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4.8 Desertifikation: anthropogene Wüstenbildung

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Mit der verheerenden Sahel-Dürrekatastrophe 1968 – 1974 geriet ein Problem in den Blickwinkel der Öffentlichkeit und internationaler Behörden oder Nichtregierungs-Vereinigungen – die sogenannte Desertifikation. Obwohl mit den in Gang gekommenen Diskussionen und Bekämpfungsmaßnahmen der Begriff immer wieder erweitert wurde, lässt sich sein Inhalt am besten mit „man-made desert“ umschreiben, also anthropogener, vom Menschen unmittelbar ausgelöster Wüstenbildung: Tätigkeiten und Eingriffe führen dort zu wüstenhaften Zuständen, wo in natürlichem Zustand eine größere Biomasse und höhere biotische Vielfalt existierte – zuvor. Besonders anfällig sind Halbwüsten und semi-aride bis semi-humide Gebiete (außertropische Steppen) mit ausgeprägten Trocken- und Regenzeiten für unangepasste Nutzung durch Weide- und Bewässerungswirtschaft. Je größer die klimatische Variabilität und je geringer die Jahresniederschläge ausfallen, desto gravierender äußern sich menschliche Eingriffe in solch sensitiven Ökosystemen, deren Regenerationsfähigkeit stark begrenzt ist. Sie reagieren mit einer Kette von Folgewirkungen, die zu einer Verminderung bis hin zur Zerstörung des landschaftlichen Naturpotenzials bzw. zur physiologischen Tragfähigkeit führt (vgl. Foto 7).

Trockengebiete nehmen mehr als 1/3 der Landflächen ein (35 – 40 %), von denen nach Mainguet (1999) große Teile (~70 %) schwer oder vielleicht sogar irreversibel degradiert sein sollen. Das sind ~36 Mio. km2 und entsprechen der 3,5-fachen Größe Europas. In Afrika und Asien sind 40 %, in Südamerika 30 % der Bevölkerung, weltweit 50 der am wenigsten entwickelten Länder am stärksten von der Desertifikation bedroht (www.desertification.de). Bei Middleton & Thomas (1997) finden sich folgende Angaben aus einer UNEP-Studie:

Auf die Trockengebiete entfallen global 5160 Mio. ha Fläche. 70 % davon leiden unter Degradationsprozessen; unterschieden nach Landnutzungsarten sind von 146 Mio. ha Bewässerungsland 30 %, von 458 Mio. ha Regenfeldbaufläche 47 % und von 4556 Mio. ha Weideland 73 % degradiert (aus Geist 2005). Jährlich gehen 10 Mio. ha Land durch menschliche Aktivitäten verloren.

Nach einer UNCCD-Studie sollen 250 Mio. Menschen unmittelbar von der Desertifikation in ihrer Existenz gefährdet sein und 1,2 Mrd. davon bedroht sein. Einige Abschätzungen liegen aber auch höher. Geist (2005) zitiert Angaben, die von 2,6 Mrd. Menschen in 110 Ländern ausgehen, die möglicherweise von den Auswirkungen der Desertifikation betroffen sein könnten. Speziell im subsaharischen Afrika sollen es 200 Mio. Menschen sein. Eine andere Studie besagt, dass bis zu 80 % des subsaharischen Weide- und Farmlandes Anzeichen von Degradation zeigen (ebd.). Auch in Asien und Lateinamerika sollen Degradierungserscheinungen in Trockengebieten weitverbreitet und beträchtlich sein.

Auslöser weit verbreiteter Schädigungen der Ökosphäre, die letztlich zur Desertifikation führen, sind:

 Weidewirtschaft: Degradierung/Zerstörung des Vegetationsbesatzes → Bodenerosion (meist als Folge der Vegetationsschädigung), Verlust an Bodenfeuchte und Regenerationsfähigkeit, Badland-Bildung (Zerschluchtung) und flächenhafte Abspülung, Versandung/Überwehung (Sand- und Staubstürme; Dünenbildung) u. a. m.

 Abholzung (Dorn- und Trockensavanne): Brenn- und Bauholzgewinnung → landschaftsökologische Degradierung

 Feldbau: Bodenversalzung und Versumpfung (Fehler bei der Be- und Entwässerung); Bodenverdichtung; Rodung der Trockensavanne: Verkrustung; Erosion und Deflation (Humus, Nährstoffe, Feinboden)

Es sind in erster Linie die meist weidewirtschaftlich genutzten tropischen und subtropischen Trockengebiete wie Zwergstrauch- und Kurzgrassteppen oder Dornbusch- und Trockensavannen, in denen Desertifikation als Bedrohung und Minderung des Lebensraumes besonders evident wird. Ein wichtiger Grund für die Anfälligkeit gegenüber ökologischen Schäden ist der ausgeprägte Wechsel von Trockenzeit und periodischen oder episodischen (Stark-)Niederschlägen hoher Variabilität. Vielfältige anthropogene Rahmenbedingungen sind als Stressauslöser für das Landschaftsökosystem zu nennen:

 Regionale Bevölkerungsexplosion; gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Strukturwandel;

 Traditionelle thesaurierende Viehwirtschaft: Haltung möglichst großer Viehherden als Ausdruck wirtschaftlichen Vermögens und sozialer Stellung;

 Verdrängung gesellschaftlicher Gruppen in marginale Räume;

 Erzwungene Sesshaftigkeit nomadischer Gesellschaften;

 Verknappung von Weideflächen/Verdrängung (semi-)nomadischer Gruppen durch ökonomische Farmwirtschaft oder Agrarprojekte (Folgen kolonialer Strukturen; internationale Kommerzialisierung usw.);

 Kurzfristige Gewinnmaximierung (Überstockung) durch ökonomische Farmwirtschaft u. a. m.

In diesem Kontext sind sicherlich politisch-gesellschaftliche Veränderungen wie Bevölkerungsexplosion, Sesshaftmachung von Nomaden (Innerasien, Sahelzone u. a.) und damit verbundene Übernutzung oder Raubbau besonders zu betonen. Nicht nur in der Sahel-Zone wurden dadurch ökologisch nachhaltige Wirtschaftsweisen wie der dem saisonalen Wasserangebot angepasste Pastoralnomadismus aufgegeben. Vermehrte Brunnenbohrungen in Siedlungsnähe führten beispielsweise zu radikaler Überweidung der umgebenden Flächen, damit oft zu irreversiblen Schäden an der Vegetationsbedeckung und letztlich zu wüstenhaften Verhältnissen. Um die in der Fläche verteilten Brunnen/Tränken bilden sich regelrechte konzentrische Kreise mit den stärksten ökologischen Schädigungen im Zentrum. Da sich die täglichen Weideradien der Tiere überlappen, entsteht letztlich ein Muster erheblich bis völlig degradierter Räume. Mit der zunehmenden Nutzung des Grundwassers sinkt dessen Spiegel mit negativen Folgen für die lokalen (Savannen-)Gehölze. Letztere werden durch die nun sesshafte Bevölkerung übermäßig genutzt (Brennholz, Hüttenbau), was wiederum die landschaftsökologische Degradierung verstärkt. Eine weitere Steigerung des Landschaftsverbrauchs bis hin zur irreversiblen Desertifikation geht von der meist starken Bevölkerungszunahme in den schwach entwickelten Gebieten aus, sodass sich ein wahrer Teufelskreis einstellt (vergleichbar der überhöhten Rotation bzw. immer kürzer werdenden Regenerationsphasen im System des Brandrodungswanderfeldbaus). Eine disperse Dauervegetation wiederherzustellen ist schwierig und zeitaufwändig, da die Jungpflanzen sich nur in guten Regenzeiten behaupten können. Da die Wasseraufnahme und Wasserspeicherung der Böden bereits nachhaltig gestört sind, haben auch günstige Witterungsverläufe nur einen bedingten Regenerationseffekt (Foto 7).


Foto 7

Oben links: Grassavanne (Farmgelände, 2009) im Damaraland/Namibia. Die Niederschläge liegen bei etwa 250 mm/Jahr.

Oben rechts: Völlig überweidetes Gebiet mit ähnlicher Ausgangssituation, aber totalem Vegetationsverlust. Selbst die gute Regenzeit (2009) hat keine Erholung bewirkt, da offensichtlich nicht einmal mehr Grassamen in der Fläche zur Verfügung standen. Die Grassavanne ist hier zur anthropogenen Wüste geworden.

Unten links: Beginn einer durch Überstockung ausgelösten Bodenerosion. Linienhaftes Grabenreißen in der Dornbuschsavanne Namibias. Mit jedem Niederschlag frisst sich die Abtragung weiter rückschreitend und sich verzweigend ein, zerstört zunehmend die zuvor durch die Vegetation stabilisierte Oberfläche.

Unten rechts: Anthropogene, erosionsbedingte Felswüste im südostspanischen Gebirgsland. Die einst von Eichenwäldern bestandenen Hänge sind heute völlig verkarstet. Kleine Bodenreste sind allenfalls noch in tieferen Gesteinsspalten zu finden. Die ökologisch wie klimatische bedeutsame Wasserspeicherkapazität des ursprünglichen Bodens ist völlig vernichtet.

Eine einfache Kettenreaktion am Beispiel einer Grassavanne kann die progressive Desertifikation verdeutlichen (vgl. Foto 7):

 Überstockung, d. h. zu hoher Viehbesatz für eine nachhaltige, die Regeneration fördernde Nutzung,→ Überweidung bis hin zum völligen Verbiss und dem Ausrupfen von Vegetationssprosskegeln und Wurzeln (vor allem durch Ziegen); Pflanzen bilden keinen Samen mehr aus,→ Verlust des infiltrations-fördernden Bodengefüges und Verschlämmung der Bodenoberfläche,→ Bodenerosion durch flächenhafte Abspülung oder BadlandBildung; besonders zerstörerisch durch Starkregeneffekte,→ verstärkter Oberflächenabfluss ggf. bis zur Freilegung des Gesteinsuntergrundes,→ Deflation der Feinfraktionen und Humus; Übersandung angrenzender Gebiete.

 Es resultiert ein wüstenhafter Landschaftszustand als anthropogene Wüste, an diesem Beispiel durch Überweidung. Das Nutzungspotenzial dieses Raumes ist damit äußerst geschädigt oder vernichtet.

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