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BODENSEE
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Auf Internet hatte ich schon die wildesten Geschichten über das „Bodenseepatent“ gelesen, das es jedem Fremdling unmöglich machen soll, sein Boot diesem ganz besonderen Nass auszusetzen! Mit dem Ergebnis, dass auch Bodensee-Schiffer woanders unbeliebt sind und ihr „Patent“ nirgends Anerkennung findet. Aber bei einem solch großen See braucht man keine anderen Gewässer! Im Internet hieß es, an der Jugendherberge in Friedrichshafen könnte man sein Boot ins Wasser lassen. Hier hatte ich mit Freunden in meiner Jugend schon manche Nacht verbracht, und der Geruch der nach Schweißfüßen riechenden Decken mit der Aufschrift „Fußende“ war mir noch in lebendiger Erinnerung. Doch der diensthabende Behinderte am Empfang wusste von nichts und riet mir, auf den Chef zu warten, der in zwei Stunden, nach dem Essen also, auftauchen würde. Inzwischen parkte ich das Gespann mehr unmöglich als erlaubt auf den einzig freien Behindertenparkplätzen und der Feuerwehrzufahrt und wanderte durch den angrenzenden Campingplatz zum Seeufer. Dort wies ein Schild mit „Vogelschutzzone“ darauf hin, dass eigentlich jede menschliche Aktivität im Gelände ausgeschlossen war. Eine Gruppe Japanern ähnelnden Jugendlicher, des Lesens der deutschen Sprache sicherlich unkundig, war hier mit einer Tretbootflotte eingefallen und versuchten sich im Landungsmanöver.
„Mit dem Anhänger ins Wasser fahren? Wer hat ihnen denn diese Idee gegeben?“, fragte mich der hilfsbereit aussehende Chef nach dem Essen. „Internet“, konnte ich nur antworten. „Sie kommen noch nicht mal durch den Campingplatz durch! Und dann das Naturschutzgebiet! Versuchen sie’s in der Nähe von Kressbronn, da ist ein riesiger, neuer Yachthafen!“
Also auf nach Kressbronn, durch Obst- und Hopfenanlagen hindurch zu dem einem Sport-Flugplatz gleichenden Yachtgelände. Dort warten schon Sattelschlepper, um die Millionen schweren Prestigeobjekte nach sechsmonatiger Liegezeit im Wasser wieder in das Winterlager zu fahren. Kräne und riesige Gabelstapler machen die Zubringerdienste. Der Parkplatz ist natürlich voll mit den Luxuskarossen der Schiffseigner, mein alter Toyota ist da eher störend, ganz zu schweigen von dem kleinen Wasserfloh hinten auf dem Anhänger, welcher hier eher aussieht wie ein Beiboot. Und Boote hat es hier! Da würde selbst ein Tiefwasserkapitän aus Neid erblassen! Der Oberrangierer ist ein Österreicher, gleich per du, „und das kriegen wir schon hin!“ Aber das ist auch alles an Hilfsbereitschaft, was er zu bieten hat. Denn vor jedem Handgriff seinerseits bräuchte ich eine Genehmigung vom Hafenamt, und das ist im Rathaus. Also zurück in das Nest, wo es schier unmöglich ist, zu parken. Dann zum Amt. Die sagen: „Kein Problem, aber dafür ist der Hafenkapitän zuständig!“, und geben mir dessen Nummer. Nun ja, der hat bestimmt einen guten Willen, hebt aber den ganzen Nachmittag nicht ab.
Inzwischen habe ich meinen Bruder angerufen, der eine Stunde vom See entfernt wohnt, dass ich in der Nähe bin. Dieser meint, in Zech, vor der Grenze, ist ein Booteinlass. Ich rufe das dortige Rathaus an. „Jederzeit!“, antwortet man mir, nur weisen sie darauf hin, dass die Zufahrt zu der Rampe über Privatgrund geht, und ich mir vom Eigentümer eine Genehmigung holen muss, bevor man mir öffnen kann.
Ich komme durch Nonnenhorn. Ich frage auch hier. Dort könnte man über den Badestrand das Boot ins Wasser bringen. Das macht die Wasserwacht auch bisweilen. Doch auf dem Strand liegen bei diesem Wetter die sonnenhungrigen Alemannen wie die Sardinen. Und so weit wie der See zurückgegangen ist, bin ich mir nicht sicher, wieder mit dem Boot herauszukommen. „Komm, bleib die Nacht bei uns!“, meint mein Bruder am Telefon, „Und morgen siehst du weiter. Außerdem würde ich gerne dein Boot sehen!“ Nur sind es bis zu ihm eine Stunde Fahrt durch die Berge. Aber soll es! Endlich bin ich da. Mein Bruder kommt an die Tür. Begrüßung: „Sag mal, warst du immer noch nicht beim Frisör? Ah ja, sieht aus wie ein Boot!“ Der ist einfach zu deutsch! „Komm, schau mal rein!“, fordere ich ihn auf und klappe die Leiter herunter. „Horch mal, ich weiß wie Boote innen aussehen!“, wendet er ein. Und ich Trottel mache extra diesen Umweg…
So nah am Ziel, will ich es genau wissen und fahre in der Früh mit Boot gleich nach Lindau zum Landratsamt, weil angeblich dort die zuständige Person sitzt. Alleine auf dem Festland einen Parkplatz zu finden war schier ein Ding der Unmöglichkeit. Besser gar nicht auf die Insel fahren! Endlich hatte ich einen am alten Güterbahnhof gefunden und stelle alles ab. Und wer kommt da? Nennen wir nicht seinen Namen oder seine Funktion, er verdient es nicht! Er: „Hier dürfen nur Busse parken! Können sie nicht lesen?“ Ich: „Ich Franzose, ich nix können lesen, deutsche Sprache schwere Sprache!“ Er: „Nix hier parken! Kostet teuer!“, und zückt seinen Block. „Hier viel Platz, keine Busse da. Und da und da, andere Auto auch parken. Nur halbe Stunde, bittascheen!“, versuche ich ihn umzustimmen. Er: „Das sagen sie alle! Wenn du nicht gleich verschwindest, du kriegen Strafmandat und das Fahrzeug wird abgeschleppt! Endlich habe ich mal einen erwischt, und dazu noch einen Ausländer, wäre ja noch schöner, für die ein Auge zuzudrücken!“ Unsere Auseinandersetzung ist nicht unbemerkt geblieben. Gegenüber an der Ladestraße stehen ein paar Arbeiter und feixen. Als ich auf der breiten Kopfsteinpflaster-Straße gewendet habe, halte ich bei ihnen an. „Na, Ärger mit den Bullen? Komm, du kannst bei uns im Hof parken!“ Da erweist es sich als praktisch, ein Stückchen unseres eigenen Käses im Auto zu haben.
Zurück ins Amt. Die einzige Person, die ich ausfindig gemacht habe, fühlt sich aber nicht zuständig. Will mir nicht weiterhelfen. „Vielleicht im Rathaus!“, weicht sie aus und hebt das klingelnde Telefon ab, wohl um mich zum Gehen zu bewegen. „Ja, hier Bärbeiss, worum geht es?“ Nachdem das Gespräch beendet ist, schaut sie mich erstaunt an, weil ich immer noch da bin. „Sie sind Frau Bärbeiss?“, frage ich sie. „Ja, wieso?“ „Ich habe ihren Vater gut gekannt, ich habe seinerzeit gegenüber von ihnen beim Emil die Gärtnerlehre gemacht. Damals müssen sie gerade an die fünf Jahre gewesen sein!“ „Sie sind also von hier?“, will sie wissen. „Das kann man wohl sagen!“ Und wir reden etwas von damals. „Moment, ich gebe ihnen die Nummer der zuständigen Person, nein, warten sie, ich rufe am besten gleich dort an!“ Und nach einer Minute sagt sie mir: „Um dreiviertel elf im Gebäude des Amtsgerichts, zweiter Stock, Zimmer 211, Herrn Fischer!“ So einfach kann die Welt sein, wenn man nur will!
Die verbleibende Zeit bis zum Rendezvous schlendere ich durch die alte Stadt, teilweise noch umgrenzt von einer Stadtmauer, die auf einer Insel liegt. Sie war 1944 durch das Eingreifen eines einzigen Mannes vor der Bombardierung durch die Franzosen gerettet worden. Ich kannte ihn noch vom Stammtisch seines Gasthauses her, wo er einen Ehrenplatz hatte und auf Lebenszeit Freibier. Die Alliierten standen vor der Stadt, in diesem Bereich die Franzosen, und es hieß, am nächsten Tag würde bombardiert. Ebenjener Mann, damals noch jung und der französischen Sprache mächtig, schaffte es, in das Hauptquartier der Soldaten zu kommen und zum Kommandanten. Diesem erzählte er von der Schönheit der Stadt, ihren historischen Bauwerken, den Menschen. Da die Kapitulationsgespräche schon in Gang waren, willigte der Oberkommandant ein, auf Grund ‚technischer Schwierigkeiten‘ die Bombardierung um einen Tag zu verschieben. Und an diesem Tag wurde die Kapitulation unterzeichnet!
Pünktlich war ich im Amt. Jovialer Empfang des Zuständigen. Worum es gehe. Ich legte ihm die Bootspapiere vor. „Es ist ein winziger Sun Fast 17, ein kleiner Jeannau-Jollenkreuzer“, erkläre ich ihm, „ich will die deutschen Seen befahren, weil ich mal hier gelebt habe.“ „Hier wird in Zentimetern gemessen“, klärt er mich auf, „und hier steht 5 Meter und 5 Zentimeter! Bei einem Boot über 5 Metern Länge brauchen sie aber das Bodenseepatent!“ „Fünf Zentimeter zu groß?“, frage ich ungläubig tuend, obwohl ich im Internet schon sowas gelesen hatte. „Da braucht man ja nicht so genau hinschauen, das sieht doch sowieso niemand!“, schlage ich vor. „Schauen sie, die erlaubte maximale Segelfläche ist sogar um einen Quadratmeter überschritten!“ „Ich kann ja ein Reff einstecken!“, erwidere ich, „Und heute geht überhaupt kein Wind!“ „Regeln sind da, um eingehalten zu werden!“, klärt er mich auf. „Und vorher muss das Boot umgeschrieben werden. Es können nur Boote mit deutschen Papieren zugelassen werden!“ „Aber mein Auto, ein Japaner, in Frankreich zugelassen, muss ich das jetzt auch noch umschreiben lassen, wenn ich in Lindau fahren will?“, frage ich ihn ungläubig. „Wir sind hier nur für die Boote zuständig.“ Er blättert in einem Ordner. „Sie haben Glück! In vierzehn Tagen findet ein Dreitage-Kursus zum Erlangen des Bodensee-Schifffahrt-Patentes statt, da ist noch Platz. 350 Euro. Soll ich sie einschreiben?“ „Ich wollte eigentlich nur heute etwas segeln und morgen weiter zum Alpsee. Schade, ich hatte einen Kumpel zum Mitsegeln eingeladen, der auch ein Boot auf dem See hat“, werfe ich ein. „Hat ihr Bekannter den Segelschein?“, will er wissen. „So wie sie mir erklärt haben, muss er den wohl haben, sonst hätte er ja kein Boot auf dem See. „In diesem Fall können sie das Boot ins Wasser lassen, nur muss er es fahren. Aber nicht auf der Insel! Hier findet morgen eine Regatta statt, da ist der Bootshafen voll! In Bad Schachen ist eine Rampe, dort können sie das Boot ins Wasser schaffen“.
Was für ein Paragraphen-Reiter! Ich fahre also nach Bad Schachen, nachdem ich meinen Kumpel angerufen habe. Wir treffen uns an der Einfahrt. Durch den niederen Wasserstand des Sees reicht diese aber nicht mehr ganz ins Wasser und wird durch eine Betonröhre abgelöst, anscheinend ein Abwasserkanal. Rein bekämen wir das Boot schon. Aber sicher nicht mehr raus, so geneigt wie das Gelände unterhalb der Rampe ist. „Schade, ich hätte so gerne ein paar Aufnahmen für meinen Film gemacht!“, sage ich. „Weißt du was, wir nehmen mein Boot, ein Duffour 7, der ist ja in gewisser Weise auch französisch!“, meint mein Freund. Und so machen wir es!
Es ist wenig los auf dem See. Die meisten Boote dienen anscheinend auch hier nicht zum Segeln. Es geht kaum Wind. Ein Patrouillenboot der Wasserschutz-Polizei ist das einzige Fahrzeug, das den glatten See beunruhigt. Sie fahren an uns vorbei, einen forschenden Blick herüberwerfend. Ihre Bugwelle bringt unseren Baum zum Schlagen und erweckt die Takelage zu kurzem Leben. „So wenig Boote, warum sind die überhaupt unterwegs?“, frage ich. „Schau, das Boot, das da mit eingeholten Segeln treibt. Da werden die Leute am Feiern sein. Wetten, dass die Wasserpolizisten dort anhalten, um einen Alkoholtest zu machen?“ Und so war es!