Читать книгу Nur ein letzter Schuss noch… Berlin 1968 Kriminalroman Band 42 - Wolf G. Rahn - Страница 6
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Sie hockten in einem düsteren Raum. Keiner von ihnen war älter als dreißig.
Das Zimmer enthielt kein Mobiliar. Auf dem Fußboden lagen lediglich ein paar zerschlissene Matratzen. In der Ecke am Fenster leierte ein Kassettenrecorder. Bierflaschen standen herum. Leere und halb ausgetrunkene. An der Decke baumelte eine Glühbirne, die den Raum kaum erhellte, zumal die Luft zum Schneiden war. Fast alle pafften dicke Rauchwolken vor sich hin. Auch die einzige Frau in der Runde.
Carla Grothe zog an einer schwarzen Zigarre. Ihr Blick war entrückt. Das aromatische Ding zwischen ihren schmalen Lippen enthielt zweifellos nicht nur Tabak.
Die Frau war fünfundzwanzig. Sie sah aber um mindestens zehn Jahre älter aus.
Sie trug Männerkleidung, deshalb ließ sich ihr Körper nur schwer beurteilen. Das war aber auch nicht nötig. Jeder der Männer kannte ihn. Carla Grothe war nicht kleinlich.
Vier Männer verteilten sich auf den Matratzen. Ihre Gesichter waren verschlossen, ihre Laune nicht die beste.
Einer stand auf, ging zum Kassettenrecorder und versetzte ihm einen Tritt.
Das Gerät krachte gegen die Wand, plärrte aber unverdrossen weiter.
„Ich kann das Gewinsel nicht mehr hören“, stellte der Bursche wütend fest. Er hatte kohlschwarze, fettige Haare, ein stoppeliges Kinn und unreine Haut.
„Mach ‘nen Vorschlag, Hans“, sagte Kurt Schumann, ein rothaariger Typ, der von Weitem wie ein Lausejunge wirkte.
Aber nur von Weitem. Kurt hatte schon allerhand auf dem Kerbholz. Was es alles war, wusste keiner der anderen genau. Immerhin redete er manchmal so seltsam daher, als hätte er vor ein paar Jahren einen Mann wegen lumpiger fünfzig Mark umgelegt.
Ob das stimmte, war nicht sicher. Aber immerhin trauten sie es ihm zu, und deshalb war Kurt Schumann ihr Anführer.
„Kurt hat recht“, tönte Pitti. Niemand kannte seinen vollständigen Namen. Er verriet ihn nicht, und dafür gab es wahrscheinlich auch gute Gründe.
Er war nur klein, aber ungeheuer beweglich. Wie ein Gummiball. Nur nicht so harmlos.
Hans Wanner verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, als er sagte: „Wie wär‘s mit dem Supermarkt in der Gneisenau? Die Kasse wird zum Feierabend immer geleert, aber wir könnten über den Hinterhof einsteigen. Da gibt es einiges zu holen. Auch Schnaps.“
Erich Sass protestierte hustend. Er war blass und sah krank aus. Nur seine stechenden Augen lebten. Sie verhießen nichts Gutes.
„Das ist Schwachsinn. Der Supermarkt hat ‘ne Alarmanlage. Den knacken wir nie. Außerdem brauchen wir Bares. Ich will hier endlich raus. Die Bude kotzt mich an.“
„Weißt du was Besseres?“, fragte ihn Hans beleidigt.
„Es gibt nur Besseres als den Supermarkt. Eine Olle zum Beispiel, die ihre Klunkern spazieren trägt. Die können wir problemlos zu Geld machen.“
„Und die Olle?“, erkundigte sich Pitti feixend.
Kurt Schumann war der einzige, der darüber lachte. Er versicherte dem Kleinen, dass Erich vermutlich etwas aus Perlen oder glitzernden Steinen gemeint hatte.
„Ich habe allerdings den Verdacht, dass er nur mal wieder in die Oper gehen möchte“, fügte er hinzu. „Erich ist nun mal was Besseres als wir. Der hatte ‘nen reichen Vater.“
„Den hatte ich auch“, warf Carla Grothe ein. Ihre abfällige Miene drückte nicht aus, dass sie diese Tatsache für einen Vorzug hielt. „Und meiner lebt sogar noch.“
„Möchte wissen, warum du ihn dann nicht melkst“, meinte Pitti. „Oder sollen wir das für dich erledigen?“ Er nahm seine Hand aus der Hosentasche. Sie hielt ein Messer. Die Klinge sprang blitzend aus dem Heft. Er grinste genüsslich. „Vielleicht ist er kitzlig.“
„Lasst die Finger von ihm“, fuhr die Frau ihn an. „Er wäre der letzte, vor dem ich mich erniedrigen würde. Lieber rufe ich wieder den Kubaner an.“
„Der hat dich doch vor Wollust fast erwürgt“, erinnerte Hans Wanner.
„Aber er zahlt gut“, entgegnete Carla Grothe mit unbewegtem Gesicht. „Außerdem wagt er das kein zweites Mal. Es würde ihm schlecht bekommen.“
Die Frau stand auf und strich ihre Kleidung gerade.
„Helft ihr mir beim Umziehen?“, fragte sie.
Erstaunlicherweise hatte keiner der vier Zeit.
Erich Sass wollte ein bisschen in der Gegend umherlaufen. Vielleicht, so meinte er, lief ihm dabei ein geeignetes Objekt über den Weg.
Hans Wanner hatte den Supermarkt noch immer nicht abgeschrieben. Man konnte das Gelände ja wenigstens mal sondieren. Zur Not auch allein.
Pitti schob sein Messer in die Tasche zurück und hatte es plötzlich mächtig eilig. Er grinste siegessicher. Offenbar hatte er etwas Gewinnträchtiges ausgeheckt.
Sogar Kurt Schumann, dessen Jacke sich an der linken Brustseite merkwürdig beulte, verließ den Raum, nachdem er Carla, die gerade die Hose abstreifte, flüchtig zugenickt hatte.
Er sah jetzt nicht mehr wie ein Lausejunge aus. Etwas Hartes in seinem Blick mahnte zur Vorsicht.
Carla Grothe blieb allein zurück.
Bedächtig zog sie sich aus, bis sie völlig nackt war. Ihre Sachen ließ sie achtlos liegen.
Sie ging in das angrenzende Zimmer, in dem sich ein altmodischer Schrank befand. Außerdem war an der Wand ein Waschbecken befestigt. Darüber hing ein halbblinder Spiegel.
Die Frau reckte ihre Arme und drehte sich kokett. Dann ließ sie sie wieder sinken, schnitt eine Grimasse in den Spiegel und streckte sich die Zunge heraus.
Sie wusste, dass ihre beste Zeit vorbei war. Nicht mehr lange, dann würde auch der Kubaner keinen Appetit mehr auf sie haben. Vielleicht fand er heute schon eine Ausrede.
Die Frau drehte den Wasserhahn auf und begann, sich zu waschen. Sehr gründlich.
Noch gründlicher rieb sie die verschiedensten Duftwässerchen in ihre Haut, bevor sie in ein paar atemberaubende Wäschestücke stieg.
Darüber streifte sie eine knallrote Bluse und einen schwarzen Mini. Bei beidem war an Stoff gespart worden.
Abschließend brachte sie ihre schwarzen Haare in Ordnung, worauf sie viel Zeit verwandte.
Als sie fertig war, bückte sie sich nach dem Telefonapparat, der auf dem Fußboden stand, nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer.
Es dauerte einige Zeit, ehe sich eine männliche Stimme meldete. Nachdem sie ihren Namen verraten hatte, trat eine kurze Pause ein.
Dann sagte der Mann ungehalten: „Du hast lange nichts von dir hören lassen, Carla. Mach die Leitung frei. Ich erwarte einen wichtigen Anruf.“
Die Frau bebte vor Zorn. Sie knallte den Hörer auf die Gabel und stieß hasserfüllt hervor: „Na warte! So billig kommst du mir nicht davon.“