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Die Eisblumen
ОглавлениеDraußen war es bitterkalt. Der Wind heulte durch die stockdunkle Nacht und schüttelte am Haus, dass die Fensterscheiben zu zittern und vibrieren begannen. Ich drückte mein kleines Näschen ganz dicht an die eiskalte Scheibe und versuchte in der unendlich weiten Dunkelheit etwas zu erkennen.
Ich erreichte aber genau das Gegenteil. Je dichter ich mich der Scheibe näherte, umso verschwommener wurden die Umrisse. Ich versuchte mit meiner kleinen Hand die beschlagene Scheibe zu reinigen. Sie war so kalt, dass ich für Sekunden glaubte, daran festzukleben.
Je mehr ich an der Scheibe rieb, desto weniger war zu erkennen! Ich bemerkte ganz erschrocken, dass mein heißer Atem an der eiskalten Scheibe sofort zu Eis erstarrte. Ich konnte mir das Phänomen nicht erklären und versuchte immer von neuem das Eis zu entfernen, das aber offensichtlich durch meine Bemühungen immer dicker wurde.
Ich trat einen Schritt zurück und erblickte die tollsten bizarren Gemälde an der Fensterscheibe. Ich glaubte in den Eisgemälden bekannte Gesichter und wilde Tiere zu erkennen. Ich versuchte ein Bärengesicht noch mit Augen, Mund und Nase zu vervollkommnen. Dabei stellte ich mit Entsetzen fest, dass durch derartige Bemühungen aus meinem Eisbär eine neue Figur entstand, die eher Ähnlichkeit mit einem Affen besaß.
Ich hauchte und malte immer neue Eisfiguren auf die Fensterscheibe und merkte dabei gar nicht wie die Zeit verging. Meine Händchen waren vor Kälte fast erstarrt.
Erst der Ruf meiner Mutter riß mich aus allen Träumen. Es war Abendessenszeit.
Ich saß ziemlich still am Tisch und versuchte nur von Zeit zu Zeit meine fast erfrorenen Fingerchen durch Aneinanderreiben wieder zu erwärmen und gefügig zu machen.
Nach dem Essen schlich ich mich wieder an mein Fenster, zog die Gardine beiseite und sah... nichts!
Meine wunderschönen Gemälde ... wie von Geisterhand verschwunden! Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugegangen sein! Ich hauchte an der Scheibe und rieb wie ein Besessener, aber die Scheibe beschlug zwar kurz, aber erstarrte trotz intensivster Bemühungen nicht zu Eis.
„Ich habe die Heizung etwas höher gestellt“, hörte ich meinen Vater in der Tür lachen, „damit du nicht erfrierst!“
Ich fühlte mich ertappt und wußte nicht ob ich nun weinen oder lachen sollte? Ich entschied mich für Letzteres!
Damit wußte ich nun zwar, daß mit wärmer gestellter Heizung keine Eisfiguren mehr entstehen, aber ich hatte dadurch eine Beschäftigung verloren, die schöner war als puzzeln oder Bilder angucken. Dafür war ich aber nun um ein Vielfaches schlauer und imponierte mit meinem neuen Wissen sogar meiner Oma,
als ich ihr völlig unerwartet auf einer Geburtstagsfeier entgegenschleuderte:
„Oma du mußt die Heizung höherstellen, an deinen Fenstern kann man Eisblumen malen.“ Mit dieser vorlauten Bemerkung hatte ich nicht nur alle Lacher auf meiner Seite, ich vernahm darüber hinaus sehr viel Lob aus der Runde, wie klug ich doch sei. Trotz all des Lobes sah ich noch das Augenzwinkern
eines Vaters und lachte einfach mit.