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Obwohl der Tote nach verhältnismäßig kurzer Zeit entdeckt wurde, erfuhr Bernd Schuster zunächst nichts davon. Ihn ging der Mord nichts an. Mit einem Peter Becker hatte er nie etwas zu tun gehabt.

Bernd schlenderte die Uhlandstraße hinunter. Das tat er immer dann, wenn er einen bestimmten Mann suchte, von dem er eine Information brauchte.

Der Mann hieß Ralle Sander – eigentlich Ralph, aber so nannte ihn niemand. Sie hatten schon viele kleine Geschäfte miteinander getätigt. Sander war ein Gelegenheitsgauner, und heute schien er im Dienst zu sein, denn Bernd vermochte ihn in keiner seiner Stammkneipen zu entdecken.

Das war Schicksal, aber es würde auch ohne Ralle Sander gehen. Bernd hatte nämlich läuten hören, dass ein gewisser „Dreifinger“ ein dickes Ding plante, und er hätte gern Näheres darüber erfahren, obwohl sich darum eigentlich die Polizei zu kümmern hatte. Weil dieses dicke Ding aber angeblich auf die „TV-Discothek“ zielte und Jutta Werner, die Besitzerin, eine frühere Klientin Bernds war, interessierte er sich dafür. Jutta hatte vor zwei Jahren die Idee gehabt, rings um die Tanzfläche Fernsehgeräte an die Wände schrauben zu lassen – und das gab ihrer Diskothek den Namen. Wer sich dort im Licht der rotierenden Glaskugeln bewegte, konnte auf den Monitoren ebenfalls Tänzer zur passenden Musik sehen.

Sander war bestimmt über Zeitpunkt und Art der Gaunerei informiert. Dieses Wissen hätte Bernd Schuster die Arbeit wesentlich erleichtert, doch er konnte den Dicken nun mal nicht herbeizaubern. Also war er gezwungen, es ein anderes Mal zu versuchen und in der Zwischenzeit ein wachsames Auge auf die „TV-Discothek“ zu halten.

Bernd überlegte, ob er sich durch das vergebliche Suchen in der Kälte einen wärmenden Schluck verdient hatte, als er das Gefühl hatte, beobachtet zu werden.

Dieses Gefühl war nicht neu für den Privatdetektiv. Diesmal aber konnte er sich nicht denken, wessen Interesse er erregt haben könnte. Außerdem hatte er auch keine Vorstellung, wer etwas von seiner Anwesenheit in Tegel wusste.

Er schlenderte scheinbar unbekümmert weiter, und blieb nach einer kurzen Strecke stehen, um sich eine Roth Händle anzuzünden. Da der eisige Wind dieses Vorhaben erschwerte, war er gezwungen, sich ein wenig umzudrehen, um die Feuerzeugflamme zu schützen. Dabei entdeckte er den Mann, der ihn unablässig anstarrte.

Es handelte sich um einen mittelgroßen, untersetzten Typ, der schwer einzuordnen war. Eine auffallende Verbrechervisage besaß er eigentlich nicht, aber dass etwas mit ihm nicht in Ordnung war, war deutlich an seinen nervösen Bewegungen zu erkennen und an der Tatsache, dass er Bernds kurzem Blick nicht standhielt.

Bernd Schuster hatte sich längst wieder abgewandt, um nicht zu verraten, dass er Verdacht geschöpft hatte. Nein, diesen Burschen kannte er nicht. Da war er völlig sicher. In seinem Gedächtnis waren Hunderte von Gesichtern gespeichert. Er erinnerte sich oft an winzige Einzelheiten, an Stimmen, an typische Bewegungen oder Eigenarten. Dieser Mann im dunkelgrauen Wollmantel war ihm fremd.

Was mochte er von ihm wollen? Oder täuschte er sich? Betrachtete der Fremde seine Mitmenschen lediglich mit dem gleichen Interesse, wie er selbst es oft tat, wenn er sich bemühte, hinter ihre Fassaden zu blicken?

Es war nicht schwierig, sich Gewissheit zu verschaffen.

Bernd schlenderte langsam weiter, betrachtete scheinbar interessiert die Fassaden der Häuser, obwohl er den Jungfernheideweg und die hier etwas außerhalb liegenden Lokale kannte. Er entschied sich schließlich für „Mickys“, eine Bar, in der man noch seinen Drink nehmen konnte, ohne unbedingt mit dem Rücken zur Wand sitzen zu müssen.

Es war eine ganze Menge los.

Er setzte sich an einen Tisch gleich neben dem Eingang, aber so, dass er von einem Eintretenden nicht sofort bemerkt wurde.

Noch bevor er das bestellte Bier serviert bekam, erschien sein anhänglicher Schatten. Der Mann, der einen kleinen Handkoffer trug, in dem gut und gerne eine auseinandergenommene Maschinenpistole Platz fand, trat ein paar Schritte in den halbdunklen Raum, dessen Luft durch unter der Decke hängende Rauchschwaden noch undurchsichtiger wurde, und sah sich suchend um.

„Ich habe schon auf Sie gewartet“, sagte Bernd Schuster mit leichtem Spott.

Der Mann wirbelte herum. Er sah blass aus. Seine Lippen zitterten etwas. Der Schreck saß ihm in den Knochen.

„Es ... es ging nicht früher. Es tut mir ... leid.“

„Ist das Ihre ganze Erklärung? Ich glaube, Sie sind mir noch ein bisschen mehr schuldig.“ Bernd erkannte, dass der Bursche schnell reden würde. Er war nicht besonders hart. Die Aufgabe, die ihm irgendjemand angehängt hatte, schmeckte ihm nicht.

„Selbstverständlich, Herr. Deswegen bin ich ja hier. Ich war mir nur nicht ganz sicher. Ehrlich gesagt, hatte ich Sie mir etwas anders vorgestellt.“

„Anders? Wie anders? Vielleicht dämlicher?“

Der andere schluckte verwirrt. „Ich dachte nicht, dass Sie so groß sind.“

Bernd grinste. „Ihr Pech! Ich bin nicht nur groß, sondern auch ziemlich kräftig, und wenn Sie nicht gleich damit herausrücken, was Sie ...“

„Bitte nicht schlagen!“

Entsetzen stand in dem Gesicht des Untersetzten. Er wich zurück, überlegte es sich aber doch und kehrte um. Hastig stellte er den Handkoffer auf den Tisch. „Hier! Ich hoffe, dass Sie mich jetzt endlich in Ruhe lassen.“

Mit diesen Worten verschwand er durch die Eingangstür der Bar und ließ einen einigermaßen verblüfften Bernd Schuster zurück.

Ein Koffer mit brisantem Inhalt Berlin 1968 Kriminalroman Band 52

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