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8. Ein Blick über die Grenze des Kapitalismus

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Selbst wenn tatsächlich »ein anderer Kapitalismus« das Maximum des in absehbarer Zeit Erreichbaren darstellen sollte, ist dieses doch nur zu erreichen, wenn über die Grenzen des Kapitalismus hinausgegangen wird. Sowohl in der Praxis als auch – weiter ausgreifend – in der Theorie. Marx kann klärend dazu beitragen, dass das Hinaus über den Kapitalismus nicht in ein bewusstloses Zurück umschlägt. Unsere Regierenden laborieren längst an den Grenzen des Kapitalismus. Sie tun es angesichts dessen, was Marx die »ergänzende Erscheinung« der Kapital-Überproduktion bzw. Überakkumulation nennt, nämlich der wachsenden Masse »unbeschäftigter Arbeiterbevölkerung« (25/261).

Ist Kapitalüberproduktion eine im engsten Sinn systemimmanente Störungsquelle, so die Erzeugung von Massenarbeitslosigkeit, ja die Erzeugung von auf Dauer »überflüssiger« Bevölkerung eine, die geeignet ist, kapitalistische Gesellschaften von innen auszuhöhlen und die Bedingungen für die Möglichkeit demokratischer Regierung zu untergraben. Werfen wir einen Blick auf diesen Effekt: Steigt die Produktivität durch Entwicklung der sachlichen Produktivkräfte, wird also weniger Arbeit fürs einzelne Produkt benötigt, so bleibt die Nachfrage nach Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt nur unter der Voraussetzung stabil, dass die Menge der insgesamt nachgefragten Produkte steigt. Produktinnovation und die dadurch bewirkte technische oder ästhetische Veraltung noch fungierender Güter ist eine Möglichkeit, zusätzliche Nachfrage zu stimulieren. Eine andere Möglichkeit besteht in der Erschließung neuer Märkte. Doch keiner dieser Wege kann unbegrenzt beschritten werden.

Stoßen Kapital und die zu seiner Unterstützung aufgebotene staatliche Wirtschaftspolitik auf diese Grenze, kompensieren demokratische Regierungen das Marktversagen durch allerlei Erfindungen, solange ihnen der finanzielle Spielraum bleibt. Ich-AG und Ein-Euro-Jobs sind noch in Erinnerung, und auch die Erfindung der Null-Kurzarbeit, mit der im Verein mit der Abwrackprämie die Deutschen bei der Stange gehalten wurden, verdient bei allem Bedrohlichen die fröhliche Kritik derer, die darin die Hilflosigkeit ihrer Oberen erkennen.

Die Fröhlichkeit endet, wenn in der Staatsschuldenkrise auch solche Manöver an der Grenze des Kapitalismus auf ihre Grenzen stoßen. Im marxschen Manifest heißt es: »Es tritt hiermit offen hervor, dass die Bourgeoisie unfähig ist, noch länger die herrschende Klasse der Gesellschaft zu bleiben und die Lebensbedingungen ihrer Klasse der Gesellschaft als regelndes Gesetz aufzuzwingen. Sie ist unfähig zu herrschen, weil sie unfähig ist, ihrem Sklaven die Existenz selbst innerhalb seiner Sklaverei zu sichern, weil sie gezwungen ist, ihn in eine Lage herabsinken zu lassen, wo sie ihn ernähren muss, statt von ihm ernährt zu werden. Die Gesellschaft kann nicht mehr unter ihr leben, d.h., ihr Leben ist nicht mehr verträglich mit der Gesellschaft« (4/473). Dass die Kapitalistenklasse das Proletariat »ernähren muss, statt von ihm ernährt zu werden«, ist die das Denken in die Gänge bringende rhetorische Überspitzung eines realen Widerspruchs. Im Ganzen unmöglich, ja absurd, macht sich diese Notwendigkeit doch immer wieder partiell geltend. Allerdings springt nicht die Kapitalistenklasse ein, sondern der Staat, und dieser schließt zuvor alle Lohnarbeitenden in einer Zwangsversicherung gegen die Notlage der Arbeitslosigkeit zusammen, um aus deren Kassen dann zumindest einen Teil des Proletariats zu ernähren, statt von ihm ernährt zu werden – Politik an den Grenzen des Kapitalismus. Bis dann dieser Politik der Geldhahn Stück um Stück zugedreht wird und das den »Langzeitarbeitslosen« gewährte, von vornherein kümmerliche Überlebensgeld beschnitten wird. In der Bundesrepublik betrifft dies an die zehn Prozent der Bevölkerung, denn inzwischen stecken hier 6,7 Millionen Hartz-IV-Empfänger und ihre Familien »dauerhaft im Hartz-IV-System fest« (Heitmeyer 2010, 19). Als in der Großen Krise die südeuropäischen Länder begannen, am Rande des Staatsbankrotts zu lavieren, erfasste die Verarmung die Bevölkerungsmehrheit. In solchen Situationen bricht eine Zeit an, in der das gesellschaftliche Leben chaotisch an der Grenze des Kapitalismus aufläuft. Es stockt vor der notwendenden Möglichkeit, dass die Gesellschaft ihre Lebens- und Überlebensbedingungen dem Kapital als regelndes Gesetz aufherrsche. Widrigenfalls droht es zurückzufluten in Autoritarismus, wenn die manifeste Ohnmacht demokratischer Regierungen von deren Wählerschaft als die eigene erfahren und mit dem Wunsch nach dem Starken Mann und der Harten Hand kompensiert wird. Auf der anderen Seite der Grenze liegt die terra incognita, wo zu erwarten ist, dass die assoziierten Gesellschaftsmitglieder die Besorgung des für sie Notwendigen ohne Dazwischenkunft fetischistischer Mächte in die eigenen Hände genommen hätten.

Hightech-Kapitalismus in der großen Krise

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