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KLANGWERK AUF DEM MARS?
KLINGKRAFT GESCHMOLZEN?
Düsseldorf, 15. Februar 1999 +++ Ich sitze mit zwei visionären Kraftwerk-Freunden zusammen, und sie erzählen mir, dass sie einem etwaig neuen Kraftwerk-Album eher mit Skepsis entgegensähen. Martin und Markus aus Düsseldorf nehmen an, dass es eine große Enttäuschung werden könnte. Nachdem die Fans aus aller Welt nun seit über zwölf Jahren auf einen neuen Ton warteten, sei dies nicht mehr so lustig, und die allgemeine Erwartungshaltung wäre derart hochgeschaukelt, dass wohl kaum eine musikalische Befriedigung erreicht werden könne. Die Herren Ralf und Florian seien ja mittlerweile auch im betagten Alter, und da würde man bekanntlich behäbig und sei nicht mehr so neugierig. Neugierde sei aber fürs Forschen von substantieller Wichtigkeit. Die Kraftwerker waren für die beiden Helden, Wissenschaftler, Erfinder und Erforscher von präzisem Klang und romantischer Poesie. Die Kraftwerker waren für sie Raumfahrer, die sie durch den Dunst des Lebens in eine klang-klingende Galaxis flogen, um sie dort sich selbst zu überlassen. »Am besten wäre jetzt ein mythisches Verschwinden der Gruppe«, meinen die beiden. Martin stellt sich vor, wie die NASA Kraftwerk dazu einlädt, mit dem nächsten Shuttle auf den Mars zu fliegen und dort das erste intergalaktische Konzert zu geben. »Auf dem Weg ins All«, spinnt Markus den Faden fort, »gerät die Raumsonde in den Teilchenstrom einer Aurora Borealis, und die Verbindung zum Schiff reißt ab. Sind sie nun auf dem fernen Planeten gelandet, oder wurde Kraftwerk mit dem neuen, niemals gehörten Ton von der verschleierten Sphinx des eiskalten Nordlichts ins dunkle All gesogen?« So könnte der Mythos ihrer geliebten Gruppe am besten eingefroren und in aller Zukunft weitergepflegt werden - meinen Martin und Markus.
Köln, 17. Februar 1999 +++ Die Intellektuellen Ralph und Robert aus Köln meinen dagegen, dass Ralf und Florian von Kraftwerk eines Tages feststellen, dass sie zu viele Musiker verschlissen haben. Ohne die Inspiration ihrer langjährigen Mitstreiter Karl und Wolfgang sei der Humor der Themen und die Leichtigkeit der Töne dahin, und die beiden Erfinder begeben sich auf meditative Wanderschaft. Florian zieht in seiner neuen Eigenschaft als Prediger in die weite Welt. Ralf träumt immer noch von einer Fusion zwischen Mensch und Maschine. Er fährt mit seinem Rennrad um die Erde und erklimmt mit ihm als erster den Mount Everest. In der Erkenntnis, dass er nie mit seinem Rad eins werden kann, begibt er sich schließlich in die Einsiedelei eines tibetanischen Klosters. Das fünfte System von Kraftwerk, der Kling Klang-Reaktor, beginnt derweil ein Eigenleben zu führen und entwickelt heiße Gefühle. Vor glühender Verzweiflung wegen seiner mangelhaften Töne-Entsorgung beginnt er zu einem großen Klumpen zusammenzuschmelzen. Die Roboter reißen sich aus ihrer Ecke los und müssen vom vergeblichen Liebesspiel ablassen. Wütend, dass man ihnen keinen Unterleib mehr gegönnt hat, schalten sie hektisch den Kling Klang Reaktor ab. Aber sie sind dabei allzu hektisch - ihre stakeligen Arm- und Beinprothesen behindern sie. Aus Unflexibilität kommen sie an den falschen Schalter und zerstören tragischerweise auch sich selbst. Heute steht der elektronische Schmelzwertklumpen ausgerechnet im Kölner Museum Ludwig als mahnendes Kunstwerk für alle, die zu spät gekommen sind - meinen Ralph und Robert.
Ich wusste es schon immer. Unsere Freunde haben große Fantasie und einen köstlichen Humor. Wer diese Komponenten besitzt, zieht sich gegenseitig an wie ein Magnet. Und was für die Fans gilt, das gilt auch für die Musiker. So gesehen konnte ich 1973 gar nicht an Kraftwerk vorbeigehen. Selbst wenn sie eine kriminelle Vereinigung gewesen wären, hätte mich das wohl kaum abgeschreckt.