im Südwesten der Vereinigten Staaten die deterministische Beziehung und Abhängigkeit deutlich, die dem Menschen gute Möglichkeiten offeriert. Dieser nutzt sie – und übernutzt sie.

Letztlich bricht die hochentwickelte Trockengebietskultur aufgrund einer Dürreperiode zusammen. Das sensitive Wüstenrandgebiet war überfordert, nicht mehr ausreichend gegen Desertifikationsprozesse gepuffert. Eine systemimmanente Dürre führte zum Kollaps.

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