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FORGGENSEE

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FORGGENSEE

Ein weiterer Abschied von einem liebgewonnenen Gewässer stand bevor. Jedes Mal, wenn ich mich etwas vertraut mit einem gemacht hatte, ging es weiter. Diesmal zum Forggensee bei Füssen. Den Ammersee und den Starnberger See ließ ich nördlich von mir liegen. Mein Zeitplan ließ nicht zu, alle Gewässer zu befahren, denn ich hatte einen Termin bei einem Verleger in Berlin. Durch einen Besuch bei einem Freund und Baustellen behindert, kam ich erst im Dunkeln am See an. Der Parkplatz des Segelclubs war so hermetisch mit Gittern und Kameras abgeschottet, dass er mir jeden Mut nahm, hier mein Boot zu Wasser zu lassen. Internet hatte eine Telefonnummer gewusst, worauf zum Glück niemand antwortete. Ich fuhr in den nächsten Ort. Erst mal runter von der Hauptstraße, vor allem, weil die Anhängerbeleuchtung manchmal aussetzte! Warum schaffen es die Techniker nicht, nicht-oxidierende Fahrzeug-Stecker zu entwickeln?

Die Straßen des kleinen Ortes waren schwach beleuchtet, ich bereitete mich schon auf eine einsame Nacht im Bauch des Wales am Straßenrand vor. Ein Kreisverkehr. Und auf der anderen Seite eine offene Tür, Licht fiel heraus, ein Mann schraubte an Mountain-Bikes herum. Ich fuhr an die Seite und hielt an. Es war ein Fahrradverleih, und der Besitzer der Fahrrad-Herde brachte sie gerade wieder in Schuss. „Es gibt eine Rampe im nächsten Ort, aber für das Boot ins Wasser zu lassen ist es jetzt zu spät. Komm, trink erst mal ein Bier!“, bot mir Christian, so hieß der Schrauber, an. „Warte, wenn du mir ein Bier ausgibst, dann spende ich etwas Käse, das ergibt fast eine Brotzeit. Flüssig Brot und feste Milch!“, warf ich ein und ging zum Auto um das Gesagte zu holen. „Hab gerade meine Frau angerufen, wir können nachher rüberkommen zum Abendessen. Du kannst auch bei uns parken!“

Also erst mal ein Bier auf die neu geschlossene Freundschaft! Er macht nebenbei das Fahrrad fertig, dann schließt er die Bude dicht. Im Vorbeigehen hole ich noch eine gute Flasche Roten aus dem Auto und bald sitzen wir bei ihm am Tisch. Es ist ein herzlicher Empfang! Wir tafeln gut, alles improvisiert, denn mit einem Gast zu so später Stunde hatten er und seine Frau nicht gerechnet. Sie bestehe darauf, dass ich im Haus schlafe. Denn Platz haben sie! Sie vermietet Fremdenzimmer mit Frühstück, er Fahrräder. Nach der Wende waren sie aus dem Osten hergekommen und hatten hier Fuß gefasst. Am nächsten Morgen fährt die Frau mir voraus zu der Bootsrampe, damit ich sie auch sicher finde.

Eigentlich ist das eine kleine Straße, die einfach im See endet. Früher war sie weiter gegangen. Der Forggensee ist ein Stausee. Im Winter wird er geleert und zur Schneeschmelze wieder aufgefüllt. Zur Wasseregulierung und Stromgewinnung. Vor nicht langer Zeit hatte sich hier eine Frau nachts verfahren und war voll in den See gedüst, weil sie dachte, die Straße führe weiter. Das Wenden ist etwas schwierig, doch bald taucht der Hänger ins Wasser und das Boot slippt auf den Rollen in sein Element. Nur liegt der Parkplatz wohl einen Kilometer entfernt. Hier in Seenähe ist alles stundenweise und nur mit Parkschein erlaubt. Eine wahre Geldmaschine für Gemeinden und Polizei und zugleich eine Regulierung des Touristenstromes in der Hochsaison. Jetzt, außerhalb der Saison müsste es doch cooler sein, Platz ist ja massenweise! Doch die Einheimischen warnen mich: Alle zwei Stunden kommen die Bullen und verteilen ihre Knollen!

Unweit befindet sich ein Steg im Wasser, ein paar Boote sind dort vertäut, es ist ein Bootsverleih. Ich binde meinen Blauwal an einen Baum neben einer Bank, auf der zwei alte Mädchen sitzen. Ich bitte sie scherzend, ihn im Auge zu halten, damit er nicht abhaut, und schenke ihnen eine Ansichtskarte mit meiner Adresse. Der Bootsvermieter sieht schrecklich aus. War es eine Granate im Krieg oder ein Säbelhieb in seiner Studentenzeit, der ihn so verunstaltet und ihm die Backe geraubt hatte? Auf jeden Fall erlaubt er mir, am Abend an seinem Steg festzumachen. Also befreie ich meinen Walfisch von seinem Baum, verabschiede mich von den freundlichen alten Damen und steche in den See.

Auch hier wieder zuerst Auskundschaften des Ufers, denn dieser See hat eine Fläche von 15 Quadratkilometern, also enorm groß im Vergleich zu den vorigen. Aber oben am Hang sehe ich mein Auto stehen. Das ist ein guter Orientierungspunkt. Außer man klaut es mir… Die Sonne scheint, es hat gut Wind, die Königsschlösser scheinen über dem See zu schweben, Seglerparadies! Nach und nach erscheinen noch andere weiße Dreiecke in der Ferne, ich bin diesmal nicht der einzig Privilegierte, der diesem edlen Sport frönt! Manchmal sucht man die Nähe des Anderen, um zu sehen, was das für ein Boot ist, einen Blick des Skippers zu erhaschen. Man winkt sich zu, wechselt ein paar Worte, wenn man sich nahe genug kommt. Meist ist das Boot nur von einer Person besetzt, einem Mann. Oder zwei Männern, selten Frauen. Sonst sind, zumindest an Wochenenden manchmal Kinder dabei, und dann mit dem Opa, wie es aussieht. Sind Segler alles Junggesellen? Oder gibt ihnen das Alleinsein den nötigen Ausgleich zu der sonst nicht zu umgehenden Anwesenheit der Menge? Meist richten sich die Süßwasser-Kapitäne nach den Basisregeln. Doch gibt es welche, die scheinen sich nicht darum zu kümmern oder sie nicht zu kennen. Eigentlich sind das meistens die Katamaranfahrer. Und schnelle Motorboote. Meine französische Flagge am Heck entlockt so manchem Skipper eine aufmunternde Bemerkung, die er dann über das Wasser schickt. Ist doch das, was ich gerade mache, der Traum eines jeden Süßwasser-Kapitäns: Das Wandern mit dem Boot, das Befahren unbekannter Gewässer. Schon die Wikinger waren Meister darin. Sie kamen bis Moskau. Bis nach Konstantinopel (Istanbul)!

Mein Schulfreund Guntram kommt mich besuchen mit einer kleinen Brotzeit und ein paar Flaschen Bier als Gepäck und wir unternehmen einen kleinen Trip. Nur hat er vergessen, den Wind mitzubringen, auch Pfeifen nützt nichts, und somit dümpeln wir fast auf der Stelle. Aber zu erzählen gibt es immer, vor allem, wenn man sich nur alle paar Jahre sieht!

Wie an vielen Binnenseen kann man nie voraussehen, ob es Wind gibt, oder wie lange er weht, oder aus welcher Richtung. Da sind die Einheimischen besser dran, denn die kennen ‚ihren‘ See. Meist fahre ich zuerst gegen den Wind los, bis zu einem Ende des Sees. Denn dann ist es am vorhersehbarsten, dass ich auch wieder zum Ausgangspunkt zurückkomme. Manchmal fahre ich bis in die kleinsten Ecken, denn dort gibt es schöne Dinge zu entdecken. Winzige, klare Buchten, Findlinge auf dem Grund, Fische, oder Fischer, denen es manchmal gar nicht so recht ist, wenn man in ihre Jagdgründe eindringt. Kühe oder Pferde stehen am Ufer und halten im Grasen inne, unsere Blicke treffen sich. Oder man begegnet Wasservögeln, je nach Gegend verschieden, zu denen in dieser Zeit sich die Zugvögel gesellen, die manchmal gegen Abend in Schwärmen einfallen oder ein paar Tage Pause machen. Einmal mache ich in der Ferne dasselbe Boot aus wie meines, aber der Wind schläft ein, und wir treffen uns nicht. Und selbst bei Wind wäre es schwierig gewesen, ein gleiches Boot einzuholen, denn jedes hat ja dieselbe Geschwindigkeit. Und fast jeder Skipper setzt all sein Können dafür ein, sich nicht einholen zulassen. Ist man alleine auf dem Wasser, bedeutet das ein gemütliches Segeln. Kommt aber ein zweites Boot dazu, versucht man gleich sich zu messen…

*

Als ich am ersten Abend zurückkehre und mein Boot an dem mir zugewiesenen Platz festmache, kommt ein anderer Segler und sagt mir, da dürfe ich nicht hin. „Ist das ihr Platz?“, will ich wissen, denn ich kenne mich wirklich nicht aus mit den lokalen Verhältnissen. „Der Eigentümer des Bootsverleihs ist sehr speziell, der wird dir Ärger machen, wenn er das sieht!“ „Aber der hat mir am Morgen gesagt, ich könne hier festmachen!“, gebe ich zurück. „Der und jemandem erlauben, hier festzumachen? Dass ich nicht lache!“, meint er sarkastisch. Also mache ich mein Boot provisorisch woanders fest. Nach einer Weile kommt der Bootsverleiher, sieht mein Boot woanders und fragt, warum ich es nicht am angewiesenen Platz liegen habe. „Ähem, ich war mir nicht mehr so sicher, welcher Platz es genau war!“, antworte ich ihm. Dann gebe ich ihm ein Stückchen Käse und unser Foto. Wir kommen ins Gespräch. Dabei erfahre ich, dass es besser ist, abends die Fenster zu verdunkeln, weil der Bürgermeister, der zugleich auch der Besitzer des lokalen Campingplatzes ist, mit dem Ruderboot die Runde macht und den Leuten, die auf den Booten schlafen wollen sagt, dass das verboten sei und sie auf den Zeltplatz müssten.

Lucie, eine Jugendfreundin, die Künstlerin geworden ist, macht in der Nähe eine Vernissage. „Mozarts Frauen“ ist das Thema. In einem nahen Dorf, im dortigen Kulturzentrum, hat sie ihre Skulpturen aufgestellt, es wartet ein Büffet auf die Besucher, wozu ich noch einen ganzen Käse lege. Und dann kommen die Leute. Der Zustrom nimmt kein Ende. Waren es am Ende 600 Besucher? Darunter erkenne ich viele Jugendfreunde und andere Bekannte, es ist ein großes Hallo, denn viele wussten nicht von meinem Kommen. Die zahlreichen Keramikskulpturen, zum Teil skurril, bunt glasiert nehmen den Vorplatz ein, andere die Halle. Es sind Darstellungen der Frauen, die in Mozarts Werken vorkommen. Ob er wirklich so viele gehabt hat, denen er in seinen Werken ein Denkmal hinterließ? Es folgen ein paar musikalische Interpretationen Mozarts, vorgetragen von bekannten Künstlern. Lucie ist überall, findet sogar etwas Zeit für mich. Es ist ihr großer Tag, ihr größter Erfolg! Woran erkennt man einen überragenden Künstler? An seinem Schaffensdrang? Seinen Inspirationen, seinen Werken? Oder daran, dass er zu Lebzeiten arm bleibt?

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