Читать книгу Ich war ein Roboter - Wolfgang Flür - Страница 15
Оглавление9
WIR ELEKTRISCHEN VIER
Düsseldorf, Januar 1974 +++ Wir hatten uns von Röder auch aus dem Grund getrennt, weil er sich mit seinen langen Haaren und seinem Bart nicht so recht in unser neu gewähltes Erscheinungsbild einfügen wollte und weil unsere Popmusik einfach nicht seine Sache zu sein schien. Die Gründer hatten für Kraftwerk ein strenges, sehr deutsches Erscheinungsbild gewählt. Ich selbst hatte bei meinem Eintritt in die Band ja noch eine Hippie-Frisur und trug einen Schnurrbart. Und auch Ralf trug Anfang der 70er Jahre noch schulterlange Haare. In der Zeit ihrer musikalischen Experimente mit Organisation, ihrer ersten Gruppe und Kraftwerk I und Kraftwerk II mochte das ja noch gepasst haben. Ich bin mir aber sicher, dass wir uns auf Veranlassung von Florian, der damals den Modestil der 50er Jahre liebte, mit dem Erscheinen des Albums Autobahn, diesem typisch deutschen Thema, ein ebenfalls deutsches Image zulegten, so wie die Beach Boys mit ihrem ›All American Dream‹ den amerikanischen Prototypus repräsentierten. Das fand ich auch sofort gut. Ich kann mich noch daran erinnern, dass wir uns alle die Haare schneiden ließen und in der Stadt Anzüge kauften. Ralf und Florian hatten sich sogar bei einem Düsseldorfer Maßschneider Anzüge auf den Leib nähen lassen. Immerhin bezahlten sie auch unsere Konfektionsware, da es sich ja sozusagen um Arbeitskleidung handelte. Wir wollten einfach nicht mehr mit der englischen Pop-Szene oder mit Bluejeans tragenden, amerikanischen Rockbands verglichen werden.
Musikalisch ging das ja sowieso schon nicht mehr. Wir wollten zeigen, dass es auch in Deutschland eine stilistisch eigenständige moderne Unterhaltungsmusik gab, die ihre Ursprünge in unserer eigenen Kultur hatte. Diese Musik war Ralfs und Florians Erfindung. Gemeinsam mit anderen und mir entwickelten sie ein intellektuelles und zugleich unterhaltsames Musikkonzept auf der Basis unserer romantischen Volksmusikmelodien in Kombination mit modernen naturwissenschaftlich-technischen Themen, zeitgemäß elektronischen Instrumenten und einer selbstbewussten, eigenständigen Form. In zunehmendem Maße verstand ich, was sie wollten, und ich war froh, diese Musik mit aufführen zu dürfen.
Aber gerade für diese Präsentation waren wir auf der Bühne immer noch zu wenig Darsteller. Wir hatten ja in der Zwischenzeit bei Auftritten festgestellt, dass wir mehr Männer für unsere Live-Shows brauchten. An eine Frau haben wir damals nie gedacht - wie dumm, denke ich heute. Vom Konservatorium her kannte Florian einen Musikprofessor, den er um Rat fragte. Dieser legte ihm den talentierten Musikus Karl Bartos ans Herz. Der Student hatte am Düsseldorfer Institut Schlagzeug, Klavier und Vibraphon gelernt und stand bald vor seinem Examen. Florian brachte ihn eines Tages mit ins Studio. Karl wirkte äußerlich noch sehr studentisch mit seinem Dufflecoat-Mantel, Turnschuhen, Bluejeans und dunkelrotem Nicki, den er ständig trug. Auch war er um einige Jahre jünger als wir, aber recht forsch und selbstbewußt, das spürte ich mit einigem Neid.
Für einige Zeit spielte Karl bei uns zuerst sein konventionelles Vibraphon, welches damals sein Lieblingsinstrument war. Das schwere Teil wurde sogar auf unserer gesamten ersten Amerikatournee mitgeschleppt und verursachte hohe Transportkosten. Aber in erster Linie sollte Karl ebenfalls Schlagzeug spielen. Er war schließlich ausgebildeter Konzerttrommler und konnte Figuren spielen, zu denen ich selbst gar nicht fähig war. Auf jeden Fall war er eine kolossale Bereicherung für uns. Zu Beginn hatte ich allerdings etwas Angst, dass er mich eventuell ersetzen könnte. Aber diese Bedenken stellten sich bald als unberechtigt heraus, weil ich mittlerweile mit weiteren Fähigkeiten wichtig geworden war.
Mit Karl kam ich Gott sei Dank schnell in einen herzlichen Kontakt, kam er doch aus einem ähnlichen Elternhaus wie ich. Von nun an hatten wir beide denselben Status, auch wenn ich schon ein Jahr länger dabei war. Wir waren zunächst feste Honorar-Musiker in der intellektuellsten und elektrischsten Pop-Band überhaupt. Für Karl baute ich ein Plattenschlagzeug aus einer zweiten Beatbox und einem kleineren Spielbrett. Das Prinzip war komplett dasselbe, nur die Klänge aus seinem Kasten waren anders. Mit metallenen ›Stricknadeln‹ wurden auch sie manuell zu Rhythmen geschlagen oder einzelne Sounds ausgelöst. Wir gaben beim alten Portraitfotografen in der Blumenstraße neue Autogrammkarten in Auftrag, auf denen man zum ersten Mal das Erscheinungsbild von Kraftwerk sah, wie es sich für die kommenden zwölf Jahre und die beste Schaffensperiode der Band nicht mehr ändern sollte.
Und bald ergab es sich auch für Karl, dass in unserer Wohnung in der Berger Allee zwei Zimmer frei wurden, die er beziehen konnte. Bis dahin hatte dort der Grieche Platon Kostiz gewohnt, ein Kollege von Ralf aus dessen Studentenzeit. Wie ich hatten die Beiden Architektur studiert, doch im Gegensatz zu Ralf und mir hatte Platon sein Examen gemacht und er war nun mit seiner deutschen Freundin auf dem Weg zurück nach Griechenland. Die beiden Zimmer im hinteren Anbau, die er bewohnt hatte, waren somit frei, und wir boten sie Karl als Wohnung an. Der war auch sofort begeistert, dass er aus seiner Dachwohnung ohne Bad und Heizung im Stadtteil Oberkassel ausziehen konnte. Unser neuer Kollege lebte von nun an ebenfalls bei uns in der Berger Allee 9 mit Bad und mit Heizung – eine echte Männer WG - und wir genossen es.