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4. Kapitel 4

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Bei Padermünde

Die Grasebene, die zwei Landmeilen östlich der Stadtgrenze von Padermünde hinter einem schmalen Waldstreifen begann, bot für gewöhnlich ein Bild pittoresker Einöde. Der übermäßig harte Winter war vor einigen Tagen ebenso resolut verschwunden, wie er gekommen war. Es war im März noch immer kalt und windig, aber der Frost schlich sich nur noch in einzelnen Nächten in die Erde. Niederschläge blieben größtenteils aus, und so verwandelte sich das Land in der Nordmark von totem Weiß allmählich zu kühlem, aber lebendigem Grün.

Um diese Zeit boten die grasbewachsenen Ebenen und Hügel erstmals wieder Futter und annehmbare Bedingungen für die größeren Schafherden. Die wolligen Vierbeiner prägten hier überall das ländliche Bild. Der Großteil der Tuchproduktion des Reiches stammte aus der Wolle, welche die Nordmark und die Königsmark produzierten. Nur ein kleiner Teil wurde von der Baumwolle beigesteuert, die vereinzelt im Süden der Südmark angebaut wurde. Wie viele Menschen aus dem Norden war auch Frans von Falconbridge mit dem Anblick der gemütlichen, bauschigen Grasfresser aufgewachsen.

Während sein Blick jetzt über das Grasland und den angrenzenden Streifen aus Fichtenwald schweifte, wanderten seine Gedanken zu der Zeit der Kindheit und Jugend zurück. Er hatte gemeinsam mit seinem Bruder in jedem Frühjahr darauf gewartet, dass die Hirten ihre Schafherden wieder aus den Winterlagern herausführten. Neben Burg Falconbridge, wo Frans aufgewachsen war, hatte es reichlich Hügel und Ebenen gegeben. Sie hatten einer Unzahl von Schafen als Futterplatz gedient. Es war Frans immer etwas befremdlich erschienen, wie sehr er die Tiere gemocht hatte. Ein solch friedliches und passives Geschöpf passte im Grunde gar nicht zu einem unsteten und aggressiven Charakter wie dem seinen.

Die grüne Ebene hier in der Nähe der Stadt war den Hirten und ihren Tieren in diesem Frühjahr verwehrt. Und auch grün würde sie nicht mehr lange sein. Bald schon würden zahllose Hufe und Stiefel sie zerwühlt und in eine matschige Fläche verwandelt haben. Am Ende würde nichts bleiben, als der übliche, trostlose Dreck, den jedes Heerlager der Welt hinterließ. Bis die Fläche wieder als Weideplatz zu gebrauchen war, würde wohl mehr als eine Saison ins Land gehen. Das kümmerte Frans allerdings wenig, denn er schätzte die eigenen Chancen, in zwei Jahren noch zu leben, durchaus realistisch ein. Seine ebenso wie die der Männer, die hier aufmarschierten. Und realistisch bedeutete in diesem Fall nichts anderes, als beschissen.

Frans saß im Sattel seines Pferdes auf einem Hügel und schaute auf die Ebene herab, die sich in dem sanft abfallenden Land vor ihm erstreckte. In seinem Rücken erhob sich die Stadtmauer von Padermünde. Der steinerne Wall, der in unregelmäßigen Abständen von eckigen Türmen einfacher, aber robuster Bauweise überragt wurde, zeichnete sich dunkel vor dem etwas helleren Grau darüber ab. Es war ein kühler, aber trockener Vormittag. Das Licht des wolkenlosen, klaren Himmels erschien tagsüber seit fast einer Woche so hell, wie seit Monaten nicht mehr. Unter der nahtlosen, polierten Silberscheibe über ihnen trafen seit nunmehr drei Tagen die ersten Verbände an Truppen ein. Als der Frost nur noch unregelmäßig in den Nächten hereinbrach, hatte der Herzog angeordnet, mit den Truppenbewegungen zu beginnen.

Nachdem sie von dem Besuch in Stennward, währenddessen sie von dem bevorstehenden Krieg erfahren hatten, zurückgekehrt waren, hatten sie sofort mit der Planung begonnen. Da sie als Erste aufbrechen würden, drängte die Zeit für sie mehr, als es bei den Heerführern der anderen Marken der Fall war. Zunächst setzten sie sich mit Otto von Weldenheim, dem Landmeister des örtlichen Templerordens, zusammen. Man kam überein, dass eine Hälfte der in der Nordmark stationierten Templer, gemeinsam mit Weldenheim und einem Marschall, nach Norselund aufbrechen würde. Die andere Hälfte sollte unter den restlichen beiden Marschallen für die Sicherheit innerhalb der Mark sorgen. Der Großteil der unter Sold stehenden Truppen des Herzogs würde an dem Angriff auf die Insel teilnehmen. Ebenso wie eine nicht geringe Zahl an Miliztruppen, die man kurzfristig auszuheben gedachte.

Sie spielten dieses blutige Spiel mit einem gefährlich hohen Einsatz, gerade was die Milizen anging. Falls sie vernichtend geschlagen würden, konnte es das Ende der Herrschaft derer von Falconbridge bedeuten. Erhebliche Verluste unter den regulären Truppen ließen sie verwundbar gegen Angriffe zurück. Schon das war ein größeres Risiko, als es noch vor einigen Monaten der Fall gewesen wäre. Durch die Situation des Thronfolgers war die politische Lage im Reich längst nicht mehr so stabil wie in den Jahren zuvor. Die Milizen aber setzten sich aus Bürgern und Bauern zusammen. Den Menschen, die das Lebensblut der Wirtschaft der Mark darstellten. Verlor man als Regent Soldaten und Bauern, gelangte man gar zu leicht an den Rand einer Katastrophe. Dennoch konnte Frans die Entscheidung seines Bruders nachvollziehen. An und für sich waren Milizen am besten innerhalb der eigenen Grenzen aufgehoben. Der bevorstehende Konflikt hingegen war zu bedeutend und gefährlich, um nicht jede mögliche Option auszuschöpfen. Insbesondere aufgrund ihrer Position in der ersten Angriffswelle. Wenn sie bei der Landung auf die Insel scheiterten, war unter Umständen der ganze Krieg verloren. Und wenn das geschah, drohte das Reich zu zerbrechen.

Wir können nur hoffen, dass wir mit genug Männern zurückkommen, um weiterzumachen, dachte Frans grimmig. Das heißt natürlich, wenn wir überhaupt zurückkommen. Er zählte still die Zelte, die bereits errichtet worden waren. Er kam auf knapp drei Dutzend. Ein kleiner Anfang für das Meer aus Feuern und Lagern, das hier bald entstehen würde.

Die Geschäftigkeit, die er vor sich auf der Ebene sah, war nur ein schwacher Abklatsch dessen, was innerhalb der Stadtmauern von Padermünde vor sich ging. Insbesondere der Hafen selbst glich mittlerweile einem Ameisenhaufen. Die gesamte Flotte, über die Halgo von Falconbridge gebot, war bereits im oder vor dem Hafen vor Anker gegangen. Wer an den Docks selbst keinen Platz fand, hatte in kleinen Buchten oder in der Nähe von Fischerdörfern festgemacht. Selbst der größte Teil der Handelsschiffe im Dienste des Herzogs war herangezogen worden. Ihre Überfahrt würde ohnehin vom Großteil der königlichen Flotte gedeckt werden. Dennoch brauchten sie jedes verfügbare Schiff, um eine so große Menge an Menschen und Proviant überzusetzen. Nicht zu vergessen das Material zur Errichtung des Brückenkopfes, also eines ersten, möglichst gesicherten Lagers.

Der Plan sah vor, dass die Invasionsflotte die Truppen der Nordmark anlandete und dann sofort in voller Stärke wieder zum Festland zurückkehrte. Bis dahin sollten die Heere der anderen Marken an der Küste bereitstehen und binnen kürzester Zeit folgen. Das bedeutete, dass man für diesen Zeitraum auf Norselund abgeschnitten sein würde. Ohne irgendeine Rückzugsmöglichkeit, ohne Aussicht auf Verstärkung. Frans verstand nur zu gut, warum seinem Bruder an jedem Mann, jedem Stück Proviant und jedem Balken zur Errichtung von Verteidigungsanlagen gelegen war, die sie mitnehmen konnten. Auch hier war das Risiko hoch, aber die Alternative wäre eine Teilung der Seestreitkräfte gewesen.

Er stieß seinem Pferd leicht die Fersen in die Seite und es trabte gemächlich an. Zwischen den Zelten war ein erstes Banner aufgezogen worden und die dunklen Grün- und Grautöne des Hauses Falconbridge schimmerten matt im Grau des Tages. Frans trug einfache Kleidung mit einem Lederwams und einem knielangen, gefütterten Mantel. An seiner Hüfte baumelte ein Langschwert und am Sattel befand sich der unvermeidliche Weinschlauch. Er trug weder die Farben noch andere Kennzeichnung seines Hauses. Das war auch nicht nötig, denn sein Gesicht war in der Nordmark noch bekannter als das des Herzogs selbst. Sein Ruf mochte grundsätzlich mies sein, doch bei den Soldaten erfreute er sich durch seine ruppige Art, seine Rauf- und Sauflust und seinen bösen Humor großer Beliebtheit. Er behandelte die Menschen, die ihm nicht zuwider waren, mit einer rauen Jovialität, egal ob Aristokrat oder Fußsoldat. All das, was die Adligen an ihm und seiner Art hassten, liebte der Pöbel. Er wusste um diese Tatsache und war zufrieden damit. Er hatte sich der Gosse immer näher gefühlt, als einem Bankettsaal.

Als er seinen Weg zu den ersten Ankömmlingen in dem entstehenden Heerlager beinahe zurückgelegt hatte, hörte er Hufschläge. Wenig später sah er in einiger Entfernung Reiter über eine Hügelkuppe kommen. Einen Moment lang kniff er die Augen zusammen, aber dann erkannte er sie an den Rüstungen. Sie ritten ohne Farbe und Banner, gute vier Dutzend Mann, die in gemäßigtem Galopp in seine Richtung hielten. Frans wartete, bis die Tempelritter auf seiner Höhe zum Stehen kamen, und hob dann die Hand zum Gruß, als er ihren Anführer erkannte.

»Dem Licht zum Gruß, Meister Weldenheim«, rief er mit schnarrender Stimme. »Ich hatte nicht damit gerechnet, euch so bald hier zu sehen. Mein Bruder ist noch auf Burg Falconbridge und ich kümmere mich bisweilen um die Dinge hier.«

Der Landmeister erwiderte den Gruß mit einem Lächeln, das sich auf seine feisten Wangen beschränkte und seine Augen nicht erreichte. Auf den ersten Blick war Otto von Weldenheim ein kleiner, gedrungener Mittvierziger mit schütterem, braungrauem Haar und einem jovialen Temperament. Hinter der Fassade des umgänglichen Haudegens war er ein leidenschaftsloser, pragmatischer Mann. Nach Frans´ Auffassung war der aus der Königsmark stammende Templer so trocken und leer, wie ein ausgesoffener Weinschlauch. Immerhin haben wir unsere gegenseitige Abneigung gemeinsam, dachte er jetzt. Und gerade genug Umgangsformen, um sie nicht gar zu offen zu zeigen.

»Dem Licht zum Gruß, Lord Falconbridge«, erwiderte von Weldenheim. »Ich dachte, es würde nicht von Schaden sein, wenn ich zeitig hier bin. Nachdem ich das Alltagsgeschäft der Mark in die Hände meiner beiden zurückbleibenden Marschälle gelegt habe, hatte ich ohnehin nichts Besseres zu tun. Angesichts der vor uns liegenden Aufgabe möchte ich von keinen anderen Dingen abgelenkt werden. Das ist übrigens Marschall Helge Falhorn, der uns begleiten wird. Er ist seit letztem Jahr in seinem Amt und euch bislang nicht bekannt, wenn ich mich recht erinnere.«

Der Mann, der einige Schritte hinter von Weldenheim im Sattel saß, war ein gutes Stück größer als der kurzgewachsene Landmeister. Er hatte halblanges, blondes Haar und verwaschen blauen Augen. Auch die Gesichtszüge sprachen von seiner Herkunft aus der Nordmark. Er war eher der sehnige als der muskulöse Typ, schlank, und mochte zehn Jahre jünger sein als sein Vorgesetzter. Sein Gesicht wirkte unverbraucht und er machte einen beinahe jugendlichen, frischen Eindruck. An sich ganz niedlich, dachte Frans, aber diese Jünger des Lichts haben meist schon den Stock ihres Glaubens so tief im Arsch stecken, dass meiner ohnehin keinen Platz mehr hätte. Er nickte dem Mann zu und tippte sich mit zwei Fingern an die Stirn.

»Erfreut, eure Bekanntschaft zu machen, Marschall Falhorn.«

Wieder zu dem Landmeister gewandt sage er: »Padermünde ist ganz euer. Wir haben im Hafen einen Bereich geräumt, der ausschließlich uns und euch zur Verfügung steht. Ich würde mich gerne noch ein wenig hier umsehen. Die ersten paar Verbände sind gerade erst eingetroffen, und ich möchte mich selbst davon überzeugen, dass das Heerlager anständig angelegt wird. Das wird ein verdammt großer Haufen, den wir hier eine Weile versorgen müssen.«

»Selbstverständlich«, sagte von Weldenheim. »Macht euch keine Umstände, ich kenne mich in der Stadt aus. Habt ihr eine Ahnung, wann euer Bruder zu uns stoßen wird?«

»Nichts Genaues«, meinte Frans vage. »Er wird sicher in den nächsten Tagen hier eintreffen. Er hat bereits alles Organisatorische geregelt, wollte aber noch ein paar Tage mit seiner Familie verbringen.«

»Ich hoffe, dort steht alles zum Besten«, erkundigte von Weldenheim sich mit einem Interesse, von dem Frans beim besten Willen nicht zu sagen vermochte, ob es echt war oder nicht.

»Er hatte einige Probleme mit Sören«, sagte er. »Der Junge ist wohl ziemlich verbittert darüber, dass dieser Konflikt nicht zwei oder drei Jahre länger auf sich hat warten lassen, sodass er daran teilnehmen kann. Aber letztendlich hat der Herzog ihm verständlich machen können, dass er mit zwölf Jahren einfach noch zu jung für einen Feldzug ist.« Ganz besonders als einziger männlicher Nachkomme, fügte er in Gedanken hinzu. Aber dieses Detail und damit die Sorge darum, dass mit einiger Wahrscheinlichkeit keiner von uns zurückkehren wird, hat er vermutlich verschwiegen.

»Jedenfalls«, schloss er, »hat er dem Jungen die Verantwortung für die Mark übertragen, solange der Feldzug dauert. Das hat ihn besänftigt und den Haussegen auf Burg Falconbridge gerettet. Wir können die Ankunft des Herzogs also jederzeit erwarten.«

»Nun denn, dann werden wir uns ein Lager suchen. Wir sehen uns sicher später am Tage zum Mahl oder heute Abend zu einem Umtrunk«, sagte von Weldenheim unverbindlich, nickte und trieb dann sein Pferd an. Wenige Augenblicke später waren die Templer auf dem Weg in Richtung der Haupttoranlage von Padermünde.

Frans sah ihnen einen Moment lang nach, dann schüttelte er den Kopf und ließ sein Pferd weiter auf das wachsende Lager zutraben. Zu seiner Freude erkannte er unter den Männern, die gerade damit begonnen hatten Steine für ein Lagerfeuer aufzuschichten, ein bekanntes Gesicht.

»Heda, Strongbow«, rief er. »Habt ihr euch auch mal wieder von euren Äckern und Obstbäumen losreißen können? Eure Rüstung muss doch schon völlig verrostet gewesen sein.«

Ein hochgewachsener Mann Anfang vierzig drehte sich in die Richtung des Neuankömmlings und gleich darauf erhellte ein schiefes Grinsen sein zerfurchtes Gesicht. Seine Züge wurden von einem struppigen Vollbart und einer Nase dominiert, die mehr als einmal gebrochen und schlecht gerichtet worden war. Sein Haar war ebenso nussbraun wie seine Augen und von erstem Weiß gesprenkelt. Geoffrey Strongbow gehörte zum niedrigsten Landadel. Seine Familie war vor zwei Generationen nur durch ihren finanziellen Wohlstand in den Ritterstand gerutscht. Sowohl sein Vater wie auch er selbst hatten sich jedoch mehr als einmal bewiesen und genossen mittlerweile selbst unter den adligen Waffenbrüdern einiges an Respekt. Soviel man eben für jemanden aufbringen mochte, der im Grunde kaum mehr als ein Bauer war. Frans hatte den raubeinigen, trinkfesten Geoffrey sofort gemocht und mehr als eine durchzechte Nacht mit ihm verbracht.

»Na, wenn das nicht seine Durchlaucht ist«, dröhnte der Bass des Ritters über das Lager. »Immer eine Freude, euch zu sehen Mylord. Hätte ich gewusst, dass ihr hier seid, wäre ich früher gekommen und hätte mehr Wein mitgebracht.«

»Wir haben noch genug Zeit, und wo ich bin, mangelt es nie an Wein«, erwiderte Frans lächelnd. »Freut mich, dass ihr dabei seid. Wie viele Männer habt ihr denn für uns erübrigen können?«

Er führte sein Pferd bis an den Rand der unfertigen Feuerstelle, ließ sich aus dem Sattel gleiten und reichte die Zügel einem jungen Soldaten. Dann umarmten sie sich kurz und freundschaftlich und gingen gemeinsam ein paar Schritte beiseite, während andere Männer sich weiter an der Feuerstelle zu schaffen machten.

»Hab erstmal dreißig Mann mitgebracht«, meinte Strongbow gut gelaunt, »aber mein Sohn kommt in ein paar Tagen nach. Das sind dann nochmal über fünfzig. Hätten mehr sein können, aber ich wollte nur die Guten. Für den Scheiß, den wir vorhaben, wollte ich meine Arbeitskräfte nicht verbrennen. Dafür könnt ihr die Stadtmilizen nehmen. Wenn wir da drüben draufgehen, muss wenigstens irgendjemand meine Felder bewirtschaften. Stadtbewohner sind ohnehin zu nichts zu gebrauchen.«

»So ist es richtig«, meinte Frans im gleichen Tonfall, »immer optimistisch denken. Könnt ihr euch heute Nachmittag hier loseisen und eure Leute lange genug allein lassen, um einen Umtrunk mit mir einzunehmen?«

»Na, worauf ihr euch verlassen könnt, Mylord«, sagte Strongbow lachend. »Wenn es nach mir geht, können wir das jeden Tag bis zu unserer Abreise nach Norselund tun. Wer weiß, ob wir danach noch Gelegenheit dazubekommen.«

Und das wäre nicht die schlechteste Gesellschaft, selbst wenn es die Letzte wäre, die ich habe, dachte Frans. Auch wenn vorher noch eine oder zwei Stunden mit Marschall Falhorn ganz nett wären. Aber inzwischen ist mir freundschaftliche Kameraderie tatsächlich lieber, als ein guter Fick. Ich werde wohl wirklich langsam alt.

Ein langgezogener Schrei ertönte irgendwo in der Ferne. Obwohl das Geräusch weit weg und nicht sonderlich laut war, lief Frans ein leichter Schauer über den Rücken. Auch Strongbow wandte sich ab und sah sich um. Einige der Männer, die sich an dem Lagerfeuer zu schaffen machten und Säcke und Zeltplanen durch die Gegend trugen, hielten inne. Obgleich relativ leise, war der Schrei doch eindringlich gewesen und hatte eindeutig von einem Menschen gestammt.

Ein weiteres Mal ertönte das Geräusch, ein Ausruf derart hoch und panisch, dass man nicht bestimmt sagen konnte, ob er von einem Mann oder einer Frau stammte. Als er ein drittes Mal zu hören war, schien er näher zu sein, brach aber abrupt ab.

»Was ist das denn für eine verdammte Scheiße«, murmelte Strongbow und kratzte sich im Nacken.

»Ich meine, dass es von Nordosten gekommen ist«, sagte Frans halblaut. »Irgendwo aus dem Waldstreifen da vorne. Aber sicher bin ich mir nicht.«

Die Antwort darauf bestand aus einem weiteren Schrei und entfernten Rufen. Der alte Ritter und einige seiner Männer drehten sich jetzt zu dem hohen, dunklen Streifen Nadelgehölz um, der sich am Rande der Grasebene einige Landmeilen weit erstreckte.

»Scheint so, als hättet ihr Recht«, sagte er. »Irgendetwas muss da passiert sein, so schreit niemand aus Spaß. Matteo, Lothar, auf.«

Während der Soldat, dem Frans sein Pferd gegeben hatte, ihm die Zügel reichte, ging Strongbow zu seinem Tier und schwang sich in den Sattel. Als Frans ebenfalls aufgesessen war, kamen die anderen beiden Männer auf gleichfarbigen, dunkelbraunen Wallachen angetrabt. Inzwischen kamen die Rufe näher und dann ertönte erneut ein Schrei, gellend und voller Panik, der in atemloses Kreischen überging und dann ebenso plötzlich abbrach wie der Erste.

»Klingt übel«, meinte Strongbow leise und hob dann die Stimme zu einem schnarrenden Befehlston. »Ein halbes Dutzend Männer bleibt am Lager, der Rest sitzt auf und folgt uns.«

»Dann sehen wir uns das Mal an«, rief Frans und ließ sein Pferd antraben.

Die anderen drei Reiter schlossen auf und wenig später jagten sie im Galopp über die Ebene und ließen das nun hektische Treiben im Lager hinter sich. Sie kamen dem schmalen Waldstück schnell näher und hörten erneut Rufe. Frans konnte keine Worte verstehen, es schienen sinnlose Laute des Schreckens zu sein. Eindeutig stammten sie von Männern, und als sie noch etwas mehr als hundert Schritte vom Waldrand entfernt ihre Pferde zügelten, sahen sie die ersten Gestalten. Zwischen den Bäumen brachen zwei Männer aus dem Unterholz hervor, die scheinbar am Ende ihrer Kräfte waren. Sie strauchelten aus dem Gehölz heraus und einer sank erschöpft im Gras in die Knie, während der andere weiterhumpelte und sich immer wieder hektisch umsah.

»Heda, was ist denn hier los?«, rief Frans und brachte sein Pferd in zehn Schritten Entfernung von dem Knienden zum Stehen. Der zweite Mann rannte weiter, ohne überhaupt Notiz von den Reitern zu nehmen. Er taumelte, hielt sich aber auf den Beinen und wurde jetzt sogar wieder schneller.

»Was soll denn der Blödsinn«, sagte Strongbow und gab dann einem ihrer Begleiter ein Zeichen. »Fang diesen Bekloppten ein und bring ihn zum Lager, Matteo. Wenn er herumzickt, hau ihm was vor den Kopf.«

Der Angesprochene nickte und nahm in leichtem Trab die Verfolgung des Flüchtigen auf. Frans ließ sich vom Pferd gleiten und ging auf den im Gras knienden Mann zu. Strongbow und Lothar taten es ihm gleich, woraufhin der Ritter dem Soldaten die Zügel gab und dem Bruder des Herzogs folgte. Beim Näherkommen sah Frans, dass der Fremde offenbar ein Waldhüter war. Er trug grobe Lederkleidung und einen Wams mit den Zeichen von Padermünde. Alles war verdreckte und ein Ärmel war zerrissen. Als er in die weit aufgerissenen Augen des Mannes sah, überkam ihn erneut ein leichter Schauder. Angst bis an die Grenze zum Wahnsinn blitzt darin, ein Ausdruck, den Frans schon ein paar Mal gesehen hatte. Er brachte ihn stets mit einem Schlachtfeld in Verbindung. Was einen Mann hier, in einer der ruhigsten und sichersten Gegenden der Nordmark so verstören sollte, konnte er sich nicht vorstellen.

»Was zum Henker ist euch denn passiert, Mann?«, fuhr er den Fremden nicht unfreundlich an. »Und regt euch ab, hier seid ihr in Sicherheit.«

Der Kopf des Angesprochenen ruckte zu ihm herum und nach einem kurzen, heftigen Blinzeln schienen seine Augen ihn fixiert zu haben.

»Hier ist niemand mehr sicher«, stammelte er. »Niemand, nirgends. Fackelt den Wald ab. Die ganze Stadt. Jede Stadt. Sie kommen.« Er drehte sich im Knien zum Wald um, riss eine Hand hoch und schrie erneut: »Sie kommen.«

Er kam taumelnd auf die Beine und machte drei schnelle, unsichere Schritte, bevor er wieder einen wankenden Trab aufnahm. Als er auf der Höhe von Frans war, wollte er den Mann am Arm packen und stoppen, doch er hielt mitten in der Bewegung inne und ließ den Fremden an sich vorbeitaumeln.

»Hört ihr das auch, Strongbow? Was in Gottes Namen ist das für eine Scheiße?«, rief er zu dem Ritter hinüber.

»Das lässt sich leider nicht überhören, und ich habe nicht die geringste Ahnung«, erwiderte der Andere. Mit einem klirrenden Geräusch zog er sein Langschwert aus der Scheide und trat unwillkürlich zwei Schritte vom Waldrand zurück. Mit einem Mal wieherten die drei Pferde gleichzeitig, bäumten sich fast synchron auf und gingen dann durch. Frans ließ die Zügel, die er sich lose um das Handgelenk gewickelt hatte, sofort los und vermied so, sich zu verletzten. Lothar, der sein und das Tier des Ritters gehalten hatte, war weniger glücklich. Da er keine Handschuhe trug holte er sich eine unschöne Wunde, als der Lederriemen durch seine Handfläche lief. Er versuchte die Tiere für einen Moment zu halten, wurde dann aber einfach umgerissen. Die drei Pferde stoben in Panik davon, das von Frans in Richtung Padermünde, die anderen zurück zum Lager. Fluchend richtete Lothar sich auf, verstummte aber sofort und zog die eigene Waffe, als auch er die Töne hörte, die aus dem Gehölz zu ihnen getragen wurden.

Die Klinge war in Frans’ Hand, ohne dass er sie bewusst gezogen hatte. Die Geräusche, die aus dem Dunkel des Waldes drangen, erinnerten ihn vage an etwas. Es war ein fernes Stöhnen und Murmeln, das an diesem Ort so unpassend war, wie ein Einhorn aus den alten Sagen. Als ihm einfiel, wo er ein solches Klangbild zuvor gehört hatte, sah er die ersten schemenhaften Gestalten im Unterholz auf ihn zukommen.

Er hatte einige blutige Scharmützel in seinem Leben geschlagen. In einem echten Lazarett war er aber nur einmal gewesen. Damals, vor fast zwanzig Jahren, hatte es einen Aufstand in einem Baronat der Nordmark gegeben. Es war eine unglückliche, dreckige Angelegenheit. Der rebellische Sohn eines Barons wiegelte für seinen Verrat die Bevölkerungen mehrerer Dörfer auf. Dadurch gelang es ihm, eine ansehnliche Miliztruppe aufzustellen. Schließlich war Halgo nichts anderes übrig geblieben, als den Aufstand gewaltsam niederzuschlagen, bevor er sich weiter ausbreitete. Frans hatte die Truppen geführt und der Sache ein blutiges, aber rasches und nachhaltiges Ende bereitet. Es gab so viele Verwundete, dass man ein provisorisches Lazarett einrichtete. Die Geräusche, die jetzt aus dem Wald drangen, erinnerten Frans daran. Genau so hatte es einen Tag nach der Schlacht, wenn man das beschissene Gemetzel an Bauern mit Mistgabeln und Hacken so nennen wollte, in besagtem Feldlager geklungen. Das Schreien und Kreischen der Verstümmelten war verklungen gewesen. Was blieb, war ein Klangteppich aus rasselndem Atem, dem Stöhnen der Verletzten und den Klagen der Sterbenden.

Diese Geräusche gaben die Gestalten von sich, die jetzt langsam aus dem Wald gehumpelt kamen. Aber dort gab es kein Lazarett und dort sollte es auch nicht so viele Menschen geben. Frans zählte zehn bis fünfzehn Umrisse und dahinter schienen immer noch mehr nachzukommen. Er wartete auf einen weiteren Schrei, aber was da auf sie zukam, gab nur gedämpfte Laute von sich.

»Was ist denn hier bloß passiert, und wer sind die?«, ertönte die Stimme des Ritters neben Frans. Er drehte den Kopf und sah, dass Strongbow genau wie er selbst mit gezogener Klinge zwischen die Bäume starrte.

»Keine Ahnung«, gab er leise zurück. »Aber wir werden es gleich wissen, da unsere Pferde weg sind, können wir es uns ebenso gut anschauen. Aber mir wird wohler sein, wenn eure Männer nachkommen. Irgendetwas stinkt hier zum Himmel. Die Waldhüter sind vor denen da weggerannt. In Anbetracht dieser Tatsache und zusammen mit den Schreien vorher habe ich ein ganz mieses Gefühl hierbei.«

Zu einer anderen Jahreszeit hätte er als Erstes eine Gruppe Gesetzloser vermutet, die der Hunger aus den Wäldern trieb. Aber zum einen war das jetzt, wo der Winter das Land noch halb in seiner Gewalt hatte, kaum möglich, zum anderen bot der schmale Waldstreifen hier kaum genug Unterschlupf für so viele Leute. Es dauerte nicht lange, bis die vordersten Gestalten aus den Schatten der Bäume traten und sich den drei Männern über das knöchelhohe Gras näherten. Als Frans die Fremden genauer erkennen konnte, schwand jeder Gedanke an Gesetzlose oder Wegelagerer. Auch die Bewohner eines nahen Dorfes, die in der Stadt Schutz oder Hilfe suchten, kamen nicht in Frage. Der Zustand der Körper, die da auf sie zukamen, war so schrecklich, dass sie eigentlich gar nicht mehr auf den Beinen sein durften.

Neben sich hörte er, wie Lothar scharf die Luft einzog und er vernahm einen leisen Fluch aus dem Mund des Ritters.

»Was, bei allen Teufeln, ist das? Die sehen ja aus, als wären sie schon tot. Wo kommen die her?«, raunte Strongbow.

»Keine Ahnung«, erwiderte Frans, »aber ich weiß, wo sie hingehen, wenn sie uns zu nahe kommen, nämlich direkt in die Hölle.«

Er trat einen Schritt vor und hob sein Schwert, wobei die Spitze auf die vordersten der zerlumpten Gestalten zeigte.

»Bleibt stehen, wenn euch euer Leben lieb ist. Im Namen des Herzogs der Nordmark, oder wir hauen euch zusammen«, rief er so laut er konnte. Was für ein Blödsinn, dachte er. Die bekommen doch gar nichts mehr mit. Die sehen wirklich aus, als wären sie schon tot.

Wie er es nicht anders erwartet hatte, waren seine Worte wirkungslos. Die schlurfenden und humpelnden Fremden schienen ihn nicht einmal gehört zu haben. Sie waren in Lumpen, Nachthemden und teilweise in etwas gehüllt, dass wie Leinenlaken aussah. Drei oder vier schienen nackt zu sein. Ob es sich um Männer oder Frauen handelte, war nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen. Sie waren ausnahmslos völlig verdreckt. Lange, fettige Haare klebten um ihre Schädel und die Haut war überall schrundig und verschorft. Jeder schien krank oder verletzt zu sein. Tot sind sie, beharrte eine Stimme in Frans’ Kopf, tot und hungrig. Siehst du nicht das Blut?

Tatsächlich waren die Hände und Münder einiger von ihnen mit Blut verschmiert. Mit frischem Blut. Es leuchtete nass und rot im fahlen Licht des Tages und war das Einzige an ihnen, das keinen verdorrten und verfaulten Eindruck machte. Das Blut schien frisch und glänzend. Frans konnte jetzt deutlich die Geräusche hören, die sie erzeugten, ein tiefes, langgezogenes Stöhnen. Einige Münder bewegten sich und er meinte ein Brabbeln zu hören, gutturale Worte ohne jede Bedeutung. Der faulige, säuerliche Geruch, der ihm in die Nase kroch, sorgte dafür, dass sich sein Magen unwillkürlich ein wenig anhob. Er hatte in seinem Leben mehr verfaultes Fleisch gerochen, als ihm lieb war. Auf das hier hätte er mit Freuden verzichtet.

Sein lautes Rufen schien allein den Effekt zu haben, dass eine Hälfte von ihnen jetzt direkt auf ihn zukamen. Die anderen stolperten weiter auf den Ritter und seinen Gefolgsmann zu.

»Wenn die nicht stehen bleiben, haue ich sie zusammen«, sagte Strongbow mit seltsam tonloser Stimme. »Es ist mir scheißegal, wer die sind oder ob sie krank sind. Ich lasse mich von denen nicht anfassen. Siehst du das Blut an den Händen und Mäulern? Hast du gehört, wie die Waldhüter geschrien haben? Ich glaube kaum, dass die nur wegen des widerlichen Anblicks so außer sich waren, den die da bieten. Mir egal, wenn mich jemand für bekloppt hält, das hier ist nicht normal, hier stimmt irgendwas nicht.«

Frans, den es nicht einmal gestört hätte, wenn er mitbekommen hätte, dass der Ritter ihn wie seinesgleichen angesprochen hatte, nickte langsam.

»Sehe ich auch so. Wir räumen hier gleich ein wenig auf. Passt auf, dass ihr nach Möglichkeit nichts von denen ins Gesicht bekommt.« Er warf einen schnellen Blick über die Schulter. Länger wagte er nicht, die Gestalten aus den Augen zu lassen. Er hielt es für sehr unwahrscheinlich, dass sie plötzlich zu rennen anfingen, aber er wollte verdammt sein, wenn er es darauf ankommen ließe.

»Wäre nett, wenn deine Leute langsam in den Arsch kommen würden. Ich habe keinen Schimmer, wie viele von den Dingern noch im Wald sind.«

Was Strongbow erwidern wollte, sollte er nie erfahren. Als er seinen Blick wieder auf den Waldrand richtete, sah er, dass immer mehr dieser abgerissenen Jammergestalten aus den Bäumen hervorkramen. Mittlerweile mussten es über fünfzig sein, die zwischen dem Gehölz und den drei Männern über die Wiese kamen. Er fragte sich gerade, wie viele dort noch sein mochten, als das Dutzend, das ihm am nächsten war, zu rennen begann.

Es sah für einen Wimpernschlag lang so aus, als fielen sie einfach nach vorne. Doch dann fingen sie sich irgendwie und verfielen in einen Lauf, der unter anderen Umständen unfreiwillig komisch gewesen wäre. Es war ein rasendes Humpeln, ein stolperndes Hüpfen, das einer Gauklertruppe Ehre gemacht hätte. Doch obwohl zwei von ihnen tatsächlich stürzten und stöhnend und brabbelnd versuchten, wieder auf die Beine zu kommen, hatte das Ganze nichts Komisches. Aus dem Augenwinkel sah Frans, dass auch eine Gruppe auf der Seite des Ritters mit diesem irren Sturmlauf begonnen hatte. Lange verweilten seine Gedanken freilich nicht bei dem Waffenbruder, denn schnell waren die ersten Angreifer bei ihm. Darüber, dass sie angriffen, bestand kein Zweifel.

Dem ersten Geschöpf, das mit ausgestreckten, zu Krallen gekrümmten Fingern nach seinem Gesicht griff, schlug Frans mit einem weit ausholenden Schwung den linken Unterarm ab. Das Blut der Wunde war beinahe schwarz und floss zäh und klumpig aus dem Stumpf. Er trat einen Schritt zur Seite und stieß die Spitze seiner Waffe dann tief in die Brust eines weiteren Angreifers. Die Attacken der Kreaturen waren nicht sonderlich langsam und sie waren in der Überzahl, aber ihre Bewegungen waren unbeholfen und ineffizient. Frans bewegte sich behend und verteilte kurze, schnelle Schläge und Stöße mit dem Schwert. Das Fauchen und Stöhnen, das aus den verzerrten Mündern der Dinger kam, wurde lauter, doch hatte er nicht den Eindruck, als rührten diese Unmutsbekundungen von Schmerzen her. Alles, was er heraushörte, war Wut.

Nachdem er zehn von ihnen niedergehauen hatte, sah er sich rasch um. Vier der schauerlichen Gestalten standen mühsam wieder auf und kamen erneut auf ihn zu. Darunter war der Erste, der nun nur noch mit einem Arm nach ihm greifen konnte. Er hieb schnell und sicher auf sie ein, schlug einem fast den Kopf von den Schultern, zerfetzte einem weiteren auf voller Länge die Bauchdecke und stieß den anderen die Klinge quer durch den Oberkörper. Der Gestank, der von ihnen ausging, steigerte sich durch die klaffenden Wunden so weit, dass Frans das Gefühl hatte, ihm stünde das Erbrochene bereits bis unter die Zunge.

Ungläubig sah er, wie der Mann, wenn es denn einer war, mit der zerfetzten Bauchdecke ein weiteres Mal schwanken auf die Beine kam. Mit einem raschen Ausfallschritt durchbohrte er die linke Brustseite des Gegners und riss die Klinge anschließend mit einer leichten Drehung heraus. Die glasigen, toten Augen des anderen starrten ihn an, ein leises Fauchen drang aus seiner Kehle, dann brach er in sich zusammen und blieb reglos liegen.

Ein Schrei ließ Frans herumfahren, ein so hoher Ton, dass er zunächst nicht verstand, woher er stammte. Dann sah er, wie sich eines der Dinger in das Gesicht von Lothar verbiss. Der Ritter und sein unglückseliger Gefolgsmann waren mittlerweile von knapp dreißig der unbeholfenen Angreifer umringt worden. Der alte Recke hieb und stach auf die zerlumpten Gestalten ein. Während jetzt drei der Geschöpfe über den panisch schreienden Mann herfielen, gesellte Frans sich zu Strongbow und kämpfte alsbald Rücken an Rücken mit ihm. Dabei blendete er das Bild des verzweifelten Mannes aus, der da zerrissen wurde, so gut es ging. Es dauert nicht lange, bis auch sein hoffnungsloses Wimmern verstummt war, während mehrere der abgerissenen Alptraumgestalten an seinem Gesicht und alsbald seinen Innereien fraßen, als wäre er ein gerissenes Schaf.

Frans und Strongbow arbeiteten konzentriert und routiniert. Beide waren froh, dass der andere die Nerven behielt. Der unglückliche Lothar war nur gestorben, weil er in Panik geraten war. Die Angreifer waren zahlreich und grauenerregend, aber sie trugen keine Waffen und waren ungeschickt. Obgleich sie keine Schmerzen zu fühlen schienen und nur durch schwere Wunden zu fall gebracht wurden, waren sie für einen geübten Kämpfer kaum eine Herausforderung. Der Alptraum für die beiden Männer währte nur kurz, auch wenn es ihnen erschien, wie eine ausgewachsene Schlacht.

Kurz nach dem grauenvollen Tod des Soldaten kamen einige Gefolgsleute des Ritters auf ihren Pferden über die Grasebene geprescht. Nachdem sie den Waldrand erreicht hatten, machten sie den Resten der unheimlichen Kreaturen ein schnelles Ende. Es kamen noch vereinzelte Nachzügler zwischen den Bäumen hervor, doch letztendlich versiegte der Strom. Als Frans die Waffe wegsteckte und sich umsah, schätzte er die Zahl der gefallenen Angreifer auf hundertfünfzig. Langsam schritt er durch die leblosen Körper, hielt hier und da inne und hockte sich neben eine Leiche, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Aus dem Augenwinkel sah er, dass die Männer des Ritters auf vereinzelte Körper einhieben, die offenbar noch nicht so tot waren, wie sie sein sollten.

Er beendete seine Runde und trat schließlich auf Strongbow zu, der allein etwas abseitsstand und die Szene gedankenverloren beobachtete. Der Mann, der mit einem Mal zehn Jahre älter aussah, hob den Kopf und sein Blick klärte sich.

»Habt ihr irgendeine Ahnung, was zur Hölle uns hier gerade passiert ist? Was das für Mistviecher sind?«, wollte er wissen.

»Ich habe in der Tat eine Vermutung«, erwiderte Frans und sah sich rasch um. Keiner der Männer, die noch in der Nähe waren, achtete auf sie. Jeder hatte seine Aufmerksamkeit entweder voller Abscheu auf die Leichen gerichtet, warf unruhige Blicke in Richtung Waldrand oder tuschelte leise mit einem Kameraden.

»Ich habe mir die Gestalten einmal näher angeschaut. Die meisten tragen Nachthemden oder die Reste von Leinensäcken. Die Schrundigkeit der Haut lässt darauf schließen, dass sie Opfer der Seuche sind, die unsere Städte heimsucht. Ich hätte eine Erklärung dafür, woher sie gekommen sind, aber die klingt gelinde gesagt hanebüchen. Ist dennoch das Einzige, was noch ansatzweise Sinn ergibt.« Er seufzte, als er den erwartungsvollen Blick des Ritters sah.

»Wir sind nicht so hart getroffen worden wie Sigholm oder andere große Städte weiter im Süden. Aber Padermünde hat die Seuche trotzdem übel erwischt letzten Sommer. Vermutlich aufgrund der Durchreisenden wegen dem Hafen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir es hier mit Seuchenopfern zu tun haben. Das, was sie am Körper tragen, passt dazu, ihr Aussehen und der Zustand ihrer Haut ebenfalls.«

»Aber wie sollen die denn den Winter überstanden haben?«, sagte Strongbow zweifelnd. »Wir haben doch, soweit ich weiß, seit dem Frosteinbruch kaum neue Fälle zu beklagen gehabt.«

»Ich glaube nicht, dass die richtig am Leben waren«, sagte Frans nachdenklich. »Ich glaube vielmehr, dass irgendjemand im letzten Spätherbst geschlampt hat. Die hier wurden nicht ordnungsgemäß entsorgt, sprich verbrannt. Man hat ein paar Wagenladungen vermeintlich frisch verstorbener entweder in einem Massengrab im Wald verscharrt, oder sie einfach zwischen den Bäumen abgeladen. Vielleicht waren das die letzten Fälle und der Winter war bereits hereingebrochen. Keine Ahnung. Aber ich glaube, dass die über Winter eingefroren waren und jetzt wieder aufgetaut sind. Habt ihr gesehen, wie die Wunden aussahen, die wir ihnen geschlagen haben? Wie komisch das Blut war, dick und klumpig, als wäre es halb geronnen?

Auch das sie keine Schmerzen zu spüren schienen ist nicht zu erklären. Und ich habe einem die Eingeweide zerfetzt, aber er ist einfach wieder aufgestanden und erst liegengeblieben, nachdem ich ihn aufgespießt habe wie einen Schmetterling. Die brauchten schwerste Wunden, damit sie liegenbleiben. Dabei sahen sie aus, als wenn sie so krank und schwach waren, dass sie nicht einmal ohne fremde Hilfe hätten gehen können.«

Strongbow kratzte sich am Bart und sah sich mit einem leichten Kopfschütteln um.

»Verdammte scheiße, Mylord, ich will nicht sagen, dass ihr unrecht habt«, meinte er schließlich. »Es könnte schon so sein. Aber ich kann nicht behaupten, dass ich mich jetzt besser fühle. Was machen wir denn nun? Verbrennen wir diese Dinger?«

»Wir müssen erst die Kirche in Kenntnis setzen«, sagte Frans. »Wenn wir die Leichen anzünden, bevor die Inquisition sie untersuchen konnten, drehen die Pfaffen durch.«

Als ob die Lichtlutscher mehr tun, als mit den Schultern zu zucken und dann alles abzufackeln. Die tappen, was diese Seuche angeht, genauso im Dunkeln wie der letzte Schafhirte, dachte er grimmig.

»Ich würde euch zu Wachen raten, besonders in der Nacht. Mehr können wir im Moment nicht tun. Lasst ein paar Mann hier aufpassen und sagt den anderen, sie sollen sich vom Wald fernhalten. Ich reite in die Stadt und melde den Vorfall den zuständigen Stellen. Kommt ihr in Bälde nach? Mir wäre mehr denn je nach einem gemeinsamen Umtrunk.«

»Worauf ihr euch verdammt nochmal verlassen könnt«, erwiderte der Ritter inbrünstig. »Ich sorge dafür, dass hier alles geregelt ist, und komme euch dann suchen. Selten hatte ich größeres Bedürfnis nach einem guten Schluck und angenehmer Gesellschaft.«

Er straffe sich, tippte sich zum Gruß an die Stirn und stapfte zu seinen Männern hinüber. Frans ging langsam zu seinem Pferd, das in der Nähe an einem Ast angebunden war. Er tätschelte dem Tier, das sich mittlerweile beruhigt hatte, den Kopf. Der Gestank, der von den verfaulenden Leichen ausging, schien es jetzt, da sie ihre Ruhe gefunden hatten, nicht mehr sonderlich zu beunruhigen. Er schwang sich in den Sattel und warf einen letzten, langen Blick auf das unheimliche Bild am Rand des Streifens aus Nadelhölzern.

Wenn es das ist, was uns im Frühjahr überall dort erwartet, wo Opfer der Seuche überwintert haben, dann gnade uns Gott, dachte er mit einem flauen Gefühl im Magen. Allein die ganzen kleineren Orte, wo die Kirche nicht darauf achten konnte, wie man die Leichen beseitigt. Und weiß der Henker, wie viele von denen in den größeren Städten noch in den Häusern liegen.

Wenn die Seuche jetzt nach dem Winter wieder aufblüht, und alle Opfer so enden, wird der Krieg unser geringstes Problem werden. Es ist vielleicht gar keine so schlechte Aussicht, bald tausend Meilen vom Festland entfernt zu sein. Bevor ich so ende, lasse ich mich lieber von den norselunder Schlächtern erwischen. Verdammte scheiße, ich brauche einen vollen Weinschlauch. Mindestens einen. Hoffentlich kommt Strongbow bald nach.

Er stieß seinem Pferd die Stiefel in die Seite und erreichte wenig später die Tore von Padermünde. Er war immer jemand gewesen, der sich auf dem freien Feld wohler fühlte als in den beengenden Mauern einer Stadt oder Burg. Als er jetzt das schwere Tor passierte, verspürte er widerstreitende Gefühle. Einerseits war er froh, das Grauen am Waldrand hinter sich zu lassen. Andererseits bangte ihm vor dem, was innerhalb der schützenden Stadtmauern in den Häusern lauern mochte.

Kriegsfrühling

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