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DIE UFER VON LERAN
ОглавлениеAngefangen hatte alles an den Ufern von Leran am See von Montbel. Es war September. Wir waren dort für ein paar Tage mit dem Wohnwagen. Der kleine Bootshafen in der Nähe wirkte wie ein Magnet. Alles war offen, wir gingen hinein. Der an diesem Tag türkisblaue See, zwar ziemlich geschrumpft, lockte uns an. Nur zu gerne wäre ich mal wieder gesegelt! Doch meine Frau zog eine Barke mit Elektromotor vor, „Da braucht man wenigstens nichts zu tun. Und außerdem kannst du ja gar nicht segeln!“
Einer der älteren Männer, die, wie wir am Vortag gesehen hatten, meist an den Nachmittagen unter den Bäumen im Schatten saßen, bereitete das Elektroboot vor und wir legten ab. Er hatte von 4 bis 6 Stunden Autonomie der Batterie gesprochen, wir hatten nur für 3 Stunde gemietet, das müsste reichen… Wir fuhren das wegen des gefallenen Wasserspiegels etwas nackte Ufer entlang, auf dem man wie Jahresringe die Spuren der Wellen erkannte, die die verschiedenen Stürme hinterlassen hatten. Der See, der, wie wir an den Dämmen sahen, ein Stausee war, hatte anscheinend noch nicht seinen tiefsten Stand erreicht. Wir entdeckten kleine Buchten, kamen zu einer Fischzucht, wo zwischen schwimmenden Pontons Netze angebracht waren, in denen sich die Fische mit mechanisch über der Oberfläche verteiltem Futter verwöhnen ließen. Ein paar Wasservögel, die auf den Pontons auf Beute lauerten, wurden durch unser Näherkommen aufgeschreckt und suchten schimpfend das Weite. Es roch süßlich nach verwesendem Fisch. An verschiedenen, meist etwas in den See reichenden Stellen erkannten wir Angler, oft ein tarnfarbenes Zelt im Hintergrund, ein Schlauchboot auf das lehmige Ufer gezogen. Diese gerieten immer in Stress, wenn wir uns zu sehr ihren vielen in den See reichenden Schnüren näherten. Manchmal ertönte ein sich wiederholender Bip, ein Zeichen, dass ihre Geräte elektronisch mit ihrem Telefon verbunden waren.
Bei Montbel, wo wir vor Jahren mal gezeltet hatten, erkannten wir einen Strand, von dem das Lachen und Kreischen der letzten Badenden zu uns aufs Wasser schallte. Leise summte der Motor, Doris hatte es sich bequem gemacht, ich steuerte. Doch dann merkte ich, dass der Motor langsamer wurde. Ich ging etwas mit der Geschwindigkeit runter, um Strom zu sparen. Wir durchfuhren einen seichten Engpass hinter einer langen Insel und kamen zu einem anderen Damm. Dann waren wir am äußersten Ende angelangt und steuerten langsam am anderen Ufer zurück in Richtung Hafen, den wir in der Ferne erkannten. Wir begegneten ein paar Tretbooten, Kajakfahrern. Aber kein einziges Segel war auf dem See zu sehen.
Der Himmel zog sich immer mehr zu. Wir befanden uns jetzt gegenüber dem Hafen. Es fing an zu tröpfeln und zugleich erhob sich ein Wind. Wir wollten eigentlich den ganzen See abfahren, es fehlten nur noch zwei Buchten hinter einer von Anglern besetzten Insel. Doch der Motor wurde zusehends langsamer. Wir hatten ja noch die Paddel. Aber bei dem sich verstärkenden Regen zogen wir es vor, direkt den Hafen anzusteuern. Die letzten Meter machten wir mit den ‚hölzernen Segeln‘. Der Motor verweigerte seinen Dienst, die Batterie war leer. Sogleich eilte einer der älteren Männer aus dem Schutz der Bäume hinunter zum Steg, um das Boot in Empfang zu nehmen.
Wir hatten gesehen, dass man auch ein Segelboot mieten konnte, eine kleine Jolle. Irgendwie hatte ich Lust darauf bekommen und reservierte sie für den nächsten Nachmittag, wie man uns geraten hatte, denn da sei es wahrscheinlicher, dass es Wind hätte als am Morgen.
*
Wir gingen vor zum Hafen. „Eigentlich kennen wir jetzt den See, wir sind ihn ja gestern abgefahren. Von mir aus brauchen wir nicht mehr zu segeln!“, meinte Doris. Doch ich hatte mich schon darauf eingestellt und wollte auch, dass sie mal das Erlebnis des Segelns hat, denn das ist etwas völlig anderes, als mit Motor zu fahren! „Ich hab aber schon bezahlt!“, sagte ich, obwohl es nicht stimmte, „die werden kaum das Geld wieder rausrücken. Komm!“ Ich wusste aus Erfahrung, dass man ihr mit der ökonomischen Saite kommen musste, um sie zu etwas zu bewegen. Das Boot, eine ‚Caravelle‘ lag schon am Steg, jemand zog gerade das Segel hoch. „Gut, aber nur für eine Stunde. Dann bringst du mich zurück an Land. Keine Minute mehr!“ Nachdem auch die kleine Fock gesetzt war, die mit dem Segel zusammen ungeduldig im Wind flatterte, stieg zuerst sie, dann, als sie saß, ich in das schaukelnde Boot. Und schon blies uns der Wind hinaus auf den See.
Tat das gut, wieder unter Segeln zu sein! Meine Gedanken schweiften weit in die Vergangenheit zurück. Mit 11 Jahren war ich das letzte Mal gesegelt, auf meiner morschen, mit Teer abgedichteten ‚Pamir‘, ein schweres, träges Holzboot, getakelt mit einem ausrangierten Paddelbootsegel, viel zu klein dafür. Doch es fuhr, wenn auch etwas quer, aber es fuhr! Seitdem ich das Boot hatte, lebte ich mehr auf dem Wasser als im Haus. Ich hatte ein kleines Zelt darauf genagelt, worin ich meine Hausaufgaben machte und ‚Robinson Crusoe‘ las, Jack London, Herman Melville und die Romane der Entdecker der Pole. Ich band es manchmal unter den überhängenden Weiden fest und war in Amazonien oder auf dem Fluss Kongo. Mochten die anderen Boote aus Mahagoniholz sein und glänzen, meines war das schönste! Damals waren noch alle Boote aus Holz. Das Neueste waren Sperrholzboote, wie der FD, oder ‚Flying Dutchman‘, wohl ein holländisches Boot, die durch ihren in gekreuzten Schichten verleimten Rumpf Spanten fast überflüssig machten. Dadurch wurden sie auch leichter und billiger. Die Segler sprachen von den neuen Glasfaserbooten, leicht, solide, selber mit wenig Aufwand herzustellen. Ich kannte Glasfenster und dachte, dass diese Boote bestimmt durchsichtig wären und ziemlich zerbrechlich. Wurden sie wo dranfahren, lösten sie sich wie eine Autoscheibe in tausend Stückchen auf. Da war mir mein Boot schon lieber!
Mit meinen Erinnerungen kamen auch die Handgriffe und das Gefühl zurück, um das Boot zu lenken, den optimalen Winkel zum Wind zu finden, es richtig laufen lassen! Ein kleines grünes Kajütboot segelte auf dem See, sogar mit Steuerrad, besetzt mit drei älteren Leuten. Ich fuhr nahe hin, winkte ihnen zu, und ließ sie bald zurückfallen. Ich merkte am Flattern der Fock, dass der Holpunkt nicht stimmte und zog die Vorschoten unter der vorderen Bank durch, um ihn zu verbessern. Diese Fock gehörte nicht zu diesem Boot, das merkte ich bald. Ich versuchte mich im Halsen und erklärte Doris den Unterschied zu einer Wende. Der Wind war optimal, die Zeit verging wie im Flug. Ich hatte keine Uhr. Ich wartete, dass Doris sagen würde, dass die Stunde um sei. Wir kreuzten über den See, mal den Wind im Rücken, mal von vorn. Doris machte es sich, einmal die ersten Emotionen wegen der anfangs ungewohnten Schräglage hinter sich, bequem und überließ mir den Rest.
Auf ihrer Armbanduhr erkannte ich heimlich, dass drei Stunden bald abgelaufen wären. Ich löste mich aus dem Bann des Wassers und des Windes uns steuerte wieder den Ponton an. Da es zwischen Ufer und Steg ziemlich eng war und der Wind heftig zum Land hin blies, hatten wir zu viel Fahrt, um anzulegen. Von meiner Seefahrtszeit her wusste ich noch, dass man gegen den Strom oder gegen den Wind anlegen muss, je nachdem, wer stärker ist. Die an Land kamen angerannt, um das Boot aufzufangen. Aber ich beschrieb im engen Wasser einen Kreis, um ihm die Fahrt zu nehmen, dann noch einen halben und ließ das fast stehende Boot mit flatternden Segeln seitlich zum Ponton driften, wo es helfende Hände in Empfang nahmen. Wir stiegen aus. „Ich wusste gar nicht, dass du segeln kannst!“, meinte Doris. „Das wusste ich auch nicht!“, erwiderte ich neckend. „Das ist wie Fahrrad fahren. Wenn du es einmal kannst, fragst du dich nicht mehr, wie das geht. Das geht von selbst!“
Abends saßen wir überm Ufer in der Pizzeria und genossen den letzten freien Tag. Die Sonne verzauberte mit ihren fast waagerechten Strahlen den See in eine Märchenlandschaft, ließ Himmel und Wasser in allen Schattierungen von Orange, Rot und violett leuchten. Es war, als würde die Natur alles aufbieten, um uns diesen Tag unvergesslich zu machen. Der See hatte uns in seinem Zauberbann. Würde er andauern?
*
Da es, trotz des festen Versprechens eines Reeders in Hamburg nicht geklappt hatte, wieder auf einem Frachter anzuheuern, und da der Ruf des Wassers nach unserem Segeltörn immer stärker wurde, kaufte ich in der Bretagne einen 17-Fuß (1 Fuß sind rund 30 cm) -Jollenkreuzer, den die Enkel „Blauwal“ tauften, um damit auf dem See von Montbel einen Ersatz für das Meer zu finden. Doch der Ruf aus der Ferne war stärker - trotz der hochtrabenden Namen wie ‚Bora Bora‘ oder ‚Cap Hoorn‘, die man den markanten Stellen des Sees gegeben hatte - der „Blauwal“ wollte das Meer sehen, und ich auch. So keimte in mir plötzlich die Idee, mit dem Boot einen Großteil der deutschen Seen abzuschippern und zugleich Freunde und ehemalige Fahrensleute zu besuchen. Denn, einmal in Rente, hatte ich endlich Zeit gefunden, ein Buch über meine Lehrjahre bei der Handelsmarine zu schreiben. Ein Verleger brachte das Buch heraus. Prompt fanden dadurch ein paar frühere Fahrens-Kollegen meine Adresse und wir nahmen zueinander Kontakt auf.