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Bernds Überraschungsmoment dauerte nur Bruchteile von Sekunden. Dann schoss er auf und raste hinter dem merkwürdigen Zeitgenossen her.

Der aber war in der Menschenmenge untergetaucht. Es hielt gerade ein Bus in der Nähe und entließ einen ganzen Menschenschwarm, der sich nach allen Seiten ausbreitete. Bernd wurde behindert, und so emsig er sich auch umsah, der Fremde tauchte nicht mehr auf.

Nachdenklich ging er in „Mickys“ zurück, wo der kleine Handkoffer noch immer auf dem runden Tisch lag.

Ein Gedanke schoss Bernd durch den Kopf. Eine Bombe! Was sonst sollte es sein, was dieser Halunke, den seine explosive Last sichtlich durcheinandergebracht hatte, ihm aufdrängen wollte?

Das Ding musste schnellstens fort von hier, sonst war die Katastrophe in der überfüllten Bar nicht aufzuhalten.

Bernd Schuster packte den Koffer und rannte damit auf die Straße.

Auch hier empfingen ihn Menschenmengen. Er hatte keine Möglichkeit, sich des Sprengkörpers zu entledigen, ohne unschuldige Frauen und Männer zu gefährden.

Was tun? Er befand sich in Tegel, der Schifffahrtskanal lag einen knappen Kilometer entfernt. Und doch war er die einzige Möglichkeit. Falls die Ladung nicht ferngezündet wurde, war der Zeitzünder sicher nicht so exakt eingestellt worden, weil der Kerl nicht vorausbestimmen konnte, wann er ihm den Koffer anhängen würde. Vielleicht ging das Ding auch erst hoch, wenn man ahnungslos den Deckel öffnete.

Egal! Für Spekulationen und tiefschürfende Gedanken blieb keine Zeit. Im Kanal konnte die Bombe schadlos explodieren. Es war nur die Frage, ob er es noch rechtzeitig erreichte.

Bernd fetzte los. Obwohl er den unheimlichen schwarzen Koffer lieber weit von sich geworfen hätte, klemmte er ihn wie einen kostbaren Schatz unter den Arm.

Er bahnte sich rücksichtslos einen Weg durch die Passanten, die ihn mit erstaunten Blicken, Kopfschütteln und wütenden Flüchen bedachten. Ein paar Burschen wollten sogar handgreiflich werden, doch er kaufte ihnen mit einer Kreiselbewegung, die beide von den hochhackigen Schuhen riss, den Schneid ab.

Weiter ging es. Normalerweise benahm er sich höflicher, aber hier ging es um Menschenleben. In der nächsten Sekunde konnte sich alles um ihn herum bereits in ein Inferno verwandeln.

Als er den Saatwinkler Damm überqueren musste, brachte er Bremsen zum Kreischen und Pneus zum Heulen. Er entging nur mit knapper Mühe der Faust eines aufgebrachten Fahrers, der ihn bestimmt gelyncht hätte, weil er seinen funkelnagelneuen Ford um ein Haar gegen einen Laternenmast gesetzt hätte.

Bernd rannte unbeirrt weiter. Er nahm sich nicht die Zeit, auf das eventuelle Ticken im Koffer zu lauschen. Die Detonation würde unüberhörbar sein, falls er nicht schnell genug war.

Er rempelte Menschen an. Sie taten ihm leid, aber sie blieben am Leben. Nur das zählte im Moment.

Bernd dachte nur an die anderen, dass er selbst vielleicht den Tod unterm Arm trug, vergaß er fast. Er lebte mit der Gefahr. Irgendwann würde es ihn erwischen. Vielleicht diesmal. Aber es sollte keine Unbeteiligten treffen.

Natürlich hätte er gern gewusst, wem er dieses Präsent zu verdanken hatte. Die Liste derer, die dafür in Frage kamen, war lang. Bernd Schuster war einer der gefürchtetsten Privatdetektive von ganz West-Berlin und nicht nur außerhalb der Stadtgrenzen, sondern auch in Westdeutschland, im Ausland und selbstverständlich auch in Übersee hatte er seine Handschrift hinterlassen. Wer ihn zu Fall brachte, würde eine große Nummer in der Unterwelt sein.

Weiter, weiter! Seine Lungen pfiffen, sein Atem ging keuchend. Würde er es schaffen?

Schon sah er den Kanal vor sich.

Wie er schon fast befürchtet hatte, lag dort ein Lastkahn, und zahlreiche Menschen waren mit dem Entladen beschäftig.

Er musste sich weiter rechts halten. Dort konnte er den Teufelskoffer ins Wasser werfen, ohne dass die Umgebung in Mitleidenschaft gezogen wurde.

„Nimm dir Zeit und nich das Leben!“, rief ihm einer der Stauer lachend zu.

Bernd wandte seinen Kopf, und da passierte es. Er übersah eine winzige Pfütze, die gefroren war. Sie war spiegelglatt, und als Bernd darauf geriet, rutschte er aus und stürzte kopfüber. Wieder einmal bereute er, die falschen Schuhe für diese Witterung zu tragen.

Er war geistesgegenwärtig genug, den Koffer in eine Richtung zu schleudern, die ihm verhältnismäßig menschenleer erschien. Es war klar, dass die Erschütterung beim Aufprall die Explosion auslösen musste.

Bernd fing seinen Sturz leidlich mit einer Drehung ab, riss die Arme über den Kopf und erwartete die Detonation.

Aber nichts geschah. Außer Lärm vom Lastkahn und dem Gelächter der Leute dort war nichts zu hören.

Ungläubig hob Bernd den Kopf.

Der Koffer lag ungefähr zwanzig Schritte von ihm entfernt. Seine beiden Schnappschlösser waren aufgesprungen. Der Deckel hob sich geringfügig.

Bernd glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Wie der Blitz schnellte er in die Höhe und flitzte zu dem Koffer.

„Kann ich Ihnen helfen?“, erkundigte sich jemand angelegentlich neben ihm.

Bernd Schuster klemmte sich den Koffer unter den Arm, ohne sich die Zeit zu nehmen, die Schlösser, wieder zuschnappen zu lassen. Er sah den Hilfsbereiten an. Es war ein junger Bursche mit lauerndem Blick, unreiner Haut und schwarzen Fingernägeln. Er streckte die Hand nach dem Koffer aus.

Bernd warf ihm einen abweisenden Blick zu, der so kühl war wie das Wasser im Kanal um diese Zeit.

„Nicht nötig, mein Junge“, erklärte er. „Ich absolviere nur gerade meine täglichen Übungen, die mir der Arzt verordnet hat.“

„Ha? Übungen? Aber das sah doch so aus, als ob Sie ...“

„Der Schein trügt manchmal“, versicherte Bernd. „Ich bin ja auch der Meinung, dass ein paar Tabletten den gleichen Zweck erfüllen müssten, aber mach mal was gegen einen Doc.“ Er zwinkerte dem Burschen zu und spazierte ungerührt davon, ohne sich darum zu kümmern, wie intensiv der Zeigefinger des anderen gegen dessen Stirn tippte.

Ein Koffer mit brisantem Inhalt Berlin 1968 Kriminalroman Band 52

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