Читать книгу Ich war ein Roboter - Wolfgang Flür - Страница 5

Оглавление

Vorwort

MIT DEN ROBOTERN UNTER EINER DECKE

Zuerst war ich vom Arbeitstitel meines Buches - Mit den Robotern unter einer Decke - begeistert. Dann aber, je mehr ich mich erinnerte und je mehr ich schrieb, fiel mir auf, dass wir, verglichen mit anderen Popgruppen, gar nicht in das Muster einer Truppe mit Kumpelattitüde passten. Es war wohl doch nur ein tief in mir verborgenes Wunschbild, das sich mit Kraftwerk nie verwirklichen ließ. Zu unterschiedlich waren wir elektrischen Vier in Persönlichkeit und Herkunft. Unsere Väter waren zwar Ingenieur, Techniker, Architekt, Augenoptiker, aber sie hatten alle einen sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Rang. Ralf Hüter und Florian Schneider-Esleben passten wegen ihren Familien schon besser zusammen. Sie stammten aus wohlhabenden Elternhäusern, in denen es nie an Geld gemangelt hat und schon gar nicht an Wissensbildung. Sie hatten elegante Umgangsformen und waren bereits in jungen Jahren viel gereist. Karl Bartos und ich kommen aus der so genannten Mittelschicht. Natürlich hatten auch wir eine Bildung und vor allem große Emotionalität. Wir wussten allerdings auch, was es bedeutete, wenn öfter mal kein Geld da war oder wenn jemand gefühlsmäßige Zuwendung brauchte. Verspielt und talentiert waren wir alle vier und ließen uns für lange Zeit aufeinander ein, weil wir irgendwo schicksalhafte Berührungspunkte gefunden hatten und weil wir uns so respektierten, wie wir waren. Instinktiv spürte damals jeder, dass gerade unsere spezielle Verbindung noch Großes hervorbringen konnte.

Um meine Erinnerungen an viele Einzelheiten meines Musikerlebens aufzufrischen, öffnete ich vor einigen Jahren nach langer Zeit wieder einmal meinen goldfarbenen Aluminiumkoffer, den ich mir 1975, immerhin 28-jährig, gleich zu Beginn unserer ersten US-Tournee in New Yorks schicker Fifth Avenue gekauft hatte und der mich all die Jahre auf allen Tourneen und Reisen begleitet hat. Für Tim Barr von der englischen Zeitschrift Future Music wollte ich einige unveröffentlichte Fotos von unseren frühen Auftritten zusammenstellen - da schlug mir der konzentrierte Duft dieser ganzen Pionierzeit unserer Elektromusik entgegen. Ich war wie im Rausch, blätterte und las stundenlang in Stapeln von Dokumenten, sah mir Fotos an und versank unaufhaltsam in einen Trancezustand. Ja, es gibt tatsächlich einen Kraftwerkgeruch für mich, und der ist pixelfein abgespeichert in meinem ›deutschgedanklichen Kulturbeutel‹. Er riecht nach Hotelzimmern aller Kategorien, Flugzeugkerosin, einer multikulturellen Welt, großartigen Erlebnissen und ernüchternden Vorurteilen gegen uns privilegierte Klanglaboranten aus dem modernen Düsseldorf am Rhein. Es ist auch der Chemiegeruch von Pressefotos, privaten Polaroids, kontroversen Zeitungsartikeln aus allen Erdteilen und oftmals gerissenen Filmen meiner alten 8-Millimeter-Schmalfilmkamera Marke Bell & Howell mit Handaufzug. Über diese ›Reliquien‹ legten sich noch die Ausdünstungen oxydierter Messingstäbchen, die ich mir gleich Anfang der 70er Jahre gelötet und mit denen ich unzählige Male für Kraftwerk getrommelt habe.

Der angesehene amerikanische Journalist Dave Thompson schrieb 1997 für das US-Magazin Goldmine einen kenntnisreichen und vergleichenden Artikel über meine frühere Gruppe und mein heutiges Musikprojekt Yamo. Daves Überschrift lautete ›The Heart of Teutonic Soul‹. Wir fachsimpelten leidenschaftlich einen halben Abend lang via Telefon über alles, was war, und das, was ist, während ich ausgerechnet in einem Zimmer des New Yorker Hotels ›Mayflower‹ saß, wo schon Ralf und Florian 1975 während unserer ersten US-Tournee, fein getrennt von Karl und mir, in den eleganten Suiten residiert hatten. Der Journalist beschwor mich eindringlich, meine Geschichte aufzuschreiben. Es gebe unbedingten Erklärungbedarf, weshalb ich meine berühmte Gruppe verlassen habe und warum die Welt danach nichts mehr von ihr zu hören bekam. Da es die meistgestellte Frage vieler seiner Kollegen und Fans an mich in den letzten Jahren war, entschloss ich mich schließlich zu diesem Bericht. Damit man mein romantisches Herz und meine teutonische Seele besser verstehen kann, werde ich weit ausholen und zurückblenden müssen in eine frühe Zeit, als die Lust am Machen und der Spaß am Klang in mir geweckt wurden.

Mit Kraftwerk hatten wir eine neuartige Musik entwickelt, was wir damals schon ein wenig ahnten. Völlig überraschend brachte sie uns Mitte der 70er Jahre in viele Winkel der Welt. Überhaupt nicht vorbereitet, erlebten wir die unfassbarsten Dinge, hatten schöne und schreckliche Erlebnisse und machten wertvolle Erfahrungen fürs Leben. Das Jetten um die Erde und viele Begegnungen schärften meinen Blick für die Natur, die Menschen und uns selbst. Ich verstand schnell, dass Düsseldorf nicht der Mittelpunkt der Erde ist, und entdeckte, dass ich ein Weltbürger bin und mich überall wohl fühlen kann. Aber auch das Heimatgefühl, die Magie unseres Breitengrades und das Nachhausekommen genoss ich. Dass das Reisen nicht für jeden von uns ein angenehmes Erlebnis war, musste ich enttäuschenderweise hinnehmen, und ich betrachtete zehn Jahre später meine Kollegen und mich selbst aus einem kritischeren Blickwinkel. Erste Zweifel kamen mir auf, über das, was mit mir bei Kraftwerk passierte und was wir den Menschen eigentlich brachten. Ich begann zu reifen, und meine Gedanken kreisten irgendwann nicht mehr nur ums Trommeln, ums Erfinden und darum, wie ich wohl bei den Frauen ankomme.

Sie werden beim Lesen feststellen, dass ich oft mehr über das Geschehen am Rande unserer Konzerte und Tourneen berichte, als über Einzelheiten unseres alltäglichen Musikschaffens und Experimentierens. Es waren nämlich gerade die menschlichen Erfahrungen, die sonderbaren Erlebnisse und vermeintlich marginalen Ereignisse auf einem Stück Lebensweg, die mich beeindruckten und nun in meinen Erinnerungen schwelgen lassen. Die Einstellungen unserer Synthesizer oder technische Details unserer Auftritte und Plattenaufnahmen sind für mich weniger berichtenswert. Das ist Handwerk und Routine, so etwas bringt jeder Beruf irgendwann mit sich. Erwarten Sie also bitte kein Buch über VCO-, LFO-, Oszillatoren- oder Filteranalysen. Mein Bericht handelt vielmehr von Kreativität, Wachsamkeit, Kollegialität und Lebensfreude. Verlust und Verrat gehören ebenso dazu, so ist halt das Leben mit anderen. Dass jedoch eine so aufregende und schöne Zeit einmal in einem regelrechten Alptraum für mich enden und dass ein völlig neuer Wolfgang daraus entstehen würde, konnte ich damals nicht ahnen. Und meine Enttäuschung über die Art und Weise, wie zwei Protagonisten mit ihrer einstmals genialen ›Erfindung Kraftwerk‹ schließlich umgingen und nur noch ihren Mythos lebten, mir deshalb dieses Buch - meine persönlichsten Erinnerungen - gerichtlich verbieten lassen wollten, konnte kaum größer sein.

Mit unserer Musik und unseren Visionen hatten wir das Glück, dass wir die Menschen erreichten und von ihnen geliebt wurden. Von vielen habe ich gelernt. Inspiriert von ihren Geschichten, die manchmal zu den meinen geworden sind, habe ich wieder neue Songs für mein Projekt Yamo geschrieben. Das Leben prägt, und je mehr man die Sinne geöffnet hat für die besonderen Kleinigkeiten darin, um so mehr kann man später aus der kostbaren Schatztruhe der Erinnerungen schöpfen.

Wie es ist, auf der Bühne zu stehen, das kannte ich schon lange vorher. Das Erlebnis, beklatscht zu werden, ebenso. Ich hatte mehrere Gruppen vor Kraftwerk, und die waren mir ebenso ans Herz gewachsen, selbst wenn sie nicht sonderlich erfolgreich waren. Es waren aber allesamt meine Bands, also Gruppen, die ich selbst gegründet hatte. Mit Kraftwerk stand mir aber die weite Welt offen, und das war es, außer meinen Erfindungen und meinem minimalen Trommeln, was mich die ganzen Jahre über mit der Gruppe am meisten reizte.

Menschliche Kontakte in vielen Nationen, unzählige Gespräche und die Liebschaften, die so manches Mal daraus hervorgegangen sind, sowie ein universelles Bild von Kulturen, das ich mir selbst machen konnte, ohne es nur aus den Büchern herauszulesen – all das brachte mir großartige Erfahrungen, die mir später nach meiner schmerzlichen Trennung auch geholfen haben, einen Weg zu mir selbst, zu Lust und zu Klang meiner eigenen Musik zu finden. Mein Weg mit Kraftwerk war bestimmt einer der verrücktesten und schönsten. Dieses Buch soll all jene ermutigen, die ebenfalls spät im Leben ihr eigentliches Ziel erkannt haben und Zufriedenheit aus dessen Verwirklichung schöpfen, wie ich es heute tue. Die Parole lautet: Nie ist es zu spät für etwas Neues, nie für etwas Besonderes. Mit Kraftwerk versuchten wir immer, unseren Fans etwas Besonderes zu bieten. Modernität und Eigenständigkeit sind gerade heute wieder mein persönlicher ›Guiding Ray‹. Ich möchte mich den Worten von Brian Wilson anschließen, der da einmal sagte: »Vergesst nicht, dass unsere Musik immer aus Liebe zu euch gemacht wurde.«

Und übrigens: Meine Berichte stellen meine ureigensten Meinungen und Gefühle dar. Sie unterscheiden sich gewiss von denen meiner früheren Kollegen, und es gäbe sicher vier sehr unterschiedliche Kraftwerk-Bücher, wenn wir jeder eines geschrieben hätten.

Wolfgang Flür, Juni 1999

Wer mit dem Strom schwimmt, erreicht den großen Musikdampfer, wer gegen den Strom schwimmt, erreicht vielleicht die Quelle.

(Paul Schneider-Essleben, Vater von Florian Kraftwerk)

»Junge, du machst das schon richtig«.

(Heribert Flür - mein Vater im Alter von 83 Jahren)

Ich war ein Roboter

Подняться наверх