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Es war schon fast dunkel, aber keine der beiden Frauen fand den Weg zum Lichtschalter.

Gudrun Friedemann, eine starkknochige Frau von fünfzig Jahren mit zu eng stehenden grauen Augen und einem zu breiten Mund, bewegte unaufhörlich ihre Hände.

Sie strickte. Keiner in der Familie konnte sich erinnern, sie jemals weiter als drei Schritte von ihrem Strickzeug entfernt gesehen zu haben. Stricken war Gudruns große Leidenschaft. Wer sie genau betrachtete, kam zu der Überzeugung, dass es auch ihre einzige war.

Christine, ihre um acht Jahre jüngere Schwägerin, blickte auf die Uhr. Ungehalten erhob sie sich und trat ans Fenster.

„Die Unpünktlichkeit hat er von seinem Vater geerbt“, sagte sie ärgerlich. „Es ist jeden Abend dasselbe. Immer müssen wir mit dem Essen auf die Männer warten.“

„Du vergisst, meine Liebe“, meinte die Ältere spitz, „dass dein Mann kein simpler Mechaniker ist, der Anspruch auf einen Achtstundentag besitzt. Ihm gehört die Friedemann Werkzeugfabrik. Das bringt, wie du zweifellos schon bei deiner Eheschließung geahnt hast, zwar ein paar kleine Unbequemlichkeiten, dafür aber erhebliche finanzielle Annehmlichkeiten mit sich.“

Christine Friedemann überhörte die Anzüglichkeit geflissentlich. Sie kannte Gudrun gut genug, um zu wissen, wann sie zum Streiten aufgelegt war. Heute befand sie sich aber nicht in der Laune für eines dieser endlosen Wortgefechte.

„Benno besitzt keine Fabrik“, entgegnete sie. „Und er weiß, dass wir um acht Uhr essen. Jetzt ist es nach neun. Ich möchte wissen, wo er sich wieder herumtreibt.“

Die Fünfzigjährige lachte bitter. „Na, wo schon? Bei seiner Glucke natürlich. Benno lässt sich seine Liebe nicht verbieten. Darin ist er stur.“

„Liebe? Die Frau ist fünfzehn Jahre älter als er. Sie könnte fast seine Mutter sein.“

Gudrun Friedemann hob den Kopf und blickte die Jüngere unverwandt an. „Damit könntest du recht haben, Christine. Vielleicht sucht er einen Ersatz für fehlende Mutterliebe, die er bei dir ja wohl vermissen musste. Du hast dich immer nur für fremde Menschen stark gemacht. Mit Karstens Geld versteht sich. Wenn man die Tausender nicht selbst verdienen muss, ist es leicht, wohltätig zu sein.“

Christine warf stolz ihren Kopf zurück. Sie ärgerte sich, weil sie Gudrun wieder mal auf den Leim gegangen war. Welches Gespräch sie auch anfing, es endete doch immer wieder bei deren Lieblingsthema.

Sie formulierte in Gedanken eine scharfe Erwiderung, wurde aber daran gehindert, sie der Schwägerin an den Kopf zu werfen, weil das Telefon läutete.

„Das ist Karsten“, vermutete sie. „Er hat sich wohl daran erinnert, dass in seinem Büro ein Telefon steht. Wahrscheinlich kommt er heute überhaupt nicht mehr.“

Sie nahm den Hörer ab und sagte: „Hallo!“

Es war aber nicht ihr Mann, sondern Lars Wenzel, sein engster Freund und Mitarbeiter.

„Hallo Christine!“, rief er gutgelaunt. „Gib mir doch mal deinen Göttergatten. Wir haben da ein Problem, bei dem wir seinen Rat brauchen.“

„Karsten ist doch noch im Betrieb“, erklärte die Frau.

Lars Wenzel lachte fröhlich. „Du nimmst mich auf den Arm, Christine. Ich rufe ja vom Werk aus an. Karsten hat sich schon heute gegen Mittag verabschiedet. Wegen einer wichtigen Besprechung außer Haus. Aber die müsste doch inzwischen vorbei sein. Sage ihm doch bitte, wenn er auftaucht, dass er mich sofort anruft. Ich sitze hier mit den Meistern zusammen, und uns rauchen die Köpfe wegen dieser Produktionsumstellung. Er muss eine Entscheidung treffen. Noch vor Mitternacht.“

„Ich werd‘s ausrichten, Lars. Aber warte! Bleibe mal dran. Ich glaube, er kommt. Ich höre einen Wagen.“ Christine Friedemann legte den Hörer neben den Apparat und eilte zur Tür. Sie trat auf den Gang, wo bereits die Haushälterin zwei Männern die Tür öffnete.

Christine kannte die Männer nicht. Aber hinter ihnen erkannte sie den Wagen mit der unübersehbaren Lackierung. Ein Streifenwagen.

Sie erschrak heftig und klammerte sich an den Türrahmen. „Ist – ist etwas mit Benno?“, fragte sie aufgeregt.

Die Männer kamen näher. Der Größere stellte sich vor und erkundigte sich: „Sind Sie Frau Friedemann?“ Christine bestätigte es zitternd.

Dann brachte ihr der Polizist so schonend wie möglich bei, dass es nicht um ihren Sohn, sondern um ihren Mann ging.

„Jede Hilfe kam zu spät“, versicherte er leise. „Er muss auf der Stelle tot gewesen sein. Vielleicht ist es Ihnen ein kleiner Trost, dass er nicht gelitten hat. Der Arzt hat festgestellt, dass die Kugel sein Herz fast genau durchschlagen hat. Der Mörder hat ihn aus nächster Nähe erschossen.“

„Tot? Das kann nicht sein. Das glaube ich nicht, Herr Wachtmeister. Sie müssen sich irren.“

Der Polizist bedauerte. „Er trug seine sämtlichen Papiere bei sich“, sagte er. „Ein Irrtum ist leider ausgeschlossen.“ Danach erkundigte er sich nach etwaigen Feinden des Ermordeten, dem Tagesablauf der im Haus befindlichen Frauen und nach dem Sohn.

Er notierte sich die Auskünfte sorgfältig und stellte noch einige Fragen, bevor er den abgehobenen Telefonhörer entdeckte.

Erst jetzt fiel Christine Friedemann ein, dass Lars Wenzel noch immer auf einen Bescheid wartete.

Der Mann war erschüttert, als er die schreckliche Wahrheit erfuhr, und versprach, sofort zu kommen. Eine Erklärung für das Verbrechen hatte auch er nicht.

Ungefähr eine halbe Stunde später traf er bei den Friedemanns ein. Fast gleichzeitig mit Benno, der das Ganze für einen schlechten Witz hielt, sich aber davon überzeugen lassen musste, dass die Polizisten keine Witze machten.

„Ich verlange, dass Sie den Mörder meines Vaters schnellstens aufspüren“, sagte er heftig.

Der Streifenführer versprach es. Doch seine Miene drückte erhebliche Zweifel aus. Dieser Mord draußen Ufer der Spree, für den es keine Zeugen und vorläufig kein erkennbares Motiv gab, würde sich als harte Nuss erweisen. Vermutlich landete er dort, wo eine Vielzahl der Akten von Schwerverbrechen in West-Berlin endete. Bei den ungeklärten Fällen.

Nur ein letzter Schuss noch… Berlin 1968 Kriminalroman Band 42

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