Читать книгу Kunst-Kurz - Wolf Schreiber (Hrsg.) - Страница 12

Gudrun Güth
− Lightshow

Оглавление

Wieder war hinten an der Garagentür das Licht an. Sie stand auf der Terrasse, zog an der für heute letzten Zigarette und starrte auf den hellen Punkt an der dunklen Wand.

Sie musste Strom sparen, also durch den nächtlichen Garten hindurch, um zwischen den Ästen des Walnussbaums nach dem Schalter zu tasten. Und dann in vollkommener Finsternis zurück zur Terrassentür.

Der, der seit Wochen jeden Abend das Licht anmachte, würde hinter ihr her schleichen, ihr von hinten das Kabel um den Hals schlingen oder ihr mit einem stumpfen Gegenstand die Schädeldecke zertrümmern.

Sie drückte die Zigarette im Aschenbecher aus, atmete tief dreimal ein und aus und trat in den Garten, wie gebannt den Blick auf das Licht gerichtet.

Etwas Schwarzes huschte vor ihren Füßen durch das Gras. Nachbars Katze vielleicht oder der Marder, der neulich abends seelenruhig über das Geländer spaziert und zu ihr in das Wohnzimmer hinein geschaut hatte. Aber weder Katzen noch Marder knipsten nachts Lichter an.

Die Dunkelheit wurde noch dunkler, als sie zum Haus zurück ging. Ihr war, als verfolgten sie Augen, brennende Augen, auf den günstigsten Moment lauernd.

Obwohl sie eigentlich ins Bett hatte gehen wollen, kochte sie sich einen Melissentee. Noch eine Zigarette erlaubte sie sich nicht. Vom Tisch aus starrte sie in den Garten. Das Licht an der Garage ging nicht wieder an. Auch glühende Augen waren nirgends zu sehen.

Lange konnte das so nicht weiter gehen, doch sie traute sich nicht, die Polizei einzuschalten. Was für Beweise hatte sie schon, dass sich jeden Abend, jede Nacht jemand in ihrem Garten herumtrieb.

Der Tee war schön heiß und entfaltete seine beruhigende Wirkung. Im Tageslicht morgen würde der Garten weniger bedrohlich erscheinen. Der Fliederbaum hatte schon Knospen, die nach ein paar Sonnentagen aufgehen würden.

Als sie am nächsten Morgen – es war noch sehr früh, da die Tageszeitung noch nicht einmal im Briefkasten steckte – sich ihre erste Zigarette ansteckte und nach dem Flieder sah, sah sie auch das Licht an der Garage. Es war wieder an.

Sie hastete zurück ins Haus, zog Schuhe und Mantel an, riss die Handtasche vom Garderobenhaken, knallte die Tür hinter sich zu und fuhr los. Sie nahm die A42 Richtung Westen. Immer wieder schaute sie in den Rückspiegel. Autos fuhren vorbei, überholten sie. Nur ein uralter weißer VW-Bulli schlich hinter ihr her. Er konnte nicht anders.

Bismarck, Erle, Schalke, Neue Mitte...

Sie sollte ins Centro fahren, um sich nach Bewegungsmeldern oder nach Videoüberwachungen zu erkundigen. Sie könnte auch im Gewühl untertauchen und sich etwas Schönes zum Anziehen kaufen. Das ganze Lichttheater einfach vergessen.

Aber da war sie schon an der Ausfahrt vorbei.

Zum Glück tauchte plötzlich der Gasometer links von ihr auf. Da war er, ihr Ankerpunkt mit der Ausstellung »Der schöne Schein – Meisterwerke der Kunstgeschichte«! Der schöne Schein!

So schön war das Leben eigentlich nicht, wenn man die täglichen Nachrichten verfolgte und wenn jeden Abend jemand in ihrem Garten das Licht anmachte, aber ein bisschen Schönes könnte einem nicht schaden.

Sie fuhr auf den Parkplatz, der weiße VW-Bulli auch.

Sie löste eine Eintrittskarte und ging los. Es war dunkel im Bauch des Gasometers, und sie fror.

Das erste Bild, das sie sah, war Mitri der Schreiber. Er hatte zersprungene Lippen, hervorquellende, blau umrandete Augen, die glühten.

Die Schönheit des Schreckens, dachte sie und rieb sich die weiß gewordenen Fingerspitzen warm. Sie hätte den Mantel nicht im Auto liegen lassen sollen. Hinter sich hörte sie, wie die Eingangstür zufiel. Es war windig heute.

Sie lies sich von den sphärischen Klängen treiben. Zum Glück waren kaum Besucher hier. Sie versenkte sich in die Betrachtung des sterbenden Galliers, den Tod des Marat, Böcklins Toteninsel und der Fotografie Knifed to Death II von Andreas Serrano. Knifed to Death I entdeckte sie nicht. Wahrscheinlich hing das im Leichenschauhaus.

Gerade als sie sich das Haupt der Medusa ansah, erstarrte sie zu Stein. Es waren nicht die glühenden Augen, die aus dem Schlangen umzingelten abgeschlagenen Kopf heraus stierten, sondern es hatte sie etwas Kaltes im Nacken berührt.

Sie konnte sich nicht umdrehen, fürchtete sich, im Dunkeln an die schwarzen Stahlgerüste zu stoßen. Sie hörte Schritte.

Endlich löste sich ihre Schockstarre. Sie hastete zum Aufzug und fuhr nach oben unter das Dach. Die Farbspiele an den Gasometerwänden waren durch das Aufzugglas gut zu sehen. Allmählich wurde sie ruhiger.

Der Wind riss ihr die Tür aus den Händen, aber sie hatte sich schon während der Fahrt fest vorgenommen, bis ganz nach oben zu gehen, um das Ruhrgebietspanorama auf sich wirken zu lassen. Gleise, Autobahnen, Kühltürme, ein Kanal, Bäume und Wiesen.

»Dat hat was«, sagte plötzlich jemand hinter ihr, der noch ein paar Stahlstufen höher stand..

Sie drehte sich um. Glühende Augen.

Sie rannte die Stufen hinunter. Der Fahrstuhl war glücklicherweise da. Auf der dritten Etage stieg sie aus. Über die Wände geisterten Punkte, Wellenlinien, Lichter formten sich zu Rechtecken.

Auf den Stufen lagen hier und da große Kissen wie Sandsäcke. Sie ließ sich in einen hinein sinken. Jetzt erst einmal abschalten, sich ausruhen, der Sphärenmusik lauschen.

Sie dachte an das afghanische Mädchen von McCurry, an Coles Vernichtung, an fliehende oder ertrinkende Menschenmassen vor Küsten, an Erdbeben, Sanduhren, Kerzenständer, Totenköpfe und Skelette.

Sie zwang sich, sich an die schönen Bilder zu erinnern, an ein Stillleben mit Blumen und Insekten, an die kniende Mutter mit Kind, an Liebespaare, den Denker, den Aufstieg der Seelen ins Paradies. Das Paradies hing oben im Gasometer fest. Beauty has many faces.

Als sie die Augen aufschlug, bemerkte sie jemandem auf dem Kissen neben ihr. Eine Hand legte sich auf ihren Arm. Augen glühten wie die 320° Lichterschau, wie das Licht hinten im Garten. Sie musste sich hinknien, um hier weg zu kommen.

Man konnte sich in die weichen Kissen hinein sinken lassen, nur das Aufstehen gelang so einfach nicht.

Dem jedenfalls nicht, der mit dem Messer im Bauch im Gasometerdämmerlicht bei himmlischer Musik auf der obersten Stufe neben ihr liegen blieb. Knifed to Death III.

Kunst-Kurz

Подняться наверх