Читать книгу Kriegsfrühling - Wolfe Eldritch - Страница 1
ОглавлениеInhaltsverzeichnis
2. Kapitel 2 27
3. Kapitel 3 47
4. Kapitel 4 60
5. Kapitel 5 85
6. Kapitel 6 110
7. Kapitel 7 127
8. Kapitel 8 148
9. Kapitel 9 185
10. Kapitel 10 209
11. Kapitel 11 232
12. Kapitel 12 257
13. Kapitel 13 285
14. Kapitel 14 319
15. Kapitel 15 350
16. Kapitel 16 379
17. Kapitel 17 399
18. Kapitel 18 427
19. Kapitel 19 453
20. Kapitel 20 486
21. Kapitel 21 524
22. Epilog 549
Kriegsfrühling
Ein Roman von Wolfe Eldritch
Weltengrau Band 4
E-Mail: wolfeeldritch@outlook.de
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Seite(n)
139521 Wörter
752106 Zeichen
Prolog
Er hatte von frühester Kindheit an sein ganzes Leben in den Wäldern seiner Heimat verbracht. All die Jahre über hatte er geglaubt, eins zu sein mit den Bäumen, der Luft und der Erde der alten Welt. Und doch hatte er erkennen müssen, dass er blind gewesen war, unwissend wie ein Kind. Bis jetzt. Sein Herzschlag war stet und langsam, während er mühelos über den Waldboden glitt. Ohne sein Zutun fanden seine Füße ihren Weg durch das Unterholz und er musste sich keine Sorgen mehr darum machen, in diesen geheimnisvollen Wäldern die Orientierung zu verlieren oder irgendwelchen Täuschungen anheimzufallen. Die verworrene Unsicherheit, die ihn auf dem Weg nach Osten gequält hatte, gehörte ebenso der Vergangenheit an, wie jede andere Angst und Schwäche, die der Waldläufer Lendir Iskariu in sich getragen hatte. Selbst die verblassende Erinnerung an sein Weib und all die anderen, die nicht mehr waren, verursachte ihm kaum noch Kummer oder Schmerz. Trauer war eine Schwäche, und seinesgleichen hatte keinen Platz für Schwäche.
Seine einstmals goldenen Augen schimmerten jetzt in einem rauchigen Bernsteinton aus einem starren, zerfurchten Gesicht, das so bleich war wie alte Knochen. Tränen waren diesen Augen fremd, dafür entging nichts ihrem Blick. Es spielte keine Rolle mehr, welche Tageszeit herrschte oder wie die Witterung um ihn herum war. Sein Blick durchdrang Dunkelheit und Nebel gleichermaßen. Aus den Augenwinkeln nahm er immer wieder andere huschende Gestalten zu seiner Linken und Rechten wahr. Körperlosen Schatten gleich glitten seine Gefährten neben ihm durch den Wald, ebenso schnell, gewandt und lautlos wie er selbst. Unermüdlich und unaufhaltsam. Die letzten Waldläufer der Silvalum waren ausgelöscht worden, als sie das Blut der Silberbuchen zu sich genommen hatten, die im Rabental wuchsen. Einige von ihnen gingen elendig daran zugrunde, fast so, als zerfräße das Harz ihre Eingeweide. Die anderen wurden zu etwas Neuem, zu etwas Größerem als zuvor.
Mit Lendir zählten sie jetzt achtundvierzig. Die letzten Sentinel, die das Volk der Silvalum hervorbringen sollte. In dem Moment, indem sie ihre Wandlung vollendet hatten, war ihr Volk ausgelöscht gewesen. Während des Prozesses, in dem das Harz der alten Bäume ihn veränderte, wurde sich Lendir schon bald bewusst, dass er seine Menschlichkeit verlor. Vieles von dem, was sein Wesen ausmachte, wurde bei der Wandlung hinfort gespült, ausgemerzt wie Unreinheiten aus einer Klinge, die ein Schmied heraushämmerte. Er hatte diese Veränderung willkommen geheißen. Der Preis für sein Werden war ihm wie ein zusätzliches Geschenk erschienen, nachdem alles, was er geliebt und für das er gekämpft hatte, verloren war. Zuvor wäre er voller Grauen vor dem, was aus ihm wurde, zurückgeschreckt. Doch der alte Iskariu war da schon tot gewesen, mit der Frau und dem ungeborenen Kind ebenso gestorben, wie mit den Letzten seines Volkes. Verpestet und zerfressen von der Verderbnis, welche die Welt durchdrang, gleichwohl wie von Verzweiflung, Schuldgefühlen und Reue.
Brúncluah, das Rabental, lag nun hinter ihnen, den Blicken hinter dem dichten Blätterdach des umliegenden Waldes gen Nordwest entschwunden. Kaum hatten sie den heiligen Boden verlassen, war das filigrane Netz aus blassem Purpur sichtbar geworden, dass sich auf alles und jedes gelegt hatte. Die Augen der Sentinel erkannten den Fluss der alten Bernsteinmagie ebenso, wie die Besudelung, die langsam aber unaufhaltsam in die Welt eindrang. In diesen Wäldern gab es nichts, was sich ihrer Aufmerksamkeit zu entziehen vermochte. Wie feinstes Spinnengewebe überzog die Verderbnis den Boden, die Stämme und Blätter der Bäume, jeden Stein und jeden Pilz. Weder Bach noch Tier blieb davon verschont.
Auch auf den Kleidern und der Haut der Sentinel ließ sich die Verunreinigung alsbald nieder. Hier gedieh der Purpur jedoch nicht, und er starb ab, bevor er sich festsetzen oder tiefer eindringen konnte. Lendirs emotionsloser Verstand beobachtete diese Entwicklung mit distanziertem Interesse. Er war sicher, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis auch sie verdorben wurden. Aber das war nebensächlich. Was zählte, war die Erfüllung der vor ihnen liegenden Aufgabe. Der Herr des Tals und des Waldes hatte sie gen Nordost geschickt, zurück ins faulige Herz ihres toten Volkes. Ihre Mission war die Erkundung der verlorenen Heimat. Sie mussten herausfinden, was zur Vernichtung der Silvalum geführt hatte, bevor es weiter wuchs und irgendwann so mächtig wurde, dass es selbst dem heiligen Tal zu trotzen vermochte.
Die äußeren Felswände der Berge, die das Tal schützend umgaben, waren bereits auf viele Mannslängen Höhe von der Verderbnis durchzogen. Von allen Seiten versuchte sich die unheilige Präsenz in den Fels zu fressen, sich weiterzuschieben und bis in das Innere vorzudringen. Ein sinnloses Unterfangen, so schien es, denn der kränklich violette Purpur starb ebenso schnell ab, wie er sich neu bildete. Doch Kornun hatte die Befürchtung, dass die Bedrohung aus dem Herzen des Reiches der Silvalum heraus beständig zunahm und stärker wurde. Obwohl die Sentinel das Tal noch nicht weit hinter sich gelassen hatten, glaubte Lendir bereits, dass der Herr von Brúncluah sich nicht vergebens sorgte. Die Veränderung des Netzes der Verderbnis war subtil, aber sie entging seinen neuen, scharfen Sinnen nicht.
So fein das Gewebe aus diesem fremdartigen Purpur auch sein mochte, erschien es doch umso vitaler, je weiter sie in Richtung des Zentrums des alten Waldes vordrangen. Greifbarer und Wirklicher wurde es, fast so, als würde es stofflicher und weniger geisterhaft, je weiter sie sich seiner Quelle näherten. Daran, dass die Ursache für die Verderbnis im Herzen der verlorenen Heimat der Silvalum lag, zweifelte Lendir nicht mehr. Er hatte es schon vermutet, als er noch ein Silvalum gewesen war, wahrhaft am Leben und Herr seines Willens. Jetzt, als kalter Jäger des Waldes und als Geschöpf seines neuen Gebieters, gehörten Unsicherheit und Zweifel für immer der Vergangenheit an. Seine einzige Sorge war es, nicht weit genug vorzudringen, um die Quelle der Verderbnis zu finden. Danach zählte nur noch, lebend wieder zurückzukehren, um Kornun die kostbaren Informationen zu überbringen.
Was danach geschah, war ihm gleichgültig. Er erinnerte sich verschwommen daran, dass sein altes Ich beim Verzehr des heiligen Blutes der Silberbuchen, neben der Taubheit um seine Verluste, ein vages Verlangen nach Rache verspürt hatte. Lendir dem Sentinel waren solche Emotionen fremd. Er wusste, dass die Verderbnis die Silvalum ausgelöscht hatte. Dennoch fühlte er keinen Hass auf sie oder ihren Verursacher, ebenso wenig wie er noch um das verlorene Volk, aus dem er stammte, trauern konnte. Er war ein Geisterwächter der urtümlichen Bernsteinmagie, ebenso wie die Brüder an seiner Seite. Alles andere hatte für ihn auf alle Zeit seine Bedeutung verloren. Die alte Magie zu schützen und seinem neuen Herrn zu dienen, war alles, was noch für ihn zählte.
Plötzlich tat sich vor ihm eine kleine Lichtung auf und er kam geschmeidig zum Stehen. Er spürte mehr als er hörte, wie seine Gefährten es ihm gleichtaten. Sie bewegten sich in einer losen Formation vorwärts, wie ein Rudel gespenstischer Raubtiere. Das Loch in den Bäumen war beinahe kreisrund und durchmaß knappe fünfzig Mannslängen. Genau in seiner Mitte befand sich ein Gebilde, das sich Lendirs Sinnen zu entziehen schien. Er ließ den Bogen von seinem Rücken gleiten und seine Finger griffen ohne sein Zutun nach einem Pfeil und legten ihn auf. Jeder von ihnen hatte eine neue Waffe und trug mehrere hundert Geschosse in Köchern und Bündeln. Die Waffen, wie auch die Pfeile, waren durchwoben von Magie und geschaffen mit Hilfe des Blutes der Silberbuchen von Brúncluah. Keine weltliche Rüstung widerstand ihnen, und doch wusste niemand, ob sie ihnen gegen das Unbekannte helfen würden, das ihnen bevorstand.
Er trat an das merkwürdige Ding heran und spürte zu beiden Seiten seine Gefährten, die ebenfalls mit gezückten Waffen auf die Mitte der Lichtung zielten. Er fühlte keine direkte Gefahr, doch was dort vor ihm lag war beinahe verstörend. Es wirkte vollkommen fremdartig und zugleich sprach es in einer unerklärlichen Vertrautheit etwas tief in seinem Inneren an. Vor allem aber wirkte es verdreht und entartet. Die Verdorbenheit, die von dem Knäuel aus Nebel ausging, war so greifbar, dass Lendir fast erwartete, das purpurne Greifarme daraus hervorschnellten. Doch das Einzige, was dieses Ding dort zu tun schien, war zu sterben.
Lendir glaubte nicht, dass es sich überhaupt einmal um ein Lebewesen gehandelt hatte, doch genau diesen Eindruck machte das zitternde Bündel. Wie eine ungleichmäßige Kugel aus Nebel lag es im Zentrum der Lichtung. Es schien, als stürbe es einen zuckenden, qualvollen Tod, während der blasse Purpur es zerfraß. Fragendes Flüstern drang an seinen Geist, als seine Gefährten zu ihm aufschlossen und in einigem Abstand einen Kreis um den sterbenden Nebel bildeten. Er betrachtete das auf unbestimmte Art und Weise mitleiderregende Gebilde noch eine Weile, dann glaubte er zu wissen, worum es sich handelte.
»Das ist einer der alten Wege, von denen Kornun erzählt hat«, sagte er leise. Seine Stimme war nicht mehr als ein heiseres Flüstern, doch selbst wenn er nicht laut gesprochen hätte, würden die anderen Sentinel ihn verstanden haben.
»Die Pfade, die uns der Herr gewarnt hat zu benutzen. Es sieht so aus, als hätte er mit seinen Befürchtungen recht gehabt. Sie sind von dem Übel zerfressen und sterben.«
Älter als das Volk der Silvalum waren sie nach Kornuns Worten, halblebendige Konstrukte des hohen Volkes, von denen das alte Waldvolk nur noch ein dekadenter Verwandter war. Jahrtausende alt und jetzt einem Untergang geweiht, der seinen Ursprung nicht in dieser Welt hatte.
»Diese Pfade sucht das gleiche Schicksal heim wie unser Volk«, sagte er grimmig. »Wir können nichts für sie tun. Wir halten uns von ihnen fern. Kommt weiter.«
Bögen und Pfeile verschwanden so lautlos, wie sie in die Hände der Sentinel gelangt waren. Wenige Augenblicke später huschten die geisterhaften Gestalten erneut wie lebende Schatten durch den uralten Wald.
Hinter ihnen auf der Lichtung, die vor mehr als einem Zeitalter einmal ein prunkvoller Platz gewesen war, ließen sie das Tor zu den alten Pfaden in seinem Todeskampf zurück.