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I. Einleitung I.1 Vom Anspruch, historisch denken zu lernen

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Mit neuen, konstruktivistischen Ansätzen in der Geschichtswissenschaft vollzieht sich spätestens seit den 1970er-Jahren ein Wechsel im Geschichtsunterricht, in dem die Erzählung durch die Lehrperson zusehends ihren Status als Grundform schulischer Geschichtsvermittlung einbüßt und das didaktisch-methodische Paradigma der Quellenorientierung in den Vordergrund tritt.7 Dabei handelt es sich um eine Entwicklung, welche jedoch erst ab der Jahrtausendwende in Österreich verstärkt rezipiert wird.

Neben der Quellennutzung rückt entlang der Entwicklung der fachspezifischen Kompetenzorientierung das reflektierte und selbstreflexive Geschichtsbewusstsein der Schülerinnen und Schüler in den Brennpunkt des Geschichtsunterrichts. Das Motto lautet dabei „Geschichte denken, statt Geschichte auswendig zu lernen“8. Dem liegt ein dem gemäßigten Konstruktivismus zuzuordnendes narrativistisches Geschichtsverständnis zugrunde, das grundsätzlich zwischen der abgeschlossenen Vergangenheit und ihrer Re-Konstruktion durch historische Narrationen, z. B. fachwissenschaftliche Publikationen, aber auch Dokumentarfilme, unterscheidet.9 An die Stelle der reinen Aneignung von vorhandenem historischen Gegenstands- und Erkenntniswissens oder der bloßen Reproduktion von vorhandenen Erzählungen über die Vergangenheit tritt also die Grundlegung und Ausdifferenzierung von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften des historischen Denkens, um sich kritisch mit Fragen über die Vergangenheit, mit der Re-Konstruktion von Vergangenheit durch historische Quellen, der De-Konstruktion von Darstellungen der Vergangenheit, mit inhalts- und theoriebezogenen Begriffen, Konzepten, Prinzipien, Kategorien und mit Orientierungsmöglichkeiten für die Gegenwart und Zukunft zu beschäftigen.10

Auszug aus dem Lehrplan für „Sachunterricht“ der Primarstufe:

„Im Sachunterricht sind Lernprozesse so zu organisieren, dass Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Kenntnisse, Einsichten und Einstellungen grundgelegt werden. (…) Die Kinder lernen dabei schrittweise, sich Informationen zu beschaffen, zu interpretieren und kritisch zu bewerten.“ Im Abschnitt „Erfahrungs- und Lernbereich Zeit“ der Grundstufe II heißt es u. a.: „Erste Einsichten für Veränderungen durch fachspezifische Arbeitstechniken gewinnen“ durch „Begegnung mit Zeitzeugen; anderen Quellen der Vergangenheit“. (BGBl. II Nr. 402/2010)

Auszug aus dem Lehrplan für die Sekundarstufe I:

„Der Unterricht in Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung ist so zu gestalten, dass es den Schülerinnen und Schülern ermöglicht wird, historische und politische Kompetenzen zu erwerben. Dabei sind folgende Kompetenzbereiche zu berücksichtigen“. Erwähnt werden hier im folgenden Abschnitt die „Historische Fragekompetenz“, die „Historische Methodenkompetenz“, die „Historische Methodenkompetenz“ und die „Historische Orientierungskompetenz“. (BGBl. II Nr. 290/2008)

Auszug aus dem Lehrplan für die Sekundarstufe II:

„Historisches und politisches Lernen soll mehr sein als eine rein intellektuelle Aneignung von Sach- und Fachwissen“. (BGBl. II Nr. 277/2004)

Auszug aus der Prüfungsordnung für die Reifeprüfung in allgemeinbildenden höheren Schulen:

„Im Rahmen der mündlichen Teilprüfung ist jeder Prüfungskandidatin und jedem Prüfungskandidaten im gewählten Themenbereich eine kompetenzorientierte Aufgabenstellung, welche in voneinander unabhängige Aufgaben mit Anforderungen in den Bereichen der Reproduktions- und Transferleistungen sowie der Reflexion und Problemlösung gegliedert sein kann, schriftlich vorzulegen.“ (BGBl. II Nr. 174/2012)

Auszug aus der ministeriellen Handreichung zur kompetenzorientierten Reifeprüfung:

„Für die neue kompetenzorientierte mündliche Reifeprüfung sind die historischen und politischen Kompetenzen, die speziell für das Fach Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung erarbeitet wurden, von größter Bedeutung.“ Und weiter: „Da sich kompetenzorientierte Aufgabenstellungen auf ein fachspezifisches Kompetenzmodell beziehen sollten, greift die vorliegende Handreichung auf die gesetzlich normierten historischen und politischen Kompetenzen zurück, die im Unterstufenlehrplan der AHS von 2008 verordnet wurden.“ (BMUKK 2011)

Abb. 1: Curriculare Hinweise auf einen reflektierten und reflexiven Umgang mit Vergangenheit und Geschichte in allen Schulstufen

Dieser fachspezifisch kompetenzorientierte Zugang ist in Österreich seit 2008 im Lehrplan für die Sekundarstufe I verankert11 und für die Sekundarstufe II zumindest seit 2011 – vier Jahre vor der ersten kompetenzorientierten mündlichen Reifeprüfung aus „Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung“ im Sommersemester 2015 – grundlegend geworden, da die Reifeprüfungsverordnung ebenfalls einen derartigen Zugang erwartet. Es finden sich auch bereits in der Primarstufe im Lehrplan für „Sachunterricht“ Hinweise auf einen reflektierten und reflexiven Umgang mit Vergangenheit und Geschichte.12

Zudem wird der kompetenzorientierte Ansatz in den mittlerweile neu verordneten Lehrplänen für die Sekundarstufen I und II noch stärker akzentuiert. Seit 2016 gilt in Österreich ein neuer Lehrplan für den Unterrichtsgegenstand „Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung“ in der Sekundarstufe I, in welchem die Aspekte fachspezifischer Kompetenzorientierung noch deutlicher ausformuliert sind, da historische und politische Teilkompetenzen in einzelnen Modulen explizit ausgewiesen werden und zusammen mit sogenannten „thematischen Konkretisierungen“ behandelt werden müssen. Im Modul 3 der 6. Schulstufe zum Thema „Mittelalter“, in dem sich drei sogenannte Kompetenzkonkretisierungen (i. e. Teil- bzw. Einzelkompetenzen) und drei „Thematische Konkretisierungen“ finden, könnte beispielsweise die „Kompetenzkonkretisierung“ „Schriftliche und bildliche Quellen beschreiben, analysieren und interpretieren“ mit der Angabe „Lebensweisen in Stadt und Land, wirtschaftlicher und technischer Wandel re-konstruieren“ aus der „Thematischen Konkretisierung“ des Moduls kombiniert werden.13

Gleiches gilt für den seit 2016 verordneten semestrierten14 Lehrplan für „Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung“ für die Sekundarstufe II. Hier kann beispielhaft die 9. Schulstufe herangezogen werden, in der die zu behandelnde Teilkompetenz „Die unumgängliche Perspektivität und Intention von historischen Quellen feststellen“ mit der thematischen Verknüpfung „Ausbreitung von Kultur, Religion und Herrschaftsgebieten in europäischen und außereuropäischen Machtzentren sowie damit verbundenen Vernetzungen und Wechselwirkungen“ bearbeitet werden könnte, wobei dem Lehrplan entsprechend die thematische Eingrenzung für diese Schulstufe, „Von der griechisch-römischen Antike bis zum Ende des Mittelalters unter Berücksichtigung von Gegenwartsphänomenen“, zu berücksichtigen ist.15

Doch wie genau ist es um die domänenspezifische Kompetenzorientierung in Österreichs Schulbüchern nach deren Implementierung in den normativen Vorgaben (Lehrplan 2008/Maturaleitfaden 2011) bestellt? Dazu gibt es bisher nur punktuelle empirische Einblicke,16 weshalb sich das in diesem Beitrag vorgestellte Promotionsprojekt dieser Frage annimmt. Verständlicherweise kann dies auch in der vorliegenden Arbeit nur in Teilaspekten geschehen, weswegen schriftliche Quellen und deren Einsatz im Geschichtsschulbuch untersucht werden.17 Die Einschränkung auf diese Quellenart begründet sich zum einen auf der zentralen Bedeutung von schriftlichen Quellen „für jede Beschäftigung mit Geschichte“,18 zum anderen darauf, dass eine Ausweitung der Untersuchung den Rahmen dieses Projekts und die dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen überstiegen hätte. Zum Begriff „Einsatz“ muss erläuternd hinzugefügt werden, dass nicht der tatsächliche Einsatz im Unterricht in Form von Unterrichtsbeobachtungen untersucht wird, sondern die entlang der Analyse von schriftlichen Quellen und Aufgaben im Schulbuch herausgearbeiteten bzw. in den konkreten Formulierungen der Arbeitsaufgaben zu den schriftlichen Quellen grundgelegten Möglichkeiten von Schulbüchern, fachspezifische Kompetenzen anzubahnen. Letztlich handelt es sich beim Begriff „Einsatz“ also um die durch die Schulbuchautor*innen grundgelegte bzw. angeregte Verwendung schriftlicher Quellen im Schulgeschichtsbuch, welche sich anhand bestimmter Untersuchungsdimensionen und -kategorien beschreiben, analysieren und interpretieren lässt.19

„Wenn die auf Lernen und Lehren bezogene Strukturierung untersucht werden soll, kommt den Arbeitsaufträgen eine besondere Bedeutung zu. Das Grundproblem, dessen man sich bewusst sein muss, ist, dass Schulbuchanalysen nicht erheben können, wie im Geschichtsunterricht mit den Büchern gearbeitet wird, sondern nur, welche Möglichkeiten im Buch liegen.“20

Historisches Lernen mit schriftlichen Quellen

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